BGH Urteil v. - VIa ZR 86/22

Instanzenzug: Az: 16a U 149/19 Urteilvorgehend Az: 16 O 461/18

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte unter dem Gesichtspunkt ihrer deliktischen Schädigung wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Die Klägerin erwarb am einen von der Beklagten hergestellten Neuwagen Porsche Macan S V6, der mit einem 3,0 l TDI Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" temperaturabhängig gesteuert.

3Die Klägerin hat die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Dagegen hat die Beklagte Berufung mit dem Ziel der vollständigen Abweisung der Klage eingelegt. Die Klägerin hat mit ihrer Anschlussberufung auf Erstattung des Kaufpreises ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung angetragen und hinsichtlich der Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten den ihr vom Landgericht nicht zugesprochenen Teil weiterverfolgt. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten - unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Klägerin - das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Gründe

4Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Die Klägerin habe keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB. Es könne vorliegend keine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung der Beklagten festgestellt werden, ohne dass es auf die Frage, ob die Beklagte Kenntnis von den Details der Motorsteuerung gehabt habe, ankomme. Ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, könne offenbleiben, da diesbezüglich eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte ausscheide. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs.1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheitere daran, dass es sich bei den genannten Normen nicht um Gesetze zum Schutz des Vermögensinteresses von Fahrzeugerwerbern handele.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben der (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) und vom (VIa ZR 26/21, WM 2023, 2190 Rn. 14) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen

und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:190324UVIAZR86.22.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-65902