BFH Beschluss v. - VIII B 10/23

Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine durch Ergänzungsurteil abgelehnte Urteilsergänzung

Leitsatz

NV: Werden das Haupturteil und das Ergänzungsurteil jeweils mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen, so sind die Darlegungs- und Zulassungsvoraussetzungen für beide Beschwerden gesondert zu prüfen (vgl. , VIII R 83/89, BFH/NV 1992, 670, unter 1. [Rz 23]).

Gesetze: FGO § 109; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; FGO § 116 Abs. 3 Satz 3

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 Im Verfahren wegen Einkommensteuer 2016 (Streitjahr) waren verschiedene Besteuerungsgrundlagen streitig. Das Verfahren wurde von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) als Gesamtrechtsnachfolger der verstorbenen Mutter und früheren Klägerin geführt. Während des Verfahrens kam es im Hinblick auf die Anerkennung eines Verlusts bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterliegen und eines Spendenabzugs zu einer Teilabhilfe zugunsten der früheren Klägerin durch geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom , der gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens wurde. Die Beteiligten waren übereinstimmend der Auffassung, dass der Rechtsstreit hinsichtlich dieser Besteuerungsgrundlagen erledigt sei. Andere Besteuerungsgrundlagen, insbesondere zur Berücksichtigung von Pflegekosten als außergewöhnliche Belastungen und haushaltsnahe Dienstleistungen, blieben streitig.

2 Die frühere Klägerin verstarb am ...2021. Anschließend war das Verfahren auf Antrag des als Rechtsanwalt tätigen fachkundigen Klägers, der zuvor als Prozessbevollmächtigter die frühere Klägerin vertrat, bis zur Erklärung der Aufnahme des Verfahrens ausgesetzt. Nach der Aufnahme des Verfahrens beantragten die Kläger mit Schriftsatz vom , auf den das Finanzgericht (FG) im Tatbestand des Urteils vom  - 13 K 2769/20 E Bezug genommen hat, die Klage um die Anpassung von Verlustfeststellungsbescheiden zu den Einkünften aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG unterliegen für die Folgejahre bis einschließlich 2021, um die Auszahlung von Erstattungsbeträgen samt zugehöriger Zinsen und um die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren zu erweitern. In der mündlichen Verhandlung vom wiederholten sie diese Anträge und beantragten nach deren Eröffnung, den Termin zu vertagen.

3 Das FG lehnte im Urteil vom  - 13 K 2769/20 E eine Vertagung des Termins ab. Es sah die Erweiterung der Klage für jedes der Begehren als unzulässig an, da der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) nicht zugestimmt habe und die Erweiterung auch jeweils nicht sachdienlich sei. Hinsichtlich der angefochtenen Einkommensteuerfestsetzung 2016 wies es die Klage ab. Die Kläger hatten nach der Kostenentscheidung des FG trotz der vorherigen Teilabhilfe des FA die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen. Das FG äußerte sich in der Entscheidung nicht zur Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren.

4 Am beantragten die Kläger beim FG die Berichtigung des Tatbestands gemäß § 108 FGO. Der Antrag wurde vom FG durch unanfechtbaren Beschluss vom abgelehnt.

5 Ebenfalls am beantragten die Kläger, das Urteil vom  - 13 K 2769/20 E (Haupturteil) gemäß § 109 FGO zu ergänzen. Die Ergänzung sei hinsichtlich der Tragung der außergerichtlichen und gerichtlichen Kosten vorzunehmen, soweit das FA der Klage teilweise abgeholfen habe. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt hätten, habe das FG die Kosten dem FA auferlegen müssen. Zudem beantragten sie, für den Fall der positiven Bescheidung des Tatbestandsberichtigungsantrags, über den weiteren bislang nicht berücksichtigten Vortrag in ihrem Sinne zu entscheiden. Zudem wandten sie sich gegen die Ablehnung der Klageerweiterung durch das FG im Haupturteil und beantragten die Wiedereröffnung des Verfahrens. Der Antrag, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären, sei ebenfalls übergangen worden.

6 Mit weiterem Urteil vom  - 13 K 2769/20 E (Ergänzungsurteil) lehnte das FG nach mündlicher Verhandlung die Ergänzung des Haupturteils ab. Es habe über alle im Tatbestand des Haupturteils wiedergegebenen Anträge und über die Kosten des Rechtsstreits entschieden. Da der Tatbestandsberichtigungsantrag abgelehnt worden sei, seien auch keine weiteren zu bescheidenden Anträge vorhanden. Über die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO habe im Haupturteil nicht entschieden werden müssen, da den Klägern die Kosten des Verfahrens auferlegt worden seien.

7 Nach Zustellung des Ergänzungsurteils () lehnten die Kläger am die Einzelrichterin des FG, die über die Klage und den Antrag auf Urteilsergänzung entschieden hatte, wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Das Ablehnungsgesuch wurde durch Beschluss des Vollsenats des abgelehnt. Zur Begründung stützte sich der Vollsenat darauf, dass dem Ablehnungsgesuch das Rechtsschutzinteresse fehle. Es sei erst nach Zustellung des nicht mehr abänderbaren Ergänzungsurteils gestellt worden.

8 Der Senat hat mit Beschluss vom im Verfahren VIII B 127/22 die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger gegen das Haupurteil des als unbegründet zurückgewiesen.

9 Gegen das Ergänzungsurteil vom  - 13 K 2769/20 E richtet sich die vorliegende Nichtzulassungsbeschwerde.

10 Die Kläger beantragen,

die Revision gegen das Ergänzungsurteil zuzulassen.

11 Das FA hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Gründe

II.

12 Die Beschwerde ist unzulässig.

13 Die Kläger legen nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 116 Abs. 3 Satz 2 FGO dar, dass ein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO erfüllt sein könnte.

14 1. Über einen Antrag auf Urteilsergänzung (§ 109 Abs. 1 FGO) ist unabhängig davon, ob dem Antrag stattgegeben oder ob er abgelehnt wird —wie im Streitfall geschehen— durch Urteil zu entscheiden. Das Ergänzungsurteil ist ein Teilurteil (§ 98 FGO) und als solches unabhängig vom Haupturteil mit der Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbar (, juris). Werden das Haupturteil und das Ergänzungsurteil jeweils mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen, so sind die Darlegungs- und Zulassungsvoraussetzungen für beide Beschwerden gesondert zu prüfen (vgl. , VIII R 83/89, BFH/NV 1992, 670, unter 1. [Rz 23]). Danach kommt eine Zulassung der Revision im vorliegenden Verfahren nur in Betracht, wenn die Kläger Zulassungsgründe im Hinblick auf die Ablehnung der Urteilsergänzung gemäß § 109 FGO durch das FG ordnungsgemäß darlegen und diese durchgreifen. Zulassungsgründe, die nicht die Ablehnung der Urteilsergänzung betreffen, sondern die Entscheidung des FG im Haupturteil betreffen und im vorliegenden Verfahren erstmals oder wiederholend geltend gemacht werden, können im vorliegenden Beschwerdeverfahren gegen das Ergänzungsurteil nicht zur Zulassung der Revision führen.

15 2. Soweit die Kläger auf ihr Vorbringen zu geltend gemachten Zulassungsgründen in der Nichtzulassungsbeschwerde im Verfahren VIII B 127/22 Bezug nehmen, kann die vorliegende Beschwerde daher nicht zur Revisionszulassung führen. Dies betrifft insbesondere den Vortrag, das FG habe den Klägern im Haupturteil trotz der Teilabhilfe zu Unrecht die Kosten des Verfahrens auferlegt. Dieses Vorbringen betrifft nur das Haupturteil und weist keinen Bezug zu den Voraussetzungen der Urteilsergänzung auf. Der Senat hat sich zur Zulassung der Revision unter diesem Gesichtspunkt auch bereits im Beschluss vom über die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Haupturteil im Verfahren VIII B 127/22 geäußert. Soweit die Kläger die unterbliebene Sachaufklärung des Streitfalls durch das FG rügen, betreffen die behaupteten Verfahrensfehler ebenfalls nur das Haupturteil, sind vom Senat im Beschluss vom zum Beschwerdeverfahren VIII B 127/22 behandelt worden und im vorliegenden Verfahren unbeachtlich. Soweit die Kläger Mängel des Tatbestands im Haupturteil vom  - 13 K 2769/20 E behaupten, hat das FG ihren auf § 108 FGO gestützten Antrag abgelehnt. Auch dieser Umstand ist im vorliegenden Verfahren unbeachtlich.

16 3. Soweit das Vorbringen der Kläger einen konkreten Bezug zur abgelehnten Urteilsergänzung im angefochtenen Ergänzungsurteil hat, werden von den Klägern keine Zulassungsgründe im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO ordnungsgemäß dargelegt.

17 a) Mit dem Vorbringen, das FG habe die Urteilsergänzung zu Unrecht und sämtliche Anträge der Kläger beharrlich, nachhaltig und ohne Begründung abgelehnt, obwohl dies logisch widersprüchlich und willkürlich sei, behaupten die Kläger eine willkürliche und greifbar gesetzwidrige Entscheidung des FG. Bei Vorliegen eines solchen schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehlers kann die Revision zwar gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen sein. Aus dem Vortrag der Kläger ergibt sich aber nicht, dass die Voraussetzungen eines solchen schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehlers des FG vorliegen könnten; dies ist auch sonst nicht ersichtlich. § 109 FGO gilt nur, wenn ein nach dem Tatbestand von einem Beteiligten gestellter Antrag bei der Entscheidung übergangen worden ist (, juris). Hierauf hat sich das FG im Streitfall gestützt. Seine Begründung, dass sämtliche im Tatbestand des Haupturteils enthaltenen Anträge der Kläger, insbesondere zur Kostentragung, beschieden wurden und der im Tatbestand des Haupturteils erwähnte Antrag zur Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren auf Grundlage der getroffenen Kostenentscheidung nicht zu bescheiden war, ist nachvollziehbar und plausibel. Mit den Voraussetzungen einer Urteilsergänzung gemäß § 109 FGO und der Begründung des FG hierzu setzen sich die Kläger jedoch nicht auseinander und verdeutlichen daher auch nicht, dass ein schwerwiegender Rechtsanwendungsfehler des FG vorliegen könnte.

18 b) Ein Verstoß des FG gegen die sogenannte Beachtenspflicht bei der Entscheidungsfindung kann zwar als Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs und Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zur Zulassung der Revision oder gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Streitfalls an das FG führen. Sie verdeutlichen jedoch nicht, dass ein solcher Verfahrensmangel vorliegen könnte.

19 Der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO verpflichtet das FG, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen (sogenannte Beachtenspflicht). Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist erst verletzt, wenn das Gericht Sachverhalt und Sachvortrag, auf den es ankommen kann, nicht nur nicht ausdrücklich bescheidet, sondern bei seiner Entscheidung überhaupt nicht berücksichtigt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom  - VIII B 133/18, BFH/NV 2019, 574, Rz 4; vom  - VIII B 13/22, BFH/NV 2023, 1101, Rz 18).

20 Indem die Kläger ausschließlich geltend machen, das FG habe ihren Vortrag zu den gestellten Sachanträgen nicht beachtet, wird nach diesem Maßstab schon kein Verstoß des FG gegen die Beachtenspflicht bei der Entscheidung über das Ergänzungsurteil dargetan. Das FG hat sein Urteil damit begründet, alle im Tatbestand des Haupturteils gestellten Anträge beschieden und über die Kostentragung für das Verfahren entschieden zu haben, sodass die Voraussetzungen für eine Urteilsergänzung gemäß § 109 FGO nicht erfüllt gewesen seien. Die Kläger hätten auf der Grundlage dieses materiell-rechtlichen Standpunkts des FG erläutern müssen, welcher entscheidungserhebliche Vortrag vom FG noch hätte berücksichtigt werden müssen, aber nicht wurde. Daran fehlt es.

21 c) Der behauptete Verfahrensmangel, das FG sei bei der Entscheidung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 1 FGO nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil die Einzelrichterin befangen gewesen sei, wird ebenfalls nicht ordnungsgemäß dargelegt.

22 aa) Gemäß § 124 Abs. 2 FGO unterliegen dem Endurteil vorausgegangene Entscheidungen, die nach der Finanzgerichtsordnung unanfechtbar sind, nicht der Beurteilung der Revision. Daher kann eine Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht auf die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs gestützt werden. Allerdings schließt § 124 Abs. 2 FGO die Rüge solcher Verfahrensmängel im Beschwerdeverfahren nicht aus, die als Folge der beanstandeten Vorentscheidung fortwirken und damit dem angefochtenen Urteil anhaften, sofern die Vorentscheidung gegen das Willkürverbot verstößt oder ein Verfahrensgrundrecht, wie der Anspruch auf rechtliches Gehör oder auf den gesetzlichen Richter, verletzt wird. Ein solcher Verstoß durch die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs kann indessen nur dann als Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 1 FGO geltend gemacht werden, wenn der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom  - VIII B 155/11, BFH/NV 2012, 1610, Rz 2; vom  - X B 237/12, BFH/NV 2014, 369, Rz 4).

23 bb) Die Kläger erläutern nicht, aus welchen Gründen der Beschluss des FG über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs greifbar gesetzwidrig oder willkürlich sein könnte; dies ist auch sonst nicht erkennbar. Sie setzen sich mit der Begründung des FG zur Zurückweisung des Gesuchs nicht auseinander, sondern wiederholen ihr Vorbringen aus dem Befangenheitsantrag vom . Dies genügt zur ordnungsgemäßen Darlegung des behaupteten Verfahrensmangels nicht.

24 4. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO von einer weiteren Begründung ab.

25 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:B.130324.VIIIB10.23.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2024 S. 539 Nr. 5
GAAAJ-63765