BGH Urteil v. - VIa ZR 959/22

Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 14 U 9/20vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 9 O 1492/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb im Oktober 2017 von einem Dritten einen gebrauchten VW Touareg zum Kaufpreis von 29.000 €. Das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug ist mit einem von einem Tochterunternehmen der Beklagten hergestellten 3,0 l TDI-Sechszylindermotor (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet. Zur Reduzierung der Stickstoffemissionen verfügt das Fahrzeug, in das ein sogenanntes Thermofenster implementiert ist, über eine gekühlte Hochdruck-Abgasrückführung.

3Das Landgericht hat die Klage, mit der der Kläger im Wesentlichen die Erstattung des vollen Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs, hilfsweise unter Abzug einer Nutzungsentschädigung, und weiter hilfsweise die Zahlung von 15% des ursprünglichen Kaufpreises nebst Zinsen verlangt hat, abgewiesen. Die Berufung, mit welcher der Kläger zusätzlich die Feststellung des Annahmeverzugs beantragt und im Übrigen zuletzt nur die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs sowie hilfsweise die Zahlung von 15% des ursprünglichen Kaufpreises nebst Zinsen begehrt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - wie folgt begründet:

6Dem Kläger stünden die geltend gemachten Ansprüche aus § 826 BGB nicht zu. Auf Grundlage des Vortrags des Klägers zu dem im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten "Thermofenster" und einem damit - zu seinen Gunsten unterstellt - einhergehenden Gesetzesverstoß lasse sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung das Vorliegen des objektiven Tatbestands der Sittenwidrigkeit nicht bejahen. Der Vortrag des Klägers zu einer unzulässigen Abschaltvorrichtung in Form einer Prüfstandserkennung sei prozessual unbeachtlich: Greifbare Anhaltspunkte für seine Vermutungen habe der Kläger nicht dargelegt und seien auch sonst nicht erkennbar. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 EG-FGV und Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 schieden mangels Schutzgesetzcharakters aus.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat.

9a) Eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ist indiziert, wenn eine im Fahrzeug verbaute unzulässige Abschalteinrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung grenzwertkausal verstärkt aktiviert ( VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11; Urteil vom - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11). Funktioniert die unzulässige Abschalteinrichtung dagegen auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise oder ist sie nicht grenzwertkausal, kommt eine objektive Sittenwidrigkeit nur in Betracht, wenn die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann. Diese Annahme setzt jedenfalls voraus, dass der Fahrzeughersteller bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein handelte, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm ( aaO, Rn. 12; Urteil vom , aaO).

10b) Das Berufungsgericht ist zutreffend von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat anhand des Vortrags des Klägers greifbare Anhaltspunkte weder für eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung noch dafür gesehen, dass den für die Beklagte handelnden Personen bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs die Rechtswidrigkeit der Einrichtungen bewusst gewesen wäre.

11c) Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

122. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

13Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

14Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben (§ 562 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

15Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung und den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:120324UVIAZR959.22.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-64119