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BGH Beschluss v. - IV ZR 365/22

Gesetze: § 5a aF VVG, § 242 BGB

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 3 U 67/22vorgehend LG Frankfurt Az: 2-30 O 121/21

Gründe

1    I. Der Kläger begehrt von dem beklagten Lebensversicherer nach Widerspruch die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines nach dem Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen (im Folgenden: AltZertG) zertifizierten Vertrages über eine geförderte Altersrentenversicherung (sog. Riester-Rente).

2    Der Vertrag wurde mit Versicherungsbeginn zum nach dem sog. Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: VVG a.F.) abgeschlossen. Im Rahmen der Vertragsanbahnung übersandte die Beklagte dem Kläger mit Begleitschreiben vom den vom gleichen Datum datierenden Versicherungsschein, der auf der dritten von insgesamt acht Druckseiten eine Widerspruchsbelehrung enthielt. Ob die Beklagte dem Kläger auch die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformation gemäß § 10a VAG in der seinerzeit geltenden Fassung übersandt hat, ist zwischen den Parteien streitig.

3    Der Kläger zahlte in der Folge die vereinbarten monatlichen Beiträge an die Beklagte. Jeweils auf Antrag des Klägers wurde der Monatsbeitrag zunächst zum von ursprünglich 14,88 € auf 19,84 €, sodann zum auf 156 € und schließlich zum auf 161 € erhöht. Auf weiteren Antrag des Klägers wurde der Monatsbeitrag mit Wirkung zum wieder auf 50 € herabgesetzt. Zusätzlich leistete der Kläger während der Vertragslaufzeit zwei Sonderzahlungen in Höhe von jeweils 700 € sowie eine weitere Sonderzahlung in Höhe von 171 €. Mit Schreiben vom erklärte er den Widerspruch gegen den Versicherungsvertrag.

4    Mit seiner Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass er dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages wirksam widersprochen habe, ferner - im Wege der Stufenklage - die Verurteilung der Beklagten zur Auskunft über verschiedene zur Berechnung der von ihr aus den gezahlten Prämien gezogenen Nutzungen erforderlichen Parameter, zur Versicherung der Richtigkeit dieser Auskünfte an Eides statt und - auf der letzten Stufe - zur Rückzahlung der gezahlten Beiträge abzüglich bereits ausgezahlter Beträge und Risikokosten zuzüglich der nach Erteilung der Auskunft noch zu beziffernden Nutzungen nebst Zinsen. Außerdem hat der Kläger von der Beklagten die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt.    Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

5    II. Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Es könne dahinstehen, ob er nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden sei und die Versicherungsbedingungen sowie sämtliche Verbraucherinformationen erhalten habe. Denn jedenfalls sei es dem Kläger nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf ein etwaiges fortbestehendes Widerspruchsrecht zu berufen. Es sei zu berücksichtigen, dass der Versicherer aufgrund der Tatsache, dass er die Situation durch die fehlerhafte Belehrung selbst herbeigeführt habe, nur beschränkt schutzwürdig erscheine. Etwas anderes könne sich im Einzelfall nur ergeben, wenn der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten den Eindruck erwecke, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen, und sein nachträglicher Widerspruch deshalb treuwidrig erscheine. Hierfür seien besonders gravierende Umstände erforderlich. Unter Anwendung dieser Maßstäbe sei das Umstandsmoment erfüllt, weil der Kläger den Vertrag nicht nur nach den ursprünglich vereinbarten Konditionen durchgeführt, sondern ihn während der Vertragslaufzeit mehrfach modifiziert habe, indem er Änderungen an der Höhe der von ihm eingezahlten Prämie und Sonderzahlungen vorgenommen habe. Insbesondere mit den Erhöhungen von ursprünglich 19,84 € auf 156 € und der Reduktion von 161 € auf 50 € habe er das Gewicht des Vertrages massiv verändert. Mit seinem Gesamtverhalten habe er wiederholt unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, an dem streitgegenständlichen Vertrag festhalten zu wollen. Die mehrfachen Änderungen der Prämie sprächen für das Ziel des Klägers, das Maximum an staatlicher Förderung zu erhalten, was aber den Bestand des Vertrages voraussetze. Darauf, welche konkreten Dispositionen die Beklagte im Vertrauen auf den Bestand des Vertrages getroffen habe, komme es nicht an.

6    III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht mehr vor und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).

7    1. Das Berufungsgericht hat die Revision im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Rostock vom (4 U 51/21, juris) zugelassen. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das OLG Rostock vertrete die Ansicht, aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40) folge, dass ein Versicherer im Falle der Ausübung eines Vertragslösungsrechtes durch den Versicherungsnehmer keinen Rechtsmissbrauch annehmen dürfe, wenn eine der vorgesehenen zwingenden Verbraucherinformationen weder in dem betreffenden Vertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden sei, unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer von seinem Lösungsrecht Kenntnis hatte. Diese Ansicht teile das Berufungsgericht nicht, was die Zulassung der Revision erfordere.

8    Das rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. vom (IV ZR 268/21, BGHZ 238, 32 Rn. 13 ff.) hat der Senat entschieden und im Einzelnen begründet, dass auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteile vom , A u.a. [Unit-Linked-Versicherungsverträge], C­143/20 undC-213/20, EU:C:2022:118 = NJW 2022, 1513; vom , Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40; vom , Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667) die Geltendmachung des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein kann, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind. Die Anwendung auf den Einzelfall obliegt dem nationalen Gericht und beeinträchtigt die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts und den Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts nicht. Damit ist die entscheidungserhebliche Frage zwischenzeitlich geklärt und der im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts zunächst gegebene Zulassungsgrund der Sicherung einheitlicher Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) entfallen.

9    2. Die Revision hat auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis rechtsfehlerfrei angenommen, dass es dem Kläger nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf sein Widerspruchsrecht zu berufen.

10    a) Allerdings ist für das Revisionsverfahren zu unterstellen, dass der Kläger nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist und dieses deshalb im Jahr 2021 noch fortbestand, denn das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zu den nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. für den Beginn der Widerspruchsfrist erforderlichen Voraussetzungen getroffen. Ferner hat es die zwischen den Parteien streitige Tatsachenfrage, ob dem Kläger die Verbraucherinformation und die Versicherungsbedingungen zugegangen sind, ausdrücklich offengelassen.

11    b) Nach der Rechtsprechung des Senats kann aber auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind. Dementsprechend hat der Senat bereits tatrichterliche Entscheidungen gebilligt, die ausnahmsweise mit Rücksicht auf besonders gravierende Umstände des Einzelfalles auch dem nicht oder nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer die Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs verwehrt haben (Senatsurteil vom - IV ZR 268/21, BGHZ 238, 32 Rn. 9 m.w.N.; st. Rspr.). Allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlerhafte Belehrung der Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung des Widerspruchsrechts entgegensteht, können nicht aufgestellt werden. Vielmehr obliegt die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall dem Tatrichter. Auch in Fällen eines fortbestehenden Widerspruchsrechts kann die Bewertung des Tatrichters in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetzeoder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht ( aaO Rn. 10; vom - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13; jeweils m.w.N.; st. Rspr.).

12    c) An diesen Maßstäben hat sich das Berufungsgericht orientiert und im Ergebnis aus revisionsrechtlicher Sicht beanstandungsfrei besonders gravierende Umstände festgestellt, die dem Kläger die Geltendmachung etwaiger Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung verwehren.

13    aa) In erster Linie hat das Berufungsgericht berücksichtigt, dass die durch den Kläger wiederholt veranlasste Vertragsanpassung zu einer Erweiterung des Vertragsinhaltes geführt hat, die weit über den Bereich des ursprünglichen Leistungsversprechens hinausgeht. Außerdem hat es in Rechnung gestellt, dass der Kläger die vertragserweiternden Anpassungen mit dem Motiv vorgenommen hat, den ihm zur Verfügung stehenden Maximalbetrag der Altersvorsorgezulage nach §§ 79 ff. EStG auszuschöpfen. Dabei hat das Berufungsgericht jeweils darauf abgestellt, dass der Kläger durch sein Verhalten das Vertrauen der Beklagten darin bestärkt hatte, dass er von der fortbestehenden Wirksamkeit des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages ausgehe und diesen habe fortsetzen wollen.

14    bb) Diese Würdigung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

15    (1) Das Berufungsgericht hat bei seiner Würdigung der Vertragsanpassungen zutreffend in den Blick genommen, dass sich das wirtschaftliche Gewicht des Vertrages durch die einvernehmliche Erhöhung der Monatsbeiträge von ursprünglich 14,88 € auf zuletzt 161 € ganz erheblich verändert hat. Der Kläger habe dem Vertrag durch die von ihm beantragten Vertragsanpassungen eine gänzlich veränderte wirtschaftliche Bedeutung gegeben und so bei dem Versicherer den Eindruck erweckt, er wolle in jedem Fall an dem Vertrag festhalten. Das Vorgehen des Klägers ist jedenfalls vergleichbar mit dem eines Versicherungsnehmers, der nach einer Beitragsfreistellung die prämienpflichtige Fortführung des Versicherungsvertrages beantragt (vgl. Senatsbeschluss vom - IV ZR 133/20, VersR 2021, 1479 Rn. 18).

16    Entgegen der Ansicht der Revision war es dem Berufungsgericht nicht verwehrt, dem Verhalten des Versicherungsnehmers besondere Bedeutung beizumessen, weil es sich um bereits bei Vertragsschluss angelegte Maßnahmen regulärer Vertragsdurchführung handelte (vgl., r+s 2017, 126 Rn. 21; vom - IV ZR 217/15, r+s 2017, 129 Rn. 14). Jedenfalls bei einer Sachlage wie hier, bei der sich der ursprünglich vereinbarte Monatsbeitrag auf Veranlassung des Versicherungsnehmers zwischenzeitlich mehr als verzehnfacht hat, wurde der Rahmen des im Zuge der Vertragsdurchführung Üblichen verlassen, weil sich die wirtschaftliche Bedeutung des Vertrages für den Versicherungsnehmer infolge der nachträglichen Änderungen gegenüber dem bei Vertragsschluss ursprünglich Vereinbarten in einem gänzlich neuen Licht darstellt.

17    (2) Aus revisionsrechtlicher Sicht beanstandungsfrei hat das Berufungsgericht ferner berücksichtigt, dass der Kläger mit den Beitragserhöhungen und Zuzahlungen das Ziel verfolgt hat, den Betrag der an ihn ausgekehrten Altersvorsorgezulage (§§ 79 ff. EStG) zu maximieren. Der Versicherungsnehmer kann in der Regel erst dann von dieser Zulage profitieren, wenn der Vertrag bis zum Beginn der Auszahlungsphase durchgeführt wird; denn erfolgt die Auszahlung des gebildeten Altersvorsorgekapitals, ohne dass die Voraussetzungen in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 10 AltZertG eingehalten sind - mithin außerhalb einer in der Regel als monatliche Leistung gewährten Altersvorsorge (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AltZertG) -, liegt eine schädliche Verwendung vor, die zu einer Verpflichtung des Versicherungsnehmers führt, die gewährten Zulagen zurückzuzahlen (§ 93 Abs. 1 EStG). Zu Recht hat das Berufungsgericht auch darauf abgestellt, dass bereits die Gewährung der Altersvorsorgezulage voraussetzt, dass der Versicherungsnehmer einen wirksamen, nach den §§ 79 ff. EStG förderfähigen Altersvorsorgevertrag unterhält. Nimmt der Versicherungsnehmer vor diesem Hintergrund nach Vertragsbeginn erhebliche Änderungen an seinem Versicherungsvertrag und Zuzahlungen erkennbar mit dem Ziel vor, die Höhe der Altersvorsorgezulage zu optimieren, so ist dies geeignet, gegenüber dem Versicherer den Eindruck zu erwecken, dass er von dem Fortbestand des Versicherungsvertrages ausgeht und dessen Durchführung bis zum Beginn der Auszahlungsphase beabsichtigt.

18    Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der Senat in jüngerer Zeit mehrfach klargestellt hat, dass die Geltendmachung des Widerspruchs mit dem Ziel der Renditeoptimierung ungeeignet ist, einen besonders gravierenden Umstand zu begründen (vgl. , juris Rn. 26; vom - IV ZR 297/22, VersR 2024, 488 Rn. 17 m.w.N.), denn der Versicherungsnehmer ist vorliegend bei der von ihm beabsichtigten Maximierung der Altersvorsorgezulage - wie ausgeführt - gerade auf den dauerhaften Fortbestand des Versicherungsvertrages angewiesen; das unterscheidet ihn von dem Versicherungsnehmer, der seine Rendite dadurch zu maximieren sucht, dass er sich vom Vertrag löst und dessen bereicherungsrechtliche Rückabwicklung betreibt.

19    Auch steht der Würdigung des Berufungsgerichts nicht entgegen, dass der Senat zwischenzeitlich klargestellt hat, dass die Inanspruchnahme steuerlicher Vorteile, die mit dem gewählten Vertragsmodell zwangsläufig verbunden sind, in der Regel keinen besonders gravierenden Umstand darstellen können (Senatsurteil vom - IV ZR 196/22, juris Rn. 13). Unabhängig davon, dass es dem Kläger in der hier vorliegenden Fallkonstellation nicht um die Inanspruchnahme von Steuervorteilen, sondern um die Vereinnahmung von Fördergeldern ging, hat er - worauf das Berufungsgericht zu Recht abgestellt hat - die Höhe der Zulage gerade in einer Art und Weise zu optimieren gesucht, die über das ursprüngliche Leistungsversprechen hinaus zu einer erheblichen Erweiterung der vertraglichen Bindungen geführt hat (vgl. Senatsurteil vom aaO).

20    3. Die grundsätzliche Klärung entscheidungserheblicher Rechtsfragen erst nach Einlegung der Revision steht einer Revisionszurückweisung durch Beschluss nicht im Wege (vgl. Senatsbeschlüsse vom - IV ZR 343/22, juris Rn. 16; vom - IV ZR 18/22, VersR 2023, 719 Rn. 14 m.w.N.).

Prof. Dr. Karczewski    Harsdorf-Gebhardt    Dr. Brockmöller

                    Dr. Bußmann               Dr. Bommel

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:040924BIVZR365.22.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-78259