BGH Beschluss v. - 4 StR 503/23

Nutzung eines Fahrzeugs als bewusst zweckwidrig eingesetztes Nötigungsmittel im Rahmen eines Fluchtmanövers; Anwendung des Konsumcannabisgesetzes auf den Handel mit Marihuana

Gesetze: § 52 StGB, § 315b Abs 1 Nr 3 StGB, § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 34 KCanG

Instanzenzug: LG Dresden Az: 17 KLs 428 Js 20532/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten K.         unter Freispruch im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 15 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in zwei tateinheitlichen Fällen und mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Den Angeklagten T.        hat es wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn Fällen, ebenfalls unter Teilfreisprechung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen beide Angeklagten hat das Landgericht zudem Einziehungsanordnungen getroffen. Den Angeklagten D.         hat die Strafkammer wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung sie zur Bewährung ausgesetzt hat. Während die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision dieses Angeklagten insgesamt unbegründet ist (§ 349 Abs. 2 StPO), erzielen die jeweils auf Verfahrensbeanstandungen und Sachrügen gestützten Rechtsmittel der Angeklagten K.          und T.        die aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolge und sind im Übrigen ebenfalls offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2I. Die Revision des Angeklagten K.

31. Den Verfahrensrügen bleibt der Erfolg versagt. Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom bemerkt der Senat, dass die Aufklärungsrüge, mit der der Beschwerdeführer als Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO beanstandet, dass die Strafkammer es unterlassen habe, „die Übersetzungen aus der Ermittlungsakte auf ihre Richtigkeit prüfen zu lassen“ auch deshalb unzulässig ist, weil sie weder die in Bezug genommenen Dokumente (Übersetzungen) vorlegt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) noch eine konkrete Beweistatsache behauptet (vgl. zu diesem Erfordernis Rn. 11 mwN).

42. Die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils deckt sowohl zum Schuld- als auch zum Rechtsfolgenausspruch Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers auf.

5a) Die Verurteilung des Angeklagten K.          in den Fällen III.8. und 9. der Urteilsgründe hat keinen Bestand, was auch der Gesamtstrafe und der auf die Betäubungsmittelstraftat in diesen Fällen gestützten Einziehungsentscheidung hinsichtlich des Pkw des Angeklagten die Grundlage entzieht.

6aa) Der Schuldspruch wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB) in den – vom Landgericht als eine Tat gewerteten – Fällen III.8. und 9. der Urteilsgründe wird von den Feststellungen nicht getragen. Das Landgericht hat den subjektiven Tatbestand der Vorschrift teilweise schon nicht festgestellt, im Übrigen nicht beweiswürdigend unterlegt.

7(1) Nach den Feststellungen sollte der vom Angeklagten K.         gesteuerte Pkw, in dem sich auch die beiden Mitangeklagten befanden, auf der Rückfahrt von einem Betäubungsmittellieferanten einer Polizeikontrolle unterzogen werden. Der Pkw wurde zu diesem Zweck von zwei Polizeifahrzeugen überholt, die sich vor und neben ihn setzten und ihn in der Folge zum Stehen brachten. Zwei der eingesetzten Polizeibeamten standen sodann in Höhe der A-Säule des Fahrzeugs des Angeklagten an dessen Beifahrertür und schlugen, nachdem der Angeklagte der Aufforderung zu öffnen nicht nachgekommen war, das Beifahrerfenster ein. Hierauf lenkte der Angeklagte – in der Absicht, das Auffinden der erworbenen Betäubungsmittel (knapp zwei Kilogramm Rauchopium mit einem Wirkstoffgehalt von 141,8 g Morphinbase) zu verhindern – sein Fahrzeug unter starker Beschleunigung nach rechts und fuhr über den Gehweg an dem vor seinem Wagen stehenden Polizeifahrzeug vorbei und davon. Hierbei nahm er in Kauf, dass er den beiden Polizeibeamten ernsthafte Verletzungen zufügen würde. Tatsächlich gelang es beiden, sich durch einen Sprung zur Seite vor einer Kollision mit dem Pkw des Angeklagten zu retten, wodurch sie unverletzt blieben.

8(2) Ein – hier allein in Betracht kommender – verkehrsfeindlicher Inneneingriff im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB ist hierdurch nicht belegt.

9Ein vorschriftswidriges Verhalten im fließenden Verkehr wird von § 315b StGB nur erfasst, wenn ein Fahrzeugführer das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren“, und es ihm darauf ankommt, hierdurch in die Sicherheit des Straßenverkehrs einzugreifen. Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert zudem, dass durch den tatbestandsmäßigen Eingriff Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet werden (st. Rspr.; vgl. Rn. 31; Beschluss vom – 4 StR 134/21 Rn. 4; Beschluss vom ‒ 4 StR 240/20 Rn. 26; Beschluss vom ‒ 4 StR 334/17 Rn. 3 f. und Beschluss vom ‒ 4 StR 408/09 Rn. 4). Bei Vorgängen im fließenden Verkehr muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Absicht ferner hinzukommen, dass das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wurde (vgl. Rn. 31; Beschluss vom – 4 StR 134/21 Rn. 4; Beschluss vom – 4 StR 82/10 Rn. 10; Urteil vom – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 237; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315b Rn. 9a mwN).

10Dass der Angeklagte sein Fahrzeug nicht in erster Linie als Fortbewegungsmittel nutzen wollte, um unter – knapper – Vorbeifahrt an dem Polizeifahrzeug einerseits und den beiden Polizeibeamten andererseits zu flüchten, sondern es bewusst zweckwidrig als Nötigungsmittel einzusetzen beabsichtigte, indem er durch ein Zufahren auf die Beamten diese zum Ausweichen zwingen oder sich bei seinem stark beschleunigenden Anfahren (gleichsam) den Fahrweg freirammen wollte, hat das Landgericht nicht festgestellt.

11Für den vom Landgericht ausdrücklich angenommenen bedingten Schädigungsvorsatz fehlt es zudem an einem tragfähigen Beleg. Die Beweiswürdigung verhält sich zur inneren Tatseite des Angeklagten bei seinem Fluchtmanöver nicht. Soweit die Strafkammer hier Schlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen gezogen haben mag, liegen diese nicht dermaßen auf der Hand, dass entsprechende Ausführungen entbehrlich wären. Mangels näherer Feststellungen zur Distanz zwischen dem Fahrzeug und den Polizeibeamten sowie zu deren Sprung vermag der Senat die Überzeugung des Landgerichts davon, dass der Angeklagte nicht ernstlich auf das Ausbleiben einer Kollision vertraute, nicht nachzuvollziehen. Dies gilt umso mehr, als es der Erfahrung entspricht, dass Polizeibeamte Kraftfahrern, die eine Polizeisperre durchbrechen wollen, ausweichen und Täter im Allgemeinen mit derartigen Fluchtreaktionen rechnen (vgl. Rn. 13 mwN).

12bb) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zieht die Aufhebung der Verurteilung wegen der weiteren in den Fällen III.8. und 9. der Urteilsgründe tateinheitlich verwirklichten Straftatbestände nach sich. Der Wegfall der wegen der Tat verhängten Einzelstrafe entzieht zudem der Gesamtstrafe die Grundlage. Schließlich ist auch die auf diesen Fällen beruhende Einziehungsentscheidung aufzuheben; dies betrifft die Einziehung des Pkw des Angeklagten, die das Landgericht allein damit begründet hat, dass das Fahrzeug zum Transport der Betäubungsmittel im Fall III.8. der Urteilsgründe benutzt worden und deshalb Tatmittel im Sinne des § 74 StGB gewesen sei, sowie die Einziehung der im Fall III.8. der Urteilsgründe sichergestellten Betäubungsmittelmenge (1.993,1 g Rauchopium).

13Die – rechtsfehlerfrei getroffenen – Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in den Fällen III.8. und 9. der Urteilsgründe können hingegen bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht wird sie gegebenenfalls – widerspruchsfrei – durch weitere Feststellungen, insbesondere zu dem Gefährdungserfolg im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB (vgl. zu den Anforderungen an die Feststellung eines „Beinaheunfalls“ – dort zu § 315c StGB Rn. 5 f. mwN) ergänzen können.

14b) In den Fällen III.10. und 12.-15. der Urteilsgründe bedarf der Schuldspruch der Neufassung. Auf diese jeweils den Handel mit Marihuana betreffenden Fälle hat der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO die – milderen – Vorschriften des am in Kraft getretenen Konsumcannabisgesetzes anzuwenden. Hieran gemessen stellt sich das vom Landgericht festgestellte Tatgeschehen nicht mehr als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG), sondern jeweils als Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG dar. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst. Die Vorschrift des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der – in diesen Fällen weitgehend geständige – Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

15c) Entsprechendes gilt im Fall III.16. der Urteilsgründe. Das Landgericht hat hier zwar das Aufbewahren verschiedener Betäubungsmittel, nämlich neben 495,5 g Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 78 g THC auch 170,44 g Rauchopium mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 7,82 g Morphinbase, als eine Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet. Dies war allerdings bereits nach der im Urteilszeitpunkt geltenden Rechtslage – vor Inkrafttreten des KCanG – nicht rechtsfehlerfrei. Da es sich bei der im Fall III.16. gefundenen Menge Rauchopiums um die Restmenge aus der Tat zu III.6. der Urteilsgründe handelte, bildete sie mit der abverkauften Menge aus dieser Tat eine Bewertungseinheit mit der Folge, dass die Fälle III.6. und III.16. der Urteilsgründe eine einheitliche Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge darstellen (vgl. Rn. 8 mwN). Die – nach jetziger Rechtslage als Handeltreiben mit Cannabis zu wertende – Aufbewahrung von 495,5 g Marihuana steht hierzu im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB), denn ein bloßer gleichzeitiger Besitz mehrerer Betäubungsmittelmengen führt für sich genommen weder zu einer tatbestandlichen Bewertungseinheit (vgl. BGH, aaO) noch zu einer Tateinheit aus dem Gesichtspunkt der Teilidentität der Ausführungshandlungen (vgl. Rn. 7); Anhaltspunkte für eine über die Gleichzeitigkeit hinausgehende Verknüpfung des Besitzes beider Teilmengen enthalten die Urteilsfeststellungen nicht.

16d) In den vorgenannten Fällen (III.10., 12.-16. der Urteilsgründe) kann auch der Ausspruch über die Einzelstrafen nicht bestehen bleiben. Er unterliegt der Aufhebung, weil der Senat angesichts der milderen Strafrahmen des § 34 KCanG nicht ausschließen kann, dass das Landgericht bei Anwendung dieser Vorschrift zu geringeren Einzelstrafen gelangt wäre. Die zugehörigen Feststellungen können gemäß § 353 Abs. 2 StPO bestehen bleiben, weil sie von dem Aufhebungsgrund nicht betroffen sind. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird bei seiner Strafbemessung zu beachten haben, dass die Grenze zur nicht geringen Menge wie bisher bei einem Wirkstoffgehalt von 7,5 g THC liegt (vgl. Rn. 6; Beschluss vom – 4 StR 5/24 Rn. 10 ff.; jew. mwN) und daher jeweils besonders schwere Fälle des Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG in Betracht zu ziehen sein werden.

17e) Der weitere (nicht auf den Fällen III.8. und 9. der Urteilsgründe beruhende) Einziehungsausspruch bedarf ebenfalls teilweise der Korrektur.

18aa) Die vom Landgericht auf § 33 BtMG gestützte Einziehungsanordnung hinsichtlich der sichergestellten Betäubungsmittel kann, soweit sie nicht die im Fall III.8. der Urteilsgründe gegenständliche Menge betrifft, auf dieser Grundlage bestehen bleiben; dies gilt nach § 2 Abs. 5 StGB auch für das sichergestellte Marihuana, weil § 37 KCanG weder zur Tatzeit gegolten hat noch milder ist als jene Vorschrift. Allerdings sind die einzuziehenden Gegenstände in der Urteilsformel so konkret zu bezeichnen, dass für die Beteiligten und die Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht (vgl. mwN). Da die Urteilsgründe jedoch die hierfür erforderlichen Angaben über die sichergestellten Betäubungsmittel enthalten, kann der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die gebotene Klarstellung selbst vornehmen.

19bb) Schließlich ist auch die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73, § 73c StGB) gegen den Angeklagten K.         nicht rechtsfehlerfrei. Während im Übrigen dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnommen werden kann, dass der Angeklagte die festgestellten und der Einziehungsentscheidung zugrunde gelegten Verkaufserlöse jeweils tatsächlich erlangt hat, werden die Einnahmen des Angeklagten in den Fällen III.7. und 12. der Urteilsgründe nur teilweise von den Feststellungen getragen. Danach wurden im Fall III.7. von der zum Handel bestimmten Menge von 450 g Rauchopium lediglich 320 g tatsächlich weiterveräußert. Im Fall III.12. ist nur der Erhalt einer Anzahlung in Höhe von 1.450 Euro auf den vereinbarten Kaufpreis von 3.000 Euro, den die Strafkammer ihrer Einziehungsentscheidung in Gänze zugrunde gelegt hat, festgestellt. Da weiter gehende Feststellungen zu den erzielten Einnahmen in diesen Fällen nicht zu erwarten sind, setzt der Senat den Einziehungsbetrag entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst herab.

203. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten K.         ergeben.

21II. Die Revision des Angeklagten T.

221. Die Verfahrensrügen sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.

232. Auf die Sachrüge ist der Schuldspruch in den Fällen, in denen der Angeklagte T.        wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist (Fälle III.12.-16. der Urteilsgründe), aus den oben genannten Gründen ebenso zu ändern wie bei dem Angeklagten K.        . Die Einzelstrafen in diesen Fällen unterliegen der Aufhebung, was zugleich dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage entzieht. Die zugehörigen Feststellungen können hingegen auch hier bestehen bleiben.

24Weitere Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten T.        hat die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils nicht ergeben, so dass seine Revision im Übrigen unbegründet ist.

25III. Die Revision des Angeklagten D.

26Das Rechtsmittel des Angeklagten D.          ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO; die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:220524B4STR503.23.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-70316