Erfolglose Nachbargemeindeklage gegen eine Baugenehmigung für einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb infolge fehlender Rechtsverletzung
Leitsatz
1. § 11 Abs. 3 BauNVO ist nicht drittschützend.
2. Die Rechtsprechung, wonach ein nachbargemeindlicher Abwehranspruch gegen die Zulassung von Einzelvorhaben dann gegeben sein kann, wenn die Gemeinde dem Bauinteressenten unter Missachtung des § 2 Abs. 2 BauGB einen Zulassungsanspruch verschafft hat, ist mit Blick auf § 34 Abs. 3 BauGB für den beplanten (§ 30 BauGB) und den unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) überholt.
3. Beurteilt sich die planungsrechtliche Zulässigkeit eines unter § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO fallenden Vorhabens nach einem früheren Bebauungsplan (§ 30 BauGB), folgt bei einem Verstoß gegen dessen Festsetzungen ein Abwehrrecht der Nachbargemeinde aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, dessen Inhalt sich nach dem Maßstab des § 34 Abs. 3 BauGB bestimmt.
Gesetze: § 113 Abs 1 S 1 VwGO, § 30 Abs 1 BauGB, § 31 Abs 2 BauGB, § 34 Abs 1 BauGB, § 34 Abs 2 BauGB, § 34 Abs 3 BauGB, § 11 Abs 3 BauNVO, § 11 Abs 3 BauNVO 1968, Art 28 Abs 2 S 1 GG
Instanzenzug: OVG Lüneburg Az: 1 LC 83/22 Urteilvorgehend Az: 4 A 3897/20 Urteil
Tatbestand
1Die Klägerin, eine kreisfreie Stadt mit etwa 78 000 Einwohnern, wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Genehmigung für den Neubau eines Sportfachmarkts mit einer Verkaufsfläche von mehr als 3 500 qm.
2Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des im Februar 2020 beschlossenen Bebauungsplans Nr. 23/220 "B.-Nord Sportfachmarkt" (im Folgenden Bebauungsplan Sportfachmarkt). Dieser überplant ein Gebiet, das bisher in den Geltungsbereich der Bebauungspläne Nr. 23 (15/13-3) "B.-Nord-Teil Ost, 3. Änderung" von 2007 (Sondergebiet "Teppichmarkt" - im Folgenden Bebauungsplan Teppichmarkt) und Nr. 23/191-N "Sondergebiete B. Nord - Neuaufstellung" von 2014 (u. a. Sondergebiet "Baumarkt mit Gartencenter" - im Folgenden Bebauungsplan Baumarkt) fiel. Den Bebauungsplan Sportfachmarkt hat das Oberverwaltungsgericht auf den Normenkontrollantrag der Klägerin für unwirksam erklärt; die Entscheidung ist rechtskräftig. Der Markt ist inzwischen errichtet und in Betrieb.
3Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Oberverwaltungsgericht das verwaltungsgerichtliche Urteil geändert und die Baugenehmigung sowie den Widerspruchsbescheid aufgehoben. Die zulässige Klage sei begründet. Die angefochtene Baugenehmigung sei rechtswidrig. Der Bebauungsplan Sportfachmarkt sei nach dem Normenkontrollurteil vom gleichen Tag unwirksam. Ob die unmittelbaren Vorgängerbebauungspläne wirksam seien, könne offenbleiben. Seien sie wirksam, sei das Vorhaben mit den Festsetzungen dieser Bebauungspläne unvereinbar. Seien sie unwirksam, beurteile sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach dem Ursprungsplan Nr. 23 (15/13) "B.-Nord Teil Ost" vom , der nicht funktionslos geworden sei. Dieser setze für das Baugrundstück ein Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO 1968 fest. Dort seien Verbrauchermärkte im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO 1968 unzulässig.
4Die rechtswidrige Baugenehmigung verletze die Klägerin in ihren Rechten. Das folge zwar nicht aus § 2 Abs. 2 BauGB, denn die Unwirksamkeit des Bebauungsplans Sportfachmarkt beruhe nicht auf einem Verstoß gegen diese Vorschrift oder die Klägerin schützende Zielfestlegungen im Landesraumordnungsprogramm 2017 (LROP 2017). Die Rechtsverletzung ergebe sich aber - je nachdem, welcher Bebauungsplan anzuwenden sei - aus § 11 Abs. 3 BauNVO 1990 bzw. 1968. Diese Vorschrift begründe für die dort genannten Vorhaben auch mit Blick auf die Nachbargemeinden die unwiderlegliche Vermutung eines Planungsbedürfnisses und -erfordernisses, sofern nicht ausnahmsweise eine Zulassung nach § 34 BauGB in Frage komme. Solange dem Planungserfordernis nicht durch einen wirksamen Plan genügt sei, sei eine Vorhabenzulassung unzulässig und könne von der Klägerin als Nachbargemeinde nach § 11 Abs. 3 BauNVO (in allen Fassungen) abgewehrt werden.
5Mit ihren Revisionen streben die Beklagte und die Beigeladene die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung an.
6Die Beklagte ist der Auffassung, dass das Oberverwaltungsgericht die Bebauungspläne "Teppichmarkt" und "Baumarkt" inzident für unwirksam hätte erklären müssen; diese litten unter dem gleichen Mangel wie der Bebauungsplan Sportfachmarkt. Der dann maßgebliche Ursprungsplan sei funktionslos geworden. Das habe das Oberverwaltungsgericht verkannt, denn es habe jedenfalls den Baumarkt auf dem Nachbargrundstück der Beigeladenen übersehen. Das Berufungsgericht hätte § 34 Abs. 3 BauGB anwenden müssen. Schädliche Auswirkungen im Sinne dieser Vorschrift gingen von dem Vorhaben der Beigeladenen für die Klägerin nach den Feststellungen im Normenkontrollurteil nicht aus. Eine Rechtsverletzung der Klägerin folge auch nicht aus § 11 Abs. 3 BauNVO 1990/1968. Bundesrechtswidrig sei ferner, dass das Oberverwaltungsgericht die Möglichkeit einer Befreiung nicht geprüft habe. Die Voraussetzungen nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB lägen vor.
7Auch nach Auffassung der Beigeladenen fehlt es an einer Nachbarrechtsverletzung. Aus § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO folge kein universeller kommunaler Drittschutz. Im Außenbereich bestehe keine Veranlassung, Drittschutz unmittelbar aus § 11 Abs. 3 BauNVO herzuleiten, weil § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB offen für die Berücksichtigung öffentlicher Belange sei, zu denen auch ein etwaiges Planungsbedürfnis gehöre. Im unbeplanten Innenbereich bestehe die Möglichkeit eines Rückgriffs auf öffentliche Belange nicht. Schädliche Auswirkungen eines Vorhabens auf zentrale Versorgungsbereiche einer Nachbargemeinde könnten aber nach § 34 Abs. 3 BauGB Berücksichtigung finden. Diese Regelung sei für den gesamten Innenbereich - beplant oder unbeplant - als Maßstab heranzuziehen.
8Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und tritt dem Vorbringen der Beklagten und der Beigeladenen entgegen.
Gründe
9Die zulässigen Revisionen sind begründet. Das angegriffene Urteil verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Baugenehmigung für den Sportfachmarkt ist zwar rechtswidrig (1.). Sie verletzt die Klägerin aber nicht in eigenen Rechten im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (2.). Ihre Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts ist daher zurückzuweisen.
101. Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht von der (objektiven) Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung ausgegangen. Der Sportfachmarkt widerspricht den Festsetzungen der hierfür maßgeblichen Bebauungspläne.
11Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob das Vorhaben der Beigeladenen - infolge der Unwirksamkeit des Bebauungsplans Sportfachmarkt - an den Bebauungsplänen "Teppichmarkt" und "Baumarkt" zu messen ist oder an der Ursprungsfassung des Bebauungsplans vom . Auch im Revisionsverfahren muss diese Frage nicht geklärt werden. Das Normenkontrollurteil vom - 1 KN 63/20 - ist rechtskräftig und das Vorhaben nach jedem der danach in Betracht kommenden Bebauungspläne bauplanungsrechtlich unzulässig.
12a) Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Sportfachmarkt auf der Grundlage der Bebauungspläne "Teppichmarkt" und "Baumarkt" bauplanungsrechtlich unzulässig ist. Es handelt sich bei diesem um einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 BauNVO in der Fassung der Neubekanntmachung vom (BGBl. I S. 132; im Folgenden BauNVO), der auch nicht im Wege der Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) zugelassen werden kann.
13aa) Nach § 30 Abs. 1 BauGB ist im Geltungsbereich von - wie hier - qualifizierten Bebauungsplänen ein Vorhaben nur zulässig, wenn es dessen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 BauNVO 1990 sind für Sondergebiete die Zweckbestimmung und die Art der Nutzung festzusetzen. Ein großflächiger Sportfachmarkt ist mit der Festsetzung eines Sondergebiets "Teppichmarkt" bzw. "Baumarkt" grundsätzlich unvereinbar.
14Auch eine Zulassung des Sportfachmarkts als sonstiger Gewerbebetrieb gemäß Nr. 1.1.5 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Teppichmarkt scheidet aus. Sie käme nur in Betracht, wenn der Sportfachmarkt trotz seiner unzweifelhaften Großflächigkeit (vgl. dazu zuletzt 4 B 20.22 - juris Rn. 9 m. w. N.) die weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO 1990 nicht erfüllt. Danach setzt die Sonder- bzw. Kerngebietspflichtigkeit neben der Großflächigkeit voraus, dass der Einzelhandelsbetrieb sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken kann (vgl. 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 11). Das ist hier der Fall. Ausweislich des rechtskräftigen Normenkontrollurteils vom - 1 KN 63/20 - UA S. 12 ff. - verstößt der Bebauungsplan Sportfachmarkt gegen das raumordnerische Integrationsgebot (Plansatz Nr. 2.3 (05) Satz 1 LROP 2017 i. V. m. § 1 Abs. 4 BauGB). Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher bindenden Feststellungen der Vorinstanz im angefochtenen Urteil (UA S. 17) kann der Sportfachmarkt bei einer Gesamtbetrachtung der städtebaulichen Wirkfaktoren zudem unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf das zentrale Versorgungszentrum Innenstadt der Klägerin haben.
15bb) Der Sportfachmarkt kann nicht, wie Beklagte und Beigeladene meinen, im Wege einer Befreiung zugelassen werden. Gemäß § 31 Abs. 2 BauGB kann nur von Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden. § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO 1990 bestimmt unabhängig davon, welche Festsetzungen der Bebauungsplan trifft, dass die dort bezeichneten großflächigen Betriebe nur in Kerngebieten oder in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig sind. Eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann die Geltung des § 11 Abs. 3 BauNVO somit nicht suspendieren ( 4 B 72.05 - NVwZ 2006, 340 Rn. 6).
16b) Soweit das Berufungsgericht für den Fall der Unwirksamkeit der Bebauungspläne "Teppichmarkt" und "Baumarkt" alternativ auf den Ursprungsplan aus dem Jahr 1978, der für das Vorhabengrundstück ein Gewerbegebiet festsetzt, abgestellt hat, ist es ohne Bundesrechtsverstoß davon ausgegangen, dass der Sportfachmarkt auch hiermit unvereinbar ist.
17aa) Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass der Ursprungsplan nicht funktionslos geworden ist. Dagegen wendet sich die Beklagte ohne Erfolg.
18Eine Festsetzung eines Bebauungsplans tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, soweit die Verhältnisse, auf die sich die Planung bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (grundlegend 4 C 39.75 - BVerwGE 54, 5 <11>). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Dabei kommt es nicht auf die Verhältnisse auf einzelnen Grundstücken an. Entscheidend ist vielmehr, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit seine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit die Rede sein. Das setzt voraus, dass die Festsetzung unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, bei einer Gesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung noch in einer bestimmten Richtung zu steuern (stRspr, vgl. 4 A 9.21 - juris Rn. 39 m. w. N.).
19Das Berufungsgericht ist von diesen Rechtssätzen ausgegangen (UA S. 12 f.). Es hat angenommen, dass die Festsetzung eines Gewerbegebietes trotz des dort vorhandenen Baumarktes sowie eines - möglicherweise als Einkaufszentrum einzustufenden - Fachmarktzentrums mit verschiedenen, wohl jedenfalls teilweise großflächigen Ladengeschäften (UA S. 12, 2. Absatz), nicht funktionslos geworden ist. Die Rüge der Beklagten, das Oberverwaltungsgericht habe bei seiner Prüfung den Baumarkt übersehen, ist damit jedenfalls in der Sache unbegründet.
20Die Vorinstanz hat zudem hilfsweise entlang der D.-Straße und der B.-Straße eine räumliche Zäsur vorgenommen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass jedenfalls der östlich dieser Straßen liegende Teil des Ursprungsplans, in dem auch das Baugrundstück liegt, immer noch durch klassische Gewerbebetriebe geprägt wird und dort allenfalls vereinzelt (Teppichmarkt) Verbrauchermärkte im Sinne von § 11 BauNVO 1968 zu finden seien. Die tatsächliche Bebauung entspreche daher im Wesentlichen der planerischen Artfestsetzung. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Dem setzt die Beklagte nur ihre davon abweichende Auffassung entgegen.
21bb) Mit der Festsetzung eines Gewerbegebiets ist der Sportfachmarkt nicht vereinbar; das hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend erkannt.
22Nach § 11 Abs. 3 BauNVO 1968, der hier gemäß § 25a Abs. 1 BauNVO anzuwenden ist, sind Einkaufszentren und Verbrauchermärkte, die außerhalb von Kerngebieten errichtet werden und die nach Lage, Umfang und Zweckbestimmung vorwiegend der übergemeindlichen Versorgung dienen sollen, als Sondergebiete darzustellen und festzusetzen.
23Das Oberverwaltungsgericht hat den Sportfachmarkt als im Gewerbegebiet planungsrechtlich unzulässigen Verbrauchermarkt im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO 1968 betrachtet (UA S. 11). Dagegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern (vgl. zum Begriff Verbrauchermarkt 4 C 5.02 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 27 S. 19 f.). Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB scheidet auch hier aus (s. o. unter a) bb)).
242. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Klägerin aber unter Verstoß gegen revisibles Recht stattgegeben und die rechtswidrige Baugenehmigung zu Unrecht aufgehoben. Denn diese verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
25Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts kann die Klägerin ihr Abwehrrecht aus § 11 Abs. 3 BauNVO 1968/1990 herleiten. Die Vorschrift vermittele einer Nachbargemeinde wegen des darin zum Ausdruck kommenden Planungsbedürfnisses einen Abwehranspruch gegen die Zulassung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs bis eine wirksame förmliche - auch dem Abstimmungsgebot nach § 2 Abs. 2 BauGB gerecht werdende - Planung vorliege. Ob die Vorhabenzulassung auf einem unwirksamen, einem das Vorhaben nicht gestattenden Bebauungsplan oder der fehlerhaften Annahme der planungsrechtlichen Zulässigkeit nach den §§ 33 bis 35 BauGB beruhe, sei unerheblich. Voraussetzung sei nur, dass die Nachbargemeinde - wie hier die Klägerin - im Einwirkungsbereich des Vorhabens liege und mit unmittelbaren Auswirkungen gewichtiger Art auf ihre Versorgungsinfrastruktur, ihre zentralen Versorgungsbereiche oder die ihr durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen rechnen müsse. Das sei für die unmittelbaren Nachbargemeinden aufgrund der unwiderleglichen Vermutungswirkung des § 11 Abs. 3 BauNVO stets anzunehmen. Dem ist nicht zu folgen.
26a) Die Annahme, § 11 Abs. 3 BauNVO 1968/1990 begründe ein nachbargemeindliches Abwehrrecht gegen die Genehmigung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes im beplanten Innenbereich, ist mit revisiblem Recht nicht vereinbar.
27Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO - in der insoweit seit 1977 unverändert geltenden Fassung - sind großflächige Einzelhandelsbetriebe, die sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können, außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig. Auswirkungen im Sinne des Satzes 1 Nr. 2 sind u. a. Auswirkungen auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden (§ 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO).
28aa) Der Zweck des § 11 Abs. 3 BauNVO besteht darin, die aufgeführten Nutzungsarten (Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe) im Sinne einer guten Stadt- und Raumplanung in zentrale Versorgungsbereiche der Gemeinden zu lenken oder auf städtebaulich geeignete und vom Planungsträger ausgewählte Standorte zu verweisen, die eine Beeinträchtigung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und zentraler Versorgungsbereiche nicht befürchten lassen (vgl. Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 5. Aufl. 2022, § 11 Rn. 31a). Die Regelung soll den Einzelhandel an den Standorten sichern, die in das städtebauliche Ordnungssystem funktionsgerecht eingebunden sind, und verhindern, dass durch die Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben an peripheren Standorten die wirtschaftliche Existenz derjenigen Betriebe bedroht oder gar vernichtet wird, die eine verbrauchernahe Versorgung gewährleisten (vgl. 4 C 5.01 - BVerwGE 117, 25 <36 m. w. N.>).
29§ 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO ist - in der Fassung seit 1977 - durch eine übergemeindliche Sichtweise geprägt und lässt es auch unter dem Blickwinkel der Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche unabhängig davon, ob insoweit landesplanerische Festlegungen oder gemeindliche Entwicklungskonzepte die Grundlage bilden, nicht mit einer auf ein bestimmtes Gemeindegebiet bezogenen Betrachtung bewenden. Rechtliche Relevanz kommt daher nicht nur den Auswirkungen in der Standortgemeinde, sondern auch "in anderen Gemeinden" zu (a. a. O. Rn. 31). Ein Anspruch der Nachbargemeinde, von den Auswirkungen eines einer wirksamen Planungsgrundlage entbehrenden Vorhabens im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO verschont zu bleiben, folgt daraus aber nicht. Die Vorschrift richtet sich an die Standortgemeinde und gibt ihr auf, bei der Planung auch solche Auswirkungen in den Blick zu nehmen, die über das eigene Gemeindegebiet hinausreichen. Die Nachbargemeinden werden dadurch bei der Vorhabenzulassung nur reflexhaft begünstigt.
30bb) Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich nichts Anderes. In den Materialien (vgl. BR-Drs. 402/68 S. 5 f. zur Einfügung von Absatz 3 in § 11 BauNVO durch die Änderungsverordnung vom <BGBl. I S. 1233>, BR-Drs. 261/77 S. 38 zur Änderungsverordnung vom <BGBl. I S. 1757> und BR-Drs. 541/86 S. 1 und 4 zur Änderungsverordnung vom <BGBl. I S. 2665>) finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber § 11 Abs. 3 BauNVO als Abwehrrecht der Nachbargemeinde gegen Einzelvorhaben versteht. Sie ergeben sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung zur Einfügung von § 34 Abs. 3 BauGB durch das Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau - EAG Bau) vom (BGBl. I S. 1359). Dort wird zwar ausgeführt, dass § 11 Abs. 3 BauNVO die Möglichkeit der Gemeinden, die Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben an nicht integrierten Standorten planerisch zu verhindern, entscheidend verbessert habe (BT-Drs. 15/2250 S. 54). Diese Formulierung bezieht sich aber ebenfalls nur auf die Standortgemeinde.
31cc) Soweit der Senat nachbargemeindliche Abwehrrechte gegen die Zulassung von Vorhaben im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO bejaht hat, hat er sie - ungeachtet einer Reihe offengebliebener Fragen - jedenfalls nicht auf § 11 Abs. 3 BauNVO gestützt. Er hat zunächst angenommen, dass das interkommunale Abstimmungsgebot nach § 2 Abs. 2 BauGB für den Fall nicht abgestimmter Bauleitpläne ein Abwehrrecht gegen Einzelvorhaben begründet, sofern davon unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf die Nachbargemeinde ausgehen können (vgl. 4 C 36.86 - BVerwGE 84, 209 S. 216 ff.). Nachfolgend hat er allerdings hervorgehoben, dass die Frage, ob das Gebot interkommunaler Abstimmung auf die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung durchschlägt, nicht losgelöst von den Zulassungsregelungen der §§ 29 ff. BauGB beurteilt werden kann ( 4 C 15.92 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 156 S. 95 f.; siehe auch Uechtritz, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, Stand , § 2 Rn. 53; Söfker/Edenharter, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Januar 2024, § 2 Rn. 103; Kment, NVwZ 2007, 996 <1001 f.>).
32Für Vorhaben im Außenbereich ist der danach erforderliche normative Anknüpfungspunkt § 35 Abs. 3 BauGB, der als ungeschriebenen öffentlichen Belang auch ein durch einen qualifizierten Abstimmungsbedarf im Sinne von § 2 Abs. 2 BauGB indiziertes Planungsbedürfnis erfasst. Ein qualifizierter Abstimmungsbedarf liegt vor, wenn das Vorhaben die in § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO bezeichneten Merkmale aufweist ( 4 C 5.01 - BVerwGE 117, 25 S. 30 f., 35 f.). Abwehrrechte einer Nachbargemeinde gegen eine auf § 34 Abs. 1 BauGB gestützte Baugenehmigung hat der Senat dagegen verneint, weil diese Vorschrift keine Zulassungsschranke in Gestalt "öffentlicher Belange" enthält, die durch einen qualifizierten interkommunalen Abstimmungsbedarf (subjektiv-rechtlich) angereichert werden kann. Für planerische Erwägungen, die im Tatbestand der Norm keinen Niederschlag gefunden haben, ist daher kein Raum. Dazu gehören auch die in § 11 Abs. 3 BauNVO bezeichneten Fernwirkungen (vgl. 4 C 15.92 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 156 S. 93 f.; Beschluss vom - 4 B 25.00 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 199 S. 19).
33b) Ein Abwehrrecht der Klägerin in entsprechender Anwendung von § 2 Abs. 2 BauGB hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint.
34Das Oberverwaltungsgericht verweist auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur "Missbrauchsabwehr". Danach setze ein Abwehrrecht der Nachbargemeinde aus § 2 Abs. 2 BauGB voraus, dass die Standortgemeinde dem Bauinteressenten unter Missachtung des § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB einen Zulassungsanspruch verschafft hat (vgl. 4 C 15.92 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 156 S. 95 f.). Daran fehle es hier. Der das Vorhaben zulassende Bebauungsplan sei nicht wegen einer unzulänglichen formellen oder materiellen Abstimmung unwirksam. Die Gründe für die Unwirksamkeit hätten keinen Bezug zu schutzwürdigen Belangen der Klägerin. Es kann dahinstehen, ob diese Erwägungen tragfähig sind. Ein Rückgriff auf die oben genannte Rechtsprechung scheidet schon deshalb aus, weil sie angesichts der Einfügung von § 34 Abs. 3 BauGB durch das EAG Bau für Vorhaben nach § 11 Abs. 3 BauNVO im beplanten und unbeplanten Innenbereich überholt ist.
35aa) Gemäß § 34 Abs. 3 BauGB dürfen von Vorhaben nach Absatz 1 und 2 keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein. Die Vorschrift soll die in der Rechtsprechung des Senats erkannte Rechtsschutzlücke im Anwendungsbereich des § 34 BauGB schließen. Sie dient auch dem Schutz der Nachbargemeinde (BT-Drs. 15/2250 S. 33 und 54; vgl. Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 34 Rn. 68; Spannowsky, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, Stand , § 34 Rn. 52; Söfker/Hellriegel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Januar 2024, § 34 Rn. 86m). Zugleich ist die Regelung zum Gebot interkommunaler Abstimmung in § 2 Abs. 2 BauGB um Satz 2 ergänzt worden. Danach können sich Gemeinden (bei der Abstimmung) auch auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen. Damit sollen die Rechtsschutzmöglichkeiten ("Klagebefugnis") der Nachbargemeinden im Normenkontrollverfahren gestärkt werden (vgl. BT-Drs. 15/2250 S. 33 und 41).
36bb) Die Änderungen in § 2 Abs. 2 und § 34 BauGB durch das EAG Bau greifen Empfehlungen der Unabhängigen Expertenkommission (Bericht von August 2002, Rn. 220 ff.) auf (BT-Drs. 15/2250, S. 33). Der Gesetzgeber ist den Empfehlungen aber nur hinsichtlich der Ergänzung von § 2 Abs. 2 BauGB uneingeschränkt gefolgt. Bei § 34 BauGB hat er dagegen einen anderen Weg beschritten. Insoweit hatte die Unabhängige Expertenkommission vorgeschlagen, "durch eine Ergänzung des § 34 Abs. 1 BauGB zum Ausdruck zu bringen, dass erhebliche Auswirkungen auf die Ziele der Raumordnung sowie auf die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche ein öffentlicher Belang ist, der der Zulässigkeit eines Vorhabens innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils entgegensteht". Die für die Ergänzung vorgeschlagenen Merkmale lehnten sich an die Formulierungen in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO an (Bericht, Rn. 221).
37Mit der Regelung des § 34 Abs. 3 BauGB hat der Gesetzgeber sich gegen die von der Unabhängigen Expertenkommission der Sache nach vorgeschlagene Parallelisierung des Rechtsschutzes der Nachbargemeinden gegen Bebauungspläne einerseits und gegen Baugenehmigungen in unbeplanten Innenbereich andererseits entschieden und damit auch einem Gleichlauf der Prüfungsmaßstäbe bei den Zulassungstatbeständen der §§ 34 und 35 BauGB eine Absage erteilt. Anstatt § 34 Abs. 1 BauGB insoweit nach dem Vorbild des § 35 Abs. 3 BauGB um den öffentlichen Belang eines Planungsbedürfnisses wegen eines qualifizierten Abstimmungsbedarfs anzureichern, hat er den durch Absatz 3 gewährten Schutz auf zentrale Versorgungsbereiche beschränkt; er greift erst bei der Schwelle "schädlicher Auswirkungen" ein und gilt überdies sowohl für Vorhaben nach Absatz 1 als auch nach Absatz 2. Diese Schwelle ist - wie schon die Verwendung unterschiedlicher Begriffe zeigt - höher als die der "unmittelbaren Auswirkungen gewichtiger Art", die einen qualifizierten Abstimmungsbedarf im Sinne von § 2 Abs. 2 BauGB begründet und schon dann erreicht ist, wenn die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 BauNVO vorliegen (vgl. 4 C 7.07 - BVerwGE 129, 307 Rn. 14 m. w. N.; vgl. BT-Drs. 15/2250 S. 54 "städtebaulich nachhaltige Auswirkungen").
38cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin (ebenso ohne nähere Begründung Söfker/Hellriegel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2023, § 34 Rn. 83b; Spieß, in: Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 10. Aufl. 2022, § 34 Rn. 86) ist § 34 Abs. 3 BauGB nicht nur auf Vorhaben anzuwenden, die nach Absatz 1 oder 2 zulässig sind. Dagegen spricht schon der Wortlaut der Regelung, die ohne entsprechenden Zusatz allgemein und umfassend auf Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 - d. h. im unbeplanten Innenbereich gelegene Vorhaben - abstellt.
39Eine Beschränkung auf Vorhaben, die sich nach Maßgabe von § 34 Abs. 1 oder 2 BauGB einfügen, ergibt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der Vorschrift. Nach der Gesetzesbegründung soll § 34 Abs. 3 BauGB als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung die nachteiligen Auswirkungen (Fernwirkungen) auf zentrale Versorgungsbereiche in der Standortgemeinde oder anderen Gemeinden verhindern, die von den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 34 Abs. 1 BauGB nicht erfasst werden (vgl. BT-Drs. 12/2250 S. 33 und 54). Diese Zielsetzung erstreckt sich auch auf Fälle, in denen die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht vorliegen. Der Gesetzgeber mag zwar in erster Linie zulässige Vorhaben vor Augen gehabt haben; dies zwingt aber nicht zu dem Schluss, dass er insoweit eine im Anwendungsbereich beschränkte Regelung treffen wollte. Er hat systematisch klar zwischen den Regelungen zur Bauleitplanung und zur Vorhabenzulassung getrennt. Das zeigt sich auch darin, dass die den Gemeinden durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen nach § 34 Abs. 3 BauGB entgegen dem Vorschlag der Unabhängigen Expertenkommission nicht wehrfähig sind. Diese Unterscheidung würde konterkariert, wenn - wie die Vorinstanz und die Klägerin meinen - eine Nachbargemeinde Vorhaben, die nach § 34 Abs. 1 oder 2 BauGB unzulässig sind, schon auf einer der Schwelle der schädlichen Auswirkungen nach Absatz 3 vorgelagerten Stufe unter Berufung auf ein Planungsbedürfnis abwehren könnte. Die Zulässigkeitskriterien der Absätze 1 und 2 nehmen - ungeachtet der Frage einer Anwendbarkeit des § 11 Abs. 3 BauNVO im Rahmen von Absatz 2 (vgl. 4 B 3.09 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 34 Rn. 9; offengelassen im Urteil vom - 4 C 7.10 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 212 Rn. 16) - lediglich die nähere Umgebung in den Blick. Liegen sie nicht vor, kann dies ein objektives Planungsbedürfnis begründen. Damit korrespondiert aber kein subjektives Abwehrrecht der Nachbargemeinde, weil es nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers des EAG Bau unverändert an der Zulässigkeitsvoraussetzung eines entsprechenden öffentlichen Belangs in § 34 Abs. 1 BauGB fehlt. Soll sich die Nachbargemeinde nach dem Willen des Gesetzgebers unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 BauGB gegen Vorhaben zur Wehr setzen können, die im Übrigen nach den Absätzen 1 und 2 zulässig sind, so muss dies aber erst recht für danach unzulässige Vorhaben gelten.
40dd) Ein auf § 2 Abs. 2 BauGB gestütztes Abwehrrecht der Nachbargemeinde kommt auch dann nicht in Betracht, wenn - wie hier - der ein Vorhaben im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO zulassende Bebauungsplan unwirksam ist und die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit sich - wegen des Zurückfallens auf einen früheren Bebauungsplan - nach § 30 Abs. 1 BauGB richtet. Dieser Zulassungstatbestand bietet keinen Anknüpfungspunkt für die Berücksichtigung eines durch § 2 Abs. 2 BauGB indizierten Planungsbedürfnisses. Aus dem Beschluss des Senats vom - 4 B 25.09 - (BauR 2010, 742 Rn. 10 f.) folgt nichts Anderes. Dort wird zwar angenommen, die im Urteil vom - 4 C 5.01 - (BVerwGE 117, 25) zu einem Außenbereichsvorhaben entwickelten Grundsätze könnten auch dann herangezogen werden, wenn in einem Bebauungsplan nach § 30 Abs. 1 BauGB etwas anderes als das abstimmungsbedürftige Vorhaben geplant worden ist. Wie und auf der Grundlage welcher Vorschrift der angenommene Gleichauf der Zulassungstatbestände des § 30 und des § 35 BauGB herbeigeführt werden kann, zeigt der Beschluss aber nicht auf.
41c) Beurteilt sich die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens nach einem früheren Bebauungsplan (§ 30 BauGB), folgt ein Abwehrrecht aber aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, dessen Inhalt sich nach dem Maßstab des § 34 Abs. 3 BauGB bestimmt.
42aa) Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie umfasst u. a. das Recht, im Wege der Bauleitplanung für das Gemeindegebiet die Bodennutzung festzulegen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 584/76 - BVerfGE 56, 298 <312> und vom - 2 BvR 826/83 - BVerfGE 76, 107 <117>; 4 C 40.86 - BVerwGE 81, 95 <291> und vom - 4 C 36.86 - BVerwGE 84, 209 <106 f.>). Die Gemeinde kann davon aber nur im Rahmen der Gesetze Gebrauch machen ( 4 C 13.99 - BVerwGE 112, 274 <214 f.>). Überdies schließt die gemeindliche Planungshoheit das Recht ein, sich gegen solche Planungen anderer Stellen zur Wehr zu setzen, die die eigene Planungshoheit rechtswidrig verletzen ( 4 C 36.86 - BVerwGE 84, 209 <215 m. w. N.>). Soweit der Gesetzgeber den Rechtsschutz der Nachbargemeinde einfachgesetzlich in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ausgestaltet hat, kommt ein Drittschutz unmittelbar aus dieser Norm mithin selbst dann nicht in Betracht, wenn das Vorhaben am Maßstab der §§ 29 ff. BauGB (objektiv) rechtswidrig ist. Einfachgesetzlich ausgestaltet ist der Rechtsschutz der Nachbargemeinde - soweit hier von Interesse - für den Bereich der Bauleitplanung in § 2 Abs. 2 BauGB und hinsichtlich der Vorhabenzulassung in § 34 Abs. 3, § 35 Abs. 2 und 3 BauGB. Es ist nicht ersichtlich, dass sich diese Regelungen als insoweit abschließend verstehen und Rechtsschutz im beplanten Bereich ausschließen sollen. Eine solche Annahme verbietet sich schon deswegen, weil auch im beplanten Bereich Fallkonstellationen nicht ausgeschlossen sind, in denen vom Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG erfasste Rechtspositionen der Nachbargemeinde betroffen sind, die auch im Wege der Abwägung nicht überwunden werden können. Im Übrigen spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber des EAG Bau auch die Fälle vor Augen hatte, in denen die Unwirksamkeit des das Vorhaben zulassenden Bebauungsplans nicht auf § 34 oder § 35 BauGB führt, sondern - eher zufällig - ein früherer Bebauungsplan maßgeblich wird.
43bb) Die für einen hiernach gebotenen Abwehranspruch maßgebliche Schwelle ist nicht in Anlehnung an § 35 Abs. 2 und 3 BauGB, sondern an den Maßstab des § 34 Abs. 3 BauGB zu bestimmen. Der beplante Innenbereich steht nach der Systematik der §§ 30 ff. BauGB dem unbeplanten Innenbereich näher als dem Außenbereich. Das zeigen schon die Zulassungstatbestände der §§ 34, 35 BauGB. Während der Außenbereich grundsätzlich von Bebauung freizuhalten und privilegierten Vorhaben vorbehalten ist, vollzieht sich die eigentliche Siedlungstätigkeit in Bebauungsplangebieten oder im unbeplanten Innenbereich, die hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 BauGB normativ gleichgestellt sind (vgl. 4 B 3.09 - Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 34 Rn. 9). Dieser Unterschied rechtfertigt es, bei einem Außenbereichsvorhaben nach § 11 Abs. 3 BauNVO auf die niedrigere Schwelle der "unmittelbaren Auswirkungen gewichtiger Art" abzustellen.
44cc) Nach dem Maßstab des § 34 Abs. 3 BauGB kann das Urteil der Vorinstanz keinen Bestand haben. Von dem Sportfachmarkt sind keine schädlichen Auswirkungen auf die zentralen Versorgungsbereiche der Klägerin zu erwarten.
45Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche sind nicht erst dann schädlich, wenn sie die Schwelle zur Unzumutbarkeit überschreiten. § 34 Abs. 3 BauGB kann seinen Anspruch, zentrale Versorgungsbereiche vor den unerwünschten Fernwirkungen zu schützen, die insbesondere von großflächigen Einzelhandelsbetrieben ausgehen, adäquat nur erfüllen, wenn er den Schutz graduell vor der Stufe der Abwägungsresistenz einsetzen lässt ( 4 C 7.07 - BVerwGE 129, 307 Rn. 15). § 34 Abs. 3 BauGB setzt danach nicht voraus, dass das Vorhaben die ökonomischen Bedingungen im fraglichen Bereich so nachhaltig beeinflusst, dass der Verlust der städtebaulichen Funktion als zentraler Versorgungsbereich zu erwarten ist. Vielmehr lässt ein Vorhaben schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche jedenfalls dann erwarten, wenn es deren Funktionsfähigkeit so nachhaltig stört, dass sie ihren Versorgungsauftrag generell oder hinsichtlich einzelner Branchen nicht mehr substantiell wahrnehmen können ( 4 C 2.08 - BVerwGE 136, 10 Rn. 11 m. w. N.). Dass solche Auswirkungen möglich erscheinen, reicht nicht. Vielmehr muss eine hinreichend gesicherte Tatsachenbasis bestehen, mit der sich die Erwartung schädlicher Auswirkungen begründen lässt; ein Rückgriff auf § 11 Abs. 3 BauNVO scheidet aus (a. a. O. Rn. 12 f.).
46Diese Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht in seinem rechtskräftigen Normenkontrollurteil vom (1 KN 63/20) bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das raumordnungsrechtliche Beeinträchtigungsverbot (Plansatz Nr. 2.3 (08) LROP 2017) zugrunde gelegt (UA S. 16 ff.). Daran gemessen hat es eine wesentliche Beeinträchtigung des zentralen Versorgungsbereichs Innenstadt der Klägerin oder ihrer Funktion als Zentraler Ort und damit ausgeglichener Versorgungsstrukturen insgesamt verneint (UA S. 17 ff.). Hierauf hat das Oberverwaltungsgericht im angegriffenen Urteil (UA S. 9, 17) ausdrücklich verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO). Die Beklagte und die Beigeladene haben diese Feststellungen zum Gegenstand ihrer Revisionsbegründungen gemacht, die Klägerin ist dem nicht entgegengetreten. Der Senat kann sie folglich seiner Entscheidung zugrunde legen. Die Baugenehmigung verletzt die Klägerin mangels schädlicher Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche mithin nicht in eigenen Rechten.
47Das angegriffene Urteil war daher aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückzuweisen.
48Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:240424U4C1.23.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 39
QAAAJ-73327