BFH Urteil v. - V R 7/22

Überlassung gefährlicher Abfälle zur Entsorgung kein tauschähnlicher Umsatz mit Baraufgabe

Leitsatz

Übernimmt ein Unternehmer gefährlichen Abfall zum ausschließlichen Zweck der gesetzlich angeordneten Entsorgung nach einem in Anlage 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes genannten Verwertungsverfahren zur Rückgewinnung/Regenerierung von Abfällen, liegt lediglich eine vom Unternehmer erbrachte Entsorgungsdienstleistung vor. Die Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes kommt mangels Lieferung des gefährlichen Abfalls an den Unternehmer nicht in Betracht. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Unternehmer einen möglichen Verkaufspreis von Stoffen, die er durch die spätere Verwertung des gefährlichen Abfalls gewinnen und wieder verkaufen kann, kalkulatorisch als Preisnachlass zugunsten der Kunden berücksichtigt.

Gesetze: UStG § 3 Abs. 1, Abs. 9, Abs. 12 Satz 2; UStG § 10 Abs. 2 Satz 2; MwStSystRL Art. 14 Abs. 1; KrWG § 3; KrWG § 7; KrWG § 22

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I.

1 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, war als Entsorgungsfachbetrieb zertifiziert. Die Kunden der Klägerin setzten in ihren Betrieben Chemikalien ein, die nach dem betrieblichen Einsatz gefährliche Abfälle im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes in der im Jahr 2018 (Streitjahr) geltenden Fassung (KrWG) darstellten und deren ordnungsgemäße Entsorgung nachzuweisen war. Die Klägerin nahm den Kunden die verunreinigten Chemikalien zum Zwecke der Entsorgung nach dem in Anlage 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes aufgeführten Verwertungsverfahren . ab. Dazu verpflichtete sie sich gegenüber den Kunden und gab dies auch im Rahmen des Entsorgungsnachweises an. Die Klägerin bewahrte die verunreinigten Chemikalien zunächst in speziellen, nach den gesetzlichen Vorschriften ausgestatteten Lagern auf. In diesen Lagern wurden die einzelnen verunreinigten Chemikalien ihrer Art nach getrennt gesammelt und —sobald eine Mindestmenge vorhanden war— der Aufbereitung im Rahmen eines chemischen Prozesses zugeführt. Dabei löste die Klägerin die Verunreinigungen aus den Chemikalien in ihren Aufbereitungsanlagen heraus und entsorgte diese. Die gereinigten Chemikalien veräußerte die Klägerin als „Regenerat“, falls sie in marktgängiger Qualität aufbereitet werden konnten. Es war jedoch nicht ausgeschlossen, dass im Rahmen des Reinigungsprozesses kein ausreichend reines Regenerat gewonnen werden konnte. In diesem Fall musste die Klägerin die weiterhin verunreinigten Chemikalien auf eigene Kosten thermisch entsorgen lassen.

2 Den Preis für die Entsorgung der gefährlichen Abfälle bestimmte die Klägerin anhand des Grades der Verunreinigung, der in ihrem Betrieb erst nach dem Erhalt der verunreinigten Chemikalien durch eine Analyse festgestellt wurde. Der Entsorgungspreis variierte außerdem nach der Verwendungsart der Chemikalien im jeweiligen Betrieb des Kunden, die ebenfalls auf den Umfang der Verunreinigung schließen ließ.

3 Nach Auffassung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) stellte die Entsorgung der verunreinigten Chemikalien einen tauschähnlichen Umsatz dar. Die Klägerin erhalte für ihre Entsorgungsleistung neben dem vereinbarten Entsorgungspreis als Gegenleistung eine Lieferung. Liefergegenstand seien die verunreinigten Chemikalien, die die Klägerin von ihren Kunden erhalte. Daher erhöhe der Wert der verunreinigten Chemikalien die Bemessungsgrundlage für die von der Klägerin erbrachten Entsorgungsleistung.

4 Gegen die Umsatzsteuer-Voranmeldung für April 2018, die einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstand (§ 168 Satz 1 der Abgabenordnung), legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein und machte geltend, entgegen ihrer Rechtsauffassung bezüglich der Chemikalienentsorgungen in der Voranmeldung tauschähnliche Umsätze mit Baraufgabe zum Regelsteuersatz erklärt zu haben. Den Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung als unbegründet zurück.

5 Nach Erhebung der Klage zum Finanzgericht (FG) erließ das FA einen Umsatzsteuerjahresbescheid für das Streitjahr, der nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Klageverfahrens wurde. Die Bemessungsgrundlage für die angenommenen Lieferungen der verunreinigten Chemikalien setzte das FA im Umsatzsteuerjahresbescheid 2018 auf Grundlage einer von der Klägerin vorgenommenen Berechnung des Wertes der verunreinigten Chemikalien an; daraus ergab sich eine zusätzliche Steuerschuld in Höhe von . €.

6 Das FG wies die Klage ab. Der Wert der verunreinigten Chemikalien zum Zeitpunkt der Übernahme erhöhe im Rahmen tauschähnlicher Umsätze mit Baraufgabe die Bemessungsgrundlage für die Entsorgungsleistungen der Klägerin. Im Streitfall erbringe die Klägerin im Bereich der Abfallentsorgung gegenüber ihren Kunden entgeltliche sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Die Kunden führten zudem mit der Übergabe der verunreinigten Chemikalien Lieferungen an die Klägerin aus, da es sich bei diesen Chemikalien um werthaltige Abfälle handele. Werthaltiger Abfall sei gegeben, wenn nach den übereinstimmenden Vorstellungen der Vertragspartner der überlassene Abfall im Zeitpunkt der Übergabe einen Wert aufweise. Bei Vertragsschluss bestehe zwischen den Kunden und der Klägerin zwar Einigkeit darüber, dass die Barvergütung der hinreichende Gegenwert für die vereinbarte Entsorgungsleistung sei; insbesondere richte sich das überwiegende Kundeninteresse darauf, sich des gefährlichen Abfalls ordnungsgemäß zu entledigen. Die unternehmerische Tätigkeit der Klägerin bestehe aber neben der Abfallentsorgung auch im Recycling und anschließendem Verkauf der wieder nutzbaren Chemikalien. Der Preiskalkulation sei für den Kunden ersichtlich zu entnehmen, dass die Klägerin die Entsorgungskosten für die in den überlassenen Chemikalien enthaltenen Verschmutzungen umlege. Zudem sei das Recycling für die Kunden erkennbar, da die Klägerin mit ihrem umweltschonenden Konzept der nachhaltigen Chemikalienrückgewinnung werbe. Die erst nach der Übernahme erfolgte Feststellung der Werthaltigkeit der verunreinigten Chemikalien sei den betriebsinternen Abläufen der Klägerin geschuldet. Im Übrigen sei der Klägerin aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung in der Branche bekannt gewesen, wie hoch der Anteil der zur Aufbereitung geeigneten Chemikalien aus den empfangenen verunreinigten Chemikalien sei. Der Wert des Abfalls werde nach der Preiskalkulation mit den nach Verschmutzungsgrad gestaffelten Entsorgungspreisen auch Inhalt der Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Sofern insoweit eine übereinstimmende Vorstellung der Klägerin und ihrer Kunden fehle, ergebe sich kein anderes Ergebnis, da eine übereinstimmende Vorstellung weder ein Tatbestandsmerkmal des Umsatzsteuergesetzes noch der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) sei und auch der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) darauf abstelle, dass der Erwerber (hier: die Klägerin) der Lieferung des Abfalls einen Wert beimesse, den er bei der Festlegung des Preises, zu dem er die Erbringung seiner Dienstleistung (Entsorgung) anbiete, berücksichtige. Die betragsmäßige Festlegung des Wertes des tauschähnlichen Umsatzes sei im Streitfall zwischen den Beteiligten unstreitig und es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dieser Ansatz wesentlich zu hoch oder zu niedrig sei.

7 Mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision macht die Klägerin geltend, die Entscheidung des EuGH, dass nicht der objektive (gemeine) Wert des als Gegenleistung bezogenen Umsatzes, sondern dessen subjektiver Wert aus der Sicht des leistenden Unternehmers als Bemessungsgrundlage anzusetzen sei, sei zu Fällen ergangen, in denen der objektive Wert mangels zuverlässig ermittelbaren Marktwertes nicht oder nur schwer zu ermitteln gewesen sei. Es handele sich insoweit um einzelfallbezogene Rechtsausführungen. Auch die Finanzverwaltung gehe in Abschn. 10.5 Abs. 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) davon aus, dass nach der übereinstimmenden Vorstellung der Vertragsparteien ein werthaltiger Abfall vorliegen müsse. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Übergabe der verunreinigten Chemikalien hätten diese aber keinen Verwendungszweck mehr für den Kunden und könnten —auch von der Klägerin— nicht (weiter)verkauft werden, sondern müssten der Entsorgung zugeführt werden. Dies ergebe sich auch daraus, dass kein Kunde der Klägerin mit Rechnung über die verunreinigten Chemikalien abrechne. Die Werthaltigkeit bestimme sich zudem nicht nach den einzelnen Inhaltsstoffen, entscheidend sei vielmehr der Wert des Abfallgemischs. Aus den gestaffelten Entsorgungspreisen könne nicht auf die Werthaltigkeit des Abfallgemischs geschlossen werden. Die Staffelung spiegele die erhöhten Entsorgungskosten bei höherem Verschmutzungsgrad wider. Der eventuell vorhandene Wert trete erst nach der Aufbereitung in Erscheinung. Insoweit unterscheide sich der Streitfall von dem Sachverhalt im EuGH-Urteil A vom  - C-410/17, EU:C:2019:12, in dem der Abfall einen positiven Marktwert gehabt habe, unmittelbar —gegebenenfalls nach Säubern und Sortieren des Materials— hätte weiterverkauft werden können und direkt in den Produktionsprozess —beispielsweise als Rohstoff— hätte einfließen können. Es stelle sich die Frage, ob durch das umweltschonende Konzept und der Werbung einer nachhaltigen Chemikalienrückgewinnung automatisch auf eine Werthaltigkeit im Zeitpunkt der Hingabe geschlossen werden könne. Dies würde dazu führen, dass jeder Abfall, der in irgendeiner Form wieder verarbeitet würde, werthaltig sei. Nicht zuletzt ergäben sich in Bezug auf die Bemessungsgrundlage erhebliche Schwierigkeiten der Wertermittlung.

8 Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuerfestsetzung 2018 vom insoweit zu ändern, als die Umsatzsteuer um . € niedriger festgesetzt wird.

9 Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

10 Es hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Gründe

II.

11 Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Übernimmt ein Unternehmer gefährlichen Abfall zum ausschließlichen Zweck der gesetzlich angeordneten Entsorgung nach einem in Anlage 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes genannten Verwertungsverfahren zur Rückgewinnung/Regenerierung von Abfällen, liegt lediglich eine vom Unternehmer erbrachte Entsorgungsdienstleistung vor. Die Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes kommt entgegen dem Urteil des FG mangels Lieferung des gefährlichen Abfalls an den Unternehmer nicht in Betracht. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Unternehmer einen möglichen Verkaufspreis von Stoffen, die er durch die spätere Verwertung des gefährlichen Abfalls gewinnen und wieder verkaufen kann, kalkulatorisch als Preisnachlass zugunsten der Kunden berücksichtigt.

12 1. Entgeltliche Leistungen sind steuerbar und können auch in Form eines Tauschs oder tauschähnlichen Umsatzes vorliegen.

13 a) Steuerbar sind gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Unionsrechtliche Grundlage der Steuerbarkeit sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL, wonach Lieferungen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt, dem Anwendungsbereich der Steuer unterliegen.

14 Die sich hieraus ergebende Steuerbarkeit setzt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des Bundesfinanzhofs (BFH) voraus, dass zwischen dem Unternehmer und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, das einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt begründet, so dass das Entgelt als Gegenwert für die Leistung anzusehen ist (z.B. EuGH-Urteil Meo - Serviços de Comunicações e Multimédia vom  - C-295/17, EU:C:2018:942, Rz 39; , BFHE 271, 279, BStBl II 2021, 544, Rz 16).

15 b) Besteht das Entgelt für eine Lieferung in einer Lieferung, liegt gemäß § 3 Abs. 12 Satz 1 UStG ein Tausch vor. Besteht das Entgelt für eine sonstige Leistung in einer Lieferung oder sonstigen Leistung, ist ein tauschähnlicher Umsatz gegeben (§ 3 Abs. 12 Satz 2 UStG). Beim Tausch und beim tauschähnlichen Umsatz gilt gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 UStG der Wert jedes Umsatzes als Entgelt für den anderen Umsatz. Zwar fehlt es an einer derartigen Regelung im Unionsrecht. Auch unionsrechtlich sind aber Gegenleistungen in Form von Geldzahlungen und in Form von Sachleistungen gleich zu behandeln, wobei es genügt, dass die Gegenleistung in Geld ausgedrückt werden kann (EuGH-Urteile Goldsmiths vom  - C-330/95, EU:C:1997:339, Rz 23; Orfey Balgaria vom  - C-549/11, EU:C:2012:832, Rz 35 und 44; A vom  - C-410/17, EU:C:2019:12, Rz 35; vgl. auch EuGH-Urteil Mitteldeutsche Hartstein-Industrie vom  - C-528/19, EU:C:2020:712, Rz 44 f.). Daher kann die Gegenleistung für eine Dienstleistung in einer Lieferung bestehen und deren Bemessungsgrundlage im Sinne von Art. 73 MwStSystRL sein, wenn der —stets erforderliche— unmittelbare Zusammenhang zwischen der Dienstleistung und der Lieferung besteht und zudem der Wert der Lieferung in Geld ausgedrückt werden kann (vgl. EuGH-Urteile Naturally Yours Cosmetics vom  - 230/87, EU:C:1988:508, Rz 11, 12 und 16 und A vom  - C-410/17, EU:C:2019:12, Rz 35 f.).

16 Dementsprechend handelt es sich dann um einen Tausch oder einen tauschähnlichen Umsatz, wenn sich zwei entgeltliche Leistungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG gegenüberstehen, die lediglich durch die Modalität der Entgeltvereinbarung miteinander verknüpft sind (vgl. , BFHE 221, 74, BStBl II 2009, 493, Rz 19; vom  - V R 10/08, BFHE 229, 406, BStBl II 2010, 879, Rz 23 und vom  - XI R 11/11, BFHE 238, 560, BStBl II 2018, 146, Rz 21). Auf dieser Grundlage handelt es sich nach § 3 Abs. 12 Satz 2 UStG auch dann um einen tauschähnlichen Umsatz, wenn dieser als tauschähnlicher Umsatz mit Baraufgabe mit einer Barzahlung verbunden ist (vgl. z.B. , BFH/NV 2009, 226, unter II.2.a).

17 2. Der tauschähnliche Umsatz mit Baraufgabe setzt auf der vorstehenden Grundlage voraus, dass sonstige Leistungen, wie sie von der Klägerin erbracht wurden, nicht nur durch eine Geldzahlung, sondern zusätzlich durch eine Lieferung oder sonstige Leistung vergütet werden. Hieran fehlt es entgegen dem Urteil des FG. Die Kunden der Klägerin haben unstreitig keine sonstigen Leistungen an die Klägerin erbracht. Ebenso fehlt es an einer von den Kunden an die Klägerin ausgeführten Lieferung, die als Entgelt für die Entsorgungsleistung der Klägerin in Betracht kommen könnte.

18 a) Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Unionsrechtliche Grundlage für diese Verschaffung der Verfügungsmacht nach § 3 Abs. 1 UStG ist Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL. Als Lieferung von Gegenständen gilt danach die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.

19 Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung bezieht sich der Begriff „Lieferung von Gegenständen“ nicht auf die Eigentumsübertragung in den durch das anwendbare nationale Recht vorgesehenen Formen, sondern erfasst jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer (EuGH-Urteil Eon Aset Menidjmunt vom  - C-118/11, EU:C:2012:97, Rz 39). Die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, beinhaltet, dass die Partei, auf die diese Befähigung übertragen wird, die Möglichkeit hat, Entscheidungen zu treffen, die sich auf die rechtliche Situation des betreffenden Gegenstands auswirken, etwa die Entscheidung, den Gegenstand zu verkaufen (EuGH-Urteil Herst vom  - C-401/18, EU:C:2020:295, Rz 40). Das sich hieraus ergebende Erfordernis der Verschaffung eigentümerähnlicher Verfügungsmacht legt der BFH der Auslegung von § 3 Abs. 1 UStG zugrunde (, BFHE 251, 526, BStBl II 2020, 793, Rz 16; vom  - V R 35/16, BFH/NV 2017, 768, Rz 14; vgl. auch , BFHE 221, 475, BStBl II 2008, 909, unter II.2.a).

20 b) Das FG ist vorliegend rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die verunreinigten Chemikalien allein deshalb geliefert worden seien, weil sie werthaltige Abfälle darstellten und ihr Wert nach dem Inhalt der Vereinbarungen zwischen den Beteiligten die Höhe des Entgelts der Entsorgung bestimmt hätte. Vielmehr kam der Übergabe der gefährlichen Abfälle an die Klägerin zur Entsorgung keine eigenständige Bedeutung zu. Eine Lieferung sollte mit der Übergabe der gefährlichen Abfälle nach dem zwischen der Klägerin und ihren Kunden zugrunde liegenden Rechtsverhältnis gerade nicht erfolgen.

21 aa) Das FG hat verkannt, dass die Übergabe der verunreinigten Chemikalien nur zum Zweck der Entsorgung nach dem Verwertungsverfahren . entsprechend der Anlage 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes erfolgte und erfolgen musste.

22 (1) Das der Leistungserbringung zugrunde liegende Rechtsverhältnis zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger war ausschließlich auf die Erbringung einer Entsorgungsleistung, nicht aber auch auf eine Lieferung an die Klägerin gerichtet. Die Übergabe der gefährlichen Abfälle —hier der verunreinigten Chemikalien— ausschließlich zum Zweck der gesetzlich angeordneten Entsorgung nach einem in Anlage 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes genannten Verwertungsverfahren zur Rückgewinnung/Regenerierung von Abfällen stellte lediglich eine untergeordnete Handlung zum Erhalt der Entsorgungsleistung dar, da sie notwendig war, um die Entsorgungsleistung durchführen zu können. Eine eigenständige Lieferung im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG (Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL) ist in der Übergabe des gefährlichen Abfalls nach Maßgabe des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses nicht zu sehen.

23 (2) Die Kunden konnten die gefährlichen Abfälle in ihrem Betrieb nicht mehr nutzen und waren deshalb als Erzeuger und Besitzer der Abfälle verpflichtet, sich ihrer zu entledigen sowie sie ordnungsgemäß zu verwerten (§ 7 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 4, Abs. 8 Nr. 1 und Abs. 9 KrWG). Zudem hatte die —nach dem Stand der Technik mögliche— Verwertung nach dem Verwertungsverfahren . Vorrang vor der Beseitigung durch Verbrennung der gefährlichen Abfälle (§ 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 5 KrWG). Mit der danach zwingenden Verwertung nach dem Verwertungsverfahren . durften die Kunden gemäß § 22 Satz 1 KrWG Dritte beauftragen. Ihre Verantwortung für die ordnungsgemäße Verwertung blieb —entgegen der auch insoweit unzutreffenden Annahme des FG— nach § 22 Satz 2 KrWG jedoch von der Beauftragung unberührt und solange bestehen, bis die Entsorgung endgültig und ordnungsgemäß abgeschlossen war.

24 (3) Die Klägerin als zertifizierter Entsorgungsfachbetrieb schuldete somit einen Leistungserfolg im Sinne eines Werkvertrages (§ 631 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) und erhielt die gefährlichen Abfälle gerade nicht zur freien Verfügung. Denn solange die Entsorgung nicht ordnungsgemäß durchgeführt war, blieben die Kunden zur ordnungsgemäßen Entsorgung der gefährlichen Abfälle verpflichtet. Ausschließlich von dieser Verpflichtung wollten sich die Kunden befreien und ausschließlich zur Erreichung dieses Zweckes übergaben sie die gefährlichen Abfälle der Klägerin. Ohne die Übergabe der gefährlichen Abfälle hätte die Klägerin den geschuldeten Leistungserfolg nicht herbeiführen können, so dass der Übergabe nach dem Willen der Beteiligten keine eigenständige Bedeutung zukam.

25 (4) Daran änderte auch die von der Klägerin vor der Aufbereitung vorgenommene Vermischung mit gefährlichen Abfällen gleicher Art nichts (§ 3 Abs. 8, § 9 KrWG). Durch diese Vermischung wurden nicht etwa andere Abfälle erzeugt, was zum Erlöschen der Entsorgungspflicht der Kunden geführt hätte. Denn die Mischung bewirkte keine Veränderung der Natur oder der Zusammensetzung der Abfälle (vgl. § 9 Abs. 1 und 2 KrWG .; 7 C 5.07, BVerwGE 129, 93, Rz 22 und 7 B 26.13, Die Öffentliche Verwaltung 2014, 761, Rz 10).

26 (5) Gegen die Annahme einer Lieferung der gefährlichen Abfälle spricht zudem, dass es sich bei den gefährlichen Abfällen des Streitfalls nicht um marktfähige Handelsware handelt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die gefährlichen Abfälle —wie im vorliegenden Fall— nur nach dem Verwertungsverfahren . entsorgt werden dürfen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 2 Satz 1, § 6 Abs. 1 Nr. 3 und 5, § 3 Abs. 23 Satz 2 KrWG). Ein Handel mit diesen Abfällen ist aufgrund der gegenüber den entsorgungspflichtigen Kunden und der nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz bestehenden Verpflichtung, die Abfälle zu entsorgen, nicht möglich und zieht strafrechtliche Konsequenzen nach sich (§ 326 Abs. 1 des Strafgesetzbuches).

27 bb) Die Annahme des FG, die Klägerin habe den verunreinigten Chemikalien einen „gewissen Wert“ beigemessen, weil sie daraus —nach einer Bearbeitung— verkaufsfähige, gereinigte Chemikalien hergestellt und die verunreinigten Chemikalienreste als Rohstoff für die weitere Verarbeitung benötigt habe, rechtfertigt es nicht, eine Lieferung der gefährlichen Abfälle anzunehmen. Der für eine steuerbare Lieferung erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt kann nur durch ein auf eine Lieferung gerichtetes Rechtsverhältnis begründet werden, das im Streitfall gerade nicht vorliegt. Die Klägerin hat den möglichen Verkaufspreis der gereinigten Chemikalien lediglich im Rahmen ihrer eigenen Kalkulation als Preisnachlass zugunsten der Kunden berücksichtigt.

28 Im Übrigen richtet sich auch nach Auffassung der Finanzverwaltung der Wert der übernommenen Abfälle nicht nach den einzelnen Inhaltsstoffen des Abfalls. Vielmehr muss dem Abfall als solchem im Zeitpunkt der Überlassung ein Wert zukommen, so dass spätere Bearbeitungsschritte durch den Entsorger, zu denen auch die „Aufbereitung“ gehört, bei der Wertermittlung außer Betracht zu lassen sind (vgl. Abschn. 3.16 Abs. 7 Satz 4 bis 6 UStAE).

29 cc) Die Kunden der Klägerin haben auch nicht an die Klägerin gereinigte Chemikalien geliefert. Denn die Herstellung der gereinigten Chemikalien erfolgte allein durch die Klägerin, da sie die Entsorgung in Form der chemischen Aufbereitung auf ihr eigenes wirtschaftliches Risiko durchführte. So hat sie die Risiken für die Lagerung der verunreinigten Chemikalien sowie für die Durchführung der chemischen Prozesse selbst getragen. Weiter war es nach den Feststellungen des FG nicht ausgeschlossen, dass keine verkäuflichen Chemikalien bei der Aufbereitung gewonnen werden konnten. Zudem ist erst nach erfolgreicher Aufbereitung die Abfalleigenschaft der übergebenen Chemikalien entfallen (§ 5 Abs. 1 KrWG) und ein für die Klägerin verkäufliches Wirtschaftsgut neu entstanden. Allein der Umstand, dass die Klägerin die gefährlichen Abfälle für die Kunden ordnungsgemäß entsorgt hat, führt somit nicht dazu, dass der Herstellungsprozess und damit die Gewinnung (wieder-)verkäuflicher Wirtschaftsgüter den Kunden zuzurechnen war. Aufgrund des erfolgreichen Abschlusses des Verwertungsverfahrens ist schließlich unerheblich, dass die Kunden bis zum endgültigen Abschluss der ordnungsgemäßen Entsorgung gesetzlich weiterhin selbst zur ordnungsgemäßen Entsorgung verpflichtet waren (§ 22 Satz 2 KrWG).

30 3. Es besteht kein Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung.

31 a) Entgegen der Auffassung des FG ist das EuGH-Urteil A vom  - C-410/17, EU:C:2019:12 für den Streitfall ohne Bedeutung. Das Urteil betrifft zwei Fallgestaltungen, bei denen ein Abbruchunternehmer Entsorgungsdienstleistungen erbringt (zum einen Abbrucharbeiten, Abtransport und sachgerechte Verwertung und zum anderen Demontage- und Entsorgungsarbeiten), wobei er im ersten Fall von seinem Kunden Metallschrott erwirbt, der im Abbruchabfall enthalten ist, während er im zweiten Fall verschiedenes Mobiliar erwirbt (EuGH-Urteil A vom  - C-410/17, EU:C:2019:12, Rz 15, 16 und 32, zur ersten Fallgestaltung und Rz 17, 18 und 50 zur zweiten Fallgestaltung).

32 Dass sich für beide Fallgestaltungen ein tauschähnlicher Umsatz ergibt (EuGH-Urteil A vom  - C-410/17, EU:C:2019:12, Rz 48 und Rz 60), so dass Metallschrott und Mobiliar jeweils als Gegenleistung für die Entsorgungsdienstleistung anzusehen sind, ist vorliegend unerheblich. Denn die Klägerin hat im Gegensatz hierzu an den verunreinigten Chemikalien nach Maßgabe des zwischen ihr und ihren Kunden zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses keine eigentümerähnliche Verfügungsmacht erlangt, so dass es an einer diesbezüglichen Lieferung an die Klägerin fehlt. Vielmehr sind der Klägerin die verunreinigten Chemikalien mit der ausdrücklichen Zweckbindung überlassen worden, diese entsprechend den gesetzlichen Regelungen für gefährliche Abfälle ordnungsgemäß zu entsorgen, so dass der Übergabe der gefährlichen Abfälle an die Klägerin keine eigenständige Bedeutung zukam (s. oben II.2.b aa). Alle weiteren Tätigkeiten wie die Herstellung gereinigter und damit frei verwendbarer und somit wiederverkäuflicher Chemikalien erfolgten auf ihr eigenes wirtschaftliches Risiko (s. oben II.2.b cc). Ausschließlicher Zweck der Übergabe war es somit, dass die Kunden sich der —für sie nicht mehr nutzbaren— gefährlichen Abfälle entledigen und ihrer eigenen gesetzlichen Entsorgungspflicht nachkommen wollten. Dazu bedienten sich die Kunden der Klägerin als zertifiziertem Entsorgungsfachbetrieb.

33 b) Auch der Rechtsprechung des BFH zu der Frage, ob im Rahmen von Polierarbeiten die Überlassung von beim Polieren anfallenden Materialabfall (, BFHE 155, 431, BStBl II 1989, 252) sowie im Rahmen von Metallarbeiten, für die der Auftraggeber das Material stellt, die Überlassung des nach Ausführung des Auftrags verbleibenden Metallschrotts (, BFHE 70, 399, BStBl III 1960, 149) als Lieferungen des Auftraggebers an den Auftragnehmer anzusehen sind und damit zusätzliches Entgelt für die Leistung des Auftragnehmers darstellen, ist nichts Abweichendes zu entnehmen. Denn auch in diesen Fällen führt der Auftragnehmer eine Dienstleistung aus und erhält zusätzlich die Verfügungsmacht an den frei verkäuflichen, werthaltigen Metallabfällen.

34 4. Die Sache ist spruchreif. Das FG hat rechtsfehlerhaft die Bemessungsgrundlage für die von der Klägerin durch die Entsorgung gefährlicher Abfälle im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes erbrachten sonstigen Leistungen um einen Wert für die gefährlichen Abfälle erhöht. Liegen aber keine Lieferungen an die Klägerin vor, ist das Urteil des FG aufzuheben und der Klage stattzugeben.

35 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:U.180424.VR7.22.0

Fundstelle(n):
BB 2024 S. 2005 Nr. 36
BFH/NV 2024 S. 1301 Nr. 10
DStR 2024 S. 1995 Nr. 35
DStR 2024 S. 1999 Nr. 35
DStRE 2024 S. 1145 Nr. 18
StuB-Bilanzreport Nr. 18/2024 S. 725
StuB-Bilanzreport Nr. 18/2024 S. 725
UR 2024 S. 689 Nr. 18
UStB 2024 S. 306 Nr. 10
UStB 2024 S. 307 Nr. 10
BAAAJ-74087