BGH Urteil v. - 5 StR 590/23

Instanzenzug: Az: 1 KLs 12/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in zwei Fällen und Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Das zuungunsten des Angeklagten eingelegte und mit der Verletzung materiellen Rechts begründete, vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung im Straf- und – insoweit auch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) – im Maßregelausspruch.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Am trank der Angeklagte nachmittags mit einem Freund zunächst mehrere Flaschen Bier sowie eine Flasche Gin und konsumierte allein eine Einheit Heroin. Der Freund äußerte, er habe „Bock auf Koks“. Dem Angeklagten ging es ähnlich, so dass die Idee aufkam, jemanden zu überfallen, um an Geld zu kommen. Gegen 19.00 Uhr beobachteten sie die Geschädigte beim Abheben von Bargeld an einem Automaten und folgten ihr; zumindest der Angeklagte hatte den Entschluss gefasst, sie zu überfallen. Als die Geschädigte ihre Haustür geöffnet hatte, drückte der Angeklagte sie in den Hausflur, hielt ihr mit einer Hand Mund, Nase und Augen zu und sagte in ihr Ohr: „Du wirst mir jetzt dein ganzes Geld geben!“ Die um ihr Leben fürchtende Geschädigte konnte sich aus dem Griff befreien und schrie um Hilfe. Dem Angeklagten gelang es, der Geschädigten ihren Stoffbeutel samt Geld zu entreißen. Im Anschluss besorgte er sich von der Beute sechs Kugeln Heroin und konsumierte diese bis zur Festnahme, bei der er mindestens eine Kugel verschluckte. Die Geschädigte erlitt infolge der Tat diverse Verletzungen.

42. Am war der Angeklagte „entzügig“ und benötigte dringend neue Barmittel zur Beschaffung von Heroin. Er betrat gegen 20.42 Uhr einen Kiosk und forderte vom Mitarbeiter unter Vorhalt eines Messers mit den Worten „mach die Kasse auf“ und „gib das Geld her“ die Herausgabe der Tageseinnahme. Weil dem Angeklagten die Aushändigung nicht schnell genug ging, legte der Mitarbeiter die Kassenschublade auf den Tresen. Der Angeklagte entnahm weitere Geldscheine und flüchtete mit 500 Euro. Er besorgte sich Heroin und konsumierte es sogleich.

53. Am war der Angeklagte wiederum „entzügig“ und benötigte für seinen Heroinkonsum neue Barmittel. Er betrat erneut den Kiosk, hielt dem gleichen Mitarbeiter ein Messer vor und sagte: „Mach nochmal die Kasse auf!“ Der Angeklagte entnahm der geöffneten Kasse 240 Euro und flüchtete. Er setzte die Beute sofort in Heroin um und konsumierte dies direkt.

64. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten im Fall 1 als Raub in Tateinheit mit Körperverletzung (§ 249 Abs. 1, § 223 Abs. 1 StGB) und in den Fällen 2 und 3 jeweils als besonders schweren Raub (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) gewertet. Es ist sachverständig beraten davon ausgegangen, der langjährig polytoxikoman abhängige Angeklagte habe sämtliche abgeurteilten Taten im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB begangen.

75. Bei der Strafzumessung hat die Strafkammer das Vorliegen minder schwerer Fälle (§ 249 Abs. 2, § 250 Abs. 3 StGB) verneint, aber die Strafrahmen wegen jeweils angenommener verminderter Steuerungsfähigkeit gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verschoben. Für das Geschehen im Fall 1 hat es eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, in den Fällen 2 und 3 jeweils eine solche von zwei Jahren und acht Monaten verhängt und eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten gebildet.

II.

8Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs und der Maßregelanordnung.

91. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist auf den Strafausspruch und auf die unterbliebene Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge nach § 67 Abs. 2 StGB beschränkt.

10Die Staatsanwaltschaft hat zwar in der Revisionsbegründung beantragt, das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben. Aus den weiteren Ausführungen ergibt sich indes, dass sie sich nur gegen den Strafausspruch und die Nichtanordnung eines Vorwegvollzugs wendet. Die infolge dieser Unklarheit gebotene Auslegung des Angriffsziels des Rechtsmittels (vgl. Rn. 13 mwN) ergibt, dass die Staatsanwaltschaft allein den Strafausspruch und die Nichtanordnung des Vorwegvollzugs angreift.

112. Diese Beschränkung ist hier jedoch insoweit unwirksam, als die Maßregelanordnung nicht angefochten ist.

12Zwar ist eine Beschränkung der Revision innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs grundsätzlich möglich. Deren Rechtswirksamkeit setzt aber voraus, dass der Beschwerdepunkt nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von dem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich unabhängig beurteilt werden kann, ohne eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen, und die nach dem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (st. Rspr.; vgl. , NStZ-RR 2023, 243 mwN). Angesichts der Zweispurigkeit von Strafe und Maßregel besteht zwischen beiden im Regelfall keine Wechselbeziehung, die eine Beschränkung auf den Strafausspruch nicht zuließe; anders ist es hingegen, wenn das Gericht eine solche Wechselbezüglichkeit durch entsprechende Erwägungen in den Urteilsgründen hergestellt hat (vgl. , NStZ-RR 2024, 13, 14 mwN).

13Dies ist hier der Fall. Bei der Strafzumessung hat die Strafkammer die zu den Tatzeitpunkten angenommene verminderte Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) beim Angeklagten auf eine Mischintoxikation (Fall 1) und auf eine Drogenabhängigkeit und Entzügigkeit (Fälle 2 und 3) gestützt. Den symptomatischen Zusammenhang als Anordnungsvoraussetzung für die Maßregel des § 64 StGB hat sie damit begründet, dass die Taten der Drogenbeschaffung für den Eigenkonsum des Angeklagten dienten, der zuvor Heroin und Alkohol konsumiert hatte bzw. „entzügig“ gewesen war. Das Landgericht hat mithin einen inneren Zusammenhang hergestellt, der einer Beschränkung entgegensteht.

143. Der Strafausspruch kann keinen Bestand haben. Die Strafzumessung weist – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsumfangs (st. Rspr.; vgl. ) – Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf.

15a) Das Landgericht hat die Einzelstrafen aus den jeweils nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verschobenen Strafrahmen des § 249 Abs. 1 und des § 250 Abs. 2 StGB zugemessen. Die Annahme einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit erweist sich indes als rechtsfehlerhaft.

16aa) Eine solche ist bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise gegeben, etwa wenn ein langjähriger Betäubungsmittelmissbrauch zu schwersten Persönlichkeitsänderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, oder unter Umständen, wenn er die Tat im Zustand eines akuten Rauschs verübt. Auch die Angst vor unmittelbar bevorstehenden Entzugserscheinungen, die der Täter schon einmal als äußerst unangenehm erlitten hat, kann zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit führen (vgl. , NStZ-RR 2021, 77, 78 mwN).

17bb) Die Urteilsgründe belegen keine dieser Voraussetzungen. Im Einzelnen:

18(1) Im Fall 1 führt die Strafkammer in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen aus, beim Angeklagten habe aufgrund einer Mischintoxikation (Alkohol, Heroin) eine krankhafte seelische Störung als Eingangsmerkmal des § 20 StGB vorgelegen, die nicht ausschließbar die Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB erheblich vermindert habe.

19Es mangelt jedoch an näheren Ausführungen zu Umfang und Dauer des angenommenen Alkoholkonsums, der allein auf den Angaben des Angeklagten beruht. Eine nähere Darlegung hierzu hat sich schon deshalb aufgedrängt, weil der Angeklagte langjährig alkoholgewöhnt ist, er die Tat zudem aus einer „aus dem Konsum entstandenen Laune“ heraus begangen hat und weil Anlass für seine Handlung die Äußerung des Freundes war, er habe „Bock auf Koks“. Angesichts der Tatausführung (Beobachtung und Verfolgung des Opfers) und des Nachtatverhaltens (Verschlucken einer Heroinkugel) hätte es zudem nahegelegen, sich mit dem Leistungsverhalten des Angeklagten auseinanderzusetzen.

20(2) In den Fällen 2 und 3 stellt die Strafkammer darauf ab, dass beim Angeklagten aufgrund „der drohenden bzw. beginnenden Entzügigkeit“ jeweils eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit angenommen werden könne.

21Zur Begründung führt sie lediglich die pauschalen Angaben des Angeklagten an, „im Vorfeld bereits opiatentzügig geworden zu sein bzw. dieses befürchtet zu haben“. Er habe über keine Geldmittel verfügt und sich kurzfristig zur Durchführung der Raubüberfälle entschlossen, um die drohende Entzugssymptomatik abzuwenden. Danach bleibt schon unklar, ob das Landgericht davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe bei Tatbegehung unter starken Entzugserscheinungen gelitten, oder ob es gemeint hat, er habe die Taten aus Angst vor unmittelbar bevorstehenden Entzugserscheinungen begangen. Es hätte sich im Rahmen einer gebotenen Gesamtwürdigung (st. Rspr.; vgl. mwN) dazu verhalten müssen, ob der Angeklagte überhaupt in der Vergangenheit Entzugserscheinungen erlitten hatte und gegebenenfalls welcher Art und Intensität diese gewesen waren. Außerdem wäre zu erörtern gewesen, unter welchen Entzugserscheinungen er bei den Taten litt oder welche er unmittelbar zuvor befürchtete.

22Diese Darlegungsmängel erlauben dem Senat nicht die Prüfung, ob die Annahme des vertypten Strafmilderungsgrundes nach § 21 StGB auf eine ausreichende Tatsachengrundlage gestützt ist.

23b) Die Strafkammer hat zudem entgegen den Vorgaben der ständigen Rechtsprechung rechtsfehlerhaft die Verbüßung von Untersuchungshaft in dieser Sache sowohl bei der Bemessung der Einzelstrafen als auch bei der Bildung der Gesamtstrafe strafmildernd gewertet, ohne dass über die üblichen Beschwernisse hinausgehende Belastungen festgestellt wären (vgl. , NStZ 2014, 31).

24c) Der Strafausspruch beruht auf diesen Rechtsfehlern (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne die Rechtsfehler auf höhere Strafen erkannt hätte. Dies führt zur Aufhebung der Einzelstrafen sowie zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs mit den zugrundeliegenden Feststellungen.

254. Die vom Landgericht angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

26a) Der Senat hat seiner Entscheidung gemäß § 354a StPO die zum in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB (BGBl. 2023 I Nr. 203) zugrunde zu legen. Die dort normierten und nach § 2 Abs. 6 StGB auch für Altfälle geltenden Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt werden durch das Urteil nicht hinreichend belegt. Dies gilt jedenfalls insoweit, als nach § 64 Satz 2 StGB nF eine Anordnung nur ergehen darf, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ein hinreichender Therapieerfolg zu erwarten ist. Mit der Gesetzesänderung hat der Gesetzgeber eine restriktivere Anwendungspraxis bezweckt und bewusst erhöhte prognostische Anforderungen statuiert.

27Für eine Unterbringung genügt es nun nicht mehr, dass eine „hinreichend konkrete Aussicht“ besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. In der Neufassung setzt § 64 Satz 2 StGB vielmehr voraus, dass ein solcher Effekt „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist“. In Anlehnung etwa an die Regelung des § 63 Satz 1 StGB soll dafür eine durch Tatsachen belegte „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ erforderlich sein (BT-Drucks. 20/5913, S. 48; vgl. hierzu Rn. 6).

28b) An diesen Maßstäben konnte sich die Strafkammer bei ihrer Prüfung noch nicht orientieren.

29Sie hat sich zu dieser Frage der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen. Danach bestehe (lediglich) eine hinreichend konkrete Aussicht dafür, den Angeklagten in der Einrichtung zu heilen oder ihn jedenfalls eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren. Nach dem in der Hauptverhandlung vom Angeklagten gewonnenen Eindruck und den Angaben des Sachverständigen sprächen die überwiegenden Aspekte für eine günstige Prognose. Der Angeklagte habe glaubhaft seine Krankheitseinsicht und seinen Therapiewillen gezeigt.

30Diese Ausführungen lassen keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte erkennen, die die Erwartung zu begründen vermögen, die Behandlung werde – trotz der im Übrigen von der Strafkammer nicht ersichtlich in die erforderliche Gesamtbetrachtung einbezogenen prognoseungünstigen Faktoren (langjährige Polytoxikomanie, ein früherer Therapieversuch) – im Sinne des § 64 Satz 2 StGB nF erfolgreich sein. Allein die auf dem Eindruck in der Hauptverhandlung beruhende Vorstellung der Strafkammer von der Persönlichkeit des Angeklagten und die von ihm geäußerte Krankheitseinsicht sowie die erklärte Therapiebereitschaft genügen insoweit nicht.

31c) Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

325. Damit erledigt sich der Angriff der Staatsanwaltschaft gegen das Unterlassen der Anordnung eines Vorwegvollzugs nach § 67 Abs. 2 StGB.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:180124U5STR590.23.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-68222