BVerfG Urteil v. - 2 BvR 739/17 - Vz 5/23

Kammerbeschluss: Unzulässigkeit eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung im Verzögerungsbeschwerdeverfahren - Verwerfung einer Gegenvorstellung

Gesetze: § 90 BVerfGG, § 320 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 2 BvR 739/17 Beschlussvorgehend Az: 2 BvR 739/17 Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahrenvorgehend Az: 2 BvR 739/17 Beschlussvorgehend Az: 2 BvR 739/17 - Vz 5/23 Beschwerdekammerbeschluss

Gründe

11. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Berichtigung des Tatbestands ist trotz des dort unkorrekt angegebenen Eingangsdatums der Verzögerungsbeschwerde in entsprechender Anwendung des § 320 Abs. 1 ZPO unzulässig.

2a) Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht enthält keine erschöpfende Verfahrensregelung, sondern beschränkt sich auf wenige, unbedingt erforderliche, den Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens angepasste Bestimmungen (vgl. BVerfGE 1, 109 <110>). Dieser bewusst fragmentarische Charakter ermöglicht dem Gericht eine zweckentsprechende Ausgestaltung seines Verfahrens im Wege der Analogie zum sonstigen deutschen Verfahrensrecht (vgl. BVerfGE 1, 109 <110 f.>; 2, 79 <84>). Dabei kann nicht in schematischer Weise auf einzelne Grundsätze des Verwaltungsprozessrechts oder der Zivilprozessordnung zurückgegriffen werden; vielmehr ist der Rückgriff durch die Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens begrenzt (vgl. BVerfGE 32, 288 <291>; 46, 321 <323>; 81, 387 <389>; 87, 270 <272>; 88, 382 <383>; 98, 163 <166>).

3b) Insoweit ist für die hier zur Entscheidung stehende Rechtsfrage, ob § 320 ZPO im verfassungsgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, zu beachten, dass die Vorschrift des § 320 ZPO mit der gesetzlichen Beweisregel des § 314 ZPO korrespondiert. Die Tatbestandsberichtigung ist vom Gesetzgeber mit Rücksicht auf die urkundliche Beweiskraft des Tatbestands geschaffen worden. Es soll verhindert werden, dass infolge der Beweiskraft ein unrichtig beurkundeter Prozessstoff Grundlage für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts wird (vgl. -, Rn. 1 m.w.N.; Feskorn, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 320 Rn. 1, 12). Eine Tatbestandsberichtigung ist daher nur zulässig, soweit dem Tatbestand eine verstärkte Beweiskraft entsprechend § 314 ZPO zukommt.

4Ausgehend von diesem Sinn und Zweck fehlt es grundsätzlich an einem Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 320 Abs. 1 ZPO, wenn die Entscheidung unanfechtbar ist (vgl. Feskorn, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 320 Rn. 12). Dementsprechend ist in der fachgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass Tatbestandsberichtigungsanträge bei Revisionsurteilen oder anderen letztinstanzlichen, mit Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen grundsätzlich unzulässig sind (vgl. -, Rn. 2 m.w.N.).

5c) Eine entsprechende Anwendung des § 320 Abs. 1 ZPO im verfassungsrechtlichen Verzögerungsbeschwerdeverfahren scheidet daher aus.

6Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verzögerungsbeschwerdeverfahren ist unanfechtbar (vgl. § 97d Abs. 3 BVerfGG). Dem Beschwerdeführer fehlt mithin das für eine entsprechende Anwendung des § 320 Abs. 1 ZPO erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dem steht auch nicht die Möglichkeit einer Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegen, denn bei dieser Möglichkeit handelt es sich nicht um ein ordentliches Rechtsmittel. Insoweit ist die Annahme eines generellen Rechtsschutzbedürfnisses für einen Antrag analog § 320 Abs. 1 ZPO ebenso abzulehnen wie bei fachgerichtlichen Revisionsurteilen (vgl. dazu -, Rn. 2 f. m.w.N.; Feskorn, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 320 Rn. 12).

7Die im verfassungsgerichtlichen Beschwerdebeschluss enthaltenen Feststellungen sind im Übrigen auch nicht mit dem Tatbestand eines fachgerichtlichen Urteils im Sinne des § 320 Abs. 1 ZPO vergleichbar. Das zeigt sich insbesondere daran, dass es die Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens und die Eigenart der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts noch mehr erfordern, als dies für das übrige Verfahrensrecht gilt, Inhalt und Umfang des Tatbestands auf das für das Verständnis der jeweiligen Entscheidung unabweisbar Notwendige zu beschränken (vgl. BVerfGE 103, 195 <196>).

8Eine entsprechend § 314 ZPO erhöhte Beweiskraft kommt dem Tatbestand der verfassungsgerichtlichen Beschwerdeentscheidung nicht zu. Selbst wenn der Beschwerdeführer möglicherweise erwägen sollte, gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Individualbeschwerde einzulegen, kann das ausführliche und ungekürzte Vorbringen des Beschwerdeführers im Verzögerungsbeschwerdeverfahren seinen Schriftsätzen entnommen werden. Es ist nicht erkennbar, dass das für Verfahren vor dem genannten Gerichtshof geltende Recht als Nachweis für das jeweilige Vorbringen mehr verlangen könnte (vgl. BVerfGE 103, 195 <196 f.>).

92. Die nach Abschluss des Verzögerungsbeschwerdeverfahrens eingelegte Gegenvorstellung ist zu verwerfen.

10Entscheidungen über die Verzögerungsbeschwerde sind unanfechtbar (vgl. § 97d Abs. 3 BVerfGG) und können auf Gegenvorstellungen hin grundsätzlich auch durch die Beschwerdekammer selbst nicht mehr abgeändert werden. Es kann dahinstehen, ob ausnahmsweise eine Abänderungskompetenz der Kammer besteht, wenn bei der Entscheidung entscheidungserheblicher, dem Bundesverfassungsgericht vorliegender Prozessstoff in einer Art. 103 Abs. 1 GG verletzenden Weise außer Acht geblieben ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1872/21 -, Rn. 5 m.w.N. zur Abänderungskompetenz der Kammer bei Nichtannahmebeschlüssen). Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Der Beschwerdeführer hat mit seiner Gegenvorstellung keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die bei der Entscheidung der Beschwerdekammer über die Verzögerungsbeschwerde nicht berücksichtigt worden wären.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2024:vb20240422.vz000523

Fundstelle(n):
QAAAJ-66358