BGH Urteil v. - VIa ZR 1622/22

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 25 U 408/21vorgehend Az: 8 O 245/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am von der Beklagten einen von ihr hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 250 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).

3Der Kläger hat die Beklagte unter den Gesichtspunkten des gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts vom Kaufvertrag und seiner deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat zuletzt den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs verlangt und den ursprünglich weitergehenden Antrag für erledigt erklärt. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter, soweit er sie auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Gründe

5Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

7Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB lägen nicht vor. Es könne dahinstehen, ob das im Fahrzeug vorhandene Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren sei. Jedenfalls lasse sich nicht feststellen, dass der Beklagten im Zusammenhang mit seiner Implementierung ein sittenwidriges vorsätzliches Verhalten zur Last falle. Soweit der Kläger eine Zykluserkennung, eine KSR und eine Manipulation des On-Board-Diagnose-Systems ins Feld geführt habe, fehle es an greifbaren Anhaltspunkten für seine Vermutung, es handele sich um unzulässige Abschalteinrichtungen. Jedenfalls sei nichts dafür ersichtlich, dass die implementierte KSR prüfstandsbezogen arbeite oder die Verantwortlichen der Beklagten im Bewusstsein ihrer Unzulässigkeit gehandelt hätten. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Vorschriften der EG-FGV.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es dem Vortrag des Klägers keine greifbaren Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten entnommen hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen, das Berufungsgericht habe Vorbringen des Klägers zu unzulässigen und manipulativ arbeitenden Abschalteinrichtungen unberücksichtigt gelassen, hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:190324UVIAZR1622.22.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-64904