Einkommensteuer | Rückgängigmachung eines IAB für eine Photovoltaikanlage (BFH)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein im Jahr 2021 in Abzug gebrachter Investitionsabzugsbetrag (IAB) für eine im Jahr 2022 tatsächlich erworbene und nach § 3 Nr. 72 EStG steuerbefreite Photovoltaikanlage allein wegen des Inkrafttretens dieser Steuerbefreiung gemäß § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG im Jahr 2021 rückgängig zu machen ist ( (AdV); veröffentlicht am ).
Hintergrund: Nach § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG sind die Einnahmen und Entnahmen im Zusammenhang mit dem Betrieb näher bestimmter Photovoltaikanlagen, zu denen die vom Antragsteller im Jahr 2022 erworbene Anlage unstreitig zählt, steuerfrei. Werden Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) erzielt und sind die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei nach Satz 1, ist gemäß § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG kein Gewinn zu ermitteln.
§ 3 Nr. 72 EStG wurde zusammen mit dem Nullsteuersatz gemäß § 12 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes durch das Jahressteuergesetz 2022 vom (BGBl I 2022, 2294) in § 3 EStG angefügt. Nach der Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 4 Satz 28 EStG (ursprünglich Satz 27) ist § 3 Nr. 72 EStG für Einnahmen und Entnahmen anzuwenden, die nach dem erzielt oder getätigt werden.
Sachverhalt: Die Beteiligten streiten über die Bedeutung der am in Kraft getretenen Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 72 EStG für einen bereits im Jahr 2021 in Abzug gebrachten IAB für eine Photovoltaikanlage:
Der Antragsteller bildete im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung 2021 für die geplante Anschaffung einer Photovoltaikanlage auf seinem Einfamilienhaus einen steuermindernden IAB. Im November 2022 schaffte er die Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 11,2 kWp an. Nachdem der Gesetzgeber rückwirkend zum die Einnahmen aus PV-Anlagen auf Einfamilienhäusern mit einer Leistung von bis zu 30 kWp steuerfrei gestellt hatte, machte das Finanzamt den bislang für 2021 gewährten IAB rückgängig, was zum Wegfall der zunächst eingetretenen Steuerminderung und für den Antragsteller zu einer Nachzahlung führte. Zur Begründung verwies es auf ein zwischenzeitlich ergangenes , Rn. 19), wonach Investitionsabzugsbeträge, die für seit 2022 steuerbefreite Photovoltaikanlagen zuvor gebildet und nicht bis Ende 2021 wieder aufgelöst wurden, rückgängig zu machen seien (s. hierzu Seifert, ).
Über den fristgemäß eingelegten Einspruch des Antragstellers hat das FA noch nicht entschieden. Den AdV-Antrag lehnte es ab. Das FG der ersten Instanz lehnte den AdV-Antrag ebenfalls ab (, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 10.4.2024).
Die Richter des BFH dagegen gaben dem AdV-Antrag statt:
Es ist zweifelhaft, ob das FA den IAB im Streitjahr rückgängig machen durfte.
In Ermangelung einer klaren gesetzlichen Regelung erscheint die Beurteilung unsicher, ob der IAB unter den Umständen des Streitfalls wegen § 3 Nr. 72 EStG bereits im Jahr seines ursprünglichen Abzugs rückgängig zu machen ist oder ob eine entsprechende Hinzurechnung erst später vorgenommen werden kann.
Zweifelhaft ist der Veranlagungszeitraum, in dem der "actus contrarius" zum IAB zu erfassen ist.
Der Meinungsstand im Schrifttum ist uneinheitlich und bestätigt die derzeit noch bestehende Unsicherheit der Gesetzesauslegung. Die Frage, wie mit einem IAB zu verfahren ist, der vor dem in Anspruch genommen und noch nicht wieder gewinnerhöhend hinzugerechnet wurde, wird für den Fall, dass nach dem in eine nach § 3 Nr. 72 EStG begünstigte Photovoltaikanlage investiert wird, als "äußerst umstritten" beschrieben (Zapf, jurisPR-SteuerR 36/2024 Anm. 4 unter D.).
Zum Teil wird die Auffassung der Finanzverwaltung geteilt (Dorn/Isinger, DB 2023, 1830; Hennigfeld, EFG 2024, 939, 940; Obermeir, DStRK 2024, 144; Ruiner, BB 2023, 2269, 2271; Schmidt/Kulosa, EStG, 43. Aufl., § 21 Rz 60; vgl. Nacke, GStB 2024, 246 und Rothe, FR 2023, 878, 886, beide mit Hoffnung auf eine Billigkeitsregelung des BMF).
Die Gegenmeinung hält eine Gewinnkorrektur im Jahr der Anschaffung der Photovoltaikanlage trotz der Einführung des § 3 Nr. 72 EStG für möglich (Fietz/Mayer, f.; BeckOK EStG/Niklaus, 19. Ed. [], EStG § 3 Nr. 72 Rz 26; Perschon, Stbg 2023, 47, 51; Schiffers, DStZ 2023, 11, 16; Schiffers/Seifert, DStZ 2023, 122, 135; Seifert, NWB 2024, 1374, 1382 f.; kritisch auch Gragert, NWB 2023, 2479, 2486 f., Herold, GStB 2024, 155 und Mücke, NWB 2024, 1060 f. sowie Meyerle, EFG 2024, 962 f., in einer Anmerkung zum , EFG 2024, 955).
Im Ergebnis ist die den ablehnenden AdV-Beschluss des FG Köln tragende Auffassung, dass der im Jahr 2021 gebildete IAB unter den Umständen des Streitfalls zwingend im Jahr seines Abzugs rückgängig zu machen ist, nach der gebotenen summarischen Würdigung ernstlich zweifelhaft.
Da sich die Entscheidungserheblichkeit dieser ungeklärten einfachrechtlichen Frage auch nicht aus einem anderen Grund in zweifelsfreier Weise verneinen lässt, ist die AdV - unabhängig von verfassungsrechtlichen Fragen - antragsgemäß zu gewähren.
Quelle: (AdV); NWB Datenbank (il)
Fundstelle(n):
UAAAJ-78132