BGH Beschluss v. - XIII ZB 36/21

Instanzenzug: LG Ingolstadt Az: 24 T 714/21vorgehend AG Ingolstadt Az: 4 XIV 70/21

Gründe

1I. Der Betroffene ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am aus Österreich in die Bundesrepublik ein, ohne über die erforderlichen Einreise- oder Aufenthaltsdokumente zu verfügen, und wurde an diesem Tag anlässlich einer grenzpolizeilichen Kontrolle aufgegriffen. Gegen den Betroffenen bestand ein Einreiseverbot bis .

2Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht durch einstweilige Anordnung vom die vorläufige Freiheitsentziehung des Betroffenen bis einschließlich an. Den Aufgriff des Betroffenen meldete die beteiligte Behörde dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan: Bundesamt) - nach einem Aktenvermerk "aufgrund einer Namensgleichheit mit einer bereits angelegten Person" - erst am . Auf Bitten des Bundesamts um Übernahme des Betroffenen erklärte Österreich mit Schreiben vom seine Zuständigkeit.

3Auf weiteren Antrag der beteiligten Behörde vom hat das Haft zur Sicherung der Überstellung des Betroffenen bis zum angeordnet. Die hiergegen zuletzt auf die Feststellung der Rechtsverletzung gerichtete Beschwerde des Betroffenen, der am nach Österreich überstellt wurde, ist vor dem Landgericht ohne Erfolg geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

4II. Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Feststellung der Rechtsverletzung des Betroffenen durch die angeordnete Haft.

51. Das Beschwerdegericht hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Bedeutung - ausgeführt, die Voraussetzungen für die Haftanordnung hätten vorgelegen. Der Haftantrag sei zulässig und ausreichend begründet gewesen, insbesondere enthalte er eine in einzelne zeitliche Abschnitte gegliederte nachvollziehbare zeitliche Darstellung der Haftdauer. Die Gesamtdauer des Verfahrens sei mit acht Wochen schlüssig und nachvollziehbar vorgetragen. Danach seien die bisherigen drei Wochen Haftdauer benötigt worden für die Bearbeitungszeit bei der Bundespolizei und beim Bundesamt zwischen Aufgriff und Eingang des Wiederaufnahmegesuchs beim zuständigen Mitgliedstaat sowie die zweiwöchige Antwortfrist von Österreich. Das Beschleunigungsgebot sei trotz der wegen einer Namensverwechslung verzögerten Meldung an das Bundesamt nicht verletzt worden. Die Frist der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (fortan: Dublin-III-VO) habe dennoch eingehalten werden können, da Österreich bereits nach drei Tagen auf das Wiederaufnahmegesuch reagiert habe. Es stehe gerade nicht fest, dass dies auch der Fall gewesen wäre, wenn die Meldung an das Bundesamt nicht verzögert erfolgt wäre.

62. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts erweist sich die Haftanordnung im Ergebnis als unverhältnismäßig, weil das Verfahren nicht mit der größtmöglichen Beschleunigung betrieben wurde.

7a) Von Rechts wegen nicht zu beanstanden sind die Ausführungen zu dem Vorliegen eines zulässigen Haftantrages gemäß § 417 Abs. 2 FamFG. Insoweit erhebt der Betroffene auch keine Einwendungen.

8b) Mit Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde aber einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot, weil das Aufgreifen des Betroffenen am dem Bundesamt erst am gemeldet wurde.

9aa) Das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 GG sowie Art. 5 Abs. 4, Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 247/10, juris Rn. 6; vom - XIII ZB 9/19, juris Rn. 11) und zusätzlich in Art. 28 Abs. 3 Dublin-III-VO geregelte Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen ist schon während des Laufs der Dreimonatsfrist des § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zu beachten. Es schließt zwar einen organisatorischen Spielraum der Behörde nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 68/21, juris Rn. 11; vom - XIII ZA 1/24, juris Rn. 15), verlangt aber, dass die beteiligte Behörde die Abschiebung oder Überstellung ohne vermeidbare Verzögerung betreibt und alle notwendigen Anstrengungen unternimmt, damit der Vollzug der Haft auf einen möglichst kurzen Zeitraum beschränkt werden kann. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weiter aufrechterhalten werden darf (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 205/09, juris Rn. 16; vom - V ZB 119/10, juris Rn. 18; vom - V ZB 25/13, juris Rn. 6; vom - V ZB 28/18, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 9/19, juris Rn. 12; vom - XIII ZB 32/22, juris Rn. 9). Hinsichtlich des Gebots, die Abschiebung des Betroffenen mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben, sind auch die vor der Haftanordnung liegenden - etwa aufgrund einer einstweiligen Anordnung vollzogenen - Zeiten relevant (vgl. , juris Rn. 21 mwN; vgl. aber bei zwischenzeitlicher Entlassung des Betroffenen aus der Haft , juris Rn. 9 f.).

10bb) Danach kam es im vorliegenden Fall während der zu berücksichtigenden, mit Beschluss vom angeordneten vorläufigen Freiheitsentziehung wegen der erst nach zwölf Tagen erfolgten Meldung an das Bundesamt zu einem Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot, der zur Rechtswidrigkeit der Haft führte. In der Folge hätte die Haft auch nicht durch die angegriffene Anordnung vom unmittelbar fortgesetzt werden dürfen.

11(1) Entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts liegt ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vor, obgleich die Fristen aus Art. 28 Abs. 3 Unterabsatz 1 und 2 Dublin-III-VO trotz der erst am erfolgten Stellung des Wiederaufnahmegesuchs durch das Bundesamt und der Aufnahmeerklärung durch Österreich am gewahrt werden konnten. Insoweit handelt es sich um Höchstfristen (vgl. , juris Rn. 16). Sie entbinden die Behörden im Einzelfall nicht von der Pflicht, die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken und hierfür alle notwendigen Anstrengungen zu unternehmen.

12(2) Soweit das Beschwerdegericht seiner Beurteilung ferner die Möglichkeit zugrunde legt, dass die Verzögerung der Meldung sich wegen der (schnellen) Bearbeitung durch die österreichischen Behörden binnen drei Tagen nicht ausgewirkt hat, kann dahinstehen, ob die Behörde einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot dadurch beseitigen kann, dass sie oder eine andere Behörde die Bearbeitung sodann zum Ausgleich der eingetretenen Verzögerung in besonderer Weise beschleunigt. Denn dass dies hier der Fall war, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. Entsprechendes ist auch weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

13(3) Schließlich genügt die Angabe der beteiligten Behörde, ursächlich für die verzögerte Meldung an das Bundesamt sei die Verwechslung mit einer namensgleichen Person gewesen, nicht für die Annahme einer noch verhältnismäßigen Haft. Zwar ist das Beschleunigungsgebot nicht schon verletzt, wenn einer der erforderlichen Bearbeitungsschritte nicht sofort erfolgt. Vielmehr reicht es im Hinblick auf den der Behörde zustehenden organisatorischen Spielraum aus, wenn die Vorbereitung der Abschiebung so vorangetrieben wird, dass es nicht zu unnötigen Verzögerungen kommt (vgl. , juris Rn. 14). So liegt es hier aber nicht. Wie sich aus dem Antrag auf Anordnung der vorläufigen Freiheitsentziehung an das Amtsgericht Passau vom ergibt, hatte die beteiligte Behörde nach ihren eigenen Angaben aufgrund des Treffers in der EURODAC-Datenbank und der mitgeführten Dokumente Anhaltspunkte, die auf die Zuständigkeit Österreichs schließen ließen. Sie strebte deshalb von Beginn an in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt die Zurückschiebung nach Österreich an. Die erst nach zwölf Tagen erfolgte Meldung an das Bundesamt ist daher eine unnötige Verzögerung; sie bewegte sich nicht mehr im Rahmen des der Behörde zustehenden organisatorischen Spielraums.

143. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110624BXIIIZB36.21.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-72597