BGH Urteil v. - VII ZR 384/21

Instanzenzug: OLG Celle Az: 7 U 1716/19 (S. 7a)vorgehend LG Hildesheim Az: 2 O 320/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.

2Er erwarb im Januar 2018 von einem Autohändler ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug VW Touareg 3,0 l V6 TDI Motor als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 40.790 €. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Fahrzeug ist mit einem von der AUDI AG entwickelten und hergestellten Dieselmotor ausgestattet.

3Das Klägerfahrzeug ist von einem verpflichtenden Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen. Ausgehend von der Pressemitteilung des KBA vom enthält das Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen in Form einer schadstoffmindernden Aufwärmstrategie und eines SCR-Katalysators, der die Nutzung von AdBlue unter bestimmten Bedingungen unzulässig einschränkt.

4Der Kläger verlangt die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs abzüglich einer Nutzungsentschädigung, hilfsweise die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten. Ferner begehrt er die Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet und der Schadensersatzanspruch aus einer vorsätzlich unerlaubten Handlung herrührt, sowie die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

5Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

6Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Gründe

7Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

8Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit es für die Revision von Interesse ist, ausgeführt:

9Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zu. Zwar seien die von dem KBA beanstandete Aufwärmstrategie und die auf den Prüfzyklus zugeschnittene Dosierstrategie in dem Fahrzeug des Klägers möglicherweise als unzulässige Abschalteinrichtungen einzustufen. Die für die Beklagten handelnden Personen hätten indes nicht gewusst, dass die von der AUDI AG entwickelten und hergestellten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet seien und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesen Motoren versehen in den Verkehr gebracht worden seien. Das Wissen der für die AUDI AG handelnden Personen bei der Entwicklung und Herstellung des Motors könne der Beklagten gemäß § 31 BGB nicht zugerechnet werden. Für eine Haftung der Beklagten komme es darauf an, dass Mitglieder des Vorstands oder deren Vertreter von der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtungen gewusst hätten. Soweit sich der Kläger für eine solche Kenntnis - im Zusammenhang mit dem Motor EA 189 - auf die Compliance-Strukturen der Beklagten berufe, genüge dies schon deshalb nicht, weil allein das Vorhandensein entsprechender Strukturen nichts darüber aussage, welches Wissen den Repräsentanten der Beklagten dadurch im konkreten Einzelfall tatsächlich vermittelt worden sei.

10Der Vortrag des Klägers zu der in den USA erhobenen Anklage gegen "führende VW-Funktionäre" sei unbeachtlich, weil er sich auf den Motor EA 189 beziehe. Entsprechendes gelte, soweit sich der Kläger in der Berufungsbegründung darauf berufe, die Beklagte sei mit der Diesel-Technik "bestens vertraut" und habe sich die Produktionskosten für die V6-Motoren mit der AUDI AG geteilt. Greifbare Anhaltspunkte für ein Wissen um die Aufwärmstrategie ließen sich aus diesen Umständen nicht ableiten.

11Dass der Kläger das Fahrzeug im Januar 2018, mithin zu einem Zeitpunkt erworben habe, zu dem die Beklagte aufgrund des vorangegangenen Rückrufbescheids des KBA jedenfalls Kenntnis von der "Aufwärmstrategie" gehabt habe, ändere hieran nichts. Der Beklagten könnte insoweit allenfalls vorgeworfen werden, dass sie die Öffentlichkeit beziehungsweise die potentiellen (Gebrauchtwagen-)Käufer hierüber nicht durch eine Pressemitteilung informiert habe. Dies genüge indes nicht, um eine Haftung der Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu bejahen, zumal sie im Januar 2018 bereits mit dem KBA zwecks Beseitigung der unzulässigen Abschnitteinrichtung zusammengearbeitet habe, um Stilllegungen der von ihr hergestellten Fahrzeuge zu vermeiden. Eine auf Täuschung ausgelegte "Strategieentscheidung", wie sie für eine Haftung gemäß §§ 826, 31 BGB erforderlich wäre, sei vor diesem Hintergrund nicht erkennbar.

II.

12Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

131. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist der erkennende Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des Klägers ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. Rn. 29, NJW 2021, 1814) übergangen hätte.

14a) Das Berufungsgericht ist nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil davon ausgegangen, dass der im Fahrzeug des Klägers verbaute Dieselmotor mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet ist. Der Umstand, dass die Beklagte rechtswidrig manipulierte Motoren in ihre Fahrzeuge eingebaut hat, die von ihrer Tochtergesellschaft entwickelt und hergestellt worden sind, genügt allein nicht, um eine objektiv sittenwidrige Handlung anzunehmen ( Rn. 16, MDR 2023, 291). Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten kommt zwar in Betracht, wenn die für sie handelnden Personen wussten, dass die von ihrer Tochtergesellschaft gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet worden sind und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesen Motoren versehen in den Verkehr gebracht wurden (vgl. Rn. 17, MDR 2023, 291; Urteil vom - VI ZR 505/19 Rn. 21, ZIP 2021, 799).

15b) Ein derartiges Vorstellungsbild hat das Berufungsgericht im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte entsprechend § 31 BGB einzustehen hat, indes rechtsfehlerfrei nicht festgestellt. Dies gilt auch für die Zeit zwischen dem erstmaligen Inverkehrbringen des Fahrzeugs und dessen Erwerb durch den Kläger, so dass dahinstehen kann, ob eine in der Zwischenzeit erlangte Kenntnis eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB unter dem Aspekt des pflichtwidrigen Unterlassens begründen könnte (vgl. Rn. 17, MDR 2023, 291).

16Entgegen der Annahme der Revision hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Substantiierung nicht überspannt. Von einer entsprechenden Kenntnis der Beklagten kann nicht allein deswegen ausgegangen werden, weil die AUDI AG, wie der Kläger geltend macht, zu 99,55 % ein Tochterunternehmen der Beklagten sei. Der bloße Einbau der manipulierten Motoren in eigene Fahrzeuge der Beklagten spricht noch nicht für die Annahme, die Unternehmensleitung der Beklagten sei in die diesbezügliche strategische Entscheidung ihrer Tochtergesellschaft eingebunden gewesen oder habe davon Kenntnis erlangt. Die Motorenverwendung allein begründet keine sekundäre Darlegungslast (vgl. Rn. 22, MDR 2023, 291; Urteil vom - VII ZR 192/20 Rn. 29, NJW 2022, 321; Urteil vom - VI ZR 505/19 Rn. 30, NJW 2021, 1669). Im Übrigen erachtet der Senat die von der Revision erhobenen Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).

172. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 1031/22 Rn. 24 ff., DAR 2023, 503; Urteil vom - VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., BGHZ 237, 245).

18Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom (Az. C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., BGHZ 237, 245; ebenso Urteil vom - III ZR 267/20 Rn. 22, ZIP 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (Urteile vom - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris).

19Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des Differenzschadens angepassten, unbeschränkten Zahlungsantrags ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV andererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ( VIa ZR 335/21 Rn. 45, BGHZ 237, 245).

III.

20Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:290224UVIIZR384.21.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-64905