BGH Urteil v. - VIa ZR 886/22

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 5a U 363/22vorgehend LG Chemnitz Az: 4 O 991/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb am von einem Händler ein von der Beklagten hergestelltes gebrauchtes Wohnmobil VW T5 California Comfortline, das mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" außerhalb eines Temperaturbereichs von jedenfalls etwa 3° C bis über 35° C reduziert. Ob in dem Fahrzeug eine an die Fahrkurvenerkennung anknüpfende sogenannte "Umschaltlogik" zum Einsatz kommt, steht zwischen den Parteien im Streit. Das Fahrzeug ist nicht von einem vom Kraftfahrt-Bundesamt veranlassten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.

3Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs verlangt und den ursprünglich weitergehenden Zahlungsantrag für erledigt erklärt. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit Ausnahme der begehrten Freistellung von Zinsen weiter.

Gründe

5Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

7Die Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 826 BGB seien nicht erfüllt. Der Kläger habe eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nicht schlüssig dargelegt. Es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Fahrkurvenerkennung mit der von Personenkraftwagen bekannten Umschaltlogik programmiert sei. Der Kläger sei dem nachvollziehbaren Vortrag der Beklagten nicht entgegengetreten, dem für das Nutzfahrzeug geltenden höheren Stickoxidgrenzwert sei durch eine ohne Umschaltlogik operierende Auslegung Rechnung getragen worden. Der Einbau des Thermofensters reiche nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben, auch wenn es als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren sein sollte. Der Kläger könne den geltend gemachten Schadensersatzanspruch auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Die Vorschriften der EG-FGV schützten nicht das Interesse des Fahrzeugerwerbers, nicht mit einer ungewollten Verbindlichkeit belastet zu werden.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es einen tatsächlichen Anhaltspunkt für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht festgestellt hat. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe den Vortrag des Klägers zur Prüfstandsbezogenheit der im Fahrzeug verbauten Fahrkurvenerkennung zu Unrecht für unbeachtlich gehalten, hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:190324UVIAZR886.22.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-64472