BFH Beschluss v. - XI B 117/22

Zurechnung der Umsätze in einem Bordell

Leitsatz

1. NV: Die Zurechnung von Umsätzen in einem Bordell ist höchstrichterlich geklärt.

2. NV: Daran hat sich durch das (Umsatzsteuer-Rundschau 2022, 794) nichts geändert.

Gesetze: UStG § 2 Abs. 1; MwStSystRL Art. 2 Abs. 1 Buchst. c; MwStSystRL Art. 9 Abs. 1; MwStSystRL Art. 10

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind teilweise nicht hinreichend dargelegt und liegen im Übrigen nicht vor.

2 1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

3 a) Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kommt einer Rechtssache zu, wenn eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom  - XI B 1/23, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2023, 719, Rz 8; vom  - XI B 89/22, BFH/NV 2023, 1322, Rz 22).

4 Eine Rechtsfrage, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist, ist nicht grundsätzlich bedeutsam, so dass es nicht ausreicht, eine derartige Frage aufzuwerfen (vgl. BFH-Beschlüsse vom  - V B 58/13, BFH/NV 2014, 192, Rz 10; vom  - XI B 51/22, BFH/NV 2023, 279, Rz 4; vom  - X B 111/22, BFH/NV 2023, 958, Rz 23).

5 b) Ausgehend davon hat die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage

"Waren die von den Prostituierten im . erbrachten und alleine von diesen vereinnahmten Anteile ihrer sexuellen Dienstleistungen der Firma X sowie nachfolgend der Firma Y aus der hier maßgeblichen Sicht der Leistungsempfänger vollständig umsatzsteuerrechtlich zuzurechnen oder nicht?“

keine grundsätzliche Bedeutung. Sie hängt von den Umständen des vom FG entschiedenen Einzelfalls ab. Ihre Beantwortung liegt daher auch nicht im (abstrakten) Interesse der Allgemeinheit.

6 c) Darüber hinaus ist die Zurechnung von Umsätzen in einem Bordell höchstrichterlich geklärt (vgl. BFH-Beschlüsse vom  - V B 181/05, BFH/NV 2006, 2138; vom  - V B 201/06, BFH/NV 2008, 827; vom  - V B 31/09, BFH/NV 2010, 959; vom  - V B 48/16, BFH/NV 2017, 629; vom  - XI B 65/17, BFH/NV 2018, 240). Regelmäßig ergibt sich sowohl nach der Rechtsprechung des BFH als auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist. Leistender ist in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber Dritten im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist (vgl. , BFH/NV 2019, 127, Rz 15; , UR 2022, 794, Rz 12, m.w.N.).

7 Eine tatsächliche, in diesem Zusammenhang vorgenommene Würdigung des FG ist im finanzgerichtlichen Verfahren für den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, wenn sie möglich ist und das FG nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat (, BFH/NV 2019, 127, Rz 17), was bereits im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu berücksichtigen ist (vgl. , UR 2023, 719, Rz 11). Ohne Bedeutung ist, ob für den BGH im Strafverfahren eine vergleichbare Bindung besteht (vgl. dazu , UR 2022, 794, Rz 14 ff.; s. aber auch , Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht 2023, 313 zur Zurechnung von Umsätzen an die Betreiberin und zur Arbeitnehmereigenschaft der Sexarbeiterinnen).

8 2. Soweit die Beschwerde dahin gehend verstanden werden könnte, dass sie konkludent (auch) den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) geltend macht, weil das FG vom (UR 2022, 794) abgewichen sei, liegt diese ebenfalls nicht vor.

9 a) Eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen Divergenz setzt voraus, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als unter anderem ein anderes oberstes Bundesgericht; das FG muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom  - XI B 105/21, BFH/NV 2023, 155, Rz 9; vom  - XI B 13/23, BFH/NV 2023, 1411, Rz 2).

10 b) Eine zur Zulassung wegen Divergenz führende Nichtübereinstimmung im Rechtsgrundsätzlichen liegt jedoch nicht vor, wenn das FG einen Sachverhalt lediglich abweichend würdigt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom  - V B 49/06, BFH/NV 2007, 1683, unter II.1.; vom  - XI B 45/20, BFH/NV 2021, 673, Rz 14) oder wenn ein Gericht von den Rechtsgrundsätzen der BFH-Rechtsprechung ausgeht und diese lediglich unzutreffend auf den von ihm zu entscheidenden Einzelfall anwendet (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom  - V B 48/16, BFH/NV 2017, 629, Rz 11; vom  - XI B 18/18, BFH/NV 2018, 1284, Rz 18).

11 c) Ausgehend davon liegt eine Divergenz aus mehreren Gründen nicht vor.

12 aa) Zunächst liegen, worauf der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) zutreffend hingewiesen hat, dem (UR 2022, 794) und dem Streitfall unterschiedliche Sachverhalte zugrunde. Die Beschwerde geht selbst davon aus, dass die Prostituierten in die Organisation des Betriebes eingebunden gewesen seien und kein wirtschaftliches Risiko getragen haben, was bereits nicht nahe legt, dass es sich bei ihnen um Unternehmerinnen im Sinne des § 2 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes gehandelt haben könnte. Weiter hat das FG festgestellt, dass für die Prostituierten Bekleidungsvorschriften und Verhaltensregeln existierten, der Leistungskatalog und die Preise vom Club ebenso vorgegeben wurden wie die Arbeitszeiten. Es existierten wöchentliche Schicht- und Urlaubspläne. Diese tatsächlichen Feststellungen bestätigen das Ergebnis des FG. Aus den genannten, vom FG festgestellten Gründen entspricht das von ihm gefundene Ergebnis der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität, die auch bei der Bestimmung des Leistenden mit zu berücksichtigen ist (vgl. dazu allgemein Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union ITH Comercial Timisoara vom  - C-734/19, EU:C:2020:919, Rz 48; Fenix International vom  - C-695/20, EU:C:2023:127, Rz 72; , BFHE 276, 493, Rz 17; vom  - V R 35/20, BFHE 276, 377, BStBl II 2023, 150, Rz 14; vom  - XI R 18/21, BFHE 279, 298, Rz 26).

13 bb) Aber selbst wenn das FG bei vergleichbarem Sachverhalt den Streitfall abweichend von der Würdigung durch den BGH gewürdigt hätte, läge darin aus den hier unter 2.b genannten Gründen keine Divergenz. BFH und BGH gehen insoweit von denselben abstrakten Rechtsgrundsätzen aus, die nicht voneinander abweichen.

14 3. Die Verfahrensrüge, das Urteil des FG sei teilweise nicht mit Gründen versehen, weil es nicht auf den Schriftsatz vom und den Vortrag in der mündlichen Verhandlung eingehe, dass Verjährung eingetreten sei, greift nicht durch. Das FG hat sich mit dem Einwand aus dem Schriftsatz vom , der Kläger habe aus seiner Sicht nicht vorsätzlich gehandelt, auf den Seiten 33 ff. seines Urteils intensiv auseinandergesetzt und einen Vorsatz des Klägers ebenso bejaht wie das Vorliegen einer Steuerhinterziehung im Sinne des § 370 der Abgabenordnung. Es hat dazu auch auf das rechtskräftige Urteil des Landgerichts . vom . Bezug genommen. Daraus ergibt sich, warum aus Sicht des FG für das Jahr 2006 auch keine „Verjährung“ eingetreten ist.

15 4. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO von der Wiedergabe des Tatbestands sowie einer weiteren Begründung ab.

16 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:B.100124.XIB117.22.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2024 S. 394 Nr. 4
StuB-Bilanzreport Nr. 6/2024 S. 238
StuB-Bilanzreport Nr. 6/2024 S. 238
EAAAJ-59380