BGH Urteil v. - X ZR 62/22

Instanzenzug: Az: 4 Ni 19/21 (EP) verb. mit 4 Ni 21/21 (EP) Urteil

Tatbestand

1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 576 858 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom angemeldet worden ist und eine Einrichtung zum Betreiben eines LED-Moduls betrifft.

2Patentanspruch 1, auf den fünf weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

A supply assembly (1'') for a LED lighting module (2') comprising:

a direct current (DC) voltage source (10) having a first and a second supply terminal;

a switched-mode converter (12'') connected to said first and second supply terminals for supplying power to an LED lighting module (2') connectable to said switched mode converter, said switched mode converter comprising a controllable switch (14) coupled to at least one of said first and second supply terminals for switchably connecting said DC voltage source and said converter being constructed so that the LED lighting module can conduct a current both when the controllabe switch is conductive and when the controllable switch is non-conductive; and a controller (34) for controlling the switching of the controllable switch (14) by means of a dual pulse width modulated signal, such that a periodical LED current is generated, said LED current being continuous with a superimposed ripple during a first time interval of each period and equal to zero during the remainder of each period, said controller (34) comprising means for supplying a high frequency pulse width modulated signal to said controllable switch during the first time interval of each period of the LED current for controlling the average amplitude of the LED current during the first time interval and the duration of the first time interval and means for rendering the controllable switch non-conductive during the remainder of each period of the LED current.

3Die Klägerin zu 1 hat das Patent im Umfang der Ansprüche 1 bis 4 angegriffen, die Klägerin zu 2 im Umfang des Anspruchs 1. Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, zudem gehe der Gegenstand des Schutzrechts über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Die Klägerin zu 1 macht darüber hinaus geltend, die Erfindung sei nicht so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent wie erteilt und hilfsweise in 28 geänderten Fassungen verteidigt.

4Das Patentgericht hat das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 4 für nichtig erklärt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihre Anträge erster Instanz mit Ausnahme der Hilfsanträge 5 und 5' weiterverfolgt. Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

5Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

6A. Die Nichtigkeitsklage ist weiterhin zulässig.

7Erlischt ein Patent wegen Ablaufs der Höchstschutzdauer während des Patentnichtigkeitsverfahrens, bedarf es eines schutzwürdigen Interesses des Klägers an der weiteren Durchführung des Rechtsstreits, da ein Interesse der Allgemeinheit an einer Überprüfung der Rechtsbeständigkeit des Patents nicht mehr besteht. Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein solches Rechtsschutzbedürfnis gegeben, wenn für den Kläger Grund zu der Besorgnis besteht, er könne aus dem Patent wegen Handlungen in der Zeit vor dessen Erlöschen in Anspruch genommen werden. Dafür ist nicht erforderlich, dass der Kläger wegen Verletzung des Patents durch eine Klage oder Abmahnung in Anspruch genommen worden ist (, juris Rn. 11). Es genügt, wenn er darlegen kann, dass er Anlass zu der Besorgnis hat, er könne auch nach Ablauf der Schutzdauer noch Ansprüchen wegen zurückliegender Handlungen ausgesetzt sein (, GRUR 2023, 1178 Rn. 15 - Leistungsüberwachungsgerät). Kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen ein erloschenes Patent besteht hingegen, wenn der Patentinhaber auf alle Ansprüche aus dem Patent verzichtet hat ( Xa ZR 14/10, GRUR 2010, 1084 Rn. 10 - Windenergiekonverter).

8Das Streitpatent ist in einem Lizenzierungsprogramm der Beklagten mit dem Titel "EnabLED Licensing Program for LED Luminaires and Retrofit Bulbs" enthalten. Die Klägerin zu 1 stellt LED-Leuchtmittel her. Die Klägerin zu 2 vertreibt solche Leuchtmittel. Die Beklagte hat Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen unbeantwortet gelassen, mit denen sie aufgefordert wurde, auf alle Ansprüche aus dem Streitpatent, soweit mit der vorliegenden Nichtigkeitsklage angegriffen, zu verzichten.

9Bei dieser Ausgangslage ist die Besorgnis der Klägerinnen nicht unbegründet, dass sie von der Beklagten wegen Handlungen in der Zeit vor Erlöschen des Streitpatents wegen dessen Verletzung in Anspruch genommen werden (vgl. bereits , GRUR 2019, 389 Rn. 7 f. - Schaltungsanordnung III).

10B. Die Berufung ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

11I. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zur Stromversorgung eines LED-Leuchtmoduls, das aus einer oder mehreren LEDs besteht.

121. Wie die Beschreibung erläutert, erhält das LED-Leuchtmodul den Betriebsstrom von einer Versorgungseinrichtung, die an eine Gleichspannungsquelle angeschlossen ist und eine Gleichspannung mit hoher Frequenz ein- und ausschaltet. Die Versorgungseinrichtung weise hierzu einen elektronischen Schalter auf, der durch ein pulsierendes Signal ein- und ausgeschaltet werde. Solche Versorgungseinrichtungen würden als Schaltnetzteile (switched-mode power supplies) bezeichnet und seien in der Lage, das LED-Leuchtmodul mit konstantem Strom in der Form eines pulsweitenmodulierten (PWM) Signals zu versorgen.

13Es sei dabei wünschenswert, die Helligkeit regeln zu können. Da bei einem LED-Leuchtmodul die Spannung konstant gehalten werden muss, wird die Helligkeit über die Stromstärke gesteuert. Dies ist zufolge der Streitpatentschrift auf verschiedene Weise möglich. So könne die Stromstärke, die an das LED-Leuchtmodul abgegeben werde, durch Steuerung der Pulsweitenmodulation angepasst werden. Sinke die Stromstärke jedoch unter 20 % der Nennstromstärke, werde die Effizienz des Leuchtmoduls negativ beeinflusst.

14Aus dem US-Patent 5 661 645 (NK7) sei eine Versorgungseinrichtung bekannt, die in der nachstehend wiedergegebenen Figur 1 der Streitpatentschrift gezeigt werde.

15Die Versorgungseinrichtung 1 für das LED-Leuchtmodul 2 umfasse eine Gleichspannungsquelle 10, einen Schaltwandler (switched-mode converter) 12, mit einem steuerbaren Schalter (control switch) 14, eine Diode 16, einen Induktor 18 und - optional - einen Kondensator 20 und einen Transformator 22. Ein Steuereingang des steuerbaren Schalters 14 empfange ein hochfrequentes PWM-Schaltsignal, wie es links unten als Rechtecksignal angedeutet ist. Die Ausgänge der Versorgungseinrichtung 1 sind mit einem LED-Leuchtmodul 2 verbunden. Ein weiterer steuerbarer Schalter 26 sei Bestandteil des LED-Leuchtmoduls und könne ein niederfrequentes PWM-Schaltsignal zur Steuerung des mittleren Stroms für das LED-Leuchtmodul empfangen. Dieses niederfrequente Signal ist in der Figur rechts unten als Rechtecksignal angedeutet.

16Der resultierende Strom ist in Figur 2 der Streitpatentschrift dargestellt:

17Danach verursacht ein niederfrequentes PWM-Signal während einer Periode FD Pulse D, während ein hochfrequentes PWM-Signal bewirkt, dass der Strom während der Dauer des Pulses D um ΔID variiert.

18Nach der Beschreibung des Streitpatents hat eine solche Anordnung den Nachteil, dass zwei steuerbare Schalter benötigt werden und der Versorgungsanschluss 1 ständig eingeschaltet ist, also auch dann, wenn das PWM-Schaltsignal den Schalter 26 ausgeschaltet hat. Dies führe zu Energieverlusten (Abs. 4).

19Die US-Patentanmeldung 2001/0024112 (NK8) zeige eine Alternative. Bei dieser Anordnung werde die Stromversorgung selbst mithilfe des niederfrequenten PWM-Schaltsignals ein- und ausgeschaltet. Die Beschreibung verweist hierzu auf die nachstehend wiedergegebene Figur 4:

20Anders als nach Figur 2 enthalte das LED-Leuchtmodul 2' keinen steuerbaren Schalter 26. Hier sei vorgesehen, dass der Schaltwandler 12' einen Eingang zum Empfang eines niederfrequenten PWM-Schaltsignals habe, mittels dessen der Schaltwandler ein- und ausgeschaltet werde (Abs. 5).

21Nach der Beschreibung der Streitpatentschrift ist es nachteilig, wenn Mittel vorgesehen sein müssen, mit der die Stromversorgungseinrichtung für ein LED-Modul ein- und ausgeschaltet wird. Nach dem Vortrag der Beklagten, dem die Klägerinnen nicht entgegengetreten sind, ist das Ein- und Ausschalten des gesamten Schaltwandlers nachteilig, weil es dazu führt, dass dessen Komponenten ständig geladen und entladen werden. Dies führe zu transienten Verlusten und könne Probleme mit der elektromagnetischen Verträglichkeit bereiten.

222. Vor diesem Hintergrund besteht das technische Problem darin, eine einfache und effiziente Versorgungseinrichtung für ein LED-Leuchtmodul bereitzustellen, mit der die Helligkeit geregelt werden kann und die Nachteile des Standes der Technik überwunden werden.

233. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent eine Vorrichtung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

25Einige Merkmale bedürfen näherer Erläuterung:

26a) Zutreffend hat das Patentgericht dem Zusammenhang der Merkmale 4, 5, 6 und 10 entnommen, dass der Schaltwandler einen steuerbaren Schalter umfasst, der ein- und ausgeschaltet, also leitend und nicht-leitend geschaltet werden kann.

27b) Bei Merkmal 5 handelt es sich um ein Zweckmerkmal. Danach muss der Schaltwandler so aufgebaut sein, dass das LED-Leuchtmodul sowohl bei aus- wie bei eingeschaltetem Schalter Strom führen kann. Wie das konkret umgesetzt wird, überlässt das Streitpatent dem Fachmann.

28c) Der steuerbare Schalter wird nach Merkmal 6 durch eine Steuereinrichtung angesteuert. Die Steuerung dieses Schalters erfolgt dabei durch ein duales pulsweitenmoduliertes Signal (PWM-Signal).

29aa) Zutreffend hat das Patentgericht Merkmal 6 dahin verstanden, dass an dem steuerbaren Schalter ein Signal anliegt, das sowohl eine hochfrequente als auch eine diese überlagernde niederfrequente Komponente umfasst. Dies ergibt sich aus der Beschreibung und den Figuren der Streitpatentschrift, die zur Auslegung des Anspruchs heranzuziehen sind. Im allgemeinen Teil der Beschreibung wird hierzu erläutert, dass es sich bei einem dualen PWM-Signal um ein Signal handelt, das eine hochfrequente und eine niederfrequente pulsweitenmodulierte Signalkomponente aufweist (Abs. 7, 8), die einander überlagern. Im gleichen Sinn wird in Absatz 25 mit der nachstehend wiedergegebenen Figur 6 ein Ausführungsbeispiel erläutert.

30Danach wechseln sich Intervalle, in denen der Schalter für längere Zeit ausgeschaltet ist, mit Intervallen ab, in denen der Schalter mit hoher Frequenz ein- und ausgeschaltet wird. Welche Frequenzbereiche als hoch- bzw. niederfrequent anzusehen sind, ist im Anspruch nicht näher bestimmt.

31Wie dieses duale PWM-Signal erzeugt wird, gibt der Anspruch nicht im Einzelnen vor. In Ausführungsbeispielen wird beschrieben, dass ein duales PWM-Signal mithilfe eines UND-Gatters erzeugt werden kann (Abs. 28 mit Figur 9, Abs. 29 mit Figur 10, Abs. 31 mit Figur 11). Im Anspruch hat dies jedoch keinen Niederschlag gefunden.

32Damit unterscheidet sich das Streitpatent von dem in Absätzen 4 und 5 der Beschreibung geschilderten Stand der Technik. Zwar erfolgt die Steuerung des Stromflusses auch dort durch ein niederfrequentes und ein hochfrequentes PWM-Signal. Auch kann der resultierende LED-Strom danach ebenso verlaufen wie im Stand der Technik nach der oben wiedergegebenen Figur 2 oder in der nachstehend wiedergegebenen Figur 12A.

33Nach der beanspruchten Erfindung wird jedoch ein solcher Stromfluss auf eine bestimmte Weise erzielt. Während das hochfrequente PWM-Signal und das niederfrequente PWM-Signal im Stand der Technik an unterschiedlichen Stellen der Vorrichtung anliegen, sieht das Streitpatent ein duales PWM-Signal vor und damit ein Signal, das sowohl eine hochfrequente wie eine niederfrequente Komponente aufweist. Dieses duale PWM-Signal liegt erfindungsgemäß an einem einzigen steuerbaren Schalter des Schaltwandlers an.

34bb) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen umfasst Patentanspruch 1 danach nicht jede Schaltung, die geeignet ist, einen Stromfluss zu erzeugen, wie ihn die Figuren 2 und 12A der Streitpatentschrift zeigen.

35Nach der Rechtsprechung des Senats ist es bei der Auslegung eines Patentanspruchs zu berücksichtigen, wenn sich ein Patent mit seiner Lehre von dem in ihm beschriebenen Stand der Technik abzugrenzen sucht (, GRUR 2022, 1731 Rn. 23 - Brenngutkühlung). Wird etwa in der Beschreibung des Patents ein bekannter Stand der Technik als nachteilhaft bezeichnet und ein im Patentanspruch vorgesehenes Mittel als Merkmal hervorgehoben, um diesen Nachteil zu überwinden, ist den betreffenden Merkmalen im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge diese sich in demjenigen Stand der Technik wiederfinden, von dem sie sich gerade unterscheiden sollen (, GRUR 2021, 945 Rn. 22 - Schnellwechseldorn).

36Danach ist Merkmal 6 nicht dahin zu verstehen, dass es als Steuerung durch ein duales PWM-Signal anzusehen ist, wenn ein Schaltwandler, in dem ein hochfrequentes PWM-Signal einen Schalter steuert, in niederer Frequenz an- und abgeschaltet wird. Denn von einer solchen, aus NK8 bekannten Vorrichtung sucht sich das Streitpatent gerade abzugrenzen.

37d) Merkmale 7 und 8 geben vor, dass die Steuereinrichtung zur Steuerung dieses steuerbaren Schalters geeignet ist, einen periodischen Strom zur Versorgung des LED-Moduls zu erzeugen, der während eines ersten Zeitintervalls jeder Periode kontinuierlich ist und eine überlagerte Welligkeit aufweist, während er im zweiten Zeitintervall der Periode gleich Null ist.

38e) Nach Merkmalsgruppe 9 umfasst die Steuereinrichtung hierfür Mittel, um dem steuerbaren Schalter während des genannten ersten Zeitintervalls jeder Periode ein hochfrequentes PWM-Signal zuzuführen.

39f) Die Merkmale 9.1 und 9.2 der erteilten Fassung geben vor, dass dieses hochfrequente PWM-Signal sowohl dazu dient, die durchschnittliche Amplitude des LED-Stroms während des ersten Zeitintervalls zu steuern, als auch dazu, die Dauer des ersten Zeitintervalls zu bestimmen.

40Entgegen der Ansicht des Patentgerichts kommt eine Auslegung von Patentanspruch 1, derzufolge Merkmal 9.2 keinen eigenständigen Inhalt hat, nicht in Betracht. Anders als die Beklagte meint, kann dem erteilten Anspruch auch nicht entnommen werden, dass die Dauer des ersten Zeitintervalls durch die niederfrequente Komponente des dualen PWM-Signals bestimmt wird.

41Eine solche Gestaltung ist zwar im allgemeinen Teil der Beschreibung (Abs. 7 f.) und bei der Behandlung der Ausführungsbeispiele (Abs. 25) erläutert. Danach umfasst die Versorgungseinrichtung eine Steuereinrichtung mit Mitteln, die ein duales PWM-Signal bereitstellen, das eine hochfrequente Komponente umfasst, mit der die Stärke (magnitude) des LED-Stroms gesteuert wird, und eine niederfrequente Komponente zur Kontrolle der Dauer des LED-Stroms. Entsprechend zeigen die Ausführungsbeispiele nach den Figuren 5 ff. Schaltungen bzw. Signale, bei denen die Dauer des ersten Zeitintervalls durch die niederfrequente Komponente des PWM-Signals gesteuert wird.

42Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Patentanspruchs zu berücksichtigen, dass die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele regelmäßig der Erläuterung der beanspruchten Lehre dienen. Im Zweifel ist daher ein Verständnis der Beschreibung und des Anspruchs geboten, das beide Teile der Patentschrift nicht in Widerspruch zueinander bringt, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Patent zur Verfügung gestellten technischen Lehre als eines sinnvollen Ganzen versteht.

43Daher kommt eine Auslegung, die dazu führt, dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst wird, nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht (, GRUR 2015, 159 Rn. 26 - Zugriffsrechte; Urteil vom - X ZR 43/13, GRUR 2015, 875 Rn. 16 - Rotorelemente).

44So verhält es sich hier.

45Nach der insoweit klaren Fassung des Anspruchs dient ein hochfrequentes PWM-Signal sowohl der Steuerung der durchschnittlichen Amplitude des LED-Stroms während des ersten Zeitintervalls als auch der Dauer des ersten Zeitintervalls. Von einem niederfrequenten PWM-Signal oder von der niederfrequenten Komponente des in Merkmal 6 angesprochenen dualen PWM-Signals ist in der Merkmalsgruppe 9 nicht die Rede. Unter diesen Umständen ist für eine Auslegung von Patentanspruch 1 dahin, dass die Dauer des ersten Zeitintervalls durch die niederfrequente Komponente des dualen PWM-Signals gesteuert wird, kein Raum.

46Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Fassung des erteilten Anspruchs auf einem Irrtum oder Versehen beruht, es sich insbesondere um eine erkennbar fehlerhafte Bezeichnung des eigentlich Gemeinten handelt (vgl. dazu , GRUR 1994, 357, 358 - Muffelofen; , GRUR 2015, 875 Rn. 22 - Rotorelemente), hat die Beklagte nicht aufgezeigt. Während an den betreffenden Stellen der Beschreibung von einem dualen PWM-Signal mit einer hochfrequenten und einer niederfrequenten Signalkomponente die Rede ist, ist in Merkmalsgruppe 9 nur von einem hochfrequenten Signal die Rede.

47Ebenso sind - auch unter Berücksichtigung der anderen Merkmale des Anspruchs - keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass aus der maßgeblichen Sicht des Fachmanns eine Steuerung der Dauer des ersten Zeitintervalls technisch nicht anders möglich ist als durch eine niederfrequente Komponente des dualen PWM-Signals.

48II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

49In der erteilten Fassung gehe Patentanspruch 1 über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus, weil der Anspruch nicht die Aussage enthalte, dass die Dauer des LED-Stroms mittels einer niederfrequenten PWM-Signalkomponente gesteuert werde. Da eine entsprechende Aussage auch in den Hilfsanträgen 1 bis 8a fehle, sei die Verteidigung des Streitpatents in diesen Fassungen unzulässig.

50Der Gegenstand von Anspruch 1 in der Fassung nach Hauptantrag' beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Eine Versorgungseinrichtung mit den Merkmalen nach dieser Fassung sei für den Fachmann, einen Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik bzw. einen entsprechenden Master mit besonderen Fachkenntnissen und mehrjähriger Berufserfahrung im Bereich der Vorschaltgeräte für LED-Leuchtmittel, ausgehend von der internationalen Patentanmeldung 01/69980 (HE5) nahegelegt.

51III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug im Ergebnis Stand.

521. Ohne Erfolg wendet sich die Berufung gegen die Beurteilung des Patentgerichts, dass Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldeunterlagen (HE4) hinausgeht.

53Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Auffassung der Klägerinnen zutrifft, dass die Merkmale 5 bis 8 ursprünglich offenbart sind. Denn jedenfalls Merkmalsgruppe 9 ist in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht in vollem Umfang unmittelbar und eindeutig offenbart.

54a) Ohne Erfolg machen die Klägerinnen geltend, eine Steuerung der durchschnittlichen Amplitude des LED-Stroms während des ersten Zeitintervalls sei den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht zu entnehmen.

55Das Patentgericht hat bereits in seinem qualifizierten Hinweis festgestellt, dass der in HE4 verwendete Begriff der "magnitude" und der im erteilten Anspruch 1 verwendete Begriff "amplitude" aus der maßgeblichen Sicht des Fachmanns gleichbedeutend sind. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese Feststellung unzutreffend ist, zeigen die Klägerinnen nicht auf.

56b) Wie oben aufgezeigt wurde, bestimmt Merkmalsgruppe 9 jedoch, dass die Steuereinrichtung Mittel umfasst, um dem steuerbaren Schalter ein hochfrequentes PWM-Signal zuzuführen, das sowohl dazu dient, die durchschnittliche Amplitude des LED-Stroms während des ersten Zeitintervalls zu steuern als auch die Dauer dieses ersten Zeitintervalls.

57Eine solche Steuereinrichtung ist in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht vorgesehen. Dort ist sowohl in der Beschreibung (Abs. 8) wie in den Ansprüchen 1 und 2 vorgesehen, dass die Steuereinrichtung Mittel umfasst, um dem steuerbaren Schalter ein duales PWM-Signal zuzuführen, wobei dessen hochfrequente Komponente dazu dient, die Größe (magnitude) des Stroms zu steuern, während die niederfrequente Komponente dazu dient, die Dauer des LED-Stroms zu steuern.

582. Die Berufung bleibt danach auch insoweit erfolglos, als die Beklagte Patentanspruch 1 in der Fassung der Hilfsanträge 1 bis 8a verteidigt.

59Da sich Anspruch 1 in der Fassung dieser Hilfsanträge hinsichtlich Merkmalsgruppe 9 von der erteilten Fassung, wie sie mit dem Hauptantrag verteidigt wird, nur insofern unterscheidet, als in Merkmal 9 von einer hochfrequenten Signalkomponente die Rede ist, geht Patentanspruch 1 auch in diesen Fassungen über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldeunterlagen hinaus.

603. Die Verteidigung des Streitpatents in der Fassung von Hauptantrag' bleibt ebenfalls erfolglos. Der Schutzbereich von Patentanspruch 1 in dieser Fassung ist gegenüber demjenigen von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung unzulässig erweitert.

61a) Nach Hauptantrag' ist Merkmalsgruppe 9 wie folgt gefasst (Änderungen hervorgehoben):

63Die Verteidigung von Patentanspruch 1 in dieser Fassung ist unzulässig.

64Nach der Rechtsprechung des Senats führt die nachträgliche Einbeziehung eines vom Streitpatent in der erteilten Fassung nicht geschützten Gegenstands in einen Patentanspruch zu einer unzulässigen Erweiterung des Schutzbereichs des Streitpatents.

65Das Patentnichtigkeitsverfahren eröffnet dem Patentinhaber zwar die Möglichkeit, das Schutzrecht in eingeschränkter Fassung zu verteidigen. Es dient aber nicht darüber hinaus der Gestaltung des Patents. Diese Funktion ist vielmehr allein dem Patenterteilungsverfahren zugewiesen. Deshalb darf ein Patentanspruch im Nichtigkeitsverfahren nicht so geändert werden, dass er einen von der erteilten Fassung nicht umfassten Gegenstand einbezieht (, GRUR 2024, 603 Rn. 43 - Happy Bit; Urteil vom - X ZR 56/17, GRUR 2019, 389 Rn. 33 - Schaltungsanordnung III).

66Im Streitfall führt die Streichung von Merkmal 9.2 und die Änderung von Merkmal 9.1 zur Einbeziehung eines anderen Gegenstands in diesem Sinne. In dieser Fassung des Anspruchs kann nicht lediglich eine Konkretisierung der ursprünglich geschützten Lehre gesehen werden, vielmehr wird Schutz für eine andere technische Lehre (ein Aliud) begehrt.

67In der erteilten Fassung stellt Patentanspruch 1 eine Versorgungseinrichtung unter Schutz, die eine Steuereinrichtung mit Mitteln umfasst, um dem steuerbaren Schalter während des ersten Zeitintervalls jeder Periode des LED-Stroms ein hochfrequentes PWM-Signal zuzuführen. Dieses hochfrequente Signal dient sowohl der Steuerung der durchschnittlichen Amplitude des LED-Stroms während des ersten Zeitintervalls als auch der Steuerung der Dauer dieses ersten Zeitintervalls.

68Patentanspruch 1 in der Fassung nach Hauptantrag' sieht dagegen vor, dass die Steuereinrichtung Mittel umfasst, um dem steuerbaren Schalter während des ersten Zeitintervalls jeder Periode des LED-Stroms ein PWM-Signal zuzuführen, wobei dieses Signal eine hochfrequente Komponente umfasst, um die durchschnittliche Amplitude des LED-Stroms zu steuern, und eine niederfrequente Komponente, mit der die Dauer des LED-Stroms gesteuert wird.

69Die Fassung nach Hauptantrag' bezieht damit Versorgungseinrichtungen ein, die solche in Merkmalen 9 und 9.1 beschriebenen Mittel aufweisen. Eine Versorgungseinrichtung, bei der die Dauer des LED-Stroms mittels einer niederfrequenten Komponente eines pulsweitenmodulierten Signals gesteuert wird, verwirklicht jedoch nicht Merkmal 9.2 in der erteilten Fassung und wird daher von Patentanspruch 1 in dieser Fassung nicht erfasst.

70Die Berufung bleibt danach auch insoweit erfolglos, als die Beklagte Patentanspruch 1 in der Fassung der Hilfsanträge 1' bis 8a' verteidigt, da diese Hilfsanträge hinsichtlich Merkmalsgruppe 9 sämtlich ebenso gefasst sind wie nach Hauptantrag'.

71Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160524UXZR62.22.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-70308