Online-Nachricht - Dienstag, 20.08.2024

Verfahrensrecht | Verspätungszuschläge für Erklärungen zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (FG)

Bei Vorliegen der Rückausnahmen des § 152 Abs. 3 AO darf das Finanzamt nach § 152 Abs. 6 AO auch für Erklärungen zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen einen Verspätungszuschlag nur als Ermessensentscheidung festsetzen. Soweit § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO bestimmt, dass die festgesetzte Steuer die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge nicht übersteigt, ist bei Erklärungen zur gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen auf die jeweiligen Folgebescheide - hier Einkommensteuerbescheide der Gesellschafter - abzustellen (; Revision anhängig, BFH-Az. IV R 29/23).

Hintergrund: Nach § 152 Abs. 1 AO kann gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist abzusehen, wenn der Erklärungspflichtige glaubhaft macht, dass die Verspätung entschuldbar ist; das Verschulden eines Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen ist dem Erklärungspflichtigen zuzurechnen.

Sachverhalt: Der Kläger ist mit 55 % an einer GbR beteiligt. Diese erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Der Kläger war zum gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten der GbR bestellt und trat gegenüber dem Finanzamt als deren Vertreter auf. Die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung 2020 reichte er am ein.

Auf Grund der verspäteten Abgabe der Feststellungserklärung am setzte das beklagte Finanzamt mit Bescheid v. gegenüber dem Kläger als Vertreter der GbR einen Verspätungszuschlag i.H.v. 966 € fest. Den hiergegen erhobenen Einspruch wies das Finanzamt als unbegründet zurück. Die Festsetzung eines Verspätungszuschlages sei gesetzlich vorgegeben; insoweit bestehe keinerlei Ermessens- oder Beurteilungsspielraum. Der Kläger habe schuldhaft die Erklärung für die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte 2020 der GbR nicht innerhalb der am endenden gesetzlichen Abgabefrist eingereicht, sondern erst am .

Das FG gab der Klage auf Aufhebung der Festsetzung des Verspätungszuschlags statt:

  • In den Fällen des § 152 Abs. 1 AO hat die Verwaltung - wenn die Verspätung des Erklärungspflichtigen nicht entschuldbar ist - ein Ermessen auszuüben, ob ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden soll, es sein denn, dass nach § 152 Abs. 2 AO für bestimmte Fallgruppen die Festsetzung eines Verspätungszuschlages als gebundene Entscheidung ergeht.

  • Dies ist u.a. nach § 152 Abs. 2 Nr. 1 AO dann der Fall, wenn die Steuererklärung nicht binnen 14 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres oder nicht binnen 14 Monaten nach dem Besteuerungszeitpunkt abgegeben wurde.

  • Auf Grund der wegen der Corona-Pandemie verlängerten Abgabefrist für Steuererklärungen beratener Steuerpflichtiger endete die Abgabefrist für die Erklärung über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte 2020 der GbR am . Die Erklärung wurde jedoch erst am eingereicht.

  • Nach § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO ist - quasi als Rückausnahme - die verpflichtende Festsetzung eines Verspätungszuschlages nach § 152 Abs. 2 AO unzulässig, wenn die festgesetzte Steuer die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge nicht übersteigt. Diese Regelung hat der Gesetzgeber über die Norm des § 152 Abs. 6 AO auch für Erklärungen zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, für Erklärungen zur Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags und für Zerlegungserklärungen ohne jegliche Ausnahme für anwendbar erklärt.

  • Dies kann zwar in der Praxis zu Schwierigkeiten führen, weil das Feststellungs-Finanzamt beim für den Folgebescheid zuständigen Finanzamt nachfragen müsste, ob die Voraussetzungen des § 152 Abs. 3 Satz 3 AO vorliegen. Allerdings lässt der klare und eindeutige Gesetzeswortlaut mit dem Verweis von § 152 Abs. 6 AO auf § 152 Abs. 1 bis 3 sowie Abs. 4 Satz 1 und 2 AO sowie die Gesetzesbegründung keine teleologische Reduktion der Norm dergestalt zu, dass die Fälle des § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO vom Verweis des § 152 Abs. 6 AO ausgenommen sein sollen.

  • Aus den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich nicht erkennen, dass der Gesetzgeber über den Verweis des § 152 Abs. 6 AO die entsprechende Anwendung des § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO bei Feststellungsbescheiden ausschließen wollte.

  • Auch wenn dem erkennenden Senat bewusst ist, dass es im Feststellungsverfahren - ebenso wie im Verfahren über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags - originär keine festgesetzte Steuer gibt, die die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge übersteigt (s. Formulierung des § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO), ist es dennoch möglich, dass der Gesetzgeber bezüglich der gewählten Terminologie auf die dem Feststellungsverfahren folgenden Einkommensteuerbescheide/Körperschaftsteuerbescheide oder die dem Gewerbesteuermessbetrag nachfolgenden Gewerbesteuerbescheide abstellen wollte, wenn es um die Frage der festgesetzten Vorauszahlungen oder anzurechnenden Steuerabzugsbeträge geht.

  • Vorliegend vermag der erkennende Senat auch unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien sowie der grammatischen, historischen, systematischen und teleologischen Auslegungsmethoden in Bezug auf den Verweis des § 152 Abs. 6 zu § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO nicht zu erkennen, ob mit „gelten vorbehaltlich des Absatzes 7 die Absätze 1 bis 3 und Absatz 4 Satz 1 und 2 entsprechend“ ein sog. überflüssiger Verweis „ins Leere“ anzunehmen ist, oder ob bezüglich der Tatbestandsmerkmale des Abs. 3 Nr. 3 AO „wenn die festgesetzte Steuer die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge nicht übersteigt …“ auf die den Feststellungsbescheiden folgenden Steuerbescheide (Einkommensteuerbescheide, Körperschaftsteuerbescheide) abzustellen ist.

  • Der erkennende Senat legt in Ausgestaltung des Grundsatzes der Normenklarheit und Bestimmtheit die den Steuerpflichtigen belastende Norm zur Erhebung eines Verspätungszuschlages - rechtserhaltend - dahingehend aus, dass der Verweis des § 152 Abs. 6 zu § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO nicht ins Leere läuft, sondern dass bezüglich der festgesetzten Steuer, der Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge auf die den Feststellungsbescheiden folgenden Einkommensteuer- bzw. Körperschaftsteuerbescheide abzustellen ist. Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Norm. § 152 AO zielt auf einen Ausgleich der aus der verspäteten Abgabe der Erklärung gezogenen Vorteile.

  • Da auf der Ebene der Einkommensteuerfestsetzung der Gesellschafter der GbR unstreitig die festgesetzte Einkommensteuer 2020 die Summe der bisher festgesetzten Vorauszahlungen nicht übersteigt, ist vorliegend der Tatbestand der Rückausnahme nach § 152 Abs. 3 Nr. 3 AO erfüllt.

  • Dies hat zur Folge, dass ein Verspätungszuschlag vom Finanzamt nur unter den Voraussetzungen des § 152 Abs. 1 AO als Ermessensentscheidung hätte festgesetzt werden dürfen. Eine solche Ermessensentscheidung hat das Finanzamt jedoch nicht getroffen.

Hinweis:

Die Revision gegen die Entscheidung ist beim BFH unter dem Az. IV R 29/23 anhängig.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 1/2024 (il)

Fundstelle(n):
AAAAJ-73461