Verfahrensrecht | Bescheidänderung bei Grundstücksveräußerung zwischen einander nahestehenden Personen zu überhöhtem Kaufpreis (FG)
Ein bestimmter Sachverhalt wird i. S. des § 174 Abs. 1 AO mehrfach berücksichtigt, wenn die Veräußerung eines Grundstücks zwischen einander nahestehenden Personen zu einem überhöhten Kaufpreis sowohl in einem Grunderwerbsteuerbescheid als auch in einem Schenkungsteuerbescheid berücksichtigt wird ().
Hintergrund:
Die Anwendung des § 174 Abs. 1 AO erfordert das Vorliegen von (positiv) widerstreitenden Steuerfestsetzungen zu Lasten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger. Vorausgesetzt wird, dass derselbe Sachverhalt in zwei Steuerbescheiden „mehrfach berücksichtigt” wird, und zwar zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. Die in den (kollidierenden) Bescheiden getroffenen Regelungen müssen aufgrund der materiellen Rechtslage nicht miteinander vereinbar und daher widersprüchlich sein, weil nur eine der festgesetzten oder angeordneten Rechtsfolgen zutreffen kann. Die in der mehrfachen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts liegenden Unrichtigkeiten müssen einander nach materiellem Recht zwingend (denknotwendig) ausschließen.
Sachverhalt:
Streitig war, ob ein Grunderwerbsteuerbescheid zugunsten der Klägerin geändert werden kann und muss, um Übereinstimmung mit einem inzwischen ergangenen Schenkungsteuerbescheid herzustellen, namentlich um eine gleichzeitige Besteuerung sowohl mit der Schenkungsteuer als auch mit der Grunderwerbsteuer zu vermeiden.
Frau A ist Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin der Klägerin, einer GmbH. Herr B (der Lebensgefährte der Frau A) verkaufte mit notariellem Vertrag vom der GmbH das mit einem Geschäftsgebäude bebaute Grundstück (Kaufpreis 1.100.000 €, davon Grund und Boden 97.875 €, Gebäude 1.002.125 €). Mit Bescheid vom wurde die Grunderwerbsteuer vom FA C auf 38.500 € festgesetzt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Gegenüber Herrn B erging vom FA F ein Schenkungsteuerbescheid und wurde bestandskräftig. Dieser Schenkungsteuerbescheid beruht auf der Annahme, dass das Grundstück lediglich einen Wert von 480.000 € gehabt habe. Somit sei der darüber hinausgehende Betrag (1.100.000 € abzüglich 480.000 € und abzüglich eines Ablösebetrages von 14.681,25 € als freigebige Zuwendung zu bewerten und daher schenkungsteuerpflichtig.
Das FA C lehnte eine entsprechende Änderung des Grunderwerbsteuerbescheids und Ermäßigung der Grunderwerbsteuer auf 16.800 € (3,5 % von 480.000 €) ab. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
Das FG gab der Klage aus folgenden Gründen statt:
Soweit im notariellen Vertrag vom ein über 480.000 € hinausgehender „Kaufpreis” vereinbart worden ist, ist dies zweimal berücksichtigt worden. In dem inzwischen erlassenen und bestandskräftigen Schenkungsteuerbescheid des FA F ist der über 480.000 € hinausgehende Betrag als freigebige Zuwendung der Frau A an Herrn B gewürdigt worden. In dem Grunderwerbsteuerbescheid des FA C vom ist derselbe Geldbetrag als Teil des Kaufpreises gewertet und daher in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einbezogen worden.
Es handelt sich insoweit um denselben (bestimmten) Sachverhalt. Es trifft zwar zu, dass beide Steuergesetze in einigen Punkten voneinander abweichen. Diese Abweichungen erscheinen aber als unerheblich. Zu dem „bestimmten Sachverhalt”, der in einem Grunderwerbsteuerbescheid „berücksichtigt” wird, gehört nicht nur der Kaufvertrag (Erwerb) als Tatbestand, sondern bei verständiger, eine künstliche Aufspaltung vermeidender Betrachtung auch der Kaufpreis als Bemessungsgrundlage.
Es handelt sich um einen Sachverhalt, der nach materiellem Recht zwingend nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. Wenn die damaligen Vertragsparteien die Zahlung von 1.100.000 € (abzüglich 480.000 € noch 620.000 €) vereinbart haben, kann die Vereinbarung hinsichtlich des Teilbetrages von 620.000 € nur entweder als freigebige Zuwendung oder als (Teil-)Gegenleistung für das Grundstück bewertet werden, nicht dagegen als beides zugleich, denn freigebige Zuwendung und Gegenleistung schließen einander aus. Das wird durch den Rechtsgedanken des § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG bestätigt.
Wenn die Vertragsparteien sich bewusst waren, dass der vereinbarte „Kaufpreis” den Wert des Grundstücks deutlich überstieg, dann ist der über den Wert des Grundstücks hinausgehende Betrag nicht in dem oben dargelegten Sinn als Gegenleistung für das Grundstück vereinbart worden. Wenn die Klägerin nur das Grundstück von Herrn B hätte erwerben wollen, hätte sie sich nicht zur Zahlung eines derart hohen Betrages verpflichtet. Der Umstand, dass im notariellen Vertrag die gesamten 1,1 Mio. € als „Kaufpreis” bezeichnet werden, vermag daran nichts zu ändern. Der unangemessene Teil des vereinbarten Kaufpreises gehört dann nicht zur Gegenleistung im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinne.
Quelle: ; NWB Datenbank (Sti)
Fundstelle(n):
YAAAJ-74759