Online-Nachricht - Donnerstag, 21.11.2024

Umsatzsteuer/Verfahrensrecht | Korrektur einer jahresübergreifenden Umsatzverlagerung (BFH)

Versteuert der Unternehmer entgegen § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und UStG seine Umsätze nicht bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung, sondern erst für den der nachfolgenden Entgeltvereinnahmung, kann er die Rechtswidrigkeit der für den Besteuerungszeitraum der Entgeltvereinnahmung vorliegenden Steuerfestsetzung geltend machen, ohne dass dem ‑ im Hinblick auf eine für den Besteuerungszeitraum der Leistungserbringung angenommene Festsetzungsverjährung ‑ eine Analogie zu § 20 Satz 3 UStG entgegensteht (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind (Sollversteuerung). Damit kommt es bei dieser Art der Steuerentstehung im Gegensatz zur Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG), bei der gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entsteht, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind (Istbesteuerung), auf die Leistungsausführung, nicht aber auf die Entgeltvereinnahmung an.

Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass im Rahmen der Sollbesteuerung das Entgelt oder ein Teil des Entgelts vereinnahmt wird, bevor die Leistung oder die Teilleistung ausgeführt worden ist, da § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG hierfür anordnet, dass die Steuer insoweit mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist, entsteht. Folgt demgegenüber die Entgeltvereinnahmung der Leistungserbringung nach, entsteht die Steuer gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Leistungserbringung.

Sachverhalt: Die Klägerin, eine GmbH, führte in ihrer Werkstatt Reparaturen an Fahrzeugen des Herstellers X durch, die X ‑ nach Ausführung der Reparatur ‑ im Rahmen von "Gewährleistungen" vergütete. Die Klägerin, die ihre Steuer nach vereinbarten Entgelten berechnete, verbuchte ihre Ansprüche gegen X für die im Rahmen von "Gewährleistungen" zu vergütenden Reparaturleistungen auf "Vergütungskonten". Der Saldo auf diesem "Vergütungskonto" belief sich am Ende des Jahres 2012 auf 32.518,58 €, wobei die Klägerin die hierfür erbrachten Leistungen nicht bereits in 2012 versteuerte, sondern erst mit der Vereinnahmung in 2013 (Streitjahr). Zum Ablauf des Streitjahrs ergab sich ein Vergütungssaldo von 102.642,67 €, wobei die Klägerin die hierfür erbrachten Leistungen wiederum nicht im Streitjahr, sondern erst mit der Vereinnahmung in 2014 versteuerte.

Im Anschluss an eine Außenprüfung für die Jahre 2013 bis 2015, bei der die von der Klägerin erst mit der Vereinnahmung vorgenommene Versteuerung beanstandet wurde, hob das FA für die Umsatzsteuer-Jahresbescheide des Prüfungszeitraums den Vorbehalt der Nachprüfung auf, erhöhte aber lediglich für den Besteuerungszeitraum 2015 die Bemessungsgrundlage der mit dem allgemeinen Steuersatz zu besteuernden Umsätze um den zum Jahresende 2015 bestehenden Vergütungssaldo.

Mit ihren nur gegen die Änderungsbescheide betreffend die Umsatzsteuerfestsetzungen 2014 und 2015 gerichteten Einsprüchen begehrte die Klägerin zur Umsatzsteuer 2014 eine Berücksichtigung des jeweiligen Vergütungssaldos für 2013 und 2014 im Jahr der Leistungserbringung sowie zur Umsatzsteuer 2015 ‑ neben der im Bescheid bereits erfolgten Erhöhung der Bemessungsgrundlage um den Vergütungssaldo 2015 ‑ eine korrespondierende Berücksichtigung des Vergütungssaldos 2014 zu ihren Gunsten. In der Folge half das FA nicht nur diesen Einsprüchen ab, sondern erhöhte mit Bescheid vom unter Bezugnahme auf § 174 AO gleichzeitig von Amts wegen die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 um den Vergütungssaldo 2013 in Höhe von 102.642,67 €.

Bezüglich der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 beantragte die Klägerin am unter Bezugnahme auf § 177 Abs. 1 AO, die Festsetzung zu ändern und die Bemessungsgrundlage ‑ korrespondierend zu der vorgenommenen Erhöhung ‑ um den seinerzeit im Rahmen der Umsatzsteuererklärung 2013 erklärten und noch in dem Änderungsbescheid 2013 enthaltenen Vergütungssaldo 2012 in Höhe von 32.518,58 € zu mindern. Diesen Antrag lehnte das FA ab und wies den hiergegen eingelegten Einspruch zurück.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg. Nach Auffassung des FG steht der Klägerin kein Anspruch auf Minderung der für das Streitjahr festgesetzten Steuer um die sich aus dem Vergütungssaldo 2012 ergebende Steuer zu. Zwar sei die Steuer für die Leistungen, auf die sich der Vergütungssaldo 2012 beziehe, bereits im Jahr 2012 entstanden. Die Erfassung dieser Umsätze im Folgejahr sei jedoch gleichwohl nicht rechtswidrig. Da die Klägerin durch die jahrelange faktische Inanspruchnahme der Istbesteuerung Liquiditätsvorteile erlangt habe, sei sie so zu behandeln, als sei ihr ‑ insoweit ‑ die Istbesteuerung bewilligt worden. Bei der Rückabwicklung der faktischen Istbesteuerung sei so zu verfahren wie beim Wechsel von der Ist- zur Sollbesteuerung, für den § 20 Satz 3 UStG verlange, dass kein Umsatz unversteuert bleiben dürfe ().

Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin hatte vor dem BFH Erfolg:

  • Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass von der sich aus § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG ergebenden Rechtslage im Rahmen einer Analogie zu § 20 Satz 3 UStG, wonach bei einem Wechsel der Art der Steuerberechnung Umsätze nicht doppelt erfasst werden oder unversteuert bleiben dürfen, abgewichen werden kann.

  • Es fehlt bereits an einer für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke. Die Korrektur einer im Widerspruch zu § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG stehenden zeitlichen Zuordnung von Umsätzen erfolgt auf der Grundlage der Änderungsvorschriften der § 164 Abs. 2, § 172 ff. AO unter den darin niedergelegten Voraussetzungen.

  • Dabei ist der hier vorliegende Fall, dass aus einem Antrag des Steuerpflichtigen Folgerungen für andere Besteuerungszeiträume zu ziehen sind, insbesondere durch § 174 Abs. 4 AO geregelt. Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können danach aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wobei dies auch dann gilt, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird (§ 174 Abs. 4 Satz 1 und 2 AO).

  • Zudem ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO). War allerdings die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, gilt dies nach § 174 Abs. 4 Satz 4 AO nur unter den Voraussetzungen von § 174 Abs. 3 Satz 1 AO.

  • Damit liegt eine gesetzliche Regelung für die hier zu beurteilende Fallgestaltung vor. Denn im Streitfall hat das FA aufgrund einer rechtsirrigen Beurteilung (vgl. hierzu , BStBl II 2017, 287, Rz 15 ff.) eines bestimmten Sachverhalts (Besteuerung der bereits in 2012 ausgeführten Leistungen erst bei Vereinnahmung des Entgelts im Streitjahr) den hier streitgegenständlichen Steuerbescheid erlassen, der aufgrund des von der Klägerin gestellten Antrags zu ihren Gunsten geändert werden soll (keine Besteuerung der in 2012 ausgeführten Leistungen im Streitjahr).

  • Daher können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Änderung eines Steuerbescheids für 2012 die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wobei dies unter den in § 174 Abs. 4 Satz 3 und 4 AO genannten Voraussetzungen selbst dann möglich ist, wenn die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2012 bereits abgelaufen sein sollte.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
ZAAAJ-79458