Strafzumessung: Verwertungsverbot getilgter Vorstrafen
Gesetze: § 51 Abs 1 BZRG
Instanzenzug: Az: 626 KLs 20/03vorgehend Az: 5 StR 556/02 Urteilvorgehend Az: 6006 Js 322/01
Gründe
1Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat mit Urteil vom (5 StR 556/02) das Urteil des Landgerichts im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die Feststellungen hat der Senat aufrechterhalten. Das neue Tatgericht hat den Angeklagten – er war etwa zwanzig Jahre lang unbekannten Aufenthalts und hatte sich dem Strafverfahren entzogen – nunmehr auf der Grundlage des rechtskräftigen Schuldspruchs mit Urteil vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Die Rüge „formellen Rechts“ ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
32. Soweit das Landgericht sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch durch Bezugnahme bei der Strafzumessung im engeren Sinne strafschärfend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt – wenn auch nicht einschlägig – vorbestraft war und die Warnfunktion der letzten Verurteilung vom ignorierte, erweist sich dies als rechtsfehlerhaft.
4a) Bei Erlass des Urteils vom enthielt der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten drei Eintragungen. Zuletzt war er vom Amtsgericht Darmstadt am zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden, wobei die Bewährungszeit bis zum dauerte. Die Taten (jeweils Handeltreiben mit Heroin) beging er zwischen September und Ende Dezember 2001 (Tat 1) und am (Tat 2). Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem neuen Tatgericht und dem Erlass des Urteils vom enthielt der Bundeszentralregisterauszug nach den Feststellungen keine Eintragungen mehr.
5b) Der strafschärfenden Berücksichtigung von Vorstrafen und der Missachtung der Warnfunktion der letzten Verurteilung vom steht das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG jetzt entgegen, was der Senat auf die Sachrüge hin zu berücksichtigen hat (st. Rspr.; vgl. , BGHSt 25, 100, 101 f.; Beschlüsse vom – 2 StR 207/15, NStZ-RR 2016, 120; vom – 3 StR 382/15, NStZ 2016, 468; vom – 4 StR 453/22 mwN).
6aa) Die Vorschrift des § 51 Abs. 1 BZRG begründet ein umfassendes Verwertungsverbot (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 528/20, NStZ-RR 2021, 187, 188 f.; vom – 3 StR 309/12, NJW 2012, 3591; betreffend die von einer Vorverurteilung ausgehende Warnfunktion: ). Dies hat die Strafkammer nicht beachtet.
7bb) Das Verwertungsverbot durfte nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil die im Ausgangsurteil vom getroffenen Feststellungen mit der Entscheidung des Senats vom bindend geworden sind. Insoweit gilt:
8Hebt das Revisionsgericht ein Urteil auf, haben die Feststellungen aber Bestand, weil diese nicht von dem Rechtsfehler betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO), ist das Tatgericht im weiteren Verfahren an diese Feststellungen gebunden. Es darf sie zwar noch ergänzen; die ergänzenden Feststellungen dürfen den bindend gewordenen jedoch nicht widersprechen. Beweisergebnisse, die im Widerspruch zu bindenden Feststellungen stehen, haben außer Betracht zu bleiben (vgl. zur innerprozessualen Bindungswirkung BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 523/98, BGHR StPO § 358 Abs. 1 Bindungswirkung 1; vom – 5 StR 314/09; Urteile vom – 5 StR 4/21, NStZ 2021, 628 mwN; vom – 4 StR 642/81, BGHSt 30, 340 f.; LR/Franke, 26. Aufl., § 353 Rn. 32 f.).
9Aufgrund der nach dieser Maßgabe bindenden Feststellungen steht fest, dass der Angeklagte im Tatzeitpunkt – wenn auch nicht einschlägig – vorbestraft war, die Taten während des Laufs der Bewährung beging und die Warnfunktion der letzten Verurteilung vom ignorierte. Die ergänzende Feststellung, dass im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des neuen Tatgerichts alle Vorstrafen aus dem Bundeszentralregister getilgt waren, steht dazu nicht in Widerspruch. Sie bezieht sich auf einen späteren Zeitpunkt, mithin eine nach Erlass des Ausgangsurteils eingetretene Veränderung.
10Trifft das neue Tatgericht zulässig solche ergänzenden, den bisherigen nicht widersprechenden Feststellungen, ist es an die sich hieran anknüpfenden Rechtsfolgen, wie hier das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG, gebunden, so dass getilgte Vorstrafen und die von ihnen ausgehende Warnwirkung nicht mehr zum Nachteil des Angeklagten strafschärfend verwertet werden dürfen (vgl. ).
113. Die Strafe kann gleichwohl Bestand haben. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts, zu dem sich der Angeklagte nicht verhalten hat, hält der Senat sowohl die dem Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommenen Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten (Fall 1) und zwei Jahren und sechs Monaten (Fall 2) als auch die hieraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe für angemessen im Sinne von § 354 Abs. 1a StPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:100424B5STR96.24.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-72334