BFH Beschluss v. - XI B 43/23

Zurechnung der Umsätze in einem Bordell; Organschaft

Leitsatz

1. NV: Die Zurechnung von Umsätzen in einem Bordell ist höchstrichterlich geklärt.

2. NV: Macht eine KG geltend, dass sie aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung Organgesellschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sei, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung einen Antrag des Organträgers auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung voraus (Anschluss an , BFHE 280, 89).

Gesetze: UStG § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2; MwStSystRL Art. 9 Abs. 1; MwStSystRL Art. 10; MwStSystRL Art. 11; AO § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3; AO § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Soweit die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) Zulassungsgründe im Sinne des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hinreichend dargelegt hat (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO), liegen diese nicht vor.

2 1. Die Revision ist nicht wegen des Erfordernisses einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen. Eine Divergenz zwischen dem Urteil des Finanzgerichts (FG) und dem (Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2022, 794) besteht nicht.

3 a) Eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen Divergenz setzt voraus, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt. Eine zur Zulassung der Revision führende Nichtübereinstimmung im Rechtsgrundsätzlichen liegt jedoch nicht vor, wenn das FG ausgehend von denselben Rechtsgrundsätzen bei der Würdigung des ihm zur Entscheidung gestellten Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis gelangt (vgl. z.B. , BFH/NV 2024, 394, Rz 9 f., m.w.N.). So verhält es sich hier.

4 b) Entgegen der Auffassung der Klägerin (Ziff. I.5 und 6 des Schriftsatzes vom ) hat der BGH mit seinem Beschluss vom  - 1 StR 475/21 (UR 2022, 794) nicht etwa die einschlägige Rechtsprechung des BFH fortentwickelt (vgl. hierzu § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes). Vielmehr gehen BFH und BGH insoweit nach wie vor von denselben abstrakten Rechtsgrundsätzen aus, die nicht voneinander abweichen (vgl. , BFH/NV 2024, 394, Rz 13).

5 aa) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen (vgl. , UR 2022, 794, Rz 12 f.) hat der BGH entschieden, dass die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts dessen Schluss nicht tragen, die von den Prostituierten im Bordell erbrachten sexuellen Leistungen seien Teil des von den Bordellbetreibern angebotenen Gesamtpakets gewesen. In seiner Begründung stellt der BGH wesentlich auf das Auftreten der Bordellbetreiber gegenüber den Bordellbesuchern, von denen lediglich ein pauschales Eintrittsgeld gefordert wurde, sowie auf die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Prostituierten und den Bordellbetreibern ab (Rz 16 ff.), die keine Beteiligung an den Prostitutionsumsätzen enthielten.

6 bb) Das FG ist von denselben Rechtsgrundsätzen ausgegangen (unter II.1. der Entscheidungsgründe). Es hat nach Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalls erkannt, dass die Klägerin hinsichtlich der Prostitutionsumsätze als leistender Unternehmer aufgetreten ist, und hat dies eingehend begründet (unter II.2. und 3. der Entscheidungsgründe, S. 48 bis 55). Insbesondere hat das FG darauf abgestellt, dass die Klägerin eine Angebots- und Preisliste für sexuelle Dienstleistungen festgelegt und im Internet veröffentlicht hat (FG-Urteil S. 9); selbst wenn es sich dabei nur um „Richtpreise“ gehandelt haben sollte, habe diese Preisliste für den Kunden eine Erwartungshaltung hervorgerufen, zu diesen Preisen die beschriebenen Leistungen zu erhalten, während die Prostituierten einem Erwartungsdruck ausgesetzt gewesen seien, ihre Dienste zu den genannten Preisen anzubieten. Auch hinsichtlich der vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Prostituierten und der Klägerin unterscheidet sich der Streitfall erheblich von dem Sachverhalt, über den der BGH mit der angeblichen Divergenzentscheidung zu befinden hatte. Nach den Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) erhob die Klägerin von den Prostituierten für die gesamte Inanspruchnahme der räumlichen Vorhaltungen, der Infrastruktur und der Nebenleistungen eine variable Vergütung und bot ihnen hierfür drei Modelle an; jedes dieser Modelle enthielt eine prozentuale Beteiligung der Klägerin am Entgelt der Prostituierten für „standardisierte sexuelle Dienstleistungen“.

7 c) Soweit die Klägerin im Rahmen ihrer Divergenzrüge als klärungsbedürftige Rechtsfrage formuliert, ob

einem Bordellbetreiber auch dann die Prostitutions-Dienstleistung der in seinen Räumen selbständig tätigen Prostituierten zugerechnet werden [kann], wenn der Bordellbetreiber durch veröffentlichte Hinweise (z.B. bei seinem Internetauftritt und/oder im Bordell) kenntlich macht, dass die Prostituierten selbständig, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung tätig werden, die Prostituierten ausschließlich vertragliche Vereinbarungen mit den Kunden (Freiern) über Art, Umfang und Höhe der Vergütung schließen und der Bordellbetreiber nicht unmittelbar an den Vergütungen für die Prostitutions-Dienstleistungen beteiligt ist“ (C.I.4 der Beschwerdebegründung),

hat sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) nicht dargelegt.

8 aa) Die Frage der Zurechnung von Umsätzen in einem Bordell ist höchstrichterlich geklärt (vgl. z.B. , BFH/NV 2024, 394, Rz 6, m.w.N.); bei der Bestimmung des Leistenden ist auch die wirtschaftliche und geschäftliche Realität mit zu berücksichtigen (vgl. allgemein dazu Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union —EuGH— ITH Comercial Timişoara vom  - C-734/19, EU:C:2020:919, Rz 48; Fenix International vom  - C-695/20, EU:C:2023:127, Rz 72; , BFHE 276, 493, Rz 17; vom  - V R 35/20, BFHE 276, 377, BStBl II 2023, 150, Rz 14; vom  - XI R 18/21, BFHE 279, 298, Rz 26). Weiteren Klärungsbedarf hat die Klägerin nicht schlüssig aufgezeigt.

9 bb) Im Übrigen hängt die Beantwortung der Frage von den Umständen des Einzelfalls ab und ist insoweit einer Verallgemeinerung nicht zugänglich. Ferner wäre der erkennende Senat in einem sich anschließenden Revisionsverfahren an die tatsächlichen Feststellungen des FG gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO), wohingegen die von der Klägerin formulierte Frage nicht sämtliche Elemente des zu beurteilenden komplexen Sachverhalts beinhaltet.

10 2. Das Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) besteht nicht.

11 a) Die Klägerin sieht es als klärungsbedürftig an, ob

sich eine Organgesellschaft im Hinblick auf ihre Eingliederung in das Unternehmen des Organträgers auch dann auf ihre mangelnde Steuerschuldnerschaft berufen [kann], wenn:

- der Organträger keinen Änderungsantrag gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [der Abgabenordnung] AO gestellt hat,

- sowohl der Organträger als auch die Organgesellschaft im Rahmen ihrer Umsatzsteuererklärungen von der Nichtsteuerbarkeit solcher Umsätze ausgehen,

- derentwegen die Organgesellschaft [gemeint wohl: der Organträger] in einem späteren Verfahren als Steuerschuldnerin [als Steuerschuldner] angesehen werden soll

- und der EuGH auf Vorlage des ) zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die im Innenverhältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft bewirkten Leistungen entgegen der bisherigen Rechtsprechung steuerbar sein sollten“ (C.II.1 der Beschwerdebegründung).

12 Diese Frage ist indes nicht klärungsbedürftig.

13 b) Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vor dem hat die Klägerin ihren Klageantrag nicht darauf beschränkt, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) die Änderung des Umsatzsteuerbescheids für 2011 dahingehend zu beantragen, dass die streitbefangenen Prostitutionsumsätze außer Ansatz bleiben. Vielmehr begehrt sie im Hinblick auf die geänderte BFH-Rechtsprechung (vgl. Urteile vom  - XI R 38/12, BFHE 252, 516, BStBl II 2017, 567 und vom  - XI R 17/11, BFHE 254, 164, BStBl II 2017, 581 in Umsetzung des auf Vorlage des erkennenden Senats ergangenen EuGH-Urteils Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt vom  - C-108/14 und C-109/14, EU:C:2015:496) die ersatzlose Aufhebung des Umsatzsteuerbescheids für 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung.

14 c) Nach der geänderten BFH-Rechtsprechung kann auch eine GmbH & Co. KG —wie die Klägerin— Organgesellschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sein (vgl. z.B. , BFHE 252, 516, BStBl II 2017, 567, Rz 62 ff.). Die tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür liegen nach den tatsächlichen Feststellungen des FG dem Grunde nach vor (§ 118 Abs. 2 FGO).

15 d) Eine Organschaft hat zur Folge, dass die Organgesellschaft unselbständiger Teil des Unternehmens des Organträgers ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG), so dass beide Teile als ein Unternehmen zu behandeln sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG). Grundsätzlich werden jegliche Umsätze der Organgesellschaft dem Organträger zugerechnet. Der Organträger ist Schuldner der auf diese Umsätze entfallenden Umsatzsteuer; er hat alle Pflichten zu erfüllen, die sich aus § 18 UStG für das gesamte Unternehmen unter Einschluss der Organgesellschaft ergeben (vgl. z.B. , BFHE 257, 160, BStBl II 2021, 782, Rz 45; vom  - XI R 29/22 (XI R 16/18), BFHE 279, 320, Rz 23).

16 e) Macht eine KG —wie im Streitfall die Klägerin— geltend, dass sie aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung Organgesellschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und damit nicht Steuerschuldnerin sei, ist durch die BFH-Rechtsprechung geklärt, dass die Aufhebung einer gegenüber der KG (hier: der Klägerin) ergangenen Steuerfestsetzung voraussetzt, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens bei der Anwendung von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt (vgl. , BFHE 280, 89, Rz 20).

17 f) Die hiervon abweichende Auffassung der Klägerin hätte zur Folge, dass sie —unabhängig von der Frage der Berücksichtigung einzelner Besteuerungsgrundlagen (hier: streitige Prostitutionsumsätze)— gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht (mehr) steuerpflichtig wäre, wohingegen eine Zurechnung von Besteuerungsgrundlagen beim Organträger gemäß § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO überhaupt unterbliebe. Organträger und Organgesellschaft können jedoch nicht beanspruchen, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (hier: Organträger) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (hier: Organgesellschaft) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden. Dies beruht darauf, dass das maßgebliche Steuerrechtsverhältnis bei Anwendung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zum Organträger als Steuerschuldner und Steuerpflichtigen besteht und sich dabei entsprechend dieser Vorschrift auch auf die Organgesellschaft als Bestandteil dieses Steuerrechtsverhältnisses erstreckt (vgl. , BFHE 280, 89, Rz 23).

18 g) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Frage, ob sie die steuerbaren und steuerpflichtigen Prostitutionsumsätze ausgeführt hat oder aber die Prostituierten selbst, keinen Bezug zu der Frage, ob Besteuerungsgrundlagen nicht (mehr) ihr, sondern dem Organträger zuzurechnen sind. Nach den Grundsätzen des (BFHE 280, 89) bedarf es jedenfalls keiner Klärung mehr, dass der Klägerin lediglich dann (als Organgesellschaft) keine Besteuerungsgrundlagen mehr zuzurechnen sind, wenn der Organträger als Steuerpflichtiger der Zurechnung dieser Besteuerungsgrundlagen gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zustimmt.

19 h) Ein Bezug der von der Klägerin aufgeworfenen Frage der Steuerbarkeit von Leistungen eines Mitglieds der Mehrwertsteuergruppe an ein anderes Mitglied (vgl. , BFHE 280, 68, BStBl II 2023, 530) zu der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Eingangs- und Ausgangsumsätzen in Bezug auf Dritte (hier: Prostitutionsumsätze) ist nicht ersichtlich.

20 3. Ein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegt, soweit ein solcher schlüssig gerügt wurde, nicht vor.

21 Die Rüge der Klägerin, das FG habe den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO den (UR 2022, 794) nicht berücksichtigt habe, greift nicht durch. Wie dargelegt (vgl. oben unter 1.b bb), hatte das FG den im Streitfall gegebenen Sachverhalt umfassend zu würdigen; dies erfolgte auf der Grundlage derselben Rechtsgrundsätze, auf denen auch der zitierte BGH-Beschluss beruht.

22 4. Schließlich sind für die Prüfung der Zulassung der Revision nur solche Gründe beachtlich, die innerhalb der (verlängerten) Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4 FGO) hinreichend dargelegt wurden. Nach Ablauf der Begründungsfrist ist nur noch eine Erläuterung und Vervollständigung der fristgerecht geltend gemachten Zulassungsgründe möglich (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2024, 524, Rz 15).

23 5. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.

24 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:B.160724.XIB43.23.0

Fundstelle(n):
DStR 2024 S. 1813 Nr. 32
MAAAJ-72271