BGH Beschluss v. - 4 StR 64/24

Instanzenzug: LG Bochum Az: 7 Ks 11/23 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „fahrlässiger Tötung in Tat-einheit mit fahrlässigem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, wobei fahrlässig Leib und Leben eines anderen Menschen gefährdet wurde, in einem Fall, in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässigem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, wobei fahrlässig Leib und Leben eines anderen Menschen gefährdet wurde, in einem weiteren Fall, in Tateinheit mit fahrlässigem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, wobei fahrlässig eine fremde Sache von bedeutendem Wert gefährdet wurde, in einem weiteren Fall“ zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die mit den Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts geführte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Insbesondere genügen die Rügen, mit denen die Revision die Verletzung von § 257 Abs. 1 StPO geltend macht und die allein zusätzlicher Erörterung bedürfen, den Vortragserfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht. Sie sind folglich unzulässig.

3Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob die Verletzung von § 257 Abs. 1 StPO jedenfalls bei einem verteidigten Angeklagten lediglich dann in der Revision geltend gemacht werden kann, wenn – woran es hier fehlt – in der tatrichterlichen Hauptverhandlung Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO gestellt worden war (vgl. ; offen Rn. 21). Denn um den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu genügen, bedarf es jedenfalls auch eines Vortrags dazu, welche Äußerungsmöglichkeiten mit welchen Inhalten dem Angeklagten verloren gegangen sind und aus welchen Gründen er durch den Verstoß gegen § 257 Abs. 1 StPO in seinen Verteidigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichenden rechtlichen Gehörs unzulässig beschränkt worden ist (vgl. Rn. 20 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 257 Rn. 9). Dem genügt die Revision nicht, denn sie trägt keine unterbliebenen konkreten Erklärungen nach § 257 Abs. 1 StPO vor. Vielmehr hebt sie darauf ab, dass der Angeklagte jede Beweiserhebung genutzt hätte, um (insbesondere) die „Erstaunlichkeit der Luftdruckverhältnisse“ zu klären, er weitere Einzelheiten von Zeugen und Sachverständigen erfragt und die Umstände mit ihnen und dem Gericht „erörtert“ hätte. Damit vermengt die Revision auch in unzulässiger Weise die Befragung gemäß § 257 Abs. 1 StPO nach der Beweiserhebung mit dem Fragerecht des Angeklagten während der Vernehmung einer Auskunftsperson. Die Revision hält zwar zugleich § 240 Abs. 2 Satz 1 StPO für verletzt, legt aber auch dies nicht dar. Denn die Revisionsbegründung enthält keine Ausführungen dazu, dass dem Angeklagten die verlangte Befragung einer Auskunftsperson im Rahmen von deren Vernehmung verwehrt worden wäre.

4Vor diesem Hintergrund wäre auch das Beruhen des Urteils auf einer Verletzung von § 257 Abs. 1 StPO auszuschließen. Zu der Gegenerklärung vom ist zu bemerken, dass dem Senat wie ersichtlich schon dem Generalbundesanwalt kein anderes Hauptverhandlungsprotokoll als der Verteidigung vorliegt.

II.

51. Die Nachprüfung des Schuldspruchs auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

6Der Senat hat lediglich auf Anregung des Generalbundesanwalts den Schuldspruch klargestellt. Das Landgericht wollte mit seiner Tenorierung zum Ausdruck bringen, dass es durch die vom Angeklagten verursachte Gasexplosion den Tatbestand des § 308 Abs. 1 und 6 StGB in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen als verwirklicht angesehen hat. Gegen diese Rechtsansicht ist nichts zu erinnern. Es liegt nicht etwa nur eine Tat vor (vgl. zur Abgrenzung Rn. 23 mwN). Denn § 308 Abs. 1 StGB stellt zwar als „gemeingefährliche Straftat“ auf die Verletzung von Gesamtheiten ab, schützt aber mit dem Leib und Leben anderer Menschen zugleich höchstpersönliche Rechtsgüter. Dabei dient die Norm auch nicht in erster Linie dem Schutz eines anderen Rechtsguts, wie dies im Rahmen von §§ 315b, 315c StGB mit der Sicherheit des Straßenverkehrs der Fall ist (vgl. insoweit Rn. 5; Urteil vom – 4 StR 335/88 Rn. 13). Aus diesen Gründen liegen über das eingestürzte Haus von bedeutendem Wert hinaus im Hinblick auf die getötete und auf die verletzte Person zwei weitere Fälle des § 308 Abs. 1 und 6 StGB vor. Die drei Fälle stehen wegen der identischen Tathandlungen des Angeklagten in gleichartiger Idealkonkurrenz (§ 52 StGB; vgl. auch zu § 306c StGB). Demgemäß hat der Senat den Schuldspruch neu gefasst.

72. Der Strafausspruch hat hingegen – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabes (vgl. hierzu nur Rn. 12 mwN) – keinen Bestand.

8a) Den mildernden Umstand, dass der Angeklagte unbestraft ist, hat die Strafkammer rechtsfehlerhaft nicht mit dem ihm nach den Urteilsgründen gebührenden Gewicht bei der Strafzumessung berücksichtigt. Zwar hat sie diesen Umstand nicht aus dem Blick verloren, ihm aber „nur geringes Gewicht“ zugemessen. Bei der Unbestraftheit des Angeklagten handelt es sich jedoch um einen gewichtigen Strafzumessungsgrund, dessen Berücksichtigung es regelmäßig bedarf (vgl. Rn. 8; Beschluss vom – 4 StR 133/23 Rn. 5 mwN). Dies ist nur unzureichend zugunsten des Angeklagten geschehen. Den weiter herangezogenen Milderungsgründen seiner „freimütigen“ Einlassung und aufrichtigen Reue hat das Landgericht ein „gewisses“ sowie „erhebliches“ Gewicht beigemessen. Die daraus hervorgehende Abstufung zeigt, dass die Unbestraftheit des Angeklagten für die Strafkammer kaum Bedeutung hatte. Besondere Umstände, die eine solche Bewertung hier rechtfertigen könnten, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Daher hat die Strafkammer diesem Strafmilderungsgrund rechtsfehlerhaft ein nicht nachvollziehbar niedriges Gewicht beigemessen.

9b) Darüber hinaus hat das Landgericht dem Angeklagten mit „hohem Gewicht“ angelastet, zwei als grob zu bewertende Pflichtverstöße begangen zu haben. Diese Erwägung ist zwar nicht grundsätzlich zu beanstanden. Das Landgericht hat aber bei seiner identischen Bewertung der Pflichtverstöße rechtsfehlerhaft nicht erörtert, ob die unterbliebene sofortige Information des Netzbetreibers über den entstandenen Verdacht eines Gaslecks, den der Angeklagte nach olfaktorischen und akustischen Prüfungen nicht bestätigt fand, aufgrund des Unterlassungscharakters dieser Sorgfaltswidrigkeit weniger gewichtig sein könnte.

10Aufgrund des ersten Pflichtverstoßes des Angeklagten, der mit dem Durchbohren der sorgfaltswidrig nicht freigelegten Gasleitung in einem aktiven Tun bestand (vgl. zur Abgrenzung nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit auch bei Fahrlässigkeitsdelikten Rn. 14 ff.), schied zwar eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 13 Abs. 2 StGB aus. Die mit dieser Norm verbundene gesetzliche Wertung (vgl. Freund in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 13 Rn. 295 mwN) hätte die Strafkammer aber im vorliegenden Fall bei der Gewichtung der weiteren Sorgfaltswidrigkeit, die als solche in einem Unterlassen liegt und infolge des aktiven Pflichtverstoßes den Schaden mitverursacht hat, zu berücksichtigen gehabt. Auch bei einem Fahrlässigkeitsvorwurf kann ein Unterlassen weniger schwer wiegen als aktives Tun (vgl. dazu Rn. 50; Beschluss vom – 1 StR 390/99 Rn. 3; Beschluss vom – 5 StR 652/91 Rn. 5; Weigend in LK-StGB, 13. Aufl., § 13 Rn. 101 mwN). Dies hätte hier vor der erfolgten Heranziehung als weiterer Pflichtverstoß vom selben Gewicht zunächst der tatrichterlichen Bewertung bedurft, die den Urteilsgründen nicht zu entnehmen ist. Vielmehr hat die Strafkammer in der unterbliebenen sofortigen Einschaltung des Netzbetreibers eine ebenso grobe Sorgfaltswidrigkeit wie im Durchbohren der Gasleitung gesehen, ohne den Unterlassungsaspekt bei dem hinzutretenden Pflichtverstoß erkennbar zu bedenken.

11c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne die aufgezeigten Rechtsfehler eine mildere Strafe verhängt hätte (§ 337 StPO). Dies bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO), denn es liegen reine Wertungsfehler vor.

III.

12Dem mit der Gegenerklärung des Verteidigers vom geäußerten Begehren, die Revision nicht ohne „Hörung entsprechend § 349 Abs. 5 StPO“ zu verwerfen, war nicht nachzukommen, auch wenn das Rechtsmittel keinen vollen Erfolg hat. Einen Anspruch auf die Durchführung einer Hauptverhandlung im Revisionsverfahren hat der Angeklagte nicht, wenn sein Rechtsmittel – wie hier – auf Antrag des Generalbundesanwalts (teilweise) nach § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss als offensichtlich unbegründet verworfen werden kann. Ein solcher Anspruch folgt weder aus Art. 103 Abs. 1 GG noch aus Art. 6 EMRK (vgl. BVerfG, NJW 2014, 2563; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 349 Rn. 15; jeweils mwN). Im vorliegenden Fall sind darüber hinaus keine besonderen Umstände dargetan oder sonst ersichtlich, die für eine Entscheidung durch Urteil gemäß § 349 Abs. 5 StPO sprechen könnten (vgl. hierzu , BGHSt 38, 177, 178 f.; Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 349 Rn. 6, 7).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:030724B4STR64.24.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-72930