Online-Nachricht - Donnerstag, 25.04.2024

Umsatzsteuer | Reihengeschäft: Keine notwendige Beiladung des Ersterwerbers im finanzgerichtlichen Verfahren des Lieferers (BFH)

Bei einem Reihengeschäft mit drei Beteiligten (X, Y und Z) und zwei Lieferungen (X an Y sowie Y an Z) muss der Ersterwerber (Y) zu einem Rechtsstreit des ersten Lieferers (X) mit seinem Finanzamt nicht nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO notwendig beigeladen werden (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Die Klägerin stand im Streitjahr 2012 mit der in Österreich ansässigen A GmbH (A) in Geschäftsbeziehung, die der in Kasachstan ansässigen K Ltd. (K) gebrauchte Veranstaltungstechnik der Klägerin verkaufte. Zwischen A und K war die Lieferbedingung "ex works Germany" vereinbart. Die Käuferin (K) musste gemäß dieser Vereinbarung den Transport organisieren. Der Gefahrübergang sollte mit Übergabe der Ware an K, die für den vorgesehen war, erfolgen.

Am teilte A der Klägerin mit, dass der Kaufpreis unterwegs sei, der Kunde sich die Ware per Luftfracht schicken lasse, diese am oder anschauen wolle und die Abholung durch eine niederländische Spedition erfolgen solle. Am teilte A der Klägerin ferner mit, dass sie ihr zwei für K bestimmte Originalrechnungen und Verträge gesendet habe und K am Nachmittag des die Ware anschauen werde. Die Spedition, der sie, die A, die Kontaktdaten der Klägerin schon geschickt habe, sei zunächst für den bestellt.

Am bestätigte die Klägerin gegenüber A den Verkauf von Beschallungstechnik zuzüglich Umsatzsteuer. Am stellte die Klägerin die Lieferung der gebrauchten Gegenstände der A in Rechnung; die Rechnung wies keine Umsatzsteuer aus und enthielt den Hinweis, dass es sich um eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a UStG a.F. handele.

Am wurde ein CMR-Frachtbrief ausgestellt. Als Absenderin der Ware ist die Klägerin, als Empfängerin die in den Niederlanden ansässige H und als Frachtführerin die gleichfalls in den Niederlanden ansässige X B.V. (X) angegeben. Der dem Frachtbrief beiliegende Lieferschein der Klägerin datiert auf den . Im "Uitvoergeleidedocument" (Ausfuhrbegleitdokument), das für den Beförderungsteil Niederlande/Kasachstan ausgestellt worden war, sind A als Absenderin und K als Empfängerin sowie die in den Niederlanden ansässige Z B.V. als "Aangever/Vertegenwoordiger" (Anmelderin/Vertreterin) angegeben.

Die Klägerin erklärte die Lieferung an A in ihrer am beim Finanzamt eingegangenen Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr als umsatzsteuerfrei. Das FA stimmte der Erklärung zunächst zu.

Nach einer Außenprüfung vertrat das FA die Ansicht, dass die Lieferung nicht umsatzsteuerfrei sei. Es rechnete Umsatzsteuer aus dem Rechnungsbetrag heraus und erließ einen entsprechenden Umsatzsteuer-Änderungsbescheid.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg (ausführlich zur Vorinstanz, , s. Gehm, ).

Nach Auffassung der Richter des BFH ist die Entscheidung des FG, dass die Lieferung gebrauchter Gegenstände der Veranstaltungstechnik durch die Klägerin steuerbar und steuerpflichtig ist, nicht zu beanstanden:

  • Zum einen leidet das Urteil des FG an keinem Verfahrensfehler. A musste nicht notwendig beigeladen werden: Bei einem Reihengeschäft mit drei Beteiligten (X, Y und Z) und zwei Lieferungen (X an Y sowie Y an Z) muss der Ersterwerber (Y) zu einem Rechtsstreit des ersten Lieferers (X) mit seinem Finanzamt nicht nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO notwendig beigeladen werden.

  • Darüber hinaus hält die Annahme des FG, dass die Lieferung der Klägerin steuerbar und steuerpflichtig ist, einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

  • Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin Veranstaltungstechnik an A und A die Veranstaltungstechnik an K geliefert hat.

  • Die Warenbewegung ist nicht der Klägerin zuzuordnen, weil sie objektiv die Ware grenzüberschreitend weder versendet noch befördert hat. Hierbei konnte das FG, das eine Versendung der Ware sowohl durch K als auch durch A gleichermaßen für möglich hielt, von einer weiteren Sachverhaltsaufklärung absehen; in beiden Fällen ist die Warenbewegung nicht der Lieferung der Klägerin zuzurechnen.

  • Für die Frage, welcher Lieferung im Rahmen eines solchen Reihengeschäfts die Warenbewegung zuzuordnen ist, war nach altem Recht im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls maßgeblich, ob der Ersterwerber (Y) dem Zweiterwerber (Z) die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, im Inland übertragen hat (vgl. , BStBl II 2023, 514, Leitsatz 2). Vorliegend ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass die Warenbewegung nicht der Klägerin zuzuordnen ist, weil sie objektiv die Ware grenzüberschreitend weder versendet noch befördert hat.

  • Die von der Klägerin erhobenen Einwendungen greifen nicht durch:

  • Ob eine "gebrochene" Versendung vorliegt, spielt für die Frage, ob der Ersterwerber (Y) dem Zweiterwerber (Z) die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, im Inland übertragen hat, keine Rolle. Entscheidend im Streitfall ist, dass die A der K bereits im Inland Verfügungsmacht verschafft hat. Die Warenbewegung ins Ausland erfolgte daher im Rahmen jener Lieferung.

  • Ebenfalls kommt es nicht auf den aus Art. 9 Abs. 1 CMR folgenden Beweiswert eines CMR-Frachtbriefs an. Ein ordnungsgemäß ausgestellter und unterzeichneter Frachtbrief mag zwar nach Art. 9 Abs. 1 CMR den widerleglichen Beweis für Abschluss und Inhalt des Beförderungsvertrages und für die Übernahme des Transportgutes erbringen und zur Beweislastumkehr führen (vgl. , VersR 1998, 79, unter II.1.b aa, m.w.N.).

  • Er erbringt nach Art. 9 Abs. 1 CMR jedoch keinen Beweis darüber, ob der Ersterwerber (Y) dem Zweiterwerber (Z) die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, im Inland übertragen hat.

  • Die steuerbare Lieferung ist darüber hinaus nicht steuerfrei. Es liegt weder eine steuerfreie Ausfuhrlieferung gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 6 UStG noch eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG vor, da die Klägerin die Veranstaltungstechnik weder in das Drittlandsgebiet (vgl. , BStBl II 2010, 509, unter II.1.a; , StBl II 2023, 525, Rz 44) noch in das übrige Gemeinschaftsgebiet (vgl. , BStBl II 2023, 525, Rz 59, m.w.N.) befördert oder versendet hat. Es fehlt an der für eine Steuerbefreiung notwendigen Warenbewegung bei der Lieferung an A.

Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:

Die Entscheidung des BFH betrifft ein Reihengeschäft, bei dem es darum geht, die Warenbewegung einer bestimmten Lieferung innerhalb eines solchen Reihengeschäfts zuzuordnen. Daraus ergeben sich die steuerlichen Schlussfolgerungen. Das Reihengeschäft bestand aus zwei Lieferungen (X an Y und Y an Z).

Zu beachten war bei dieser Entscheidung, dass es sich um ein Reihengeschäft nach altem Recht handelte. Für die Zuordnung der Warenbewegung war danach bei Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls maßgeblich, ob der Ersterwerber (Y) dem Zweiterwerber (Z) die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, im Inland übertragen hat - dies war im Streitfall zu bejahen. Der BFH setzt hier also seine Rechtsprechung fort.

Für die Praxis ist zu beachten, dass sich die Reihengeschäfte heute nach neuen Regelungen richten. Art. 36a MwStSystRL i.d.F. der Richtlinie (EU) 2018/1910 vom zur Änderung der Richtlinie 2006/112 EG in Bezug auf die Harmonisierung und Vereinfachung bestimmter Regelungen des Mehrwertsteuersystems zur Besteuerung des Handels zwischen Mitgliedstaaten (Amtsblatt der Europäischen Union 2018 Nr. L 311, S. 3) sowie diese umsetzende nationale Regelung in § 3 Abs. 6a UStG i.d.F. des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom , BGBl I 2019, 2451) waren im Streitfall noch nicht anzuwenden.

Des Weiteren ist zu beachten, dass weitere Verfahren anhängig sind. So hat der BFH zum Az. XI R 35/22 zu entscheiden, ob u.a. rückwirkend ein Reihengeschäft durch „Berichtigung“ der Rechnung an den Zweiterwerber (Aufnahme der Hinweiserteilung, dass es sich um ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft handelt) zu einem innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft wird.

Quelle: ; NWB Datenbank (il)

Fundstelle(n):
QAAAJ-65843