Prüfungsumfang im Rahmen der Normenkontrolle
Gesetze: § 47 Abs 5 VwGO
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein Az: 5 KN 53/21 Urteil
Gründe
1Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.
2I. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
3Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).
41. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich klärungsbedürftig auf,
ob das Normenkontrollgericht auch im Falle der Feststellung der Unwirksamkeit einer untergesetzlichen Rechtsvorschrift zur Überprüfung sämtlicher der von Antragstellerseite geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe verpflichtet ist und ob dies jedenfalls dann gilt, wenn bundesrechtlich die Möglichkeit eingeräumt ist, Unwirksamkeitsgründe unter bestimmten Voraussetzungen in einem ergänzenden Verfahren zu heilen.
5Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Sie ist in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt. Nach § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 VwGO erklärt das Oberverwaltungsgericht im Normenkontrollverfahren die (verfahrensgegenständliche) Rechtsvorschrift für unwirksam, wenn es zu der Überzeugung kommt, dass sie ungültig ist. Für die Feststellung genügt die Benennung eines Fehlers, der zur Unwirksamkeit der Rechtsvorschrift führt. Das Normenkontrollgericht muss sich weder dazu verhalten, ob der Fehler in einem ergänzenden Verfahren geheilt werden kann, noch ist es von Rechts wegen verpflichtet, die Rechtsvorschrift auf weitere Rechtsmängel hin zu überprüfen. Denn das Normenkontrollverfahren dient nicht der umfassenden Prüfung der Rechtslage unter jedem denkbaren Gesichtspunkt (vgl. 4 CN 11.21 - NVwZ 2023, 1748 Rn. 18; Beschlüsse vom - 4 BN 21.01 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 148 S. 63 und vom - 4 BN 40.13 - BRS 81 Nr. 76 Rn. 12).
6Die verschiedenen Fassungen des § 47 Abs. 5 VwGO zum Entscheidungsausspruch bei Begründetheit der Normenkontrolle sind insoweit ohne Belang. Die von der Beschwerde für geboten erachtete umfassende Prüfungspflicht des Normenkontrollgerichts griffe erheblich in das System der Normenkontrolle ein und setzte daher einen eindeutigen dahingehenden gesetzgeberischen Willen voraus (vgl. 4 CN 11.21 - NVwZ 2023, 1748 Rn. 21). Dafür ist aber weder im Rahmen der Novellierung der Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung vom (BGBl. I S. 2081, 2111, siehe dazu BT-Drs. 13/6392 S. 92) noch durch das Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien vom (BGBl. I S. 1359, siehe dazu BT-Drs. 15/2250 S. 74) etwas ersichtlich.
7An diesem Befund ändert die abweichende Rechtslage im Anwendungsbereich des § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG sowie im Planfeststellungsrecht nichts. § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG findet im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO keine Anwendung ( 4 CN 11.21 - NVwZ 2023, 1748 Rn. 19). Planfeststellungsbeschlüsse sind Zulassungsentscheidungen für konkrete Einzelvorhaben und als Verwaltungsakte der Bestandskraft fähig. Prüfungsgegenstand im Normenkontrollverfahren sind hingegen ausschließlich untergesetzliche Rechtsvorschriften, bei denen - trotz der Fristgebundenheit des Rechtsbehelfs (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) - eine spätere Überprüfung, etwa im Rahmen einer Inzidentkontrolle, möglich bleibt. Die von der Beschwerde der Sache nach erstrebte allgemeinverbindliche Sicherheit über die Gültigkeit einer Norm lässt sich durch das Verfahren nach § 47 VwGO schon deshalb nicht erlangen, weil die Rechtskraft einer ablehnenden Entscheidung ausschließlich die Verfahrensbeteiligten bindet (vgl. 4 N 1.80 - BVerwGE 65, 131 <137>).
82. Die weiteren von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen,
a) ob es mit § 2 Satz 2 EEG vereinbar ist, nach Inkrafttreten dieser Vorschrift von einer generellen Fortgeltung der Annahme einer "Unteilbarkeit" eines Windenergie-Regionalplans, der die Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB auslösen soll, auszugehen, und
b) ob es mit § 2 Satz 2 EEG vereinbar ist, von einer vollständigen Unwirksamkeit eines mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ausgestatteten Windenergie-Raumordnungsplans bereits dann auszugehen, wenn lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Plangeber, der hinsichtlich einer geringen Teilfläche des Planungsraums rechtsfehlerhaft eine Einstufung als harte (richtig: weiche) Tabuzone vorgenommen hat, in diesem Bereich abwägungsfehlerfrei Vorranggebiete vorgesehen und dafür im übrigen Raum eine entsprechende Reduzierung von Vorranggebieten vorgenommen hätte, oder eine solche Annahme im Hinblick auf die durch § 2 Satz 2 EEG erfolgte Intendierung des planerischen Ermessens im Sinne einer Vorrangigkeit von Entscheidungen für die erneuerbaren Energien voraussetzt, dass durch das Gericht zumindest Anhaltspunkte für eine derartige Vorgehensweise des Plangebers festgestellt worden sind,
führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Eine Rechtsänderung, wie hier das Inkrafttreten der Neufassung des § 2 EEG am durch das Gesetz vom (BGBl. I S. 1237; ber. BGBl. 2023 I Nr. 87), kann nicht zur Zulassung wegen einer als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Frage führen, die das Oberverwaltungsgericht nicht beantwortet hat und auch nicht beantworten musste. Es ist grundsätzlich nicht Sinn der Revisionszulassung, die Anwendung neuen Rechts im Einzelfall ohne vorherige Prüfung durch die Instanzgerichte zu ermöglichen. Die Revisionszulassung setzt vielmehr eine Rechtsfrage voraus, die für das angegriffene Urteil entscheidungserheblich war (stRspr, vgl. 4 BN 2.23 - juris Rn. 6 m. w. N.). Das ist vorliegend nicht der Fall. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 ROG ist für die Abwägung nach § 7 Abs. 2 ROG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Raumordnungsplan maßgebend. Nichts anderes gilt für die Bestimmung des hypothetischen Willens des Plangebers bei der Prüfung einer teilweisen Wirksamkeit eines Plans. Die Beschlussfassung über den Regionalplan erfolgte im Jahr 2020 und damit vor Inkrafttreten des § 2 EEG n. F. im Juli 2022. Für eine rückwirkende Geltung des § 2 Satz 2 EEG bieten weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 20/1630 S. 159) einen Anhalt. Inwieweit die für die Abwägung danach nicht relevante Rechtsänderung im Hinblick auf die Rechtsfolgen des von der Vorinstanz angenommenen Abwägungsmangels eine Rolle spielen soll (Frage 2. a)), legt die Beschwerde nicht in der gebotenen Weise dar. Die Begründung erschöpft sich insoweit in einem Hinweis auf § 214 Abs. 4 BauGB und obergerichtliche Rechtsprechung zur rückwirkenden Fiktion im Zweckverbandsstabilisierungsgesetz sowie zur Planfeststellungsfiktion in § 71 LuftVG.
93. Die Revision ist schließlich nicht zur Klärung der sinngemäß aufgeworfenen Frage zuzulassen,
ob ein Regionalplan, der Vorranggebiete mit der Wirkung von Eignungsgebieten für Windenergie (§ 7 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 i. V. m. Satz 3 1. Alt. ROG a. F.) festlegt, wegen der Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nur gebietsbezogen nicht teilbar ist, oder bei einem die Ausschlusswirkung betreffenden Rechtsverstoß sachlich teilweise, d. h. ohne die Ausschlusswirkung fortbestehen kann, wenn er insoweit aus der Sicht des Normgebers noch eine sinnvolle Steuerungswirkung ausüben kann.
10Zur Zulassung der Grundsatzrevision können nur solche Rechtsfragen führen, die für das angegriffene Urteil entscheidungserheblich waren und sich auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts voraussichtlich auch im Revisionsverfahren stellen würden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 4 BN 36.15 - juris Rn. 13 und vom - 4 B 49.18 - juris Rn. 8 m. w. N.). Daran fehlt es. Das Oberverwaltungsgericht hat sich zu der vorstehenden Frage, die auf eine Übertragbarkeit der Entscheidung des Senats vom - 4 CN 3.18 - (BVerwGE 164, 74 Rn. 31) zu Flächennutzungsplänen zielt, nicht verhalten. Es hat dazu, insbesondere zum mutmaßlichen Willen des Regionalplangebers, die innergebietliche Steuerungswirkung auch für den Fall der Unwirksamkeit der Ausschlusswirkung im Sinne einer Positivplanung aufrechtzuerhalten, auch keine Tatsachenfeststellungen getroffen. Die Beschwerde legt nicht dar, dass der Antragsgegner diese Frage in der Vorinstanz aufgeworfen und insoweit auf eine Beweisaufnahme hingewirkt hat, die das Oberverwaltungsgericht nur deshalb abgelehnt hat, weil es die Rechtsfrage anders beantwortet hat als der Antragsgegner.
11II. Die Beschwerde dringt auch mit den Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht durch.
121. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung ist nicht schlüssig dargetan. Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich als eine das rechtliche Gehör (§ 108 Abs. 2, § 104 Abs. 1 und § 86 Abs. 3 VwGO) verletzende Überraschungsentscheidung dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (stRspr, vgl. 4 BN 44.18 - juris Rn. 12 m. w. N.). Das legt die Beschwerde nicht dar. Sie macht geltend, die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die geplanten Landschaftsschutzgebiete machten etwa 11 % der Fläche des Kreises N. aus, sei weder in den Schriftsätzen angesprochen noch in der mündlichen Verhandlung erörtert worden. Dieser Vortrag führt nicht auf eine Überraschungsentscheidung. In der Beschwerdebegründung wird weder aufgezeigt noch ist sonst ersichtlich, inwiefern diese in einem Halbsatz getroffene Flächenangabe entscheidungstragend sein soll. Namentlich kann daraus, wie sich aus dem Kontext ergibt, nicht geschlossen werden, dass das Oberverwaltungsgericht das Gebiet des Kreises N. als relevanten Planungsraum betrachtet hat. Vielmehr hat es bei der Prüfung des hypothetischen Willens des Plangebers maßgeblich auf die vom Antragsgegner vorgelegte "Flächenbewertung und theoretische Abwägung unter den damaligen Rahmenbedingungen" abgestellt, nach der die fehlerhaft als weiche Tabuzonen eingeordneten geplanten Landschaftsschutzgebiete jedenfalls in einem gewissen Umfang für die Ausweisung von Konzentrationsflächen in Betracht gekommen wären. Die o. g. Flächenangabe diente in dem Zusammenhang erkennbar nur der Illustrierung, dass die fraglichen Bereiche in Bezug auf ihre Größe nicht von völlig untergeordneter Bedeutung sind.
132. Die Aufklärungsrüge greift ebenfalls nicht durch. Sie kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Rechtsstandpunktes des Tatsachengerichts Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Haben die Beschwerdeführer - wie hier - nicht bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, muss dargelegt werden, dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. 4 B 1.23 - juris Rn. 7 m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
14Nach dem Rechtsstandpunkt des Oberverwaltungsgerichts kam es für die Frage der Teil- oder Gesamtunwirksamkeit des Regionalplans darauf an, ob mit der gebotenen Sicherheit anzunehmen ist, dass der Planungsträger den Plan auch mit dem eingeschränkten Inhalt beschlossen hätte. Das hat es verneint. Es könne nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der Antragsgegner in den geplanten Landschaftsschutzgebieten bei ordnungsgemäßer Abwägung Vorranggebiete vorgesehen und im Gegenzug die Zahl oder Größe der Vorranggebiete im übrigen Planungsraum reduziert hätte. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht sich - wie bereits ausgeführt - tragend auf die vom Antragsgegner vorgelegte "Flächenbewertung und theoretische Abwägung unter den damaligen Rahmenbedingungen" gestützt und diese in Beziehung zu dem mit den Regionalplänen angestrebten energiepolitischen Mindestflächenziel von zwei Prozent der Landesfläche und den darin tatsächlich ausgewiesenen Vorranggebieten im Umfang von 2,03 % der Landesfläche gesetzt. Vor diesem Hintergrund hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, es könne mit guten Gründen angezweifelt werden, dass sich das Interesse des Plangebers bei Einbeziehung der Landschaftsschutzgebiete ausschließlich darauf gerichtet hätte, in diesen Flächen zusätzliche Vorranggebiete auszuweisen. Die Beschwerde legt nicht dar, inwieweit ausgehend vom o. g. Rechtsmaßstab des Oberverwaltungsgerichts Anlass zu weiterer Sachverhaltsaufklärung oder richterlichen Hinweisen bestand. Der Sache nach greift sie die tatrichterliche Würdigung der vom Antragsgegner selbst vorgelegten "Flächenbewertung und theoretischen Abwägung" als fehlerhaft an. Damit kann ein Aufklärungsmangel nicht begründet werden.
15Ob das Oberverwaltungsgericht die Gesamtunwirksamkeit selbstständig tragend auch auf die mangelnde Teilbarkeit eines Windenergiekonzepts mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB gestützt hat (vgl. 4 CN 7.14 - BVerwGE 152, 372 Rn. 11, 14), kann folglich dahinstehen.
16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:200224B4BN22.23.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-64406