BSG Beschluss v. - B 10 ÜG 1/23 B

Gründe

1I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache eine höhere Entschädigung wegen der überlangen Dauer eines von ihm geführten Klageverfahrens vor dem SG Aurich.

2Im Verfahren vor dem LSG als Entschädigungsgericht wurde der Kläger zunächst von Rechtsanwalt Kauf vertreten, der ihm im Wege der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordnet worden war. Auf Antrag des Klägers hob das Entschädigungsgericht die Beiordnung von Rechtsanwalt K auf, lehnte aber die Beiordnung seines derzeitigen Prozessbevollmächtigten ab. Der Kläger habe keine nachvollziehbaren Gründe für die einseitige Beendigung des Mandatsverhältnisses mit seinem vormaligen Bevollmächtigten mitgeteilt.

3Mit Urteil vom hat das Entschädigungsgericht aufgrund mündlicher Verhandlung in Abwesenheit des Klägers und seines neuen Bevollmächtigten den Beklagten verurteilt, dem Kläger wegen der überlangen Dauer des von ihm vor dem SG Aurich geführten Verfahrens eine Entschädigung iH von 2300 Euro zu zahlen.

4Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das Entschädigungsgericht habe verfahrensfehlerhaft gehandelt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.

5II. 1. Der Antrag des Klägers auf PKH ist abzulehnen.

6Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die von dem Kläger eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angegriffenen Entscheidung des Entschädigungsgerichts nicht erfolgreich sein kann. Der Kläger hat PKH für eine von einem beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten bereits eingelegte und begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beantragt. Die Revision wäre daher nur zuzulassen, wenn mit dieser Beschwerde einer der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG genannten Zulassungsgründe in der gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG vorgeschriebenen Form dargelegt oder bezeichnet wäre. Solche Erfolgsaussicht besteht hier nicht, weil die Beschwerde unzulässig ist (dazu sogleich unten 2.).

7Mit der Ablehnung des Antrags auf PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

82. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behaupteten Verfahrensmängel noch eine Divergenz ordnungsgemäß bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

9a) Der Kläger hat die von ihm geltend gemachten Verfahrensmängel nicht in der vorgeschriebenen Weise bezeichnet.

10Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG (hier als Entschädigungsgericht) ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. An diesen Darlegungen fehlt es.

11aa) Dies gilt zunächst für die Rüge der Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör.

12Eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ist anzunehmen, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen mit einzubeziehen nicht nachgekommen ist oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl - juris RdNr 11 mwN).

13Der Kläger sieht eine Gehörsverletzung zunächst darin, dass der Vorsitzende des zuständigen Spruchkörpers des Entschädigungsgerichts bereits vor der mündlichen Verhandlung den Urteilstenor schriftlich in der Akte niedergelegt und mit seinem Kürzel unterschrieben habe. Das vom Entschädigungsgericht gesprochene Urteil könne deshalb denklogisch nicht auf der mündlichen Verhandlung beruhen.

14Mit diesem und seinem weiteren diesbezüglichen Vortrag hat der Kläger jedoch keinen Gehörsverstoß des Entschädigungsgerichts aufgezeigt. Nach § 132 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 1 SGG wird das Urteil grundsätzlich in dem Termin verkündet, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird. Die Verkündung erfolgt durch Verlesen der Urteilsformel. Die wirksame Urteilsverkündung setzt voraus, dass zumindest die Urteilsformel im Zeitpunkt der Verkündung schriftlich niedergelegt ist, weil sie sonst nicht verlesen werden kann (vgl - juris RdNr 23). Erst mit der Verkündung wird ein Urteil, das aufgrund mündlicher Verhandlung ergeht, wirksam. Vorher ist es ein bloßer Entwurf (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 132 RdNr 1a). Dass die möglicherweise bereits am schriftlich entworfene Urteilsformel des angegriffenen Urteils bereits vor Schluss der mündlichen Verhandlung am verkündet worden sei, wird vom Kläger nicht behauptet.

15Allein durch den Hinweis auf eine Verschriftlichung des später verkündeten Tenors bereits vor der mündlichen Verhandlung wird ein Gehörsverstoß ebenfalls nicht schlüssig bezeichnet. Eine andere Beurteilung käme nur in Betracht, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigten, das Gericht habe bei seiner Entscheidung die mündliche Verhandlung unbeachtet gelassen ( - juris RdNr 8; - SozR Nr 133 zu § 162 SGG - juris RdNr 3; für den Strafprozess vgl - juris). Solche besonderen Umstände legt die Beschwerdebegründung jedoch nicht substantiiert dar. Vielmehr sprechen die vom Kläger vorgetragenen Umstände dafür, dass sich die beteiligten Berufsrichter - wie bei Kollegialgerichten üblich - bereits vor der mündlichen Verhandlung mit dem Prozessstoff auseinandergesetzt und sich eine vorläufige Meinung gebildet hatten. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Befürchtung, das Gericht werde sich aufgrund seiner bloß vorläufigen Meinungsbildung neuen Einsichten verschließen, die sich insbesondere aus der mündlichen Verhandlung und der Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter ergeben können ( - juris RdNr 8).

16Als weitere Verletzung seines rechtlichen Gehörs kritisiert der Kläger, die umfangreiche Klageerwiderung des Beklagten sei lediglich seinem vormaligen Rechtsanwalt zugestellt worden, obwohl dem Entschädigungsgericht dessen kurzfristige Erkrankung bekannt gewesen sei. Indes setzt sich der Kläger insoweit bereits nicht mit der Vorschrift des § 73 Abs 6 Satz 6 SGG auseinander. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind danach Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts bis zur Anzeige der Beendigung des Mandats gegenüber dem Gericht stets an ihn zu richten. Im Fall der Beiordnung eines Rechtsanwalts haben Zustellungen und Mitteilungen auch darüber hinaus bis zu dessen Entpflichtung an diesen zu erfolgen ( - juris RdNr 14 mwN). Auf die Frage des Zugangs des vermeintlichen Schreibens des Klägers vom beim Entschädigungsgericht kommt es daher nicht an. Unabhängig davon legt der Kläger, der im Verfahren vor dem Entschädigungsgericht zuletzt durch den jetzigen Prozessbevollmächtigten vertreten wurde, auch nicht dar, an welchem Vortrag ihn die vermeintlich fehlerhafte Übersendung der Klageerwiderung des Beklagten an seinen erkrankten Prozessbevollmächtigten gehindert haben sollte, warum er diesen nicht nachholen konnte und warum das angefochtene Urteil auf seinem unterbliebenen Vortrag beruhen sollte.

17bb) Ebenfalls nicht bezeichnet ist ein Verfahrensmangel im Zusammenhang mit der Beantragung von PKH für das Entschädigungsverfahren des Klägers. Als Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann nicht die (vermeintlich) rechtswidrige Ablehnung von PKH als solche geltend gemacht werden, sondern nur eine Ablehnung, die eine Verletzung von verfassungsrechtlich fundierten prozessualen Gewährleistungen beinhaltet, weil sie auf Willkür beruht und damit gegen Art 3 Abs 1 GG und das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von bemittelten und unbemittelten Klägern verstößt ( B 10 ÜG 25/16 B - juris RdNr 16 mwN).

18Einen solchen willkürlichen Umgang des Entschädigungsgerichts mit seinem PKH-Antrag hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt. Er rügt insoweit, das Entschädigungsgericht habe auf seinen Antrag lediglich die Beiordnung seines vormaligen Prozessbevollmächtigten aufgehoben, es aber zu Unrecht unterlassen, ihm im Wege der PKH stattdessen seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten beizuordnen.

19Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO kann nach Aufhebung einer Beiordnung die Pflicht zur Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts bestehen, wenn die Aufhebung von dem Beteiligten unverschuldet ist oder ein triftiger Grund vorlag. Dies ist von dem Beteiligten vorzutragen (vgl Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl 2024, § 121 RdNr 39 mwN). Eine solche Beiordnung eines weiteren Anwalts findet nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der auch einen auf eigene Kosten prozessierenden Beteiligten zu einem Anwaltswechsel veranlasst hätte ( B 10 ÜG 25/16 B - juris RdNr 22 mwN).

20Solche besonderen Gründe legt der Kläger nicht dar. Auch erschließt sich aus seinem Vortrag nicht, dass die Ablehnung des PKH-Antrags durch das Entschädigungsgericht willkürlich erfolgt sei. Er rügt zwar, das Entschädigungsgericht habe die von ihm übersandte Begründung für den Wechsel des Prozessbevollmächtigten übergangen. Diese habe sich in einem nunmehr scheinbar nicht mehr auffindbaren Schreiben vom an das Entschädigungsgericht befunden, dessen Eingang ihm allerdings vom Gericht bestätigt worden sei. Indes hat der Kläger bereits dieses Schreiben weder in Kopie vorgelegt noch dessen Inhalt mitgeteilt. Ebenso wenig hat er im Einzelnen dargelegt, mit welcher Begründung das Entschädigungsgericht die Beiordnung eines weiteren Bevollmächtigten im Einzelnen abgelehnt hat. Wie der Kläger zudem selbst vorträgt, hat ihn das Entschädigungsgericht vor der Ablehnung der geänderten Anwaltsbeiordnung darauf hingewiesen, sein Schreiben vom , das angeblich die Begründung für den Wechsel des Prozessbevollmächtigten enthalten habe, liege nicht vor. Insoweit fehlt es an der Darlegung, warum der Kläger seinen angeblich relevanten Vortrag nicht bereits gegenüber dem Entschädigungsgericht wiederholen konnte.

21cc) Soweit der Kläger schließlich rügt, die übersandte Abschrift des Urteils des Entschädigungsgerichts weiche vom Protokoll der mündlichen Verhandlung ab, weil darin die Klageabweisung im Übrigen fehle, hat er nicht dargelegt, warum sich der behauptete Mangel nicht durch einen Antrag auf Urteilsberichtigung nach § 138 SGG hätte korrigieren lassen. Durch eine Urteilsberichtigung kann auch das Fehlen einer Teilabweisung im Tenor beseitigen werden (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 138 RdNr 3c mwN). Ein zur Zulassung der Revision führender Verfahrensmangel liegt aber nicht vor, wenn der Mangel auch auf andere (einfachere) Weise behoben werden kann, zB durch Urteilsberichtigung oder -ergänzung (vgl stRspr; zB B 10 ÜG 12/20 B - juris RdNr 9; - juris RdNr 2). In einem solchen Fall fehlt es an dem für eine Nichtzulassungsbeschwerde erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis ( - juris RdNr 11).

22dd) Schließlich zeigt der Kläger auch mit dem Hinweis auf den - juris) keinen Verfahrensmangel auf. Diese Entscheidung betrifft die Frage der Wirksamkeit der Zustellung einer Urteilsausfertigung, wenn deren Mängel geeignet sind, den Entschluss des Zustellungsempfängers über die Einlegung eines Rechtsmittels zu beeinflussen. Indes hat der Kläger innerhalb der Monatsfrist des § 160a Abs 1 Satz 2 SGG nach Übermittlung des Urteils an seinen Prozessbevollmächtigten Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG erhoben; eine Versäumung der Beschwerdefrist steht - unabhängig von der insoweit auch nicht substantiiert geltend gemachten Unwirksamkeit der Zustellung des Urteils des Entschädigungsgerichts - daher nicht in Rede.

23b) Ebenso wenig bezeichnet hat der Kläger eine Divergenz.

24Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus der angefochtenen Entscheidung des Entschädigungsgerichts und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen (vgl stRspr; zB - juris RdNr 6). Zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des Entschädigungsgerichts auf der Abweichung beruht (vgl stRspr; zB - juris RdNr 9; B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht infrage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Entschädigungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge). Denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB - juris RdNr 16; - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 - juris RdNr 13).

25Zu diesen Voraussetzungen führt die Beschwerde nichts aus.

26Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

273. Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

284. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels der Beschwerde (§ 154 Abs 2 VwGO, § 183 Satz 6 SGG).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:131223BB10UEG123B0

Fundstelle(n):
RAAAJ-63757