BSG Beschluss v. - B 11 AL 40/23 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Klärungsbedürftigkeit - Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - Arbeitslosenversicherung - sonstiger Versicherungspflichtiger - Bezug von Entgeltersatzleistungen - Unmittelbarkeitsbegriff - psychische Erkrankung

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 26 Abs 2 SGB 3

Instanzenzug: SG Mainz Az: S 15 AL 137/20 Urteilvorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Az: L 1 AL 28/22 Urteil

Gründe

1Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

2Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

3Der Kläger formuliert zwar folgende Rechtsfrage: "Führt die Einschränkung der Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit eines Versicherten wegen einer psychischen Erkrankung dazu, dass der in § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III definierte Begriff der 'Unmittelbarkeit' deshalb auch für einen Zeitraum in Höhe von 43 Kalendertagen Anwendung finden kann?"

4Unabhängig von der Frage, ob es sich hierbei um eine abstrakte oder eine lediglich auf den konkret zur Entscheidung stehenden Sachverhalt formulierte Frage handelt, fehlt es vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des und B 11 AL 4/16 R), auf die das LSG seine Entscheidung gestützt hat, an einer ordnungsgemäßen Darlegung einer weiterhin bestehenden Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet sei. Dabei kommt es nicht darauf an, dass eine konkrete Fallgestaltung ggf noch nicht in der höchstrichterlichen Rechtsprechung behandelt worden ist, sondern dass sich die gestellte Rechtsfrage nicht aufgrund der vom BSG entwickelten Maßstäbe beantworten lässt. Dass die bisherige Rechtsprechung eine Antwort ermöglicht, bringt der Kläger selbst vor, wenn er in der Beschwerdebegründung aus den oben benannten Entscheidungen des BSG zitiert und den Sachverhalt des konkreten Falles hierunter subsumiert. Damit rügt der Kläger im Ergebnis nur, das LSG habe den ihm vorliegenden Sachverhalt nach Maßgabe der vom BSG in den genannten Urteilen entwickelten Grundsätze unrichtig bewertet. Darauf kann die Zulassung der Revision aber nicht gestützt werden. Denn Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (stRspr; vgl nur - SozR 1500 § 160a Nr 7).

5Darüber hinaus wird in der Beschwerdebegründung auch die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht hinreichend dargebracht. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist ( 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden müssen ( - SozR 1500 § 160 Nr 39 und 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht ( 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Nach dem vom Kläger wiedergegebenen Sachverhalt, von dem das LSG bei seiner Entscheidung ausgegangen ist und der auch nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen wird, ist das LSG jedoch nicht von einer der Geschäfts- und Handlungsunfähigkeit vergleichbaren Situation beim Kläger wegen des Bestehens einer psychischen Erkrankung ausgegangen. Ausführungen dazu, weshalb die formulierte Rechtsfrage - dennoch - durch das Revisionsgericht klärungsfähig sein wird, fehlen. Die bloße Behauptung, dass der Kläger wegen einer schwerwiegenden Erkrankung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet im Zeitraum vom bis zum nicht in der Lage gewesen sei, seine Angelegenheiten eigenständig und verantwortungsvoll regeln zu können, genügt dafür nicht.

6Auf die Rüge der Verletzung des § 103 SGG und damit auf einen behaupteten Verfahrensmangel kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann erfolgreich gestützt werden, wenn sich die geltend gemachte Verletzung auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Einen Beweisantrag gestellt zu haben, behauptet der Kläger nicht. Der Vortrag, dem LSG hätte sich eine Beweiserhebung aus medizinischen Gründen aufdrängen müssen, genügt den Darlegungsanforderungen nicht.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:120224BB11AL4023B0

Fundstelle(n):
SAAAJ-66191