BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 1468/23

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde eines Sicherungsverwahrten bzgl der Gewährung von Therapieangeboten - Freiheitsgrundrecht gebietet lediglich Angebot Maßnahmen

Gesetze: § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 1 Abs 1 GG, § 66c Abs 1 S 1 StGB, § 67d Abs 2 S 2 StGB, § 67e StGB

Instanzenzug: Az: 2 Ws 88/23 Beschlussvorgehend Az: 589a StVK 47/23 Vollz Beschluss

Gründe

1Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Unterlassen der Justizvollzugsanstalt, dem Beschwerdeführer im Vollzugs- und Eingliederungsplan genannte Gruppentherapien anzubieten.

I.

21. Der einschlägig vorbestrafte Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Mosbach vom unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Mit Beschluss vom ordnete das Landgericht Berlin den Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Die Gesamtfreiheitsstrafe hatte der Beschwerdeführer mit Ablauf des vollständig verbüßt. Seitdem wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Tegel vollstreckt.

32. Der Vollzugs- und Eingliederungsplan vom , der aufgrund einer Vollzugsplankonferenz vom erstellt wurde, führt unter der Überschrift „Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen“ unter dem Unterabschnitt „Teilnahme an psychiatrischen, psychotherapeutischen und sozialtherapeutischen Maßnahmen“ folgendermaßen aus:„Es liegt keine Schweigepflichtsentbindung gegenüber der Arztgeschäftsstelle vor. Hr. (…) selbst gab an, Antidepressiva regelmäßig einzunehmen.“

4Der Unterabschnitt „Teilnahme an anderen einzel- oder gruppentherapeutischen Maßnahmen“ enthält folgende Ausführungen:„Für die Erstellung der Eingangsdiagnostik ist PsychDSV6 zuständig. Die therapeutischen Gespräche sollen in der Zuständigkeit von PsychDSV5 geführt werden. Zum Zeitpunkt der Konferenz nahm Hr. (…) diese Gespräche auch noch wahr. Bis zur Erstellung des Vollzugsplanes widerrief er die Behandlungsvereinbarung und nahm den wöchentlichen Gesprächstermin nicht mehr wahr.“

5An späterer Stelle des Vollzugs- und Eingliederungsplans werden unter der Überschrift „Prognostische Einschätzung“ nach der Darstellung, dass für den Beschwerdeführer ein hohes Rückfallrisiko bestehe und die Kriminalprognose als ungünstig zu werten sei, folgende „Behandlungsziele“ definiert: „–     regelmäßige Gespräche mit dem SozD und PsychD

–    Teilnahme an therapeutischen Gruppenangeboten, wenn diese durchgeführt werden (Anti-Sexuelles-Aggressivitäts-Training ASAT, R&R-Training)–    Nutzen der Angebote zur Milieutherapie, Alltagsstrukturierung, berufliche (Re)Integration

–    Nutzen der genehmigten Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit“

6Die beiden dort ausdrücklich genannten Gruppentherapien wurden dem Beschwerdeführer bis zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht angeboten, einen Antrag auf Teilnahme daran stellte der Beschwerdeführer nicht.

73. Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsatz vom beim Landgericht Berlin, festzustellen, dass der nicht erfolgte Start der Gruppenangebote „Anti-Sexuelles-Aggressivitäts-Training“ und „R&R-Training“ rechtswidrig sei. Zudem beantragte er, die Justizvollzugsanstalt durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, ihm spätestens innerhalb von vier Wochen die Teilnahme an beiden Gruppentherapien zu ermöglichen. Sie habe seine Teilnahme an diesen Angeboten für notwendig erachtet und unterliege insoweit einer Selbstbindung und Selbstverpflichtung. Dass die Gruppentherapien noch nicht begonnen hätten, verletze ihn in seinem Resozialisierungs- und seinem Freiheitsgrundrecht. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei begründet, weil ein Rechtsanspruch bestehe und er in Grundrechten verletzt sei. Daraus folge auch das Feststellungsinteresse. Zudem liege Wiederholungsgefahr vor.

84. Mit Schriftsatz vom beantragte die Justizvollzugsanstalt, die Anträge als unzulässig zu verwerfen. Es liege in ihrem organisatorischen Ermessen, welche Behandlungsmaßnahmen sie wann anbiete. Voraussetzung für eine Teilnahme an den beiden Gruppenangeboten sei, dass die Teilnehmer – dokumentiert durch eine Bewerbung – intrinsisch motiviert seien und außerdem in gutem Kontakt zu ihren beiden Fachdiensten (Sozialdienst, psychologischer Dienst) stünden. Beide Voraussetzungen erfülle der Beschwerdeführer nicht. Er habe sämtliche Behandlungsvereinbarungen aufgekündigt und führe mit den Fachdiensten keine Gespräche. Die Gruppentherapien seien lediglich als Ziele in den Vollzugs- und Eingliederungsplan aufgenommen worden. Eine Selbstverpflichtung der Einrichtung sei darin nicht zu sehen. Darüber hinaus bestehe keine besondere Eilbedürftigkeit, zumal eine einstweilige Anordnung die Hauptsache vorwegnähme.

95. Der Beschwerdeführer führte mit Schriftsätzen vom und aus, es genüge nicht, konkrete Behandlungsmaßnahmen im Vollzugs- und Eingliederungsplan zu benennen, diese müssten außerdem zügig und konsequent umgesetzt werden; insoweit habe die Justizvollzugsanstalt eine Art „Bringschuld“. Er sei behandlungswillig. Die Justizvollzugsanstalt habe insoweit kein organisatorisches Ermessen. Die Wartezeit seit der Vollzugsplankonferenz am sei unvertretbar lang.

106. Die Justizvollzugsanstalt nahm mit Schriftsätzen vom und erneut Stellung. Darauf replizierte der Beschwerdeführer mit Schriftsätzen vom und . Wenn er sich aus Protest gegen die fehlende Behandlung niedrigschwelligen Angeboten wie Gesprächen zu Fragen des Vollzugsalltags verweigere, sei ihm dies nicht anzulasten. Es bedürfe über die im Vollzug üblichen Behandlungsmaßnahmen hinaus einer individuellen und intensiven psychiatrischen, psycho- oder sozialtherapeutischen Behandlung. Das Wecken und Fördern der Mitwirkungsbereitschaft sei dabei Aufgabe und Bestandteil der therapeutischen Betreuung. Die Justizvollzugsanstalt antwortete mit Schreiben vom unter Beifügung von Dokumentationen von Gesprächen mit dem Beschwerdeführer und Gesprächsangeboten, dass dieser weiterhin keine ihm von den Fachdiensten angebotenen Behandlungen/Gespräche wahrnehme. Der Beschwerdeführer entgegnete darauf mit Schriftsatz vom . Dass er nicht an niedrigschwelligen Gesprächsangeboten teilnehme, bedeute nicht, dass er sich spezialisierten Therapieangeboten verweigere.

117. Das Landgericht Berlin ging in der Hauptsache sowohl von einem Feststellungs- als auch von einem Verpflichtungsantrag des Beschwerdeführers aus, wies mit angegriffenem Beschluss vom die so ausgelegten Anträge zurück und lehnte außerdem den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Der Feststellungsantrag sei unzulässig, denn er sei gegenüber dem hier vorrangigen Verpflichtungsbegehren subsidiär. Soweit der Beschwerdeführer die Aufnahme in Gruppentherapieangebote der Justizvollzugsanstalt beantrage, entscheide das Gericht gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 StVollzG nur dann über den Erlass einer Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs oder des Vollzugs freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung, wenn die Vollzugsbehörde den Erlass vorher abgelehnt oder unterlassen habe. Daran fehle es, weil sich der Beschwerdeführer zuvor nicht (erfolglos) an die Justizvollzugsanstalt gewandt habe. Aus der Formulierung im Vollzugs- und Eingliederungsplan, „wenn diese durchgeführt werden“, folge keine Selbstbindung der Justizvollzugsanstalt, diese zu jedem Zeitpunkt durchzuführen. Eine einstweilige Zustandsregelung sei weder möglich noch erforderlich, weil bereits in der Hauptsache entschieden werde.

128. Gegen diesen Beschluss wandte sich der Beschwerdeführer mit einer Rechtsbeschwerde vom . Dazu beantragte er wiederum den Erlass einer einstweiligen Anordnung, ihm die Teilnahme an den Therapieangeboten binnen drei Wochen zu ermöglichen. Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen seinen bisherigen Vortrag.

139. Mit angegriffenem Beschluss vom wies das Kammergericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück und verwarf die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen gehöre, dass überhaupt ein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorliege. Daran fehle es hier. Ein allgemeiner Feststellungsantrag sei ausschließlich zur Schließung einer bestehenden Rechtsschutzlücke zulässig, also wenn ein Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrag ausgeschlossen sei. Hier habe sich der Beschwerdeführer wegen der begehrten Teilnahme an den von ihm benannten Gruppentherapien nicht zuvor an die Justizvollzugsanstalt gewandt, wie es § 113 Abs. 1 StVollzG verlange. Dass der Vollzugs- und Eingliederungsplan eine Teilnahme empfehle, ersetze im gerichtlichen Verfahren einen entsprechenden Antrag nicht.

II.

14Mit seiner am eingegangenen Verfassungsbeschwerde, die er mit am , , und eingegangenen Nachträgen ergänzte, wendet sich der Beschwerdeführer gegen den und den . Er rügt eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot, des Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und von Art. 20 Abs. 3 GG.

15Die Fachgerichte hätten verkannt, dass die Justizvollzugsanstalt die beiden Gruppentherapien für notwendig erachtet habe und damit einer Selbstbindung und Selbstverpflichtung unterliege. Wegen des „Freiheits- und Resozialisierungsgebots“, damit dem ultima-ratio-Prinzip, dem Intensivierungs- und Unverzüglichkeitsgebot sei sie von Verfassungs wegen verpflichtet, die notwendigen Therapien unverzüglich und intensiv anzubieten. Art. 19 Abs. 4 GG erfordere zudem, dass Anträge so ausgelegt würden, dass der Antragsteller seine Ziele erreichen könne. Aus dem Vollzugs- und Eingliederungsplan gehe nicht hervor, dass er eine Teilnahme an den Gruppentherapien beantragen müsse. Sowohl aus § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB als auch aus der Entscheidung BVerfG, NJW 2011, S. 1931 ff. (= BVerfGE 128, 326 ff.) folge, dass die Justizvollzugsanstalt eine entsprechende Betreuung anbieten müsse. Aus dem Resozialisierungs- und aus dem Freiheitsgrundrecht ergebe sich ebenfalls die Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt, die Resozialisierung stets voranzutreiben und entsprechende Angebote zu machen, um die Dauer der Sicherungsverwahrung so gering wie möglich zu halten. Diese Verpflichtung werde durch ein Antragserfordernis ins Gegenteil verkehrt. Er warte seit dem auf den Start der beiden Gruppen. Die Justizvollzugsanstalt könne sich wegen dieser Verpflichtung weder auf organisatorische Gründe noch auf ein Ermessen berufen. Weil es sich um gravierende Grundrechtsverletzungen handele, habe er ein Feststellungsinteresse.

16Das Oberlandesgericht Hamm habe bei einem ähnlichen Sachverhalt festgestellt, dass die bloße Festsetzung therapeutischer Maßnahmen im Vollzugs- und Eingliederungsplan noch kein den gesetzlichen Anforderungen genügendes Betreuungsangebot beinhalte, sondern die plangemäßen Vorgaben auch zügig und konsequent tatsächlich angeboten werden müssten und Wartezeiten für erforderliche Behandlungsangebote von deutlich über einem Jahr mit den Anforderungen des § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht mehr vereinbar seien (unter Verweis auf III-3 Ws 319/23 –, juris).

III.

17Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist.

18Der Beschwerdeführer zeigt die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten nicht in einer den Substantiierungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG entsprechenden Weise auf (vgl. zum diesbezüglichen Maßstab BVerfGE 88, 40 <45>; 129, 269 <278>; 130, 1 <21>; 149, 86 <108 f. Rn. 61>; 151, 67 <84 f. Rn. 49> – Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters; stRspr).

191. Der Beschwerdeführer legt zunächst eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht substantiiert dar.

20a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann die Freiheit der Person und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein (vgl. BVerfGE 36, 264 <269>). Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als „unverletzlich“ bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>). Der in der Sicherungsverwahrung liegende, schwerwiegende Eingriff in das Freiheitsgrundrecht ist nur nach Maßgabe strikter Verhältnismäßigkeitsprüfung und unter Wahrung strenger Anforderungen an die zugrundeliegenden Entscheidungen und die Ausgestaltung des Vollzugs zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 128, 326 <372 f.>).

21Die Sicherungsverwahrung darf nur als letztes Mittel angeordnet werden, wenn andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht ausreichen, um dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit Rechnung zu tragen (ultima-ratio-Prinzip; vgl. BVerfGE 128, 326 <379>). Spätestens zu Beginn des Vollzugs der Sicherungsverwahrung hat unverzüglich eine umfassende, modernen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechende Behandlungsuntersuchung stattzufinden (vgl. BVerfGE 128, 326 <379>). Dabei sind die individuellen Faktoren, die für die Gefährlichkeit des Untergebrachten maßgeblich sind, eingehend zu analysieren (vgl. BVerfGE 128, 326 <379>). Auf dieser Grundlage ist ein Vollzugsplan zu erstellen, aus dem sich detailliert ergibt, ob und gegebenenfalls mit welchen Maßnahmen vorhandene Risikofaktoren minimiert oder durch Stärkung schützender Faktoren kompensiert werden können, um die Gefährlichkeit des Untergebrachten zu mindern, dadurch Fortschritte in Richtung einer Entlassung zu ermöglichen und dem Untergebrachten eine realistische Perspektive auf Wiedererlangung der Freiheit zu eröffnen (vgl. BVerfGE 128, 326 <379>). In Betracht zu ziehen sind etwa berufliche Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlungen sowie Maßnahmen zur Ordnung der finanziellen und familiären Verhältnisse und zur Vorbereitung eines geeigneten sozialen Empfangsraums (vgl. BVerfGE 128, 326 <379>). Der Vollzugsplan ist fortlaufend zu aktualisieren und der Entwicklung des Untergebrachten anzupassen (vgl. BVerfGE 128, 326 <379>). Die plangemäß gebotenen Maßnahmen sind zügig und konsequent umzusetzen (vgl. BVerfGE 128, 326 <379>). Hierzu bedarf es einer individuellen und intensiven Betreuung des Untergebrachten durch ein multidisziplinäres Team qualifizierter Fachkräfte (vgl. BVerfGE 128, 326 <379 f.> m. w. N.). Insbesondere im therapeutischen Bereich müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden (vgl. BVerfGE 128, 326 <380>). Erweisen sich standardisierte Therapiemethoden als nicht erfolgversprechend, muss ein individuell zugeschnittenes Therapieangebot entwickelt werden (vgl. BVerfGE 128, 326 <380>). Dabei muss – insbesondere mit zunehmender Vollzugsdauer – sichergestellt sein, dass mögliche Therapien nicht nur deshalb unterbleiben, weil sie im Hinblick auf Aufwand und Kosten über das standardisierte Angebot der Anstalten hinausgehen (Individualisierungs- und Intensivierungsgebot; vgl. BVerfGE 128, 326 <380>). Die Bereitschaft des Untergebrachten zur Mitwirkung an seiner Behandlung ist durch gezielte Motivationsarbeit zu wecken und zu fördern (Motivierungsgebot; vgl. BVerfGE 128, 326 <380>).

22b) Gemessen hieran zeigt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht auf. Er hat nicht dargelegt, dass ein unverzügliches Angebot der beiden Gruppentherapien verfassungsrechtlich geboten ist. Entgegen seiner Ansicht ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus einer Selbstbindung und Selbstverpflichtung der Justizvollzugsanstalt, die der Beschwerdeführer aus den Regelungen des Vollzugs- und Eingliederungsplans ableiten will. Er lässt sich auch nicht aus der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten verfassungsrechtlichen Vorgabe herleiten, im therapeutischen Bereich alle Möglichkeiten auszuschöpfen.

23aa) Der Beschwerdeführer begründet den Anspruch auf die Gruppentherapien zunächst mit den im Vollzugs- und Eingliederungsplan getroffenen Regelungen und erkennt dabei im Ansatz zutreffend, dass das Bundesverfassungsgericht die Vorgabe gemacht hat, die plangemäß gebotenen Maßnahmen zügig und konsequent umzusetzen (vgl. BVerfGE 128, 326 <379>). Er lässt jedoch außer Acht, dass die Gruppentherapien im Vollzugs- und Eingliederungsplan nicht als (unmittelbar) vorzunehmende Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen definiert wurden.

24Der Vollzugs- und Eingliederungsplan ist in mehrere Teile gegliedert. Unter anderem enthält er eine Überschrift „Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen“, unter der – nach verschiedenen Unterkategorien geordnet – Einzelmaßnahmen aufgeführt werden. In den passenden Unterkategorien „Teilnahme an psychiatrischen, psychotherapeutischen und sozialtherapeutischen Maßnahmen“ und „Teilnahme an anderen einzel- oder gruppentherapeutischen Maßnahmen“ werden die vom Beschwerdeführer eingeforderten Gruppentherapieangebote nicht genannt, sondern es wird unter anderem ausgeführt, dass die therapeutischen Gespräche in der Zuständigkeit von „PsychDSV5“, also durch den psychologischen Dienst, geführt werden sollen. Damit sind im Plan als durchzuführende Maßnahmen ausschließlich Einzel- und keine Gruppenmaßnahmen definiert. Die beiden Gruppenangebote, auf die sich der Beschwerdeführer bezieht, werden demgegenüber an anderer Stelle unter der Überschrift „Prognostische Einschätzung“ als „Behandlungsziele“ genannt. Damit ergibt sich aus dem Vollzugs- und Eingliederungsplan eindeutig, dass die Teilnahme an den beiden Gruppenangeboten keine sofort umzusetzende Maßnahme, sondern vielmehr ein Ziel der Behandlung darstellt. Der Beschwerdeführer soll offensichtlich durch die unter der Überschrift „Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen“ genannten Gespräche mit dem psychologischen Dienst (erst) in die Lage versetzt werden, an den Gruppenangeboten gewinnbringend teilnehmen zu können.

25Diese Interpretation deckt sich damit, dass im Vollzugs- und Eingliederungsplan die Teilnahme an den Gruppenangeboten als Ziel auf den Zeitpunkt bezogen wird, „wenn diese durchgeführt werden“. Dies unterstreicht, dass es bei der Nennung der Gruppenangebote im Plan nicht um sofort umzusetzende Maßnahmen geht, sondern als Behandlungsziel definiert wird, dass der Beschwerdeführer an diesen Gruppentherapien zu einem späteren Zeitpunkt, wenn diese angeboten werden, teilnehmen kann. Diese Deutung entspricht außerdem den Erläuterungen der Justizvollzugsanstalt im fachgerichtlichen Verfahren. Sie hat dort ausdrücklich ausgeführt, dass beide Gruppentherapien, um erfolgversprechend zu sein, eine intrinsische Motivation und eine gute Anbindung an die beiden Fachdienste (Sozialdienst und psychologischer Dienst) voraussetzen. Zumindest die Anbindung an die Fachdienste war beim Beschwerdeführer offensichtlich nicht gegeben, weil er – wie aus den vorgelegten Unterlagen hervorgeht – die wöchentlichen Gesprächstermine mit dem psychologischen Dienst nach Durchführung der Vollzugskonferenz nicht mehr wahrgenommen hat. Dabei handelt es sich indes um die Maßnahmen, die dem Ziel dienen, den Beschwerdeführer in die Lage zu versetzen, an den Gruppentherapien teilnehmen zu können.

26Da es sich demnach bei den beiden im Vollzugs- und Eingliederungsplan genannten Gruppentherapien um Ziele und nicht um Maßnahmen handelt, besteht die vom Beschwerdeführer behauptete Selbstbindung und Selbstverpflichtung der Justizvollzugsanstalt nicht, ihm diese Gruppentherapien unverzüglich anzubieten. Insofern geht auch sein Verweis auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm ins Leere, wonach die bloße Festsetzung therapeutischer Maßnahmen im Vollzugs- und Eingliederungsplan noch kein den gesetzlichen Anforderungen genügendes Betreuungsangebot beinhalte, sondern die plangemäßen Vorgaben auch zügig und konsequent tatsächlich angeboten werden müssten und Wartezeiten von deutlich über einem Jahr zu lang seien (vgl. III-3 Ws 319/23 –, juris, Rn. 35). Denn diese Ausführungen beziehen sich allein auf umzusetzende Maßnahmen, nicht dagegen auf Behandlungsziele, als welche die Teilnahme an Gruppentherapien im Plan definiert worden sind.

27bb) Eine Verpflichtung, die beiden Gruppentherapien umgehend anzubieten, lässt sich auch nicht aus der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts herleiten, im therapeutischen Bereich alle Möglichkeiten auszuschöpfen (vgl. BVerfGE 128, 326 <379>). Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob die im Vollzugs- und Eingliederungsplan vorgesehenen Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen insgesamt ausreichend sind und den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht werden. Dies prüft das zuständige Fachgericht gemäß § 67e in Verbindung mit § 67d Abs. 2 Satz 2 StGB mindestens periodisch von Amts wegen. Der Beschwerdeführer beantragt hier indes, die Justizvollzugsanstalt zur unmittelbaren Durchführung zweier bestimmter Gruppentherapieprogramme zu verpflichten. Eine solche Verpflichtung besteht jedoch nicht, selbst wenn man die im Vollzugs- und Eingliederungsplan vorgesehenen Maßnahmen als unzureichend bewertete. Denn die Vorgabe, im therapeutischen Bereich seien alle Möglichkeiten auszuschöpfen, ist so auszulegen, dass damit nur solche gemeint sind, die tatsächlich einen Erfolg versprechen. Eine Pflicht zum Anbieten ungeeigneter Maßnahmen lässt sich weder aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ableiten, noch wäre eine solche Pflicht sachgerecht.

28Bei den vom Beschwerdeführer begehrten Gruppentherapien handelt es sich um Maßnahmen, die zumindest zum jetzigen Zeitpunkt für ihn offensichtlich ungeeignet (und deshalb im Vollzugs- und Eingliederungsplan nicht unter Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen aufgeführt) sind. Die Justizvollzugsanstalt hat im fachgerichtlichen Verfahren wiederholt dargestellt, für die Absolvierung der Programme sei eine intensive Anbindung an die beiden Fachdienste (Sozialdienst, psychologischer Dienst) erforderlich, woran es beim Beschwerdeführer fehle, weil er sämtliche Behandlungsvereinbarungen aufgekündigt habe und keine Gespräche mehr mit den Fachdiensten führe. Letzteres hat sie durch die Vorlage der Dokumentation von Gesprächen mit dem Beschwerdeführer und Gesprächsangeboten belegt. Aus diesen geht hervor, dass der Beschwerdeführer wiederholt aufgefordert und motiviert wurde, insbesondere die Gespräche mit dem psychologischen Dienst wiederaufzunehmen, jedoch sämtliche Bemühungen erfolglos blieben. Der Beschwerdeführer hat den Kontaktabbruch zu den Fachdiensten nicht bestritten, sondern dazu im fachgerichtlichen Verfahren ausgeführt, Gespräche mit den Fachdiensten seien niederschwellig und könnten eine Behandlungsmaßnahme nicht ersetzen, weil es bei ihnen nur um den Vollzugsalltag gehe. Insoweit steht fest, dass der Beschwerdeführer derzeit die Voraussetzungen nicht erfüllt, welche die Justizvollzugsanstalt als erforderlich für eine erfolgversprechende Absolvierung der Gruppenprogramme ansieht.

29Der Beschwerdeführer legt demgegenüber nicht substantiiert dar, weshalb eine erfolgreiche Teilnahme an den Programmen möglich erscheinen soll, obwohl er sich den niederschwelligen Gesprächen mit den Fachdiensten, die nach Angaben der Justizvollzugsanstalt für eine erfolgreiche Absolvierung notwendig sind, verweigert. Vor diesem Hintergrund lässt sich aus der verfassungsrechtlichen Vorgabe, dass im therapeutischen Bereich alle Möglichkeiten auszuschöpfen sind, weder eine Verletzung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG wegen des bisherigen Unterlassens, noch ein Anspruch auf einen unmittelbaren Beginn der beiden gruppentherapeutischen Programme und Teilnahme des Beschwerdeführers daran herleiten.

302. Dass dem Beschwerdeführer eine Teilnahme an den beiden gruppentherapeutischen Maßnahmen nicht angeboten wurde, verletzt überdies weder das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG folgende Resozialisierungsgebot noch den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot noch das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Wie ausgeführt, gebieten die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Vorgaben an die Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung nicht, dem Beschwerdeführer, der jeglichen Kontakt mit den Fachdiensten verweigert, diese Gruppentherapien anzubieten. Das gilt nicht nur hinsichtlich des Freiheitsgrundrechts, sondern auch mit Blick auf die übrigen vom Beschwerdeführer genannten Grundrechte. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG darin sieht, dass die Gerichte seine Anträge nicht so ausgelegt hätten, dass er seine Ziele erreichen könne, zeigt er nicht auf, wie sie seine Anträge hätten auslegen sollen, um sie als zulässig behandeln zu können.

313. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

32Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2022:rk20240426.2bvr146824

Fundstelle(n):
QAAAJ-67369