BGH Beschluss v. - XIII ZB 42/21

Leitsatz

Dem nach Erledigung als Feststellungsantrag weiterverfolgten Haftaufhe-bungsantrag steht nicht die materielle Rechtskraft der Entscheidung des Landgerichts über die Beschwerde gegen die Haftanordnung entgegen, wenn darin nicht über einen Feststellungsantrag entschieden wurde.

Gesetze: § 62 FamFG, § 426 Abs 2 S 1 FamFG

Instanzenzug: LG Dresden Az: 2 T 362/21vorgehend AG Dresden Az: 473 XIV 331/21 B

Gründe

1I. Der Betroffene, ein tunesischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben 2012 nach Deutschland. Er stellte unter falschem Namen und mit der Behauptung, er sei libyscher Staatsbürger, einen Asylantrag, der mit Bescheid vom abgelehnt wurde. Ihm wurde die Abschiebung angedroht. Die gegen den Bescheid eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Seit November 2013 wurden dem Betroffenen wegen fehlender Heimreisedokumente Duldungen ausgestellt. Im Januar 2021 teilte die tunesische Botschaft mit, dass der Betroffene als tunesischer Staatsangehöriger identifiziert worden sei. Seit Mai 2021 war der Betroffene unbekannten Aufenthalts.

2Am wurde er festgenommen. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum angeordnet.

3Die dagegen eingelegte Beschwerde des Betroffenen, der am abgeschoben wurde, hat das Landgericht mit Beschluss von diesem Tag zurückgewiesen. Die Beschwerde der Person des Vertrauens des Betroffenen (fortan: Vertrauensperson) sowie deren Antrag auf Haftaufhebung vom hat es im selben Beschluss als unzulässig verworfen. Gegen die Verwerfung des Haftaufhebungsantrags wendet sich die Vertrauensperson mit der Rechtsbeschwerde und begehrt die Feststellung, dass der Vollzug der vom Amtsgericht angeordneten Haft den Betroffenen für den Zeitraum ab dem in seinen Rechten verletzt hat.

4II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

51. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit erheblich - ausgeführt, die Beschwerde der Vertrauensperson sei unzulässig. Sie sei im ersten Rechtszug nicht beteiligt worden. Für den Antrag auf Aufhebung der Freiheitsentziehung reiche zwar die Benennung der Vertrauensperson durch den Betroffenen aus, jedoch sei der Antrag unzulässig, weil bereits die Beschwerde des Betroffenen anhängig gewesen sei.

62. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

7a) Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Die Vertrauensperson ist im Umfang der Anfechtung des Beschlusses rechtsbeschwerdebefugt.

8aa) Nach § 70 Abs. 1 FamFG ist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ein Beteiligter befugt, wobei gemäß § 7 Abs. 3 FamFG auch derjenige Beteiligter ist, den das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag hinzugezogen hat, soweit dies im FamFG oder einem anderen Gesetz vorgesehen ist (sog. "Kann-Beteiligter"). In Freiheitsentziehungsverfahren ist ein solcher Kann-Beteiligter gemäß § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG eine vom Betroffenen benannte Vertrauensperson (, InfAuslR 2024, 39 Rn. 3).

9bb) Die Vertrauensperson ist durch die angefochtene Entscheidung formell beschwert. Ihre Rechtsbeschwerde richtet sich allein gegen die Verwerfung des Haftaufhebungsantrags. Wie sich aus dem Tenor und der Begründung der angefochtenen Entscheidung ergibt, hat das Landgericht den Antrag der Vertrauensperson auf Aufhebung der Freiheitsentziehung als unzulässig verworfen. Die Vertrauensperson hatte den Haftaufhebungsantrag nach § 426 Abs. 2 FamFG mit ihrem Schreiben vom aus eigenem Recht als Person des Vertrauens im Interesse des Betroffenen gestellt.

10cc) Der Rechtsbeschwerdeberechtigung steht nicht entgegen, dass die Vertrauensperson im ersten Rechtszug des Haftanordnungsverfahrens, der mit Erlass des die Haft anordnenden endete (vgl. BGH, InfAuslR 2024, 39 Rn. 9), nicht beteiligt war. Die Regelung des § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG, wonach das Recht zur Beschwerde einer vom Betroffenen benannten Person seines Vertrauens nur zusteht, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden ist, gilt nicht für die Stellung des Haftaufhebungsantrags gemäß § 426 Abs. 2 FamFG. Diesen Antrag kann die Vertrauensperson unabhängig von einer förmlichen Beteiligung durch das Gericht stellen (, InfAuslR 2020, 387 Rn. 13). Das Haftaufhebungsverfahren ist ein gegenüber dem Anordnungsverfahren eigenständiges Verfahren mit unterschiedlichen Voraussetzungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 23; vom - XIII ZB 52/20, juris Rn. 14). Der Betroffene kann daher auch nach Eintritt formeller Rechtskraft im Haftanordnungsverfahren die Aufhebung der Haft ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei Gericht beantragen. Die Haftanordnung kann nicht in materielle Rechtskraft erwachsen (, juris Rn. 8).

11dd) Der Rechtsbeschwerdebefugnis der Vertrauensperson steht auch nicht entgegen, dass das Beschwerdegericht über den Haftaufhebungsantrag erstmals entschieden hat und damit keine zweitinstanzliche Entscheidung vorliegt. Trotzdem ist das Landgericht in Freiheitsentziehungssachen gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 GVG Beschwerdegericht, gegen dessen Entscheidung gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG allein die Rechtsbeschwerde statthaft ist.

12b) Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

13aa) Zu Unrecht hat das Landgericht den Antrag der Vertrauensperson auf Aufhebung der Haft gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG als unzulässig verworfen. Darüber hätte zunächst das Amtsgericht entscheiden müssen. Die angegriffene Entscheidung kann schon deshalb keinen Bestand haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 42/16, juris Rn. 4; vom - XIII ZB 19/21, juris Rn. 5).

14bb) Der Haftaufhebungsantrag der Vertrauensperson vom ist entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts zulässig. Dem nach Erledigung als Feststellungsantrag weiterverfolgten Haftaufhebungsantrag steht nicht die materielle Rechtskraft der Entscheidung des Landgerichts über die Beschwerde gegen die Haftanordnung entgegen.

15(1) Hat sich der Haftaufhebungsantrag durch die Entlassung des Betroffenen erledigt und begehrt der Betroffene - wie hier - in der Folge gemäß § 62 FamFG die Feststellung, durch die Haft in seinen Rechten verletzt zu sein, kann über den Gegenstand dieses Antrags - anders als bei der Aufhebung einer noch andauernden Haft - grundsätzlich nur einmal abschließend entschieden werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 93/20, juris Rn. 21; vom - XIII ZB 5/21, juris Rn. 9). Einer Entscheidung über den Feststellungsantrag im Aufhebungsverfahren steht die materielle Rechtskraft einer Entscheidung des Beschwerdegerichts entgegen, mit der über den Feststellungsantrag im Anordnungsverfahren entschieden wurde.

16(2) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das Landgericht hat über den - hilfsweise für den Fall der Erledigung - gestellten Feststellungsantrag keine Entscheidung getroffen. Es geht in seiner am Tag der Abschiebung des Betroffenen getroffenen Entscheidung von einer fortbestehenden Haft aus. Feststellungen zur Erledigung der Haft hat es demgemäß nicht getroffen.

17cc) Dem Haftaufhebungsantrag fehlt für die Zeit ab seinem Eingang auch nicht das Rechtsschutzinteresse. Ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Haft kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen dem Wortlaut des § 62 Abs. 1 FamFG nicht nur in einem Beschwerdeverfahren, sondern auch in einem Haftaufhebungsverfahren gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG vor dem Amtsgericht gestellt werden (, InfAuslR 2016, 56 Rn. 8; vom - XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 15). Gegenstand der Feststellung ist dabei nicht die ohnehin gemäß § 426 Abs. 1 FamFG von Amts wegen zu treffende Entscheidung über die Aufhebung, sondern die Rechtswidrigkeit der Haft, die bei Verweigerung ihrer Aufhebung fortdauert. An dieser Feststellung hat der Betroffene ein nach § 62 FamFG gesetzlich anerkanntes Rechtsschutzinteresse. Für einen Antrag der Vertrauensperson, diese Feststellung im Interesse des Betroffenen zu treffen, gilt nichts Anderes (BGH, InfAuslR 2020, 387, juris Rn. 15). Einen solchen Feststellungsantrag hat die Vertrauensperson von Anfang an gestellt. Anders als das Landgericht meint, ist derselbe Gegenstand nicht bereits mit der Beschwerde des Betroffenen anhängig geworden. Den Beteiligten wird mit § 426 Abs. 2 FamFG die Möglichkeit eingeräumt, unabhängig von der Beschwerde die Aufhebung der Haft zu beantragen (BGH, InfAuslR 2020, 387 Rn. 23).

18c) Die angefochtene Entscheidung ist damit gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

19aa) Die Sache ist nicht gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 zur Endentscheidung reif. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen auf seine Zulässigkeit zu überprüfende Haftantrag der beteiligten Behörde vom nach § 417 Abs. 1 FamFG zulässig. Es fehlt nicht an ausreichenden Angaben zur erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung gemäß § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG.

20(1) Der Haftantrag genügt dem Begründungserfordernis bereits dann, wenn die beteiligte Behörde zu den anzusprechenden Gesichtspunkten nachvollziehbar so vorträgt, dass der Haftrichter konkrete Nachfragen stellen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 93/19, juris Rn. 10; vom - XIII ZB 65/21, juris Rn. 10). Diesem Maßstab entsprechen die Angaben des Antrags. Die Dauer der beantragten Haft von vier Wochen wird damit begründet, dass eine Abschiebung nach Tunesien nach Rücksprache mit dem zuständigen Bundespolizeipräsidium Koblenz in diesem Zeitraum realisiert werden könne. Ein Passersatzdokument für den Betroffenen mit Gültigkeit bis zum liege bereits vor. Für die Organisation des Fluges ohne Sicherheitsbegleitung würden nach Auskunft des Bundespolizeipräsidiums in der Regel vier Wochen benötigt. Unter Hinzurechnung einiger Tage für allfällige Verzögerungen werde daher Haft bis zum beantragt. Diese Angaben sind ausreichend. Da dem Betroffenen weder Reisedokumente besorgt werden mussten noch eine Sicherheitsbegleitung geplant war, bezog sich der beantragte Zeitraum allein auf die Organisation des Fluges. Eine nähere Erläuterung des hierfür erforderlichen Zeitaufwands war vorliegend nicht geboten, nachdem sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle zum üblicherweise erforderlichen Zeitbedarf berufen hatte und im Hinblick auf den zum maßgeblichen Zeitpunkt nach pandemiebedingten Störungen wiederaufgenommenen außereuropäischen Flugverkehr auch weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass eine Flugbuchung zum Zwecke einer Abschiebung schneller hätte erfolgen können.

21(2) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt es nicht darauf an, dass das Beschwerdegericht am auf Nachfrage weitere Auskünfte zu den Modalitäten der Abschiebung eingeholt hat, ohne den Betroffenen zu den so gewonnenen ergänzenden Angaben anzuhören. Mängel des Haftantrags können zwar grundsätzlich nur mit Wirkung für die Zukunft behoben werden und nur dann, wenn der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 38/19, juris Rn. 13; vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 12, jeweils mwN). Vorliegend bestanden jedoch keine Mängel, die den Haftantrag unzulässig machten. Vielmehr enthielt der Antrag bereits die notwendigen Mindestangaben zur Haftdauer. Zu diesen Angaben ist der Betroffene vom Ausgangsgericht persönlich angehört worden.

22bb) Nach alledem ist die Sache gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Das Amtsgericht wird dabei Gelegenheit haben, sich mit dem Vortrag in der Begründung des Haftaufhebungsantrags und in der Rechtsbeschwerdebegründung im Einzelnen zu befassen. Sollte sich der Haftaufhebungsantrag danach als erfolgreich erweisen, wird es zu beachten haben, dass der Betroffene - anders als im Rechtsbeschwerdeverfahren beantragt - mit dem Haftaufhebungsantrag nur die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags vom bei Gericht erreichen kann.

233. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:200224BXIIIZB42.21.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-66173