Instanzenzug: Az: Kart 8/22 (V) Beschluss
Gründe
1A. Die Antragstellerin zu 1 (im Folgenden: Condor) ist eine Fluggesellschaft, die unter anderem Langstreckenflüge von den Drehkreuzen Frankfurt, München und Düsseldorf anbietet. Die Antragsgegnerin (im Folgenden: Lufthansa) und die mit ihr nach § 36 Abs. 2 GWB verbundenen Unternehmen sind eine weltweit operierende Luftverkehrsunternehmensgruppe, die Kurz-, Mittel- und Langstreckenflüge anbietet. Condor nutzt Kurzstreckenflüge der Lufthansa, um sie in Kombination mit eigenen Langstreckenflügen als indirekte Gesamtverbindungen anzubieten. Grundlage für die Kombination der Flüge verschiedener Fluggesellschaften zu indirekten Gesamtverbindungen sind sogenannte Interlining-Abkommen, die auch zwischen Lufthansa und Condor bestehen. Zusätzlich gibt es zwischen Lufthansa und Condor kommerzielle Sondervereinbarungen (sogenannte Special Prorate Agreements, im Folgenden: SPAs), die bis in die 1990er Jahre zurückreichen, als Condor und Lufthansa noch konzernrechtlich verbunden waren. Lufthansa erklärte mit Schreiben vom die ordentliche Kündigung des mit Condor bestehenden SPA vom zum . Das zwischen Condor und Brussels Airlines bestehende SPA-SN vom sollte nicht über den hinaus verlängert werden. Das Bundeskartellamt hat im Januar 2021 ein Missbrauchsverfahren gegen Lufthansa eingeleitet. Am verlängerten Lufthansa und Condor das SPA und das SPA-SN bis zum .
2Unter dem (B9-21/21) hat das Bundeskartellamt festgestellt, dass Lufthansa gegen Art. 102 AEUV, §§ 18, 19, 20 GWB verstoßen hat, unter anderem indem sie das SPA zum gekündigt und das SPA-SN nur bis zum verlängert hat. Es hat Lufthansa verpflichtet, mit Condor neue SPAs nach bestimmten Maßgaben zu schließen (Tenorziffer II 1 und II 2). Für den Fall, dass die danach zu führenden Verhandlungen bis zum nicht abgeschlossen sein sollten, hat das Bundeskartellamt Lufthansa verpflichtet, in der Zeit vom bis zum Abschluss der Verhandlungen Buchungen von Condor unter den Bedingungen der bestehenden SPAs weiterhin entgegenzunehmen (Tenorziffer II 5), bis spätestens zum ihre konzerninterne Buchungssteuerung so anzupassen, dass Condor Buchungen in allen Buchungsklassen vornehmen kann, in denen Lufthansa zu diesem Zeitpunkt ihren eigenen Passagieren Buchungen ermöglicht (Tenorziffer II 6 a), sowie bis Fristablauf Buchungen Condors in allen Buchungsklassen entgegenzunehmen, die auf der Grundlage der aktuellen Buchungsklassensteuerung im Zeitpunkt der Buchungsanfrage auf der Grundlage der Vereinbarungen geöffnet und buchbar sind (Tenorziffer II 6 b). Tenorziffer III verpflichtet Lufthansa zur Einhaltung der Anordnungen auch für den Fall, dass Zubringerflüge von anderen mit ihr gemäß § 36 Abs. 2 GWB verbundenen Fluggesellschaften durchgeführt oder über sie gebucht werden. Lufthansa hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt. Das Beschwerdegericht hat mit Beschluss vom (VI-Kart 8/22 (V), juris) die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss bis zur Entscheidung in der Hauptsache gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 GWB angeordnet. Gegen diesen Beschluss haben Condor sowie das Bundeskartellamt Nichtzulassungs- und Rechtsbeschwerde eingelegt. Mit Schreiben vom bot Lufthansa die Fortgeltung einer Übergangsregelung zu geänderten Bedingungen und Preisen an, die Condor mit Schreiben vom ohne Anerkennung einer Rechtspflicht annahm.
3Condor beantragt, bis zur Entscheidung des erkennenden Senats über die Nichtzulassungs- und Rechtsbeschwerden im Wege einer Zwischenentscheidung die sofortige Vollziehbarkeit von Tenorziffer II 5 und der darauf bezugnehmenden Teile von Tenorziffer II 6 und Tenorziffer III des Beschlusses des Bundeskartellamts vom wiederherzustellen. Mit Schriftsatz vom ist das Bundeskartellamt dem Antrag beigetreten. Lufthansa ist dem entgegengetreten.
4B. Der Antrag hat Erfolg, soweit er auf die Weiterführung der Vereinbarung zwischen den Parteien gemäß dem Schreiben der Lufthansa vom im Nichtzulassungs- und Rechtsbeschwerdeverfahren gerichtet ist. Er war zurückzuweisen, soweit er darüber hinausgeht.
5I. Der Antrag auf Erlass einer vorläufigen Zwischenentscheidung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.
61. Wie der Bundesgerichtshof für das Kartell- und das Energieverwaltungsverfahren bereits entschieden hat, ist ein Antrag auf Erlass einer prozessualen Zwischenverfügung statthaft. Zwar hat eine Zwischenentscheidung im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen keine gesetzliche Grundlage; die Befugnis zu einer solchen Entscheidung ergibt sich jedoch aus der Garantie des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG. Die Rechtsschutzgarantie erfordert es, sofern der Antrag nicht offensichtlich aussichtslos oder rechtsmissbräuchlich ist, für die Dauer eines Eilverfahrens von Maßnahmen der Vollstreckung abzusehen, wenn anderenfalls irreversible Zustände oder schwere und unabwendbare Nachteile drohen (BGH, Beschlüsse vom - KVZ 90/20, WuW 2021, 127 Rn. 9 - Facebook II; vom - EnVR 69/21, Rn. 7 mwN; , NVwZ 2014, 363 Rn. 7 f.; , juris Rn. 2).
72. Das gilt auch dann, wenn - wie hier - ein durch eine Abstellungsverfügung nach § 32 Abs. 1 GWB begünstigter Beigeladener in einem Kartellverwaltungsverfahren (§ 54 Abs. 2 GWB) mit der Rechtsbeschwerde gegen eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung vorgeht. Auch in einem solchen Fall gebieten es die Garantie des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG und das Gebot der Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG) der Gefahr zu begegnen, dass während der Dauer des Rechtsmittelverfahrens vollendete Tatsachen geschaffen werden.
8a) Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sieht mit § 67 GWB auch für den Beigeladenen als Beteiligten (§ 63 Abs. 1 Nr. 3 GWB) Eilrechtsschutzmöglichkeiten vor, so insbesondere die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Kartellbehörde (§ 67 Abs. 1 GWB) sowie die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs durch das Hauptsachegericht (§ 67 Abs. 3 Satz 1, 3 GWB). Hat das Hauptsachegericht - wie vorliegend - auf Antrag des Betroffenen die aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelfs nach § 67 Abs. 3 Satz 1, 3 GWB angeordnet, kann der Beigeladene dagegen mit der Nichtzulassungs- und (zulassungsfreien) Rechtsbeschwerde vorgehen (§ 63 Abs. 1 Nr. 3 iVm §§ 77, 78 GWB; vgl. auch , BGHZ 226, 67 Rn. 12, 13 - Facebook I). Das Eilverfahren wird dann in der Rechtsbeschwerdeinstanz fortgeführt. Auch in diesem Fall besteht die Gefahr, dass in der Zeit bis zu einer Entscheidung vollendete Tatsachen geschaffen werden. Entsprechend kann ein Bedürfnis nach einer vorläufigen, später gegebenenfalls zu korrigierenden Zwischenentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts vorliegen.
9b) Ohne Erfolg beruft sich demgegenüber Lufthansa darauf, die Rechtsweggarantie beziehe sich nur auf den Rechtsschutz vor Rechtsverletzungen durch die vollziehende Gewalt, während Akte der Rechtsprechung nicht Teil der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG seien (vgl. , BVerfGE 138, 33 Rn. 19 - Amtshilfe). Das Eilverfahren, das mit der Entscheidung des Bundeskartellamts vom einen Akt der vollziehenden Gewalt betrifft, ist aufgrund der Anhängigkeit der Rechtsbeschwerden (§ 77 Abs. 4 GWB) und der Nichtzulassungsbeschwerden noch nicht abgeschlossen. Bei der Zwischenverfügung in der Rechtsbeschwerdeinstanz handelt es sich lediglich um eine Fortführung des Eilrechtsschutzes zugunsten des von der Verfügung begünstigten Dritten nach § 67 GWB. Es wird damit nicht in unzulässiger Weise ein neues Rechtsmittel geschaffen. Zwar fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG den Betroffenen auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht in einer Art und Weise anwenden, die es ineffektiv macht und für den Rechtsuchenden "leer laufen" lässt (, NJW 2022, 2610 Rn. 43). Die Zwischenverfügung dient der Effektivität des nach §§ 67, 77 Abs. 4, § 78 GWB eröffneten Eilrechtsschutzes des Dritten. Die Verwaltungsgerichtsordnung, auf die im Kartellverwaltungsverfahren in erster Linie zurückgegriffen werden kann (vgl. , BGHZ 154, 21 [juris Rn 18 mwN] - Verbundnetz II), sieht in § 80a Abs. 3 VwGO eine entsprechende Antragsmöglichkeit des Dritten vor. Hierfür spricht zudem, dass § 32a GWB im Zuge der 10. GWB-Novelle 2021 dahingehend geändert wurde, dass behördliche Eilmaßnahmen ergehen können, wenn dies "aufgrund einer unmittelbar drohenden, schwerwiegenden Beeinträchtigung eines anderen Unternehmens geboten ist".
103. Dem Antrag fehlt entgegen der Ansicht von Lufthansa auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Es ist nicht davon auszugehen, dass das Beschwerdegericht, das seine Entscheidung unter anderem auf eine formelle Rechtswidrigkeit der Verfügung des Bundeskartellamts gestützt hat, seine Entscheidung auf ein Ersuchen von Condor und des Bundeskartellamts gemäß § 67 Abs. 5 GWB ändern würde. Eine Änderung der Sachlage ist insoweit nicht eingetreten. In Bezug auf das von der Europäischen Kommission geführte Verfahren wegen Verletzung von Art. 101 AEUV gegen Lufthansa und die Fluggesellschaften United Airlines und Air Canada wegen eines sogenannten "A+++ joint venture agreements" (AT.40940) bestehen entgegen dem Vortrag von Lufthansa derzeit keine hinreichend gesicherten Erkenntnisse, ob die Kommission im Wege einstweiliger Maßnahmen sicherstellen wird, dass Condor auf der Grundlage eines SPA Zugang zum gesamten Lufthansa-Zubringernetz für ihre Langstreckenverbindungen von und nach Frankfurt erhält.
11II. Der Antrag ist begründet.
121. Eine Zwischenentscheidung ist zu erlassen, wenn dem Antragsteller bis zur Entscheidung über den - nicht offensichtlich aussichtslosen oder rechtsmissbräuchlichen - vorläufigen Rechtsschutz schwere und unabwendbare Nachteile drohen. Dabei bedarf es einer Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen der Beteiligten (vgl. BVerfG, NVwZ 2014, 363 Rn. 7 mwN; , juris Rn. 4; BGH, WuW 2021, 127 Rn. 16 - Facebook II;Rn. 7; , juris Rn. 2).
132. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Nichtzulassungs- und Rechtsbeschwerden der Condor und des Bundeskartellamts gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts vom , mit dem die aufschiebende Wirkung der kartellbehördlichen Abstellungsverfügung angeordnet wurde, offensichtlich aussichtslos oder rechtsmissbräuchlich sind. Eine vorläufige Bewertung der Erfolgsaussichten der Nichtzulassungs- und Rechtsbeschwerden ist hierfür nicht erforderlich. Die Zwischenentscheidung dient dem Schutz vor irreparablen Maßnahmen in dem Zeitraum, bevor die Gerichte die Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnungen oder ihrer Suspendierung geprüft haben (vgl. BVerfG, NVwZ 2014, 363 Rn. 7). Es genügt daher, wenn keine Anhaltspunkte für die offensichtliche Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung vorliegen. Entgegen der Ansicht von Lufthansa wird damit auch nicht die umfassende Interessenabwägung des Beschwerdegerichts über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unterlaufen. Die für die Zwischenentscheidung durchzuführende Interessenabwägung erfolgt nach anderen Maßstäben und bezieht sich lediglich auf den Zeitraum bis zur abschließenden Entscheidung im Eilverfahren. Dabei sind auch Umstände zu berücksichtigen, die sich erst nach der Beschwerdeentscheidung ergeben haben, wie etwa, dass die Vergleichsverhandlungen bis zum Auslaufen der vorläufigen Vereinbarung am voraussichtlich keinen Erfolg haben werden. Letztlich geht es darum, ob Lufthansa eine Übergangsregelung bis zur Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts über die Nichtzulassungs- und Rechtsbeschwerden zugemutet werden kann.
143. Condor drohen vorliegend schwere, irreparable Nachteile, wenn der bisher zwischen den Parteien vorläufig vereinbarte Zustand nicht bis zur Entscheidung über die Rechts- und Nichtzulassungsbeschwerde wiederhergestellt wird.
15a) Condor hat ab dem keine Möglichkeit mehr, Zubringerflüge unter den Bedingungen des SPA zu buchen. Condor hat glaubhaft gemacht, dass für die Zeit nach dem geeignete Alternativen zu den SPAs nicht zur Verfügung stehen und eine Vergleichsvereinbarung bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht zu erwarten ist.
16aa) Buchungen für Zubringerflüge, die zur Kombination mit Langstreckenflügen von Condor geeignet sind, sind nach dem nur noch auf Basis des Interlining-Abkommens nach IATA-Standard möglich. Interlining-Vereinbarungen ermöglichen anderen Fluggesellschaften, den Passagieren ihrer Langstreckenflüge Durchgangstickets unter Einschluss der Flüge im gesamten Netz einer Fluggesellschaft als Zubringerflüge auszustellen (BKartA, Beschluss vom , Rn. 341). Im Unterschied zum SPA kann allerdings erst zum Zeitpunkt der Buchung geprüft werden, zu welchem Preis welcher Flug verfügbar ist. Eine zuverlässige Vorausplanung, die Condor unter anderem für den Weitervertrieb ihrer Flüge mit festen Tarifen an Reiseveranstalter benötigt, ist nach den Feststellungen des Bundeskartellamts nicht möglich (vgl. BKartA, aaO, Rn. 671 ff., 707 f.). Condor stehen nach den Feststellungen des Bundeskartellamts über das Interlining-Abkommen für ein zuverlässiges Zubringerangebot auch nicht genügend Buchungsklassen zur Verfügung (BKartA, aaO, Rn. 673 bis 676). Auf die Frage, ob dessen Konditionen für alle Fluggesellschaften, die mit Lufthansa kooperieren, identisch sind, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
17bb) Soweit Lufthansa der Auffassung ist, Condor stünden zahlreiche weitere Möglichkeiten offen, ihre Langstreckenflüge auszulasten, hat das Bundeskartellamt im Missbrauchsverfahren diese mit ausführlicher Begründung als nicht geeignete Alternativen bewertet (BKartA, aaO, Rn. 350 bis 632). Das Beschwerdegericht ist dem teilweise entgegengetreten (vgl. dazu OLG Düsseldorf, aaO, S. 30 bis 34). Diese Beurteilung wird vom Bundeskartellamt und von Condor mit ihren Nichtzulassungs- und Rechtsbeschwerden angegriffen. Die Bewertung durch den Senat bleibt dem Nichtzulassungs- und Rechtsbeschwerdeverfahren vorbehalten. Ist es - wie hier - wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung und wegen der Komplexität der aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen nicht möglich, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wenigstens summarisch zu beurteilen, so sind allein die einander gegenüberstehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und deren Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 7 VR 6.14, NVwZ-RR 2015, 250 Rn. 8; vom - 7 VR 6/19, juris Rn. 9). Eine erhebliche Verschlechterung der Buchungsbedingungen nach der Beendigung der bisher von den Parteien vereinbarten Übergangslösung tritt danach unabhängig davon ein, ob durch die Kündigung der SPAs ein kartellrechtlicher Verbotstatbestand erfüllt ist.
18b) Damit besteht die konkrete Gefahr, dass Condor in absehbarer Zeit nach dem gezwungen sein wird, einen Teil ihrer Langstreckenflüge einzustellen und dadurch auf dem Endkundenmarkt aus dem Wettbewerb um diese Strecken ausscheidet. Dabei kann offenbleiben, ob die von Condor vorgelegte Rentabilitätsanalyse von zutreffenden Annahmen ausgeht und hinreichend glaubhaft macht, dass auf 41 von Frankfurt und Düsseldorf ausgehenden Strecken ein negativer Deckungsbeitrag zu erwarten wäre.
19aa) Condor hat am Beispiel der Strecke Frankfurt nach New York glaubhaft gemacht, dass zwischen 25% und 30% der Passagiere auf ihren Langstreckenflügen einen Zubringerflug der Lufthansa-Gruppe nutzen. Da 60% dieser Passagiere ihre Flugverbindung innerhalb von neun Wochen vor Abflug und 30% der Passagiere die Verbindung innerhalb von nur fünf Wochen vor Abflug buchen, ist ab Januar 2025 mit einer erheblichen Verringerung der Auslastung der Langstreckenverbindungen von Condor zu rechnen. Zwar berücksichtigt diese Berechnung nicht, dass Condor bei einem Wegfall der Buchungsmöglichkeiten nach der Übergangslösung Zubringerflüge gegebenenfalls über das Interlining-Abkommen oder alternative Transportmöglichkeiten durchführen lassen könnte. Aus den genannten Gründen ist aber im vorliegenden Zwischenverfügungsverfahren zu unterstellen, dass es sich nicht um geeignete Alternativen handelt, um schwere Nachteile abzuwenden. Anders als Lufthansa meint, ist auch unerheblich, ob auf die beispielhaft herangezogene Strecke Frankfurt/New York im Amtsbeschluss näher eingegangen worden ist.
20bb) Etwas Anderes ergibt sich entgegen der Antragserwiderung auch nicht daraus, dass die bis gebuchten Tickets für Abflüge nach diesem Datum ihre Gültigkeit behalten und bereits vorgenommene Buchungen der Condor bis September 2025 reichen. Denn es muss davon ausgegangen werden, dass Condor auch nach dem Buchungsanfragen von Reiseveranstaltern für die Sommersaison erhalten wird, mit denen sie dann nicht in gleichem Umfang Einnahmen erzielen kann. Um vorhersehbaren Entschädigungsforderungen von Passagieren und Reiseveranstaltern vorzubeugen, müsste sie die Vermarktung ihrer Langstreckenverbindungen zeitnah einstellen.
21cc) Condor hat ferner durch eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers glaubhaft gemacht, dass bei Wegfall der SPAs die Fortführung des Geschäftsbetriebs insgesamt erheblich gefährdet wäre. Die teilweise oder sogar vollständige Einstellung der Langstreckenverbindungen hätte erhebliche Auswirkungen auf das Gesamtgeschäft. Die mit Langstreckenflügen erzielten Umsätze machten mehr als 50% des Gesamtumsatzes aus. Diese Angaben stimmen mit den Erkenntnissen des Bundeskartellamts überein. Danach sei zu befürchten, dass eine Beendigung der Zubringerflüge auf Grundlage der SPAs die Wettbewerbsfähigkeit von Condor nachhaltig beschädigen würde. Zudem hat Lufthansa im Schriftsatz vom vorgetragen, dass auch die Kommission bei Beendigung der SPAs von einem (von Lufthansa allerdings bestrittenen) ernsten, nicht wiedergutzumachenden Schaden im Sinne von Art. 8 Abs. 1 VO 1/2003 für Condor ausgeht. Vor diesem Hintergrund kommt es entgegen der Ansicht von Lufthansa im vorliegenden Eilverfahren nicht darauf an, dass Condor die Maßstäbe für eine rentable Auslastung nicht näher konkretisiert hat.
224. Das Interesse von Condor an einer teilweisen Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs der Anordnung vom bis zur endgültigen Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde überwiegt das Suspensivinteresse der Lufthansa.
23a) Es ist aus den genannten Gründen für das Zwischenverfahren hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Konsequenzen aus einer - auch nur vorübergehenden - Aussetzung der SPAs unumkehrbar sein könnten. Lufthansa ist vor diesem Hintergrund die vorläufige Fortsetzung der bestehenden Buchungspraxis bis zur Senatsentscheidung über die Rechtsbeschwerde zumutbar. Zwar hat Lufthansa ein berechtigtes Interesse daran, ihre Geschäftstätigkeit so auszurichten, wie sie dies für wirtschaftlich sinnvoll erachtet. Die Beteiligten unterhalten jedoch eine langjährige Geschäftsbeziehung, die mit der Zwischenverfügung lediglich für eine kurze Zeit fortgesetzt wird. Sie entspricht der Übergangsregelung, die die Beteiligten selbst für die Zeit bis zum getroffen haben.
24b) Der Dringlichkeit der Zwischenentscheidung steht - anders als Lufthansa meint - nicht entgegen, dass sie erst fünf Monate nach Erlass des Beschlusses des Beschwerdegerichts beantragt wurde. Condor hatte angesichts der getroffenen Übergangsvereinbarung keine Veranlassung, vorher eine Zwischenverfügung zu beantragen. Erst jetzt zeichnet sich ab, dass ein Vergleich bis zum voraussichtlich nicht zustande kommen wird.
255. Der Senat kann über die Nichtzulassungs- und Rechtsbeschwerden nicht bis zum entscheiden. Die summarische Bewertung der sehr umfangreichen Beschwerdebegründungen und der am eingegangenen Beschwerdeerwiderung erfordert aufgrund der Komplexität der Sach- und Rechtslage einen erheblichen Zeitaufwand.
266. Die Gefahren schwerwiegender Nachteile für Condor können durch eine übergangsweise Fortgeltung der von den Parteien zunächst selbst vereinbarten Übergangslösung abgewendet werden. Damit wird Condor in die Lage versetzt, während des laufenden Rechtsbeschwerdeverfahrens weiterhin Zubringerflüge mit Durchgangsticket bei Lufthansa und den mit ihr verbundenen Fluggesellschaften zu buchen und ihr Langstreckengeschäft vorläufig fortzusetzen. Soweit Condor darüber hinaus eine Regelung nach Tenorziffer II 5 in Verbindung mit II 6 und III des Beschlusses des Bundeskartellamts beantragt, konnte der Antrag indes keinen Erfolg haben, weil ein schwerer und unabwendbarer Nachteil insoweit nicht geltend gemacht ist. Condor hat lediglich vorgetragen, ein solcher Nachteil trete mit dem Auslaufen der Übergangslösung ein. Dass für die Abwendung eines solchen Nachteils die weitergehende Regelung des Bundeskartellamts erforderlich ist, ergibt sich aus dem Vortrag demgegenüber nicht, zumal Condor die Übergangslösung in den letzten fünf Monaten akzeptiert hat.
277. Soweit die Ausführungen des Bundeskartellamts dahin verstanden werden könnten, dass es dem Antrag von Condor nicht nur beitreten, sondern einen eigenen Antrag stellen will, kann das dahin stehen. Über einen etwaigen Antrag des Bundeskartellamts war nicht mehr zu entscheiden, nachdem auf den Antrag von Condor die prozessuale Zwischenentscheidung zu erlassen war und auch dem Antrag des Bundeskartellamts nicht zu entnehmen ist, aus welchen Gründen eine Fortführung der von den Parteien seit dem praktizierten Zwischeneinigung zur Abwendung der schweren und unabwendbaren Nachteile nicht ausreicht.
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ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:231024BKVR8.24.0
Fundstelle(n):
JAAAJ-79018