Instanzenzug: LG Osnabrück Az: 15 KLs 26/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit „vorsätzlichem“ Fahren ohne Fahrerlaubnis schuldig gesprochen. Es hat ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von einem Jahr angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die ausgeführte allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Spätestens im April 2023 entschloss sich der Angeklagte, der Kokain, Haschisch und Marihuana konsumierte, fortan zur Finanzierung seines Lebensunterhalts und seines eigenen Rauschmittelkonsums mit diesen Drogen Handel zu treiben. Er baute sich einen Abnehmerkreis von mehr als 50 Personen auf, die er belieferte.
41. Etwa ein bis zwei Wochen vor dem erwarb der Angeklagte mindestens 50 Gramm Kokain mit einer Wirkstoffmenge von jedenfalls 43,45 Gramm Kokainhydrochlorid (KHCl) sowie eineinhalb Kilogramm Marihuana und Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 255,77 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC). Von diesen Drogen waren 80 Prozent (Wirkstoffmengen: 34,76 Gramm KHCl, 204,61 Gramm THC) zum gewinnbringenden Weiterverkauf und 20 Prozent (Wirkstoffmengen: 8,69 Gramm KHCl, 51,15 Gramm THC) zum Eigenkonsum durch den Angeklagten bestimmt. Am Abend des befuhr der Angeklagte, der nicht die hierfür erforderliche Fahrerlaubnis hatte, im Besitz eines Teils der vorgenannten Drogen mit einem Pkw öffentliche Straßen in B. . Bei einer Polizeikontrolle wurde das im Fahrzeug mitgeführte Kokain und Marihuana sichergestellt. Im Zuge einer anschließenden Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten wurden weiteres Kokain, Marihuana und Haschisch aufgefunden (Fall 1 der Urteilsgründe).
52. Kurze Zeit später erwarb der Angeklagte erneut Rauschgift, um seine Tätigkeit fortsetzen zu können, und zwar mindestens 20 Gramm Kokain mit einer Wirkstoffmenge von jedenfalls 16 Gramm Kokainhydrochlorid (KHCl) sowie 700 Gramm Marihuana und Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 182,63 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC). Auch von diesen Drogen waren 80 Prozent (Wirkstoffmengen: 12,8 Gramm KHCl, 146,1 Gramm THC) zum gewinnbringenden Weiterverkauf und 20 Prozent (Wirkstoffmengen: 3,2 Gramm KHCl, 36,52 Gramm THC) zum Eigenkonsum durch den Angeklagten bestimmt. Diese Rauschmittel verwahrte der Angeklagte nach ihrem Kauf in seiner Wohnung, in der überdies jederzeit zugriffsbereit offen auf einer Fensterbank im Wohnzimmer ein voll funktionsfähiges Elektroimpulsgerät („Elektroschocker“) zur Absicherung seiner Drogengeschäfte lag (Fall 2 der Urteilsgründe).
II.
6Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils hat hinsichtlich der Beweiswürdigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, führt aber auf der Basis der von dieser getragenen Feststellungen zur Änderung des Schuld- und Aufhebung des Strafausspruchs. Die Anordnung der Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis bleibt hiervon unberührt; sie erweist sich als rechtsfehlerfrei und hat daher Bestand.
71. Der Schuldspruch ist rechtlich defizitär, weil das Landgericht den Angeklagten für seinen Umgang mit Rauschgift - entsprechend der zum Urteilszeitpunkt geltenden Rechtslage und gemessen an dieser rechtsfehlerfrei - auch insofern nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt hat, als die Taten Marihuana und Haschisch betrafen. Am ist jedoch das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) vom in Kraft getreten (BGBl. 2024 I Nr. 109). Diese Rechtsänderung hat der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO zu berücksichtigen. Nach der Neuregelung unterfällt Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz, sondern bestimmt sich die Strafbarkeit der hier zu beurteilenden Taten, soweit es den Umgang des Angeklagten mit Marihuana und Haschisch anbelangt, nach dem Konsumcannabisgesetz (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 201/24, juris Rn. 5 mwN; vom - 3 StR 148/24, juris Rn. 5; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321).
8Unter dessen Geltung ist der Fall 1 der Urteilsgründe als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 4 KCanG), mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG), mit Erwerb von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. a, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 4 KCanG) und mit Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG) - einer Kennzeichnung des Straßenverkehrsdelikts als vorsätzlich begangene Tat bedarf es nicht (vgl. , BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 5 Rn. 17) - zu werten.
9Im Fall 2 der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte bei Anwendung des Konsumcannabisgesetzes wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) in Tateinheit mit bewaffnetem Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 4 KCanG), mit Erwerb von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) - hinsichtlich der Eigenverbrauchsmenge Kokain ist die Grenze zur nicht geringen Menge nicht erreicht - und mit Erwerb von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. a, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 4 KCanG) strafbar gemacht.
10Bei Marihuana und Haschisch handelt es sich um Produkte der Cannabispflanze, die nach den Begriffsbestimmungen des Konsumcannabisgesetzes als „Cannabis“ erfasst werden (§ 1 Nr. 4 und 5 KCanG). Die Tathandlungen des § 34 Abs. 1 KCanG hat der Gesetzgeber ausdrücklich an die Begrifflichkeiten des Betäubungsmittelgesetzes angelehnt (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 94; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321, 324 f.). Hinsichtlich des jeweils zum Eigenverbrauch bestimmten Cannabis hat sich der Angeklagte allerdings - entgegen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts - nicht wegen Besitzes, sondern wegen Erwerbs von Cannabis strafbar gemacht. Denn die Umgangsvariante des Besitzes hat auch beim Konsumcannabisgesetz Auffangcharakter; sie wird von derjenigen des Erwerbs verdrängt (vgl. , juris Rn. 6; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 188). Letztere ist hier erfüllt, weil der Angeklagte das Cannabis entgeltlich zur eigenen Verfügung erlangte (vgl. zum Erwerbsbegriff , NStZ-RR 2024, 311, 312; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 172). Dass sich die Tathandlungen jeweils auf Cannabis in nicht geringer Menge bezogen - diese ist auch unter dem Konsumcannabisgesetz bei einer Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC erreicht (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 154/24, NStZ 2024, 547 Rn. 8; vom - 2 StR 480/23, juris Rn. 27 ff.; vom - 4 StR 5/24, NStZ-RR 2024, 249, 250; vom - 5 StR 153/24, NStZ-RR 2024, 216 f.; vom - 1 StR 106/24, NJW 2024, 1968 Rn. 7 ff.) -, stellt hinsichtlich der Strafbarkeiten wegen Handeltreibens mit und Erwerbs von Cannabis lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG) dar, der im Schuldspruch nicht zum Ausdruck zu bringen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 148/24, juris Rn. 6 mwN; vom - 5 StR 481/23, juris Rn. 7; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 260 Rn. 31 mwN). Hinsichtlich des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis ist eine Anführung der nicht geringen Menge im Schuldspruch nicht geboten, weil dieser Qualifikationstatbestand nur bei Vorliegen einer solchen erfüllt ist (vgl. Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 298a). Zudem ist keine nähere Kennzeichnung der Strafbarkeit des Erwerbs von Cannabis im Schuldspruch dahin veranlasst, dass sich dieser in beiden Fällen auf eine die Freimenge des § 34 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. a KCanG übersteigende Cannabismenge bezog. Auch bei Straftaten nach dem Konsumcannabisgesetz bedarf es keiner Tatkennzeichnung als „unerlaubt“ (oder „verboten“), weil die Strafvorschriften des § 34 KCanG allein den untersagten Umgang mit Cannabis betreffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 142/24, juris Rn. 6; vom - 5 StR 153/24, NStZ-RR 2024, 216; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321, 328).
11Die neue Rechtslage unter der Geltung des Konsumcannabisgesetzes ist bei dem nach § 2 Abs. 3 StGB gebotenen konkreten Gesamtvergleich im Einzelfall (st. Rspr.; vgl. , juris Rn. 7 mwN; Urteile vom - 3 StR 412/22, NZWiSt 2024, 187 Rn. 70; vom - 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 12 f. mwN; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 2 Rn. 9 f.; Schönke/Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl., § 2 Rn. 28 ff. mwN; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321, 327) für den Angeklagten günstiger als die nach dem Tatzeitrecht; sie ist daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO maßgeblich. Zwar tritt nach ihr im Schuldspruch eine Verurteilung wegen (bewaffneten) Handeltreibens mit und Erwerbs von Cannabis zur Strafbarkeit wegen (bewaffneten) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (in nicht geringer Menge) und Erwerbs von Betäubungsmitteln beziehungsweise Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge tateinheitlich hinzu. Jedoch lässt die Herausnahme des tatgegenständlichen Haschisch und Marihuanas aus der Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz und die gesonderte Erfassung des Cannabis durch eine tateinheitliche Verurteilung auch wegen (bewaffneten) Handeltreibens mit Cannabis und Erwerbs von Cannabis aufgrund des geringeren Schuldgehalts von Taten nach dem Konsumcannabisgesetz Raum für eine mildere Bestrafung.
12Der Senat ändert den Schuldspruch deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO wie aus der Beschlussformel ersichtlich. Die Regelung des § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
132. Der Strafausspruch bedarf der Aufhebung. Es ist angesichts der im Verhältnis zum Kokain beachtlichen Mengen Cannabis nicht auszuschließen, dass die auf Cannabis bezogenen Tathandlungen des Angeklagten für das Landgericht bei der Bestimmung des Schuldumfangs und damit bei der Zumessung der verhängten Einzelstrafen mitentscheidend gewesen sind. Auch wenn die Strafe hinsichtlich des Falls 1 dem Strafrahmen des § 30a Abs. 1 BtMG und hinsichtlich des Falls 2 dem des § 29a Abs. 1 BtMG zu entnehmen ist (vgl. § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB), entzieht die gesetzgeberische Wertung eines reduzierten Unrechtsgehalts des Umgangs mit Cannabis, die sich nicht zuletzt aus den in § 34 KCanG gegenüber den §§ 29 ff. BtMG vorgesehenen milderen Strafdrohungen ergibt, den Einzelstrafen die Grundlage. Dies bedingt die Aufhebung auch der Gesamtstrafe.
14Einer Aufhebung der zugehörigen Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Soweit die Strafkammer zu Gunsten des Angeklagten gewertet hat, dass es sich bei Marihuana und Haschisch um „Weichdrogen“ handele, und damit einen unter der Geltung des Konsumcannabisgesetzes nicht mehr statthaften Strafzumessungsgrund herangezogen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 201/24, juris Rn. 8; vom - 3 StR 154/24, NStZ 2024, 547 Rn. 10; vom - 6 StR 116/24, NStZ-RR 2024, 215, 216), liegt darin keine Tatsachenfeststellung. Das zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese den bisherigen nicht widerstreiten.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:021024B3STR296.24.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-79523