BSG Beschluss v. - B 4 AS 42/23 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Sachurteil statt Prozessurteil - Berufungseinlegung - Anforderungen an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners

Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 151 Abs 3 SGG, § 519 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: Az: S 13 AS 3748/21 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 21 AS 1567/22 Urteil

Gründe

1Die Nichtzulassungsbeschwerden sind als unzulässig zu verwerfen, weil der allein (sinngemäß) geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerden sind daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG).

2Für den Kläger zu 1 gilt dies schon, weil kein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, der sich zu seinen Lasten ausgewirkt haben könnte. Die Beschwerde rügt in der Sache nur die Ansicht des LSG, der Beklagte habe die erstinstanzliche Entscheidung vollständig (und nicht nur auf den Kläger und Beschwerdeführer zu 1 beschränkt) angefochten (siehe dazu und zum Folgenden schon den Senatsbeschluss vom - B 4 AS 158/21 B - juris RdNr 4).

3Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits - SozR 1500 § 160a Nr 36).

4Soweit die Kläger und Beschwerdeführer zu 2 bis 5 geltend machen, das LSG habe die Berufung des Beklagten ihnen gegenüber als unzulässig verwerfen müssen, weil der Gerichtsbescheid des SG insofern rechtskräftig geworden sei, stützen sie sich zwar auf einen anerkannten Verfahrensmangel. Denn der Erlass eines Sachurteils statt eines Prozessurteils stellt eine qualitativ andere Entscheidung dar (siehe nur - SozR 4-1500 § 160a Nr 19 RdNr 6 mwN). In der Beschwerdebegründung wird die Auffassung des LSG, eine Beschränkung der Berufung sei nicht erfolgt, unter Hinweis auf die Berufungsschrift des Beklagten gerügt, die die eindeutige Beteiligtenbezeichnung " - Kläger zu 1. -". enthalten habe. Weitere Angaben zum Sachverhalt, zur Prozessgeschichte oder zu weiteren für die Auslegung des Rechtsmittels des Beklagten relevanten Umständen enthält die Beschwerdebegründung jedoch nicht. Daher ist der Senat, der Prozesserklärungen selbst auslegen darf (Senatsbeschluss vom - B 4 AS 54/20 B - juris RdNr 6; Senatsurteil vom - B 4 AS 13/20 R - SozR 4-1500 § 88 Nr 3 RdNr 23 mwN), auf dieser Grundlage nicht in der Lage, den Umfang der Anfechtung des erstinstanzlichen Gerichtsbescheids zu prüfen. Die genannten Angaben gehören jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrunds; denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung oder den Verfahrensakten selbst herauszusuchen (stRspr; zB - juris RdNr 6; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 13e mwN).

5Abgesehen davon ist in der Rechtsprechung des BGH, auf die sich die Beschwerde ausdrücklich stützt, anerkannt, dass zum notwendigen Inhalt einer Berufungsschrift zwar die Mitteilung gehört, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird, dass dabei allerdings an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners weniger strenge Anforderungen zu stellen sind als an die Bezeichnung des Rechtsmittelführers. Jedenfalls in Fällen, in denen der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen besteht, richtet sich danach das Rechtsmittel im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen, wenn nicht die Rechtsmittelschrift eine Beschränkung der Anfechtung erkennen lässt. Für die insoweit vom Rechtsmittelgericht vorzunehmende Auslegung kommt es auf eine vollständige Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist an. Dabei können sich etwa auch aus einer beigefügten Abschrift der angefochtenen Entscheidung oder aus sonstigen beigefügten Unterlagen Hinweise auf den Umfang der Anfechtung ergeben. Besondere Bedeutung kommt der Frage zu, ob eine Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf einen Teil der bisherigen Prozessgegner in Anbetracht des der Vorinstanz unterbreiteten Streitstoffs ungewöhnlich oder gar fernliegend erscheint. Dagegen lässt sich eine Beschränkung des Rechtsmittels in der Regel nicht allein auf den Umstand stützen, dass als Rechtsmittelgegner nur einer von mehreren Streitgenossen, und zwar der im Rubrum an erster Stelle Stehende, genannt wird (siehe zum Ganzen nur - NJW 2023, 2280 RdNr 8 ff mit weiteren Nachweisen). Die danach für die Auslegung der Reichweite der Berufung des Beklagten maßgebenden tatsächlichen Umstände lassen sich der Beschwerdebegründung nicht hinreichend entnehmen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:091023BB4AS4223B0

Fundstelle(n):
RAAAJ-54406