BSG Beschluss v. - B 7 AS 57/24 B

Gründe

1Die Beschwerden der Klägerin sind zulässig und begründet. Die in beiden Verfahren gerügte Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§§ 103, 160 Abs 2 Nr 3 SGG) durch die unterbliebene Befragung eines von der Klägerin benannten sachverständigen Zeugen/Sachverständigen liegt vor.

2Die Klägerin, die sich gegen die Rückforderung von Alg II für die Zeit von Dezember 2013 bis Oktober 2017 wegen nicht mitgeteilten Vermögens - einer Immobilie in Portugal, von ihr 2010 für 25 000 Euro zu eigenen Wohnzwecken gekauft und bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland auch bewohnt - wendet (im Verfahren B 7 AS 57/24 B für die Zeit vom 1.6. bis ; im Verfahren B 7 AS 58/24 B für die Zeit vom bis ), hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG am , in dem beide Verfahren gemeinsam verhandelt worden sind, folgende Beweisanträge gestellt:"Hiermit beantrage ich zum Beweis der Tatsache, dass das in Anlage K 4 bezeichnete Grundstück zwischen 2013 und 2018 nicht verwertbar war, Herrn O von der Firma D, Lda (Adresse siehe Anlage K 4) als Zeugen zu vernehmen.Begründung: Bei Herrn O handelt es sich um einen erfahrenen Immobilienmakler, der schon langjährig im Geschäft ist. Damit ist er ein sachverständiger Zeuge. Er hat das Grundstück gesehen und kennt die wirtschaftliche Situation in Portugal.Hiermit beantrage ich zum Beweis der Tatsache, dass das in Anlage K 4 bezeichnete Grundstück der Klägerin auch bei intensiven Bemühungen zur Verwertbarkeit in der Zeit von 2013 bis 2018 nicht verwertbar war, die Einholung eines Sachverständigengutachtens.Begründung: Ein örtlicher Immobilienverwerter kann die Marktgängigkeit eines Grundstücks relativ genau mitteilen."

3Das LSG hat die Anträge abgelehnt, weil ihnen keine Anknüpfungstatsachen zugrunde lägen, mit Hilfe derer die Frage der tatsächlichen Verwertbarkeit des konkreten Grundstücks der Klägerin in den jeweiligen Bewilligungszeiträumen beantwortet werden könnten. Sie liefen deshalb auf einen Ausforschungsbeweis hinaus.

4Dies ist nicht der Fall. Es handelt sich jedenfalls beim ersten Antrag um einen ordnungsgemäßen, hinreichend bestimmten Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, der den Beweisgegenstand (Beweis durch einen Sachverständigen bzw sachverständigen Zeugen, konkret mit Name und Anschrift) und das Beweisthema (Verwertbarkeit des Grundstücks in Portugal in der Zeit von 2013 bis 2018) bezeichnet und den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellt und bis zum Schluss aufrechterhalten hat. Die Klägerin hat damit deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht noch Aufklärungsbedarf im Hinblick auf die Verwertbarkeit des Grundstücks besteht (zur sog Warnfunktion eines Beweisantrags stRspr, vgl bereits - SozR 1500 § 160 Nr 67 S 73; - SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21; B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; - RdNr 11; - RdNr 6; - RdNr 8).

5Dabei handelte es sich nicht um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. Ein solcher liegt vor, wenn ein Antrag so unbestimmt bzw unsubstantiiert ist, dass erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken soll oder der allein den Zweck verfolgt, dem Beweisführenden, der nicht genügende Anhaltspunkte für seine Behauptungen angibt, erst die Grundlage für substantiierte Tatsachenbehauptungen zu verschaffen (vgl nur - RdNr 12 mwN; - RdNr 8). Auf eine solche Ausforschung zielt der Antrag nicht ab. Die Klägerin hat im ersten Antrag angegeben, dass der benannte sachverständige Zeuge/Sachverständige Immobilienmakler sei, das Grundstück kenne und seine Verwertbarkeit beurteilen könne (sachverständiger Zeuge, § 118 Abs 1 SGG iVm § 414 ZPO) und aufgrund seiner Fachkenntnis auch die wirtschaftliche Situation in Portugal beurteilen könne (Sachverständiger, § 118 Abs 1 SGG iVm § 402 ZPO; zur Abgrenzung sachverständiger Zeuge/Sachverständiger vgl nur Scheuch/Thönissen in BeckOK ZPO, § 414 RdNr 4 mwN, Stand ; Huber/Röß in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl 2024, § 414 RdNr 1). Da die Klägerin vorgetragen hatte, das Grundstück ua deshalb nicht in den Leistungsanträgen angegeben zu haben, weil es infolge der Immobilienkrise in Portugal nicht mehr oder nur erheblich unter dem Kaufpreis verkäuflich gewesen sei, war auch für das Gericht erkennbar, dass die Bezugnahme auf die wirtschaftliche Situation in Portugal nicht allgemein, sondern bezogen auf die konkreten Auswirkungen auf den Immobilienmarkt zu verstehen war.

6Die beantragte Beweiserhebung war auch nicht deshalb verzichtbar, weil das Beweismittel ungeeignet, untauglich oder unerreichbar gewesen wäre (vgl dazu nur Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 103 RdNr 8 mwN). Allein der Umstand, dass der benannte sachverständige Zeuge/Sachverständige seinen Sitz im Ausland hat, macht ihn noch nicht zu einem unerreichbaren Beweismittel (vgl zur Unerreichbarkeit von Beweismitteln nur Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl 2024, § 284 RdNr 21a mwN; zur Beweiserhebung im Ausland § 118 Abs 1 SGG iVm § 363 ZPO). Selbst eine ggf notwendig werdende Vernehmung im Wege der Rechtshilfe durch ein ausländisches Gericht berechtigte nicht zur Ablehnung ( 1/3 RK 3/90 - juris RdNr 18).

7Auf die unter Beweis gestellte Tatsache kam es an, weil die Frage der Verwertbarkeit des Grundstücks entscheidend dafür ist, ob sein Wert als Vermögen bei der Bewilligung von Alg II zu berücksichtigen ist. Als Vermögen sind nach § 12 Abs 1 SGB II (in der ab bis maßgeblichen Normfassung der Neubekanntmachung vom , BGBl I 850) alle verwertbaren Vermögensgegenstände - mit ihrem Verkehrswert (§ 12 Abs 4 Satz 1 SGB II) - zu berücksichtigen. Für die Bewertung ist der Zeitpunkt maßgeblich, in dem der Antrag auf Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gestellt wird (§ 12 Abs 4 Satz 2 SGB II). Ob und in welchem Umfang dem Hilfebedürftigen die Verwertung von Vermögen zuzumuten ist, regeln § 12 Abs 2 und 3 SGB II. Nach § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II sind als Vermögen nicht zu berücksichtigen Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Der Begriff "Verwertbarkeit" enthält eine tatsächliche Komponente, weil solche Vermögensgegenstände nicht verwertbar sind, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird, etwa weil Gegenstände dieser Art nicht (mehr) marktgängig sind oder sie, wie Grundstücke infolge sinkender Immobilienpreise, über den Marktwert hinaus belastet sind und auch keine andere Verwertungsmöglichkeit ersichtlich ist. Ein Aspekt der tatsächlichen Verwertbarkeit ist die für sie benötigte Zeit, hinsichtlich der ggf eine Prognose erforderlich und für die auf den bevorstehenden Bewilligungszeitraum abzustellen ist ( - SozR 4-4200 § 12 Nr 24 RdNr 15; - SozR 4-4200 § 12 Nr 27 RdNr 26; - BSGE 123, 188 = SozR 4-4200 § 9 Nr 16, RdNr 28).

8Das LSG ist dem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Es war objektiv im Rahmen seiner Amtsermittlung zu weiterer Sachaufklärung gehalten. Es hätte sich also von seinem Rechtsstandpunkt aus zur beantragten Beweiserhebung gedrängt fühlen müssen (stRspr, vgl nur - RdNr 15, 17; - RdNr 5, - RdNr 14; - RdNr 7). Denn auch nach Auffassung des LSG kam es darauf an, ob das Hausgrundstück verwertbar war. Dass die Frage der Verwertbarkeit objektiv auch nach Auffassung des LSG hätte aufgeklärt werden müssen, macht nicht zuletzt der Umstand deutlich, dass die weiteren Verfahren der Klägerin, die die übrigen Bewilligungszeiträume betrafen, mit Urteilen vom (Az L 7 AS 1027/21, L 7 AS 1038/21, L 7 AS 1039/21, L 7 AS 1040/21, L 7 AS 1041/21, L 7 AS 1042/21 und L 7 AS 1044/21) zu ihren Gunsten entschieden, die angefochtenen Bescheide also aufgehoben worden sind, nachdem die Klägerin in der Zwischenzeit selbst einen Sachverständigen bestellt und ein Gutachten zur Frage der Verwertbarkeit des Hausgrundstücks vorgelegt hatte. In seinen Urteilen ist das LSG unter Berücksichtigung der Aussagen im Sachverständigengutachten zum Schluss gekommen, dass die offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung des Grundstücks in den Jahren 2013 bis 2017 nach der neu geschaffenen Tatsachengrundlage nunmehr feststehe.

9Ob die genannten Anforderungen an einen Beweisantrag auch bei dem weiteren Antrag erfüllt sind, konnte vor diesem Hintergrund dahingestellt bleiben.

10Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde die angefochtenen Urteile aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - wie hier - vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser Möglichkeit Gebrauch.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:240924BB7AS5724B0

Fundstelle(n):
OAAAJ-77324