BVerwG Urteil v. - 11 A 11/23

Tatbestand

1Die angefochtene Veränderungssperre sichert die Trassierung einer Höchstspannungsleitung in einem Trassenkorridor nach dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG). Sie steht der von der Gemeinde T., einer bayerischen Gemeinde, geplanten Erweiterung eines Wasserschutzgebietes entgegen. Ebenso wie diese (11 A 12.23) greift der Kläger, ein Landwirt, die Veränderungssperre an.

2Die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur) legte mit der Entscheidung vom für den Abschnitt C (Raum Hof bis Raum Schwandorf) des Vorhabens Nr. 5 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG (Wolmirstedt - Isar, sog. SuedOstLink) einen raumverträglichen Trassenkorridor im Sinne von § 12 Abs. 2 NABEG für die als Erdkabel zu errichtende Leitung zur Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung fest. Vorhabenträgerin für diesen Abschnitt ist die Beigeladene, die am einen Antrag auf Planfeststellung der Leitung gestellt hat.

3Der Trassenkorridor verläuft im Gebiet der Gemeinde T. westlich der Bundesautobahn A 93. Innerhalb des Korridors befinden sich zwei Trinkwasserschutzgebiete. Das Wasserschutzgebiet "Am Sedling", das dem Schutz des Tiefbrunnens II "Am Sedling" dient, erstreckt sich von der Bundesautobahn bis in die Mitte des Korridors. Für die Grundwasserentnahme aus diesem Tiefbrunnen verfügte die Gemeinde T. zuletzt über befristete wasserrechtliche Erlaubnisse, darunter die bis zum befristete Erlaubnis vom . Südwestlich schließt sich das Wasserschutzgebiet "Am Sportplatz" an, dessen Wasserfassung seit Dezember des Jahres 2016 nicht mehr zur Trinkwasserversorgung genutzt wird. Nach den bis zum öffentlich ausgelegten Unterlagen für die Planfeststellung beabsichtigt die Beigeladene, die Leitung in der Mitte des Trassenkorridors zu führen. Die Vorzugstrasse verläuft außerhalb der derzeitigen Schutzzonen des Wasserschutzgebiets "Am Sedling", beansprucht aber die Schutzzone III des außer Betrieb genommenen Wasserschutzgebiets "Am Sportplatz".

4Die Gemeinde T. plant, das Wasserschutzgebiet "Am Sedling" zu erweitern. Ausweislich des hydrogeologischen Basisgutachtens vom (im Folgenden: Gutachten vom ) sollen sich dessen zukünftige Zonen II und III insbesondere Richtung Westen bzw. Nordwesten hin ausdehnen, so dass die Vorzugstrasse den Verboten und Beschränkungen des dem Gutachten beigefügten Entwurfs einer Schutzgebietsverordnung unterliegen würde.

5Am hat die Bundesnetzagentur eine Veränderungssperre nach § 16 Abs. 1 NABEG für die von dem eingereichten und ausgelegten Plan betroffenen Grundstücke mit den Flurstücksnummern ... und ... der Gemarkung T. erlassen und zur Begründung u. a. angeführt, dass die von der Gemeinde T. beabsichtigte Erweiterung des Wasserschutzgebiets "Am Sedling" die Trassierung im betreffenden Bereich des Trassenkorridors wesentlich erschweren oder gar unmöglich machen würde. Die zur Sicherung des Trassenkorridors erlassene Veränderungssperre sei auch verhältnismäßig. Die Trinkwasserversorgung der Gemeinde T. als ein herausragender Belang sei sichergestellt. Die Nutzung der Grundstücke des Klägers werde lediglich befristet und nur im Rahmen der Wirkungen des § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 NABEG beschränkt.

6Der Kläger ist Eigentümer der von dem räumlichen Anwendungsbereich der Veränderungssperre erfassten Grundstücke mit den Flurstücksnummern ... und ... Er macht geltend, die rechtlichen Änderungen, die mit der geplanten Erweiterung des Wasserschutzgebiets einhergingen, könnten den Erlass einer Veränderungssperre nicht begründen. Die Vorzugstrasse sei zudem wegen eines unzureichenden und fehlerhaften Variantenvergleichs nicht planfeststellungsfähig. Der Belang der Trinkwasserversorgung überwiege das Sicherungsinteresse der Veränderungssperre. Der Tiefbrunnen II "Am Sedling" könne durch die Arbeiten für das Vorhaben beeinträchtigt werden. Die Erweiterung des Wasserschutzgebiets sei für dessen weiteren Betrieb und damit die Trinkwasserversorgung auch des Klägers dringend geboten. Alternative Möglichkeiten der Trinkwasserversorgung gebe es nicht. Die Veränderungssperre, welche die Grundstücke des Klägers im Wert mindere, greife unangemessen in sein Grundrecht auf Eigentum ein und beschränke unverhältnismäßig die Nutzungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Grundstücke.

7Mit Bescheid vom verlängerte das Landratsamt Hof die wasserrechtliche Erlaubnis der Gemeinde T. zur Wasserentnahme am Tiefbrunnen II "Am Sedling" mit einer Fördermenge von 70 000 cbm/a bis zum .

8Der Kläger beantragt,

die Veränderungssperre vom aufzuheben.

9Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,

die Klage abzuweisen.

10Sie verteidigen die Veränderungssperre.

11Einen Antrag der Gemeinde T. auf vorläufigen Rechtsschutz hat der Senat mit Beschluss vom - 11 VR 1.23 - abgelehnt.

Gründe

12Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO und § 6 Satz 2 Nr. 1 Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) und Nr. 5 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG für die Entscheidung über die Klage zuständig. Der Senat entscheidet gemäß § 10 Abs. 4 VwGO in der Besetzung mit drei Richtern.

131. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Kläger klagebefugt. Er ist als Eigentümer der in dem verfügenden Teil der Veränderungssperre aufgeführten und darin in der Nutzung beschränkten Grundstücke Adressat der - in Form einer sachbezogenen Allgemeinverfügung nach § 16 Abs. 3 Satz 1 NABEG und § 35 Satz 2 Var. 2 VwVfG - ergangenen Veränderungssperre (vgl. 4 A 7.20 - Buchholz 316 § 28 VwVfG Nr. 20 Rn. 18 m. w. N. und Rn. 22).

142. Die Klage ist unbegründet. Die angegriffene Veränderungssperre leidet nicht an den geltend gemachten Rechtsfehlern.

15a) Der Senat ist auf die Prüfung derjenigen Tatsachen und Beweismittel beschränkt, welche der Kläger innerhalb der zehnwöchigen Begründungsfrist nach § 16 Abs. 5 Satz 2 Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) i. d. F. von Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich vom (BGBl. I Nr. 71) i. V. m. § 43e Abs. 3 Satz 1 EnWG angegeben hat. Innerhalb dieser Begründungsfrist hat die Klägerseite grundsätzlich den Prozessstoff festzulegen, wobei späterer, lediglich vertiefender Vortrag nicht ausgeschlossen ist (vgl. zur Parallelvorschrift des § 6 Satz 1 UmwRG: 9 A 8.17 - BVerwGE 163, 380 Rn. 14 m. w. N.; vgl. zu § 43e Abs. 3 Satz 1 EnWG a. F.: 4 A 16.16 - Buchholz 451.17 § 43e EnWG Nr. 2 Rn. 67).

16Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Veränderungssperre nach § 16 Abs. 1 NABEG zu Recht ergangen ist, ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Erlasses. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen einer Rechtsgrundlage erfüllt sein müssen, nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht zu beantworten (vgl. 8 C 112.67, 8 C 115.67 - BVerwGE 34, 155 <157 f.> und vom - 4 C 5.15 - BVerwGE 156, 1 Rn. 13 m. w. N.). § 16 Abs. 2 NABEG ist zu entnehmen, dass eine auf den Erlass der Veränderungssperre folgende Änderung der Sach- oder Rechtslage auf deren Rechtmäßigkeit keinen Einfluss haben soll. Die Aufhebung der Veränderungssperre von Amts wegen nach § 16 Abs. 2 Satz 1 NABEG und die Aufhebung auf Antrag hin nach § 16 Abs. 2 Satz 2 NABEG haben die Funktion, die Veränderungssperre nach ihrem Erlass unter Kontrolle zu halten (vgl. 4 VR 8.20 - Buchholz 451.17 § 43e EnWG Nr. 6 Rn. 28).

17b) Die Einwände des Klägers gegen das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der Veränderungssperre greifen nicht durch.

18Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 NABEG kann die Bundesnetzagentur mit dem Abschluss der Bundesfachplanung oder nachträglich für einzelne Abschnitte der Trassenkorridore Veränderungssperren erlassen, soweit für diese Leitungen ein vordringlicher Bedarf im Sinne des Bundesbedarfs festgestellt wird und anderenfalls die Möglichkeit besteht, dass die Trassierung der darin zu verwirklichenden Leitungen erheblich erschwert wird.

19aa) Für die Leitung ist ein vordringlicher Bedarf festgestellt. Die gesonderte Feststellung eines vordringlichen Bedarfs ist entbehrlich. Dieses Tatbestandsmerkmal hat, wie sich aus § 2 Abs. 1 NABEG i. V. m. § 1 Abs. 1 BBPlG ergibt, eine bloß klarstellende Funktion (vgl. 4 VR 8.20 - Buchholz 451.17 § 43e EnWG Nr. 6 Rn. 15).

20bb) Die Bundesnetzagentur durfte die Veränderungssperre am erlassen, da die Bundesfachplanung zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen war. Dem Erlass stand auch nicht entgegen, dass zuvor durch den Beginn der Auslegung der Pläne im Planfeststellungsverfahren nach § 18 Abs. 5 NABEG i. V. m. § 44a Abs. 1 Satz 1 EnWG bereits eine sogenannte akzessorische Veränderungssperre in Kraft getreten war. Denn die durch Allgemeinverfügung bewirkte, selbständige Veränderungssperre nach § 16 Abs. 1 NABEG und die durch Gesetz eintretende, akzessorische Veränderungssperre nach § 44 Abs. 1 Satz 1 EnWG können nebeneinander bestehen (vgl. Appel, UPR 2013, 207 <209>; Pielow, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl. 2019, EnWG, § 44a Rn. 5; a. A., wenngleich ohne nähere Begründung Riese/​Nebel, in: Steinbach/​Franke, Kommentar zum Netzausbau, 3. Aufl. 2023, § 16 NABEG Rn. 47).

21cc) Die geplante Erweiterung des Wasserschutzgebiets kann die Trassierung erheblich erschweren.

22(1) Entgegen der Auffassung des Klägers gehören zu den Erschwernissen, die durch eine Veränderungssperre abgewehrt werden sollen, neben tatsächlichen Hindernissen in Gestalt der Verwirklichung von baulichen Anlagen und sonstigen Vorhaben gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 NABEG auch rechtliche Änderungen insoweit, als sie die Nutzbarkeit eines Grundstücks mit nachteiligen Folgen für das geplante Vorhaben einschränken. Denn der Wortlaut des § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NABEG ist mit Blick auf die Qualität der Veränderungen offen und nicht auf tatsächliche Veränderungen beschränkt. Das Veränderungsverbot bildet einen Auffangtatbestand, der entsprechend dem Schutzzweck einer Veränderungssperre auszulegen ist (vgl. 4 VR 8.20 - Buchholz 451.17 § 43e EnWG Nr. 6 Rn. 18).

23Für den Erlass einer Veränderungssperre genügt die Möglichkeit, dass die an den festgelegten Trassenkorridor gebundene Trassierung (§§ 4, 15 Abs. 1 Satz 1 NABEG) durch neue tatsächliche oder rechtliche Hindernisse erheblich erschwert wird. Mit diesem weiten Maßstab soll im Interesse der zügigen Verwirklichung des energiewirtschaftlich vordringlichen Vorhabens das an die Bundesfachplanung anschließende Planfeststellungsverfahren nach §§ 18 ff. NABEG gesichert und so verhindert werden, dass der für die Planung zur Verfügung stehende Raum verengt wird. Es reicht, wenn solche Maßnahmen nicht völlig ausgeschlossen bzw. fernliegend sind.

24(2) Die geplante Erweiterung des Wasserschutzgebiets schränkt die Nutzbarkeit der betroffenen Grundstücke für die Realisierung des Vorhabens ein. Denn nach dem Entwurf für die Wasserschutzgebietsverordnung sollen in den Schutzzonen u. a. die - für die Verwirklichung der Trasse notwendige - Verlegung von Leitungen, die Einrichtung von Baustellen sowie das Auf- und Einbringen von Bodenmaterial auf oder in den Boden beschränkt werden oder gänzlich verboten sein. Dass die zuständige Behörde hiervon nach ihrem Ermessen eine Befreiung erteilen wird, steht nicht hinreichend verbindlich fest und lässt das Sicherungsinteresse daher nicht entfallen (vgl. 4 A 6.20 - NVwZ 2022, 1640 Rn. 37).

25Der Möglichkeit einer erheblichen Erschwernis der Trassierung steht nicht entgegen, dass die Planung der Gemeinde T. für die Erweiterung des Wasserschutzgebiets sich noch in einem frühen Stadium befindet und wesentliche Verfahrensschritte fehlen. Sie erstrebt die Erweiterung des Wasserschutzgebiets gerade im Hinblick auf § 52 WHG, der es in seinem Absatz 2 erlaubt, dass in einem als Wasserschutzgebiet vorgesehenen Gebiet einstweilige Anordnungen getroffen werden können.

26(3) Ins Leere geht schließlich der Einwand des Klägers, die von der Vorhabenträgerin beantragte Vorzugstrasse sei wegen eines fehlerhaften Variantenvergleichs nicht planfeststellungsfähig und damit schon nicht sicherungsfähig. Die Prüfung, ob eine Trasse planfeststellungsfähig ist, erfolgt im Planfeststellungsverfahren, dessen Sicherung die Veränderungssperre dient. Mit der Veränderungssperre soll dagegen eine ordnungsgemäße Prüfung aller in Betracht kommenden Trassenvarianten und eine umfassende Abwägungsentscheidung ermöglicht werden. Dies schließt es aus, bereits im Rahmen der rechtlichen Bewertung der Veränderungssperre bestimmte Trassenalternativen im Wege einer nur überschlägigen und mangels ausreichender Untersuchungen letztlich unzureichenden Vorprüfung für vorzugswürdig und andere, denen Hindernisse entgegenstehen können, als entbehrlich einzustufen und für das weitere Verfahren auszuscheiden (vgl. 4 A 6.20 - NVwZ 2022, 1640 Rn. 27).

27c) Die gegen die Ausübung des Ermessens vorgebrachten Einwände zeigen keinen Rechtsverstoß auf.

28aa) Insbesondere bleibt die Forderung des Klägers erfolglos, anstatt der Vorzugstrasse sei eine Alternativtrasse zu wählen. Der Veränderungssperre kommt lediglich die Funktion zu, den Trassenkorridor für die spätere Auswahl zwischen den Trassenalternativen im Planfeststellungsverfahren und die künftige Planfeststellung zu sichern. Dies schließt es aus, im Rahmen der Ermessensausübung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 NABEG bestimmte Trassenalternativen als vorzugswürdig und andere, denen Hindernisse entgegenstehen können, als entbehrlich einzustufen und so der Planfeststellung vorzugreifen.

29bb) Der Kläger kann gerichtlich überprüfen lassen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der ihn belastenden Veränderungssperre erfüllt sind (s. o.). Dies beinhaltet die Prüfung, ob der Anlass für die Veränderungssperre tatsächlich besteht, ob also durch die von der Gemeinde geplante Erweiterung des Wasserschutzgebietes das Vorhaben erheblich erschwert werden kann. Der in seinem Eigentumsrecht betroffene Kläger, der zu dem von der Gemeinde gesetzten Anlass nichts beigetragen hat, kann auch gerichtlich überprüfen lassen, ob die Veränderungssperre in Bezug auf die von der Gemeinde angeführten Belange verhältnismäßig ist. Insofern kann er sich auf den Belang einer gesicherten und ausreichenden Trinkwasserversorgung im Sinne von Art. 57 Abs. 2 Satz 1 BayGO und § 50 Abs. 1 WHG berufen. Der Belang überwiegt aber nicht das Interesse an der zeitlich befristeten Sicherung der Planfeststellung für das Vorhaben von herausragender Bedeutung für die überregionale Stromversorgung (vgl. § 2 Abs. 1 NABEG i. V. m. § 1 Abs. 1 BBPlG).

30(1) Der Kläger meint, der Betrieb des Tiefbrunnens II "Am Sedling" könne durch Arbeiten für das Vorhaben beeinträchtigt werden, die zu dessen Außerbetriebnahme führen, und damit eine - auf einige Wochen beschränkte - Notversorgung durch den Wasserzweckverband Bayerisches Vogtland notwendig machen. Das führt nicht auf einen Ermessensfehler. Die Veränderungssperre nach § 16 NABEG dient nur dazu, einen Trassenkorridor für die spätere Planfeststellung zu sichern. Sie lässt aber keine vorbereitenden Maßnahmen - etwa durch den Vorhabenträger - zu.

31(2) Soweit die Gemeinde T. einem künftigen Trassenverlauf im Bereich der Schutzzone III des außer Betrieb genommenen Wasserschutzgebiets "Am Sportplatz" begegnen will, weil sie das Wasserschutzgebiet "Am Sedling" dorthin zur langfristigen Sicherung der Trinkwasserversorgung durch den Tiefbrunnen II "Am Sedling" erweitern will, bleibt der Klage der Erfolg ebenfalls versagt. Eine gewichtige Beeinträchtigung des Interesses an der langfristigen Sicherung der Trinkwasserversorgung durch diesen Tiefbrunnen scheidet schon wegen der Befristung der Veränderungssperre nach § 16 Abs. 1 Satz 3 NABEG aus (vgl. 4 VR 8.20 - NVwZ 2021, 1536 Rn. 30 <insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 451.17 § 43e EnWG Nr. 6>). Die Veränderungssperre schließt die Erweiterung des Wasserschutzgebiets nur vorübergehend aus.

32(3) Die Erweiterung des Wasserschutzgebiets für den Tiefbrunnen II "Am Sedling" ist nicht wegen einer kritischen Lage der Trinkwasserversorgung dringend erforderlich.

33(a) Maßgeblich für die Dringlichkeit des Belangs der öffentlichen Trinkwasserversorgung ist, ob die Gemeinde in der Lage ist, den Trinkwasserbedarf tatsächlich zu decken, und ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich dies in einem überschaubaren Zeitraum nachteilig ändern wird (vgl. 4 A 6.20 - NVwZ 2022, 1640 Rn. 40). Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Prognose ist von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung auszugehen. Dabei gelten umso geringere Anforderungen an die Prognose, je weiter diese in die Zukunft reicht.

34(b) Gemessen daran bestand im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre kein Anlass, die Trinkwasserversorgung der Gemeinde T. als kritisch anzusehen.

35Nach dem Gutachten vom deckt die Gemeinde T. etwa 96 Prozent ihres Rohwasserbedarfs über den Tiefbrunnen II "Am Sedling". Die restlichen circa vier Prozent bezieht sie über den benachbarten Wasserzweckverband Bayerisches Vogtland. Die Trinkwasserversorgung war im maßgeblichen Zeitpunkt aufgrund der der Gemeinde T. mit Bescheid vom erteilten und bis zum gültigen wasserrechtlichen Erlaubnis zur Wasserentnahme aus dem Tiefbrunnen II "Am Sedling" mit einer Fördermenge in Höhe von 70 000 cbm/a gesichert. Für die Annahme, die zuständige Behörde werde der Wasserentnahme in der Folge Einhalt gebieten, insbesondere die wasserrechtliche Erlaubnis nicht verlängern, bestand kein Anlass. Denn die Behörde hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach, darunter mit Bescheiden vom und vom , Verlängerungen erteilt, dabei die Fördermengen jeweils angepasst und auch Wasserentnahmen jenseits der erlaubten Fördermenge geduldet (vgl. 11 VR 1.23 - juris Rn. 33). Diese Einschätzung wird im Übrigen durch die erneute Verlängerung der wasserrechtlichen Erlaubnis mit Bescheid vom für eine Fördermenge in Höhe von 70 000 cbm/a und mit einer Gültigkeit bis zum bestätigt. Dass die zuständige Behörde die wasserrechtliche Erlaubnis über diesen Zeitpunkt hinaus in der Zukunft nicht weiter verlängern wird, ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte nicht anzunehmen, zumal sie in dem vorgenannten Bescheid abermals das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Versagung nach § 12 Abs. 1 WHG verneint hat. Es ist auch nicht absehbar, dass die Zulieferungen des Wasserzweckverbandes Bayerisches Vogtland in dem bisherigen Umfang in Frage stünden.

36Dass zur Versorgungssicherheit der Bevölkerung über die erlaubte Fördermenge in Höhe von 70 000 cbm/a hinaus 90 000 cbm/a gefördert werden müssten, entbehrt einer hinreichenden Grundlage. Wie der Senat in dem vorangehenden Eilbeschluss vom - 11 VR 1.23 - festgestellt hat, beruhen die erhöhten Fördermengen in den Jahren 2017 bis 2022 ausweislich des Gutachtens vom auf Wasserverlusten, insbesondere infolge eines sanierungsbedürftigen Rohrnetzes, denen die Gemeinde T. durch Sanierungsarbeiten abhelfen kann (vgl. 11 VR 1.23 - juris Rn. 28 ff.). Diese Einschätzung wird durch den Verweis der Gemeinde T. auf die schrittweise Umsetzung eines Sanierungskonzepts sowie die Fördermenge für das Jahr 2023 in Höhe von 65 778 cbm bestätigt.

37Der Einwand, das Wasserschutzgebiet sei - unabhängig von den Fördermengen - wegen zu geringer Deckschichten sowie erhöhter Nitrat- und Chloridgehalte im Boden dringend zu erweitern, erweist sich ebenfalls nicht als stichhaltig. Die Deckschichtverhältnisse und die Schadstoffgehalte waren Gegenstand der Untersuchung des Gutachtens vom . Darin werden die Deckschichtverhältnisse zwar als sehr sensibel gegenüber Eingriffen bewertet. Allerdings beträgt der Chloridgehalt im Grundwasser lediglich 70 mg/l. Der einschlägige Grenzwert für Chlorid in Höhe von 250 mg/l gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. Anlage 3 Teil I der Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch vom (vgl. BGBl. I Nr. 159, im Folgenden: Trinkwasserverordnung) wird damit nicht annäherungsweise erreicht. Den Nitratgehalt veranschlagt das Gutachten vom bei 34,5 - 39,7 mg/l und stellt - im Einklang mit § 7 Abs. 2 i. V. m. Anlage 2 Teil I der Trinkwasserverordnung - sodann fest, dass der einschlägige Grenzwert der Trinkwasserverordnung in Höhe von 50 mg/l nicht überschritten wird. Insgesamt attestiert das Gutachten dem aus dem Tiefbrunnen II "Am Sedling" geförderten Rohwasser in qualitativer Hinsicht einen einwandfreien Zustand. Der Bescheid vom stützt die nochmalige Verlängerung der wasserrechtlichen Erlaubnis für die Wasserentnahme aus dem Tiefbrunnen II "Am Sedling" mit der Fläche und dem Zuschnitt des gegenwärtig festgesetzten Wasserschutzgebiets darauf, dass schädliche Gewässerveränderungen im Sinne von § 12 Abs. 1 WHG nicht zu erwarten sind.

38Dass der Tiefbrunnen II "Am Sedling" das einzige Standbein für die Trinkwasserversorgung der Gemeinde T. ist, verleiht diesem Belang gegenüber dem Sicherungszweck der Veränderungssperre kein höheres Gewicht. Eine nachteilige Veränderung der ortsnahen Trinkwasserversorgung (vgl. § 50 Abs. 2 WHG) ist nicht zu prognostizieren (s. o.). Der Zustand, dass die Gemeinde T. nur über ein Standbein verfügt, währte im maßgeblichen Zeitpunkt bereits seit nahezu sieben Jahren. Ihr stand seither die Möglichkeit offen, sich mit einer Verbundleitung zu einem Drittanbieter ein zweites Standbein der Trinkwasserversorgung zu schaffen, wie sie selbst ebenso wie das Gutachten vom anerkennt.

39Aus genannten Gründen ist daher auch nicht zu gewärtigen, dass sich durch die Veränderungssperre die persönliche Situation des Klägers in Bezug auf die Trinkwasserversorgung zu seinen Lasten nachteilig verändert könnte.

40cc) Die von dem Kläger geltend gemachten Belange des Eigentums an den betroffenen Grundstücken und der dort ausgeübten landwirtschaftlichen Bewirtschaftung überwiegen das Sicherungsinteresse der Veränderungssperre ebenfalls nicht. Der Kläger hat zu der Art und dem Umfang seines landwirtschaftlichen Betriebs keine näheren Ausführungen gemacht. Er hat nicht beschrieben, wie die betroffenen Grundstücke im Einzelnen derzeit bewirtschaftet werden, welche Bedeutung der Bewirtschaftung für den Gesamtbetrieb zukommt und welche Entwicklungs- und Nutzungsmöglichkeiten der betroffenen Grundstücke konkret beeinträchtigt sein sollen. Die Wirkungen der zeitlich befristeten Veränderungssperre nach § 16 Abs. 1 Satz 2 NABEG setzen erst jenseits der dort geregelten Schwellen (Nr. 1: "entgegenstehen" und Nr. 2 "erheblichen oder wesentlich wertsteigernden Veränderungen") ein. Geringfügigere Veränderungen sind dem Kläger erlaubt. Unabhängig davon ist die Nutzung der betroffenen Grundstücke bereits von Gesetzes wegen mit der akzessorischen Veränderungssperre gemäß § 44a Abs. 1 EnWG belegt, die neben der selbständigen Veränderungssperre nach § 16 Abs. 1 NABEG bestehen kann (s. o.). Ein etwaig geminderter Grundstückswert entfaltet gegenüber dem Sicherungsinteresse der Veränderungssperre nur ein geringes Gewicht.

41Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:130324U11A11.23.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-69671