BGH Beschluss v. - 6 StR 93/24

Strafprozessrecht: Versendung eines qualifiziert signierten elektronischen Dokuments über das elektronische Anwaltspostfach eines anderen Anwalts

Gesetze: § 32a Abs 3 Alt 1 StPO, § 32a Abs 3 Alt 2 StPO, § 32d S 2 StPO, § 31a BRAO

Instanzenzug: LG Aschaffenburg Az: Ks 104 Js 5594/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln und wegen Verabreichens von Betäubungsmitteln mit Todesfolge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist zwar entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts zulässig erhoben, erweist sich aber – wie vom Generalbundesanwalt hilfsweise beantragt – als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Der als Pflichtverteidiger beigeordnete Rechtsanwalt M.   legte mit einem von ihm qualifiziert elektronisch signierten und über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) versandten Schriftsatz vom fristgemäß Revision ein und begründete diese ebenfalls fristgemäß mit einem von ihm qualifiziert elektronisch signierten Schriftsatz vom . Diesen versandte er jedoch nicht über sein besonderes elektronische Anwaltspostfach, sondern über dasjenige seines Kanzleikollegen Rechtsanwalt F.    .

32. Die Revisionsbegründungsschrift genügt den formalen Anforderungen nach § 345 Abs. 2 i.V.m. § 32d Satz 2, § 32a Abs. 3 und 4 Satz 1 Nr. 2 StPO.

4a) Zwar muss bei einer Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach gemäß § 32a Abs. 3 Var. 2 StPO i.V.m. § 31a BRAO das Dokument grundsätzlich über das Postfach desjenigen Rechtsanwalts übertragen werden, dessen Name als einfache Signatur in der Schrift als verantwortende Person aufgeführt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 111/24; vom – 3 StR 292/23, NStZ-RR 2024, 25; vom – 6 StR 466/22, JR 2023, 379). Zudem muss der Rechtsanwalt, der den Schriftsatz zu verantworten hat, die Einreichung des Schriftsatzes selbst vornehmen und somit der tatsächliche Versender sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 135/24, Rn. 3; vom – 3 StR 292/23, Rn. 2, NJW 2024, 371; vom – 2 StR 39/23, Rn. 9, NStZ 2024, 124; vom – 3 StR 89/22, Rn. 11; ); dementsprechend darf nach § 23 Abs. 3 Satz 5 der Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer (RAVPV) das Recht, nicht-qualifiziert elektronisch signierte Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg zu versenden, nicht auf andere Personen übertragen werden. Denn das Vertrauen in die Authentizität der mit einfacher Signatur übermittelten elektronischen Dokumente stützt sich auf die Erwartung, dass dieser sichere elektronische Übermittlungsweg ausschließlich von dem Inhaber des Anwaltspostfachs selbst genutzt wird und die das Dokument einfach signierende Person mit der des Versenders übereinstimmt (vgl. , Rn. 9, aaO).

5b) Eine solche Kongruenz von Versender und Urheber des elektronischen Dokuments ist aber nicht erforderlich, wenn der Schriftsatz – wie hier – nach § 32a Abs. 3 Var. 1 StPO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des verantwortenden Rechtsanwalts versehen und das elektronische Anwaltspostfach eines anderen Anwalts gleichsam nur zur technischen Übermittlung genutzt wird.

6aa) Denn anders als bei einem elektronischen Dokument, das nur eine einfache Signatur – d.h. die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes (vgl. , NJW 2022, 3512) – enthält, bestehen bei einem qualifiziert elektronisch signierten Schriftsatz auch dann keine Zweifel an der Identität des Urhebers, wenn die Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach eines anderen Rechtsanwalts erfolgt (vgl. 1 B 60.22, Rn. 5; Rn.9; Müller NZA 2019, 1682). Der Nachweis der Urheberschaft und des Willens des Verfassers, das übersandte Dokumente in den Rechtsverkehr zu bringen, ist bei der Übermittlung eines mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Dokuments bereits erfüllt, wenn das elektronische Legitimationsverfahren mit der Signatur abgeschlossen wurde. Deshalb darf die Versendung eines qualifiziert signierten elektronischen Dokuments, soweit die Signatur von dem verantwortlichen Rechtsanwalt selbst vorgenommen wurde, grundsätzlich durch jede beliebige Person vorgenommen werden (vgl. , Rn. 17; Müller, aaO; Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 130a ZPO Rn. 157).

7bb) Außerdem erfüllt die qualifizierte elektronische Signatur technisch besonders hohe Sicherheitsanforderungen (vgl. , BGHZ 184, 75, 84, Rn. 24) und hat die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift, indem sie die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Verfahrenshandlung gewährleistet und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringt, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – V ZB 28/22, NJW 2023, 1587; vom – XII ZB 215/22, NJW 2022, 3512 Rn. 11; vom – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 10).

8cc) Ausweislich der Begründung des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten (BT-Drucks. 17/12634, S. 25), wollte der Gesetzgeber ausdrücklich zwei unterschiedliche Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten schaffen. So genügt zur Wahrung des Schriftformerfordernisses entweder die Verwendung einer qualifiziert elektronischen Signatur oder die Wahl eines sicheren Übermittlungsweges (vgl. , Rn. 9, NJW 2024, 1660). Systematisch hat sich der Gesetzgeber in sämtlichen Prozessordnungen für einen Gleichrang beider Übermittlungsformen entschieden (vgl. § 32a Abs. 3 StPO; § 130a Abs. 3 ZPO; § 55a Abs. 3 VwGO; § 65a Abs. 3 SGG). § 4 Abs. 1 Nr. 1 ERVV, der die Übermittlung von qualifiziert elektronisch signierten Dokumenten regelt und auf den „sicheren Übermittlungsweg“ Bezug nimmt, rechtfertigt nach einer rangkonformen Auslegung keine andere Beurteilung. Auch der Verordnungsgeber wollte zudem die qualifizierte elektronische Signatur bewusst als eine Alternative zu der Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg bestehen lassen (BR-Drucksache 645/17, S. 14).

93. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:290524B6STR93.24.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-73151