Online-Nachricht - Montag, 17.06.2024

Verfahrensrecht | Nachweis der Bekanntgabe bei Rechtsnachfolge (FG)

Bei Bestreiten des Zugangs eines Steuerbescheids an den Rechtsvorgänger durch den Rechtsnachfolger sind keine übermäßig hohen Anforderungen an die darzulegenden Zweifel zu stellen (; Revision anhängig, BFH-Az. VI R 16/24).

Sachverhalt: Die Klägerin ist eine Stiftung und Gesamtrechtsnachfolgerin der 1929 geborenen und im Februar 2020 verstorbenen Steuerpflichtigen. Das beklagte Finanzamt erließ gegenüber der Steuerpflichtigen einen Einkommensteuerbescheid für 2016, der am vom Rechenzentrum abgesandt wurde. Den sich hieraus ergebenden Erstattungsbetrag i.H.v. 178,62 € überwies das Finanzamt an die Steuerpflichtige.

Nach dem Tod der Steuerpflichtigen fanden Mitarbeiter der Testamentsvollstreckerin im Haushalt sämtliche Unterlagen einschließlich der Steuerunterlagen gut sortiert vor. Darunter befanden sich auch die im Jahr 2019 bzw. Anfang 2020 erlassenen Einkommensteuerbescheide für 2017 und 2018, nicht aber der Bescheid für 2016. Stattdessen wurde eine Berechnung des Steuerberaters vorgefunden, nach der für 2016 eine Erstattung von 281,67 € erwartet wurde.

Auf Nachfrage des Prozessbevollmächtigten der Klägerin übermittelte das Finanzamt diesem eine Abschrift des Bescheids. Im daraufhin eingeleiteten Einspruchsverfahren machte die Klägerin steuermindernde Kosten i.H.v. 200.000 € geltend und trug vor, dass der Bescheid nicht bekannt gegeben worden ist. Das Finanzamt verwarf den Einspruch als unzulässig, da aufgrund der gesetzlichen Zugangsfiktion von einer Bekanntgabe auszugehen sei.

Die hiergegen erhobene Klage hatte in vollem Umfang Erfolg:

  • Der Einkommensteuerbescheid für 2016 vom gilt als nicht bekannt gegeben.

  • Grundsätzlich obliegt der Behörde der volle Beweis für den Zugang eines schriftlichen Verwaltungsakts, wobei bestimmte Verhaltensweisen des Steuerpflichtigen innerhalb eines längeren Zeitraums nach Absendung indiziell gewürdigt werden können.

  • Wenn ein Rechtsnachfolger geltend macht, ein Bescheid sei seinem Rechtsvorgänger nicht zugegangen, genügt ein Bestreiten mit Nichtwissen nicht. Vielmehr müssen jedenfalls im Ansatz begründete Zweifel am Zugang feststellbar sein.

  • Diese Zweifel liegen im Streitfall vor, sodass die Zugangsfiktion erfolgreich erschüttert wird.

  • Zunächst folgt dies daraus, dass die tatsächliche Erstattung deutlich niedriger ausgefallen ist als vom Steuerberater errechnet. Im Fall einer Bekanntgabe wäre zu erwarten gewesen, dass die Steuerpflichtige Kontakt zum Finanzamt oder ihrem Steuerberater aufgenommen hätte.

  • Weiter begründet die von den Mitarbeitern der Sparkasse vorgefundene Situation im Haushalt der Steuerpflichtigen Zweifel an der Bekanntgabe. Im Fall der Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids für 2017 wäre zu erwarten gewesen, dass dieser Bescheid - wie alle anderen Unterlagen auch - aufbewahrt worden wäre.

  • Aus der Überweisung des Erstattungsbetrags ließ sich für den Senat keine sichere Überzeugung des Zugangs gewinnen. Selbst wenn man annimmt, dass die Steuerpflichtige diese Überweisung wahrgenommen hat, ist denkbar, dass sie von einer Bekanntgabe des Bescheids an den Steuerberater ausgegangen ist, der sich um den weiteren Fortgang gekümmert hat. Hierbei ist auch das fortgeschrittene Alter der Steuerpflichtigen zu berücksichtigen.

  • Auch die spätere Bekanntgabe weiterer Einkommensteuerbescheide kann keine Indizwirkung für den streitigen Bescheid entfalten.

Hinweis:

Die Revision gegen die Entscheidung ist beim BFH unter dem Az. VI R 16/24 anhängig.

Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW veröffentlicht.

Quelle: FG Münster, Newsletter Juni 2024 (il)

Fundstelle(n):
ZAAAJ-68860