BGH Beschluss v. - XIII ZB 32/22

Instanzenzug: Az: 53 T 2/22vorgehend Az: 38 XIV 35/21

Gründe

1I. Der Betroffene, ein senegalesischer Staatsangehöriger, reiste 1998 nach Deutschland ein. Ihm wurden zunächst befristete Aufenthaltstitel erteilt. Der Betroffene wurde wiederholt straffällig. Mit bestandskräftigem Bescheid vom lehnte die beteiligte Behörde die Anträge des Betroffenen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und auf Verlängerung der bestehenden Aufenthaltserlaubnis ab und drohte ihm die Abschiebung an.

2In der Zeit vom 12. September bis zum befand sich der Betroffene in Abschiebungshaft. Die für den geplante Abschiebung musste abgebrochen werden, da der Betroffene nicht rechtzeitig zum Flughafen gebracht wurde. Der Betroffene wurde aus der Haft entlassen.

3Auf Antrag der Beteiligten ordnete das Amtsgericht am nach Anhörung des Betroffenen im Wege der einstweiligen Anordnung erneut Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum an. Am hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen im Beisein seines Verfahrensbevollmächtigten Abschiebungshaft bis zum angeordnet. Nach der am erfolgten Abschiebung des Betroffenen hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom die gegen den Beschluss vom eingelegte, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

4II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

51. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung des Amtsgerichts sei rechtmäßig. Fluchtgefahr liege vor. Der Betroffene habe bei abgelaufener Ausreisefrist trotz Hinweises wiederholt den Aufenthaltsort gewechselt, ohne der Behörde eine Anschrift anzugeben. Er sei ferner wegen vorsätzlicher Straftaten zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Aus seinem Verhalten ergäben sich Hinweise darauf, dass von ihm eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgehe, denn gegen ihn seien mehrere Ermittlungsverfahren wegen Rohheitsdelikten sowie Bedrohung anhängig. Auch nach seiner Entlassung aus der Abschiebehaft am seien bereits weitere Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Die Haftanordnung sei nicht deshalb unzulässig, weil die Abschiebung am gescheitert sei. Dass die erneute Inhaftierung nicht erforderlich geworden wäre, wenn diese Abschiebung hätte vollzogen werden können, sei zwar bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung in besonderem Maße zu berücksichtigen. Die angeordnete Haft von nur wenigen Tagen sei aber nicht zu beanstanden und stelle das zwingend zur Sicherung einer Abschiebung erforderliche Minimum dar.

62. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

7a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht nach den dafür geltenden Maßstäben (vgl. nur , InfAuslR 2020, 283 Rn. 7 mwN) von der Zulässigkeit des Haftantrags ausgegangen. Im Haftantrag wird hinsichtlich der zahlreichen gegen den Betroffenen geführten Ermittlungsverfahren auf das Vorliegen des gemäß § 72 Abs. 4 AufenthG erforderlichen staatsanwaltschaftlichen Einvernehmens verwiesen.

8b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die am gescheiterte Abschiebung kein Hindernis für die erneute Anordnung von Abschiebungshaft begründete.

9aa) Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen verlangt, dass die Behörde die Abschiebung oder Überstellung ohne vermeidbare Verzögerung betreibt und die Dauer der Sicherungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird (, juris Rn. 18 mwN). Versäumnisse anderer am Verfahren beteiligter Behörden sind der die Abschiebung betreibenden Behörde zuzurechnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 65/19, InfAuslR 2020, 385 Rn. 15; vom - XIII ZB 21/20, juris Rn. 19). Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weiter aufrechterhalten werden darf (, juris Rn. 11 mwN).

10bb) Das hat die beteiligte Behörde beachtet. Sie hat den Betroffenen sofort aus der Haft entlassen, nachdem die Abschiebung wegen des ihr zuzurechnenden Versäumnisses gescheitert war. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde stand der Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot der Anordnung einer erneuten Abschiebungshaft nicht generell entgegen. Denn dies würde bedeuten, dass die Ausreiseverpflichtung des Betroffenen in diesen Fällen vielfach nicht mehr durchgesetzt werden könnte. Eine solche Folge kann indes weder aus § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG noch aus dem im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wurzelnden Beschleunigungsgebot abgeleitet werden. Auch § 62 Abs. 4a AufenthG ist zu entnehmen, dass das Scheitern einer Abschiebung nicht zwingend zur Freilassung des Betroffenen führt.Hinzu tritt hier, dass gegen den Betroffenen nach den Feststellungen bis zuletzt mehrere Ermittlungsverfahren wegen Rohheitsdelikten, namentlich gefährliche Körperverletzung und räuberischer Diebstahl, sowie wegen Bedrohung anhängig waren und daher Hinweise darauf bestanden, dass von ihm eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter ausging. Zutreffend hat das Beschwerdegericht daher angenommen, dass in einem solchen Fall unter Berücksichtigung der bereits vollzogenen Haft eine besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung stattzufinden hat.

11cc) Nach diesen Maßgaben ist die Würdigung des Beschwerdegerichts, die erneute, insgesamt sechs Tage dauernde Haft sei verhältnismäßig, nicht zu beanstanden. Dabei war hier zu berücksichtigen, dass schon aufgrund des von den senegalesischen Behörden geforderten PCR-Tests und der bestehenden Fluchtgefahr eine vorherige Inhaftnahme erforderlich war, um eine Abschiebung durchführen zu können. Die Dauer der Haft war im Hinblick auf den Zeitbedarf für die Testung, die erforderlichen Anhörungen und Transportzeiten zum Gericht und zum Flughafen nicht zu beanstanden. Sie belief sich zusammen mit der vor der gescheiterten Abschiebung vollzogenen Haft auf vier Wochen und war damit auch insgesamt verhältnismäßig. Insbesondere überschritt sie nicht die zulässige Gesamtdauer der Sicherungshaft (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 46/11, juris Rn. 13 mwN; vom - XIII ZB 10/19, juris Rn. 14).

123. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:210323BXIIIZB32.22.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-39211