Online-Nachricht - Dienstag, 30.07.2024

Verfahrensrecht | Meldepflicht bei potenziell aggressiven grenzüberschreitenden Steuerplanungsgestaltungen (EuGH)

Der EuGH hat die Gültigkeit verschiedener Bestimmungen der Unionsrichtlinie zur Bekämpfung aggressiver Steuerplanung bestätigt ( „Belgian Association of Tax Lawyers u. a.“).

Hintergrund: Die „Richtlinie 2011/16/EU des Rates v. über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG in der durch die Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates vom geänderten Fassung“ sieht vor, dass alle an potenziell aggressiven grenzüberschreitenden Steuergestaltungen (die insbesondere zu Steuervermeidung und -hinterziehung führen können) beteiligten Intermediäre und - falls es keine Intermediäre gibt - der Steuerpflichtige solche Gestaltungen den zuständigen Steuerbehörden melden müssen (im Folgenden: Meldepflicht). In Deutschland wurde die Richtlinie durch das Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen v. innerstaatlich umgesetzt.

Sachverhalt: Im Jahr 2020 riefen Vereinigungen von Steueranwälten und Steuerberatern sowie Rechtsanwaltskammern den belgischen Verfassungsgerichtshof an. Sie sind der Ansicht, dass das belgische Gesetz zur Umsetzung der o.g. Richtlinie für nichtig erklärt werden müsse, da die Richtlinie gegen eine Reihe von Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und gegen allgemeine Grundsätze des Unionsrechts verstoße.

Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Urteil des EuGH:

  • Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass der Umstand, dass die in der Richtlinie vorgesehene Meldepflicht nicht auf den Bereich der Gesellschaftssteuer beschränkt ist, ihre Gültigkeit im Licht der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung sowie der Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte nicht berührt.

  • Der Grad an Bestimmtheit und Klarheit der Terminologie in den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie stellt deren Gültigkeit im Licht der Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit in Strafsachen nicht in Frage. Der mit der Meldepflicht verbundene Eingriff in das Privatleben des Intermediärs und des Steuerpflichtigen im Hinblick auf die Informationen, die diese Meldung enthalten muss, wird hinreichend genau bestimm.

  • Überdies hat der Gerichtshof in seinem Urteil v. - C-694/20 „Orde van Vlaamse Balies u. a.“ entschieden, dass die einem Rechtsanwalt, der wegen seiner Verschwiegenheitspflicht von der Meldepflicht befreit ist, auferlegte Pflicht, die anderen an der steuerlichen Gestaltung beteiligten Intermediäre über deren Meldepflichten zu unterrichten, das Berufsgeheimnis verletzt (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 8.12.2022).

  • Das Urteil v. gilt nur für Rechtsanwälte im Sinne der Richtlinie zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde und nicht für etwaige andere zur Vertretung vor Gericht ermächtigte Berufsangehörige.

  • Die Vertraulichkeit der Beziehung zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten genießt einen ganz speziellen Schutz, der sich aus der singulären Stellung des Rechtsanwalts innerhalb der Gerichtsorganisation der Mitgliedstaaten sowie der ihm übertragenen grundlegenden Aufgabe ergibt, die von allen Mitgliedstaaten anerkannt wird.

  • Die Meldepflicht der Intermediäre, die nicht wegen der ihnen obliegenden Verschwiegenheitspflicht von ihr befreit sind, und die subsidiäre Meldepflicht des betreffenden Steuerpflichtigen stellen einen verhältnismäßigen und gerechtfertigten Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens, verstanden als das Recht jeder Person, ihr Privatleben zu gestalten, dar.

Hinweis:

Den Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht.

Quelle: u.a. EuGH, Pressemitteilung v. 30.7.2024 (il)

Fundstelle(n):
JAAAJ-72084