BGH Beschluss v. - V ZB 34/23

Instanzenzug: Az: 24 U 185/23 evorgehend LG Augsburg Az: 104 O 3921/19

Gründe

I.

1Die Kläger haben gegen das ihnen am zugestellte Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Auf Antrag der Kläger hat das Berufungsgericht die am ablaufende Frist zur Begründung der Berufung bis Montag, den , verlängert. Mit einem am Donnerstag, den , um 19:50 Uhr beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der als Einzelanwalt und ohne Büroangestellte tätige Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung bis zum zu verlängern, weil er „an Covid erkrankt“ sei und die Berufungsbegründung nicht fristgerecht fertigen könne. Das Berufungsgericht hat den Antrag mit Verfügung vom abgelehnt. Mit Schriftsatz vom , am selben Tag um 18:11 Uhr beim Berufungsgericht eingegangen, hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger erneut einen Fristverlängerungsantrag - nunmehr unter Beifügung einer ärztlichen Bescheinigung - gestellt. Mit Verfügung vom hat das Berufungsgericht die Fristverlängerung abgelehnt. Mit Schriftsatz vom hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und zugleich die Berufungsbegründung eingereicht. Den Antrag auf Wiedereinsetzung hat das Berufungsgericht durch den mit der Rechtsbeschwerde angegriffenen Beschluss zurückgewiesen und die Berufung der Kläger nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt.

II.

2Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil die Berufungsbegründung nicht fristgemäß eingegangen ist. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei abzulehnen, weil der Klägervertreter nicht ausreichend glaubhaft gemacht habe, dass er ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die bereits einmal verlängerte Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Ihm sei vorzuwerfen, dass er die Beklagtenvertreterin am nicht um Zustimmung zu einer Fristverlängerung gebeten habe. Denn dann hätte er von dem Verlangen der Beklagtenvertreterin nach einem Nachweis über seine Arbeitsunfähigkeit so rechtzeitig Kenntnis erlangt, dass er den Nachweis noch rechtzeitig hätte übermitteln können. Die Beklagtenvertreterin hätte der Fristverlängerung bei Übersendung des Nachweises zugestimmt. Der Klägervertreter habe zudem nicht glaubhaft gemacht, dass er für den Fall seiner unvorhergesehenen Erkrankung ausreichend vorgesorgt habe. Er hätte alternativ zur Fristverlängerung einen Vertreter mit der Fertigung der Berufungsbegründung beauftragen können, weil sich die Berufung gegen ein Urteil mit einem einfach gelagerten Sachverhalt richte.

III.

3Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Kläger ist unzulässig, weil es an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere ist der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl. dazu Senat, Beschluss vom - V ZB 193/10, NZM 2011, 488 Rn. 7 mwN).

41. Das Berufungsgericht geht rechtsfehlerfrei davon aus, dass die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 ZPO versäumt worden ist. Das wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht in Zweifel gezogen.

52. Im Ergebnis zutreffend lehnt das Berufungsgericht den Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist (§ 233 Satz 1 ZPO) ab.

6a) Allerdings rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass das Berufungsgericht ein Verschulden des Klägervertreters damit begründet, er - der Klägervertreter - habe seinen Vertreter nicht mit der Fertigung und Übersendung der Berufungsbegründung beauftragt.

7aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass die zur Wahrung von Fristen erforderlichen Handlungen auch dann unternommen werden, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Ist er - wie hier - als Einzelanwalt ohne eigenes Personal tätig, muss er ihm zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall treffen, zum Beispiel durch Absprache mit einem vertretungsbereiten Kollegen (vgl. , NJW 2020, 2413 Rn. 10). Dem Mandanten dürfen aufgrund der Erkrankung des Rechtsanwalts aber keine Nachteile bei der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen entstehen. Die Fertigung einer Rechtsmittelbegründung muss deshalb mit der gleichen Sorgfalt möglich sein wie ohne die Erkrankung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich ein vertretungsbereiter Kollege des erkrankten Rechtsanwalts regelmäßig zunächst in den Sach- und Streitstand einarbeiten muss und deshalb ein zeitlicher Mehraufwand entsteht. Erschwerend tritt hinzu, dass der vertretungsbereite Dritte auch eigene Mandate zu bearbeiten hat und seine zeitliche Verfügbarkeit demzufolge in der Regel eingeschränkt ist. Vor diesem Hintergrund erfordern die Sorgfaltspflichten des unvorhersehbar erkrankten Rechtsanwalts die Beauftragung eines vertretungsbereiten Kollegen mit der Fertigung einer Rechtsmittelbegründung allenfalls dann, wenn bis zum Ablauf der Begründungsfrist ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Der erforderliche Zeitraum lässt sich nicht abstrakt festlegen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls (, NJW 2009, 3037 Rn. 10; Beschluss vom - VII ZB 35/17, NJW 2020, 157 Rn. 16; Beschluss vom - IX ZB 8/18, aaO Rn. 17). Tritt die Erkrankung erst am Tag vor dem Ablauf der Rechtsmittelfrist zutage, kommt die Beauftragung eines vertretungsbereiten Kollegen mit der Fertigung der Rechtsmittelbegründung nur in einfach gelagerten Fällen in Betracht (, aaO Rn. 17 mwN).

8bb) Nach diesem Maßstab war der Klägervertreter nicht gehalten, seinen Vertreter mit der fristwahrenden inhaltlichen Bearbeitung der Berufungsbegründung zu beauftragen. Das Berufungsgericht verkennt insoweit schon, dass am Abend des nicht vier, sondern lediglich zwei Arbeitstage, nämlich der (Freitag) und der (Montag) für die Fertigung und Einreichung der Berufungsbegründung zur Verfügung gestanden hätten. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handelt es sich auch ersichtlich nicht um einen derart einfach gelagerten Fall, dass die Rechtsmittelbegründung am (Arbeits-)Tag vor dem Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist durch einen vertretungsbereiten Kollegen gefertigt werden konnte. Das ergibt sich bereits aus der eigenen Schilderung des Umfangs der Rechtssache sowie des landgerichtlichen Urteils. Allein die in erster Instanz (im Prozessverlauf teilweise geänderten) zuletzt gestellten Anträge umfassen 2,5 Seiten des landgerichtlichen Urteils. Von sieben Klageanträgen wurden Anträge teilweise zurückgenommen oder für erledigt erklärt. Die Widerklage umfasst fünf Anträge. Der Tatbestand des landgerichtlichen Urteils umfasst ohne die Anträge vier Seiten und die Entscheidungsgründe 6,5 Seiten. Es fanden fünf mündliche Verhandlungen und eine durch ein ausführliches Protokoll dokumentierte Augenscheinnahme statt. Bis auf die Feststellung der Erledigung des Klageantrags zu 5 b) hat das Landgericht die Klage abgewiesen und die Kläger auf die Widerklage hin teilweise verurteilt. Unter diesen Umständen weist die Rechtssache eine Komplexität auf, die es einem mit der Sache erstmalig befassten Vertreter nicht ermöglicht hätte, die Erfolgsaussichten der einzelnen abgewiesenen Klageanträge und der auf die Widerklage hin ergangenen Verurteilung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht noch am (Arbeits-)Tag vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist zu prüfen und zu begründen.

9c) Dieser Rechtsfehler führt jedoch nicht zum Erfolg der Rechtsbeschwerde, weil das Berufungsgericht die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf eine andere selbständig tragende Begründung stützt, die keinen zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde führenden Rechtsfehler aufweist. Das Berufungsgericht stützt ein Verschulden des Klägervertreters rechtsfehlerfrei darauf, dass der Klägervertreter die Beklagtenvertreterin nicht bereits am um Zustimmung zur Fristverlängerung ersucht hat.

10aa) Der Klägervertreter war ab dem erkrankt, was das Berufungsgericht auch nicht in Zweifel zieht.

11bb) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) war den Klägern nur dann zu gewähren, wenn der Klägervertreter ohne sein Verschulden daran gehindert war, eine - zweite - Fristverlängerung zu erwirken. Da dem Klägervertreter bereits eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gewährt wurde, kam nach § 520 Abs. 2 Satz 2, 3 ZPO eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur mit Einwilligung des Gegners in Betracht. In einem solchen Fall ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nur dann zu gewähren, wenn die Gegenseite die zur Fristverlängerung gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderliche Einwilligung nicht erteilt und die Frist deshalb nicht verlängert wird (vgl. , NJW 2020, 157 Rn. 13). Infolgedessen kommt es darauf an, ob die Kläger dargelegt und glaubhaft gemacht haben (§ 294 ZPO), dass ihrem Prozessbevollmächtigten die Einholung der gegnerischen Einwilligung nicht möglich oder unzumutbar war.

12cc) Gemessen hieran hat das Berufungsgericht zu Recht ein Verschulden des Klägervertreters angenommen. Zwar hat der Klägervertreter am einen Antrag auf Fristverlängerung gestellt. Da die Beklagtenvertreterin ihre Einwilligung nicht erklärt hatte, enthielt der Antrag hierzu auch keine Angaben. Der Klägervertreter wusste aber, dass ihm eine zweite Fristverlängerung nach § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur unter Darlegung der Einwilligung der Gegenseite gewährt werden würde. Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass der Klägervertreter am gehalten gewesen wäre, zuerst die Beklagtenvertreterin um Abgabe der (erforderlichen) Einwilligung zu ersuchen.

13Entgegen der Rechtsbeschwerde kann es den Klägervertreter nicht entlasten, dass die Beklagtenvertreterin nur unter der Bedingung, dass der Klägervertreter einen ärztlichen Nachweis über seine Erkrankung vorlegt, bereit war, ihre Einwilligung zu erklären. Hätte er die Beklagtenvertreterin am um Zustimmung zur Fristverlängerung ersucht, so hätte er von der Bedingung der Beklagtenvertreterin frühzeitig Kenntnis erlangt und ihm wäre es dann (am 9. oder ) noch möglich gewesen, einen ärztlichen Nachweis zur Vorlage gegenüber der Beklagtenvertreterin einzuholen. Diese Maßnahmen waren auch geboten, weil der Klägervertreter nach den Ausführungen der Rechtsbeschwerde bereits zu diesem Zeitpunkt gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, die Berufungsbegründung, wegen deren Anfertigung er an diesem Tag in sein Büro gefahren war, zu fertigen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hätte die Beklagtenvertreterin die Einwilligung erteilt, wenn ihr das Attest vorgelegt worden wäre.

IV.

14Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Bei der Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren hat sich der Senat mangels anderer Anhaltspunkte an der Wertfestsetzung des Berufungsgerichts orientiert.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140324BVZB34.23.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-64988