BGH Urteil v. - VIa ZR 214/23

Instanzenzug: Az: 16a U 127/19vorgehend LG Heilbronn Az: Mo 1 O 26/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.

2Er erwarb im Januar 2018 für 41.946,75 € einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi A6 Limousine 3.0 TDI quattro, der mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor mit der Typbezeichnung EA 897 ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde nach Maßgabe der Abgasnorm Euro 6 plus erteilt. Die Emissionskontrolle erfolgt unter Verwendung einer Abgasrückführung, welche außerhalb eines bestimmten Temperaturfensters reduziert wird ("Thermofenster"). Weiter verfügt das Fahrzeug über einen SCR-Katalysator. Reicht das zur Abgasreinigung im SCR-Katalysator im Fahrzeug eingesetzte Reagens "AdBlue" nur noch für eine Reichweite von 2.400 km, ändert sich die Dosierstrategie (sogenannte Restreichweitenregelung). Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete für das streitgegenständliche Fahrzeug wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung einen Rückruf an.

3Das Landgericht hat die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs und zur Zahlung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Verzugs-zinsen verurteilt. Ferner hat es den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit im Revisionsverfahren von Interesse - wie folgt begründet:

6Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Es könne dahinstehen, ob es sich bei dem unstreitig implementierten "Thermofenster" um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Denn es sei weder ein Täuschungsvorsatz von Repräsentanten der Beklagten noch ein Irrtum auf Seiten des KBA über dessen Vorliegen im Rahmen des EG-Typgenehmigungsverfahrens ersichtlich. Für das Vorliegen einer Prüfstandserkennung und einer daran anknüpfenden Umschaltlogik seien keine tatsächlichen Anhaltspunkte durch den Kläger vorgetragen; sein Vortrag bleibe insoweit unschlüssig. Eine Haftung wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung folge auch nicht aus der von der Beklagten dargelegten Ausgestaltung der vom KBA als unzulässige Abschalteinrichtung gerügten sogenannten Restreichweitenregelung. Auch hier reiche ein reiner Gesetzesverstoß - von einem solchen sei aufgrund der Verwendung einer vom KBA als unzulässig beanstandeten Abschalteinrichtung auszugehen - nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. Solche seien weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich.

7Eine Haftung der Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV, den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) 692/2008 komme nicht in Betracht. Die genannten Regelungen seien nicht als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zu werten.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Soweit der Kläger Ansprüche auf §§ 826, 31, 830 BGB stützt, hat das Berufungsgericht eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers aufgrund einer tatrichterlichen Würdigung der vom Kläger vorgetragenen Umstände rechtsfehlerfrei verneint. Die dagegen gerichteten Einwände der Revision greifen nicht durch. Die Revision versucht lediglich, ihre Bewertung der Sittenwidrigkeit der sogenannten Restreichweitenregelung an die Stelle der Bewertung des Berufungsgerichts zu setzen, ohne Rechtsfehler aufzuzeigen. Umstände, die über die bloße Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung hinaus die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten indizieren würden und die vom Berufungsgericht übergangen worden wären, zeigt die Revision nicht auf. Die darauf bezogenen Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Die angefochtene Entscheidung ist gemäß § 562 ZPO aufzuheben, weil sie sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben der (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) und vom (VIa ZR 468/21, WM 2023, 2232 Rn. 14) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:190324UVIAZR214.23.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-66102