BSG Beschluss v. - B 5 R 153/23 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - "Prozessurteil statt Sachurteil"

Gesetze: § 128 Abs 1 S 2 SGG, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Instanzenzug: Az: S 28 R 20/15 Urteilvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 6 R 236/20 Urteil

Gründe

1I. Die 1945 geborene Klägerin, die seit November 2005 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit von der Beklagten bezieht, begehrt eine höhere Rente. Der Rentengewährung lagen nach einer Neufeststellung 42,5614 Entgeltpunkte (EP) (Ost) zugrunde (Rentenbescheid vom ).

2Die Beteiligten führten verschiedene Rechtsstreitigkeiten über die Höhe der bewilligten Rente. In einem vor dem SG Berlin angestrengten Verfahren (S 122 R 3049/07 = L 27 R 918/11) verpflichtete sich die Beklagte zur Neufeststellung der Rente ab Rentenbeginn. In Ausführung dieses Vergleichs erließ sie den Bescheid vom , wonach eine Neufeststellung der Rente nicht erforderlich sei, die streitbefangenen Zeiten seien bereits vollständig berücksichtigt. Mit Bescheid vom stellte die Beklagte die Rente ab Rentenbeginn neu fest auf der Grundlage von 42,5614 EP (Ost) und berücksichtigte im Jahr 1968 bezogenes Mutterschaftsgeld. Die Widersprüche gegen beide Bescheide wies sie mit Widerspruchsbescheid vom zurück. Im anschließenden Klageverfahren vor dem SG Cottbus (S 28 R 56/14) erkannte die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom den geltend gemachten Anspruch der Klägerin dahin an, die Zeit der Ausbildung von September 1962 bis August 1964 getrennt von den übrigen beitragsgeminderten Zeiten im Rahmen der begrenzten Gesamtleistungsbewertung zu berechnen. Die Klägerin nahm dieses Teilanerkenntnis an und ihre Klage im Übrigen zurück.

3Die Beklagte hatte während des Klageverfahrens S 28 R 56/14 die Rente der Klägerin ab dem neu festgestellt auf der Grundlage von lediglich 42,5361 EP (Ost). Die Zeit des Bezuges von Mutterschaftsgeld vom bis zum könne nicht als Beitragszeit berücksichtigt werden, anzuerkennen sei lediglich die Zeit vom bis zum als Anrechnungszeit. Da der insoweit rechtswidrige Rentenbescheid nicht mehr zurückgenommen werden könne, werde die Rente ausgespart (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Dagegen hat die Klägerin am die hier zugrundeliegende Klage vor dem SG Cottbus erhoben (S 20 R 20/15). Mit Bescheid vom hatte die Beklagte zudem die Rente der Klägerin ab auf der Grundlage von 44,5361 EP (Ost) neu festgestellt und einen Zuschlag für Kindererziehung berücksichtigt (sog Mütterrente).

4In Ausführung ihres angenommenen Teilanerkenntnisses im Verfahren S 28 R 56/14 R stellte die Beklagte mit Bescheid vom die Rente der Klägerin für die Zeit vom bis zum auf der Grundlage weiterer 0,5914 EP (Ost) neu fest. Mit Bescheid vom berechnete sie die Altersrente der Klägerin ab dem auf der Grundlage von 45,1275 EP (Ost) neu. Die gegen beide Bescheide gerichteten Widersprüche wies sie mit Widerspruchsbescheid vom zurück. Das dagegen von der Klägerin angestrengte Verfahren vor dem SG Cottbus (S 43 R 383/17 = S 43 R 148/20 WA) ist zuletzt mit Beschluss vom zum Ruhen gebracht worden.

5Im hier zugrundeliegenden Verfahren S 20 R 20/15 R hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Ihre dagegen eingelegte Berufung hat die Klägerin gegen den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom in der Fassung des Bescheids vom und der Bescheide vom und , jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom , gerichtet. Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom zurückgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit sie sich gegen den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom und gegen den Bescheid vom richte. Diese Bescheide seien Gegenstand des Klageverfahrens S 28 R 56/14 geworden, sodass sie nach dessen Erledigung bestandskräftig geworden seien. Ebenfalls unzulässig sei die Klage, soweit sie sich gegen den Bescheid vom richte. Dieser Bescheid, der die Zeit vom bis zum betreffe, sei nicht Gegenstand des hier zugrundeliegenden Klageverfahrens geworden. Die Klage gegen den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom sei unbegründet. Die Klägerin könne für den Zeitraum seit dem keine höhere Rente beanspruchen.

6Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom begründet hat.

7II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet wird. Sie ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen.

8Die geltend gemachten Verfahrensmängel werden nicht anforderungsgerecht dargelegt. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

9a) Die Klägerin rügt, dass das LSG in Bezug auf den Bescheid vom durch Prozessurteil anstelle eines Sachurteils entschieden habe. In der prozessrechtswidrigen Behandlung einer Klage als unzulässig liegt ein Verfahrensmangel, weil es sich bei einem Prozessurteil im Vergleich zum Sachurteil um eine qualitativ andere Entscheidung handelt (stRspr; vgl zB - juris RdNr 8; - juris RdNr 5 mwN). Zur Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels bedarf es zunächst hinreichender Angaben zum Sachverhalt, zur Prozessgeschichte oder zu weiteren Umständen, die für die Auslegung des Rechtsmittels relevant sind (vgl - juris RdNr 4). Ferner ist darzutun, dass die Gründe des Berufungsgerichts, die es zu dieser Entscheidung bewogen haben, unzureichend seien, und die Klage auch ansonsten alle Sachurteilsvoraussetzungen erfülle, sodass die Klageabweisung durch Prozessurteil auf dem vermeintlichen Fehler beruhen könne (vgl zB - juris RdNr 7; - juris RdNr 7; - juris RdNr 12). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht vollumfänglich gerecht.

10Die Klägerin trägt mit ihrem ausführlichen Überblick zur komplexen Prozessgeschichte selbst vor, die Beklagte habe mit dem Bescheid vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (lediglich) die Rente für den Zeitraum vom bis zum neu festgesetzt. Daran habe sich das derzeit ruhende Klageverfahren S 43 R 383/17 = S 43 R 148/20 WA angeschlossen. Zum Gegenstand der hier zugrundeliegenden Klage bringt sie vor, die Beklagte habe die beiden Bescheide vom und vom mit einem gemeinsamen Widerspruchsbescheid zurückgewiesen, auch das SG habe nicht strikt zwischen dem Zeitraum vom bis zum und demjenigen seit dem unterschieden. Sie habe jedenfalls mit der hier zugrundeliegenden Klage ua den Bescheid vom angefochten, auf den das SG in seiner Begründung auch kurz eingegangen sei. Damit zeigt die Klägerin nicht schlüssig auf, aus welchen Gründen das LSG gehalten gewesen sein könnte, den von ihr im hier zugrundeliegenden Verfahren zuletzt zur Entscheidung gestellten Antrag in Bezug auf die Anfechtung des Bescheids vom für zulässig zu erachten. Das gilt auch, soweit dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen ist, dass das SG insgesamt von der Zulässigkeit der hier zugrundeliegenden Klage ausgegangen ist (vgl zu einer vergleichbaren Konstellation - juris RdNr 7). Letztlich macht die Klägerin nicht einmal geltend, das LSG habe bei Bestimmung der Streitgegenstände der verschiedenen Klagen das Recht unzutreffend angewandt, wenn sie einräumt, die hier angegriffene Entscheidung des LSG sei "prozessual konsequent". Mit der Argumentation des LSG zu § 96 SGG setzt sich die Beschwerdebegründung nicht hinreichend auseinander. Zu möglichen weiteren prozessualen Gestaltungen, etwa einer Einbeziehung des Bescheides im Wege einer Klageerweiterung nach § 99 SGG, finden sich keine ausreichenden Ausführungen. Allein der Hinweis darauf, dass das SG sich zu dem Bescheid verhalten habe, genügt insoweit nicht.

11Die Klägerin macht im Kern die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom geltend, indem sie ausführt, dass nach ihrem Dafürhalten die Aussparungsverfügung der Beklagten im Bescheid vom ohne Auswirkung auf den Bescheid vom bleibe. Gleiches gilt für ihr Vorbringen, der Rentenneufestsetzung für den Zeitraum vom bis zum hätten weiterhin die im Bescheid vom ermittelten EP zugrunde gelegt werden müssen.

12b) Die Klägerin rügt zugleich eine Verletzung der Begründungspflicht (§ 128 Abs 1 Satz 2 SGG und § 136 Abs 1 Nr 6 SGG). Nach den genannten Vorschriften sind im Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht muss nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, abhandeln (stRspr; vgl zB - juris RdNr 9 mwN). Aus den Entscheidungsgründen muss aber ersichtlich sein, auf welchen Erwägungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Entscheidung beruht. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass es hieran in Bezug auf das angegriffene Urteil fehlen könne.

13Die Klägerin trägt vor, das LSG habe zur Unzulässigkeit der Klage gegen den Bescheid vom lediglich ausgeführt, dieser habe den im Verfahren S 28 R 56/14 angefochtenen Bescheid vom weder verändert noch ersetzt. Eine weitere Begründung sei nicht erfolgt. Gleichzeitig gibt sie die Entscheidungsgründe des angefochtenen Berufungsurteils wieder, wonach die Klage gegen den Bescheid vom schon deswegen unzulässig sei, weil dieser Bescheid nicht Gegenstand des hier zugrunde liegenden Klageverfahrens S 28 R 20/15 gegen den Bescheid vom geworden sei; der Bescheid vom würde die Rente für die Zeit vom bis zum festsetzen, das sei ein anderer Gegenstand als die Feststellung der Rente ab dem . Damit ist nicht schlüssig dargetan, inwiefern die Gründe, aufgrund derer das LSG die Klage in Bezug auf den Bescheid vom als unzulässig erachtet hat, unklar geblieben sein könnten. Dass die Klägerin die Begründung für unzureichend hält, vermag einen Verfahrensfehler nicht zu begründen.

14Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:110324BB5R15323B0

Fundstelle(n):
GAAAJ-67368