BSG Urteil v. - B 6 KA 20/22 R

Vertragsärztliche Versorgung - Ärztlicher Bereitschaftsdienst in Hessen - Teilnahmeumfang - Möglichkeit zur Reduzierung bei abhängiger Beschäftigung des Arztes, nicht bei selbstständiger Tätigkeit - Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz

Gesetze: § 75 Abs 1b SGB 5, § 23 Nr 2 HeilBerG HE, § 24 S 1 HeilBerG HE, § 24 S 2 HeilBerG HE, KÄVBerDO HE vom , § 26 Abs 2 S 1 ÄBerufsO HE 2019, § 26 Abs 2 S 2 ÄBerufsO HE 2019, § 26 Abs 3 ÄBerufsO HE 2019, Art 4 § 1 Abs 2 KARG, Art 3 GG

Instanzenzug: SG Marburg Az: S 12 KA 136/21 Gerichtsbescheidvorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 4 KA 38/22 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten über die Teilnahmeverpflichtung des Klägers am ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV).

2Der als Facharzt für Orthopädie in K niedergelassene und ausschließlich privatärztlich tätige Kläger beantragte mit Schreiben vom eine Entbindung von der Teilnahme am ÄBD bzw Reduzierung der Dienststunden. Er arbeitete als Arzt an zwei halben Tagen und einem ganzen Tag pro Woche insgesamt 14 Stunden, die restliche Zeit war er als Unternehmer berufsfremd an anderer Stelle tätig. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Eine Reduzierung des Teilnahmeumfangs am ÄBD aufgrund eines geringfügigen Umfangs der privatärztlichen Tätigkeit komme nicht in Betracht. Nur bei Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sei eine Reduzierung der Dienstverpflichtung möglich. Es bestehe keine Möglichkeit, den tatsächlichen Tätigkeitsumfang eines hauptberuflich Selbstständigen zu überprüfen. Die Voraussetzungen eines Befreiungstatbestandes nach der Bereitschaftsdienstordnung der KÄV Hessen (BDO) seien nicht erfüllt.

3Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom verpflichtet, den Kläger neu zu bescheiden. Die Beklagte sei grundsätzlich berechtigt, Privatärzte zur Teilnahme am ÄBD heranzuziehen. Der Umfang der Verpflichtung zur Teilnahme am ÄBD habe sich aber am Umfang der privatärztlichen Tätigkeit auszurichten. § 3 Abs 3 BDO berücksichtige diesen Umstand bei der Reduzierung des Teilnahmeumfangs nicht hinreichend. Das Absehen vom tatsächlichen Umfang der privatärztlichen Tätigkeit und alleinige Abstellen auf das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG). Der Kläger habe aber keinen Anspruch auf vollständige Freistellung vom ÄBD der Beklagten. Insofern hat das SG die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom ).

4Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung des Klägers den Gerichtsbescheid des SG geändert, den streitigen Bescheid aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger nicht zur Teilnahme am ÄBD der Beklagten verpflichtet ist. Im Übrigen hat es die Anschlussberufung zurückgewiesen: Die im Hauptantrag auf vollständige Befreiung von der Dienstpflicht gerichtete Verpflichtungsklage sei unbegründet, weil der Kläger schon nicht rechtswirksam in den ÄBD der Beklagten einbezogen worden sei. Die Feststellungsklage, dass der Kläger nicht zur Teilnahme am ÄBD verpflichtet sei, sei zulässig und begründet. Das von der Beklagten herangezogene Normgeflecht aus Landesberufsrecht und bundesrechtlichem Vertragsarztrecht ermächtige diese nicht zum Erlass belastender Satzungsregelungen gegenüber Privatärzten. Auch die vertragsarztrechtlichen Rechtsetzungskompetenzen enthielten ohne bundesrechtliche Öffnungsklausel keine entsprechende Regelungsbefugnis für Nichtvertragsärzte. Umfang und Regelungsdichte des Vertragsarztrechts entfalteten eine Sperrwirkung, die keinen Raum für landesrechtliche Erweiterungen der Befugnisse von KÄVen ließe. Landesrechtliche Aufgabenzuweisungen seien nach Art 4 § 1 Abs 2 des Gesetzes über Kassenarztrecht (GKAR - vom , BGBl I 513) allein im Rahmen der Altersversorgung der Vertragsärzte möglich. Die Sperrwirkung erfasse daher auch den Regelungsbereich der §§ 23, 24 des Hessischen Gesetzes über die Berufsvertretungen, die Berufsausübung, die Weiterbildung und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Hessisches Heilberufsgesetz - vom , GVBl 2003, 66 ff, 242, idF des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Heilberufsgesetzes vom mWv , GVBl 2016, 329 bis 332), die Privatärzte als Mitglieder der Landesärztekammer verpflichtend der Organisation des ÄBD der Beklagten unterstellten. Bereits durch die organisatorische Einbindung von Privatärzten werde der Vollzug des Bereitschaftsdienstes gemäß § 75 Abs 1b SGB V unzulässig verändert (Hinweis auf , 2 BvL 4/20, 2 BvL 5/20 - BVerfGE 157, 223, 257, RdNr 90 - Berliner Mietendeckel). Schließlich bestünden auch Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der §§ 23, 24 Hessisches Heilberufsgesetz mit Art 12 Abs 1 GG und den aus Art 20 Abs 2 GG folgenden Grenzen zur Ermächtigung von Selbstverwaltungskörperschaften zum Erlass von belastenden Regelungen gegenüber Nichtmitgliedern. Die Berufspflicht, an einem Notdienst teilzunehmen, stelle für den Arzt einen erheblichen Eingriff in seine berufliche Tätigkeit dar. Daher erfordere der Gesetzesvorbehalt des Art 12 Abs 1 Satz 2 GG, dass der Gesetzgeber selbst die näheren Voraussetzungen für die Teilnahmepflicht sowie die Bedingungen, unter denen hiervon eine Befreiung zu erteilen sei, zumindest in den Grundzügen festlege. Daran fehle es hier. §§ 23, 24 Hessisches Heilberufsgesetz genügten nicht den gesteigerten Bestimmtheits- und Wesentlichkeitsanforderungen. Die gerichtliche Aufhebung der angefochtenen Bescheide erschöpfe sich nicht in der bloßen Kassation, sondern verbiete der Behörde zugleich, in derselben Sache gegenüber demselben Beteiligten erneut einen entsprechenden Bescheid zu erlassen ().

5Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts sowie Verfahrensrechts. Das Berufungsgericht habe die Satzungsautonomie der Beklagten zu Unrecht eingeschränkt, weil es in fehlerhafter Auslegung der Art 20 Abs 2, Art 70 Abs 1, Art 72 Abs 1 und Art 74 Abs 1 Nr 12 GG annehme, dass eine bundesrechtliche Sperrwirkung zum Erlass von Landesrecht vorliege und §§ 23, 24 Hessisches Heilberufsgesetz daher keine wirksame Rechtsgrundlage sein könnten. Das Land habe aber die Gesetzgebungskompetenz für das ärztliche Berufsrecht einschließlich eines privatärztlichen Bereitschaftsdienstes. Die bundesrechtlichen Regelungen zur Sozialversicherung stünden neben den landesrechtlichen Regelungen zum ärztlichen Berufsrecht, ohne sich gegenseitig auszuschließen. Art 4 § 1 Abs 2 GKAR begründe ebenfalls keine Sperrwirkung. §§ 23, 24 Hessisches Heilberufsgesetz genügten den Vorgaben der Wesentlichkeitstheorie, beachteten das Demokratieprinzip und griffen nicht ungerechtfertigt in die Berufsfreiheit nach Art 12 GG ein. Angesichts der vom LSG angenommenen Verfassungswidrigkeit der §§ 23, 24 Hessisches Heilberufsgesetz hätte es der Vorlage an das BVerfG bedurft, die das LSG verfahrensfehlerhaft unterlassen habe. Die Regelungen zur Reduzierung der Teilnahmeverpflichtung verstießen auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Beantrage ein Privatarzt einen geringeren Teilnahmeumfang am ÄBD, so liege - anders als bei einem Vertragsarzt, bei dem aus seinem Zulassungsstatus Rückschlüsse auf den Tätigkeitsumfang gezogen werden könnten - kein vergleichbarer Nachweis über den zeitlichen Umfang einer privatärztlichen Tätigkeit vor. Diesem Umstand trage § 3 Abs 3 BDO Rechnung. Werde die anderweitige Tätigkeit nicht durch einen Arbeitsvertrag nachgewiesen, sei davon auszugehen, dass der niedergelassene Privatarzt in vollem Umfang privatärztlich tätig werden könne. Insbesondere stelle der Status eines Leistungserbringers bei der Versorgung im ÄBD ein sachgerechtes Differenzierungskriterium auch unter Berücksichtigung der Senatsrechtsprechung dar.

6Die Beklagte beantragt,das Urteil des Hessischen und den Gerichtsbescheid des SG Marburg vom abzuändern, die Anschlussberufung insgesamt zurückzuweisen und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

7Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.

8Er hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig.

Gründe

9Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Dem Urteil des LSG ist nicht zu folgen, soweit es festgestellt hat, dass der Kläger nicht zur Teilnahme am ÄBD der Beklagten verpflichtet ist. Insoweit war das Urteil des LSG zu ändern, die Anschlussberufung insgesamt zurückzuweisen und die Feststellungsklage abzuweisen (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Das LSG hat allerdings im Ergebnis zu Recht - wie bereits auch das SG - den rechtswidrigen streitigen Bescheid aufgehoben. Wie das SG zutreffend entschieden hat, ist die Beklagte verpflichtet, nach Änderung ihrer Satzung den Antrag des Klägers auf Reduzierung der Dienstpflicht am ÄBD neu zu bescheiden. Insoweit ist die Revision unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

10A. Gegenstand des Verfahrens sind das der sowie der Bescheid der Beklagten vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom . Das Urteil des LSG steht nicht zur revisionsrechtlichen Über-prüfung, soweit das LSG die Anschlussberufung des Klägers hinsichtlich des - über den Neubescheidungsantrag hinausgehenden - Verpflichtungsantrags auf vollständige Befreiung vom Bereitschaftsdienst zurückgewiesen hat, da der Kläger keine Revision eingelegt hat (§ 141 Abs 1 Nr 1 SGG).

11B. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Zwar ist ein in dem Unterlassen einer nach § 75 Abs 2 SGG notwendigen Beiladung liegender Verfahrensmangel von Amts wegen zu berücksichtigen (stRspr; vgl - SozR 4-2500 § 75 Nr 8 RdNr 12 mwN). Vorliegend waren jedoch weder das Land Hessen noch die Landesärztekammer notwendig beizuladen. Die Entscheidung greift nicht unmittelbar in deren Rechtssphäre ein.

12C. Die Anschlussberufung des Klägers im Hinblick auf die Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig. Die im sozialgerichtlichen Verfahren statthafte Anschlussberufung ist auch nach Verstreichen der Berufungsfrist gemäß § 151 Abs 1 SGG möglich (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 524 Abs 2 Satz 1 ZPO; vgl - BSGE 106, 110 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27, RdNr 18). Sie ist kein Rechtsmittel, sondern nur ein angriffsweise wirkender Antrag, mit dem sich der Gegner innerhalb des Rechtsmittels des Berufungsklägers an dieses anschließt, und bietet die Möglichkeit, die vom Berufungskläger angefochtene Entscheidung zugunsten des Anschließenden unter Ausschaltung des Verbots der reformatio in peius ändern zu lassen (vgl - BSGE 125, 120 = SozR 4-2700 § 123 Nr 3, RdNr 9 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 143 RdNr 5a mwN). Der Gegenstand der Anschlussberufung muss sich grundsätzlich auf den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers beziehen und darf daher keinen neuen Streitgegenstand betreffen (vgl - BSGE 106, 110 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27, RdNr 18 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 143 RdNr 5d mwN). In Fallkonstellationen, in denen eine Änderung des Klageantrags denselben Klagegrund betrifft, eine der in § 99 Abs 3 Nr 1 bis 3 SGG genannten Voraussetzungen vorliegt und deshalb die Antragsänderung im Sinne dieser Vorschrift nicht als Klageänderung anzusehen ist, führt die Anschlussberufung keinen neuen Streitgegenstand in das Verfahren ein (vgl - SozR 4-1750 § 524 Nr 1 RdNr 15 mwN). Eine solche Konstellation liegt hier vor. Die auf Befreiung von der Teilnahmepflicht am ÄBD der Beklagten gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage war bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens. Die hilfsweise erhobene Anfechtungs- und Feststellungsklage des Klägers stellt lediglich eine zulässige Klageerweiterung iS des § 99 Abs 3 Nr 2 SGG dar (vgl - SozR 4-2500 § 124 Nr 6 RdNr 12; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 99 RdNr 4 mwN), an der - nach Erfolglosigkeit des Antrags auf vollständige Befreiung von der Teilnahmepflicht - ein berechtigtes Feststellungsinteresse gemäß § 55 Abs 1 Nr 1 SGG im Hinblick auf das Bestehen der Dienstverpflichtung des Klägers besteht.

13D. Die im Rahmen der Anschlussberufung allein noch streitgegenständliche Klage auf Feststellung, dass der Kläger nicht zur Teilnahme am ÄBD der Beklagten verpflichtet ist, ist jedoch unbegründet, da - entgegen der Rechtsansicht des LSG - eine Teilnahmepflicht im Grundsatz besteht.

141. Die Beklagte stützt sich für die Teilnahmeverpflichtung des Klägers an ihrem ÄBD auf § 23 Nr 2, § 24 Hessisches Heilberufsgesetz, § 26 Abs 2 Satz 1 Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen in der seit geltenden Fassung vom (BO - HÄBL 6/2019, 396 bis 406) iVm § 3 Abs 3 BDO in der von der Vertretersammlung am beschlossenen und durch Beschluss am geänderten Fassung. § 23 Nr 2 Hessisches Heilberufsgesetz normiert für die gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Hessisches Heilberufsgesetz der Landesärztekammer Hessen angehörigen Ärztinnen und Ärzte, die in Hessen ihren Beruf ausüben und in eigener Praxis tätig sind, die Pflicht, am ÄBD der Beklagten teilzunehmen und sich an den Kosten des ÄBD zu beteiligen. § 24 Satz 1 Hessisches Heilberufsgesetz sieht vor, dass die BO das Nähere zu § 23 Hessisches Heilberufsgesetz regelt. § 24 Satz 2 Hessisches Heilberufsgesetz enthält Vorgaben für den räumlichen Geltungsbereich der Teilnahmeverpflichtung und die Voraussetzungen für eine Befreiung von dieser Verpflichtung. Gemäß § 26 Abs 2 Satz 1 BO ist für die Einrichtung und Durchführung des ÄBD im Einzelnen für alle nach § 23 Hessisches Heilberufsgesetz verpflichteten Berufsangehörigen die BDO der Beklagten in der von der Vertreterversammlung am beschlossenen Fassung, in Kraft getreten am , zuletzt geändert am (HÄBL 4/2018, 271 bis 277 und HÄBL 1/2019, 74), maßgebend. § 26 Abs 2 Satz 2 BO enthält nähere Regelungen zum räumlichen Geltungsbereich der Teilnahmeverpflichtung.

15a) Nach § 3 Abs 3 Satz 1 BDO in der Fassung des Beschlusses der Vertreterversammlung vom nehmen am ÄBD der Beklagten grundsätzlich die privat niedergelassenen Ärzte (Privatärzte) am Ort ihres Praxissitzes entsprechend ihrer Verpflichtung aus dem Hessischen Heilberufsgesetz teil. Die Einteilung eines Privatarztes erfolgt in der Regel im gleichen Umfang wie die eines Inhabers eines Arztsitzes mit einem vollen Versorgungsauftrag (§ 3 Abs 3 Satz 2 BDO). Gemäß § 3 Abs 3 Satz 3 BDO kann auf Antrag der Teilnahmeumfang bis auf den Faktor 0,25 reduziert werden, sofern eine abhängige Beschäftigung in Voll- oder Teilzeit neben einer privatärztlichen Niederlassung durch den Privatarzt nachgewiesen wird. In § 3 Abs 1 Satz 1 BDO ist geregelt, dass am ÄBD grundsätzlich, im Umfang ihres Versorgungsauftrags, alle Arztsitze in einer ÄBD-Gemeinschaft teilnehmen. Die Inhaber der Arztsitze nehmen mit der Anzahl ihrer Arztsitze teil (§ 3 Abs 1 Satz 2 BDO).

16b) Bei § 23 Nr 2, § 24 Hessisches Heilberufsgesetz, § 26 BO iVm der BDO der Beklagten handelt es sich um nicht revisibles Landesrecht (§ 162 SGG; vgl nur - BSGE 127, 109 = SozR 4-2500 § 95 Nr 35, RdNr 28). Dem Senat obliegt neben der Fragestellung, ob bereits vertragsarztrechtliche Vorschriften eine verpflichtende Teilnahme und Kostenbeteiligung des Klägers am ÄBD der Beklagten erlauben, die Prüfung, ob die Vorschriften des § 26 BO iVm den Vorschriften der BDO in der Auslegung des Berufungsgerichts höherrangigem Bundes- oder Verfassungsrecht entgegenstehen, sowie eine weitergehende Prüfung, wenn die Vorinstanz landesrechtliche Vorschriften gänzlich unberücksichtigt gelassen oder sich einer Auslegung enthalten hat (stRspr; vgl nur - BSGE 106, 110 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27, RdNr 31; - BSGE 119, 141 = SozR 4-2500 § 108 Nr 4, RdNr 18).

172. Wie der Senat in seinem Grundsatzurteil (B 6 KA 16/22 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen) vom heutigen Tag entschieden hat, bestehen keine revisionsrechtlichen Bedenken gegen die im Landesgesetz normierte verpflichtende Einbeziehung von niedergelassenen Privatärzten nach § 23 Nr 2, § 24 Hessisches Heilberufsgesetz in die Organisationsstruktur des ÄBD der Beklagten mit entsprechender Kostenbeteiligungspflicht dem Grunde nach. Diese Pflichten können nicht schon aus dem bundesrechtlichen Vertragsarztrecht (§ 75 Abs 1b Satz 1 und 3 idF des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes vom , BGBl I 1211, jetzt Satz 5 SGB V) abgeleitet werden. Hinsichtlich des Regelungsgegenstandes der § 23 Nr 2, § 24 Hessisches Heilberufsgesetz liegt - entgegen der Ansicht des LSG - nach der Kompetenzordnung des GG keine Sperrwirkung durch die Gesetzgebung des Bundes vor, die eine Regelung durch Landesrecht ausschließt. Die Bundeskompetenz für das Vertragsarztrecht (Art 74 Abs 1 Nr 12 GG) sperrt nicht die Kompetenz des Landesgesetzgebers für das Berufsrecht der Ärzte (Art 70, 30 GG). Die Gesamtkonzeption des ÄBD betrifft zwar in sachlicher Hinsicht denselben Regelungsgegenstand, ist aber keine "identische Regelungsmaterie" im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG (vgl nur , 2 BvL 4/20, 2 BvL 5/20 - BVerfGE 157, 223 - Berliner Mietendeckel). Die vertragsarztrechtlichen Bestimmungen verdrängen nicht die berufsrechtlichen Regelungen des Landesgesetzgebers über Verpflichtungen der in eigener Praxis tätigen Ärzte zur Teilnahme am ärztlichen Notdienst. Der ärztliche Notdienst erfasst und verpflichtet zwei Personenkreise, die eine unterschiedliche normative Zuordnung haben. Dadurch kommt es zu Überschneidungen zwischen dem Sicherstellungsauftrag der KÄV und der berufsrechtlichen Verpflichtung aller niedergelassener Ärzte. Dem Landesgesetzgeber steht es im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz für das Berufsrecht der Privatärzte zu, Organisations- und Finanzierungsmodelle zu gestalten und sich der Organisationsstruktur des ÄBD der Beklagten anzuschließen. Dadurch werden eine unnötige Doppelgleisigkeit und Doppelstrukturen vermieden. Weder die rechtsstaatlichen Grundsätze des Gesetzesvorbehalts oder Demokratieprinzips (Art 20 Abs 2 und 3 GG) noch die Berufsausübungsfreiheit der Privatärzte (Art 12 Abs 1 Satz 2 GG) oder der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG) stehen einer im Landesgesetz normierten verpflichtenden Einbeziehung in den einheitlich organisierten ÄBD des Landes entgegen (vgl ausführlich - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen).

18E. Die auf Neubescheidung der Reduzierung seiner Dienstpflicht gerichtete Klage des Klägers ist begründet, wie das SG zu Recht entschieden hat.

191. Wenngleich § 23 Nr 2, § 24 Hessisches Heilberufsgesetz eine ausreichende landesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Teilnahmeverpflichtung von Privatärzten am ÄBD der Beklagten begründen (§ 26 BO iVm § 3 Abs 3 Satz 1 BDO, dazu a bis c), steht die Satzungsvorschrift des § 3 Abs 3 Satz 3 BDO, die die Möglichkeit der Reduzierung des Teilnahmeumfangs am ÄBD enthält, - und die das LSG aufgrund seiner Rechtsansicht gänzlich unberücksichtigt gelassen hat - nicht in Einklang mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG, dazu 2).

20a) Bei der durch § 23 Nr 2, § 24 Hessisches Heilberufsgesetz iVm § 26 Abs 2 Satz 1 BO und § 3 Abs 3 Satz 1 BDO geregelten verpflichtenden Teilnahme von niedergelassenen Privatärzten am ÄBD ist von "statusbildenden Normen" im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG auszugehen (so auch zur Pflichtteilnahme von niedergelassenen Fachärzten im ärztlichen Notdienst I C 30.69 - BVerwGE 41, 261, 263, juris RdNr 16 ff). Hiervon zu unterscheiden sind hingegen die Berufsregelungen über die Teilnahmepflicht von Vertragsärzten, da sich diese bereits mit der von ihnen beantragten Zulassung freiwillig einer Reihe von Einschränkungen bezüglich der Freiheit ihrer Berufsausübung unterworfen haben, und ihnen durch die Heranziehung zum Notdienst keine neue Verpflichtung auferlegt wurde (vgl 3 C 21.81 - BVerwGE 65, 362, 366, juris RdNr 26 mwN).

21b) § 23 Nr 2, § 24 Hessisches Heilberufsgesetz iVm § 26 BO der Landesärztekammer und der BDO der Beklagten bewirken in ihrem Zusammenspiel neue Verpflichtungen für niedergelassene Privatärzte zur Teilnahme und Kostenbeteiligung am ÄBD. Die Beklagte darf mit den Mitteln einer Selbstverwaltungskörperschaft diese Teilnahmeverpflichtung hoheitlich durchsetzen und niedergelassene Privatärzte zum Dienst durch Verwaltungsakt heranziehen (vgl bereits - juris RdNr 27 und - für BSGE und SozR 4 vorgesehen, RdNr 35 ff). In § 23 Nr 2, § 24 Hessisches Heilberufsgesetz ist der zum Notdienst verpflichtete Personenkreis den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechend in den Grundzügen durch ein förmliches (Landes-)Gesetz festgelegt. Nach den bindenden Feststellungen des LSG bestimmt zunächst § 2 Abs 1 Nr 1 Hessisches Heilberufsgesetz, dass den Kammern als Berufsangehörige alle Ärztinnen und Ärzte, die in Hessen ihren Beruf ausüben, angehören. Soweit diese in eigener Praxis tätig sind, haben sie gemäß § 23 Nr 2 Hessisches Heilberufsgesetz am ÄBD der Beklagten teilzunehmen und sich an den Kosten des ÄBD der Beklagten zu beteiligen. Der Teilnehmerkreis wird damit hinreichend konkret bestimmt. Insofern ist es nicht zu beanstanden, wenn der Landesgesetzgeber von seinem gesetzgeberischen Ermessen dahingehend Gebrauch gemacht hat, dass sich die niedergelassenen Ärzte am ÄBD der Beklagten beteiligen müssen (vgl 3 C 21.81 - BVerwGE 65, 362, 364, juris RdNr 23). Soweit der Landesgesetzgeber nach den Feststellungen des LSG gemäß § 24 Satz 2 Hessisches Heilberufsgesetz bestimmt, dass die BO eine Teilnahmeverpflichtung nur für einen bestimmten regionalen Bereich vorzusehen hat, ist auch der räumliche Umfang der Teilnahmepflicht von Nichtvertragsärzten in den Grundzügen ausreichend festgelegt. Das Bestimmtheitsgebot schließt die Verwendung unbestimmter, konkretisierungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln nicht aus (vgl - BVerfGE 153, 310, 341 RdNr 77 mwN). Gegen ihre Verwendung bestehen keine Bedenken, wenn sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt (vgl - BVerfGE 153, 310, 341 RdNr 77 mwN). Das ist hier der Fall. Nach § 24 Satz 1 Hessisches Heilberufsgesetz iVm § 26 Abs 2 Satz 2 BO gilt die Verpflichtung zur Teilnahme von Nichtvertragsärzten am ÄBD für die von der Beklagten festgelegten Bezirke des ÄBD. Insoweit ist es nicht zu beanstanden, dass der Landesärztekammer als Satzungsgeberin ein Spielraum zur eigenen Ausgestaltung verblieben ist, den sie durch Verweis auf die bestehenden Organisationsstrukturen des ÄBD der Beklagten ausgefüllt hat.

22c) Zudem hat der Landesgesetzgeber in den Grundzügen Vorgaben für eine Befreiung von Nichtvertragsärzten von der Teilnahmeverpflichtung am ÄBD getroffen. Nach den Feststellungen des LSG hat die BO gemäß § 24 Satz 2 Hessisches Heilberufsgesetz vorzusehen, dass von der Teilnahmeverpflichtung vom ÄBD aus wichtigem Grund, insbesondere wegen körperlicher Behinderung oder außergewöhnlicher familiärer Belastung sowie wegen Teilnahme an einem klinischen Bereitschaftsdienst mit Notfallversorgung, auf Antrag ganz, teilweise oder vorübergehend befreit werden kann. Dem Regelungsauftrag des Gesetzgebers ist die Bestimmung vorbehalten, unter welchen Voraussetzungen ein teilnahmepflichtiger Arzt ausnahmsweise Befreiung beanspruchen oder nach dem Ermessen der Landesärztekammer erhalten kann; der Gesetzgeber muss die Richtlinien für eine nähere Regelung des Satzungsgebers festlegen (vgl I C 30.69 - BVerwGE 41, 261, 264, juris RdNr 23). Dies ist durch die Benennung von den Befreiungstatbeständen in § 24 Satz 2 Hessisches Heilberufsgesetz und der Angabe des Umfangs der Befreiung ("ganz, teilweise oder vorübergehend") in nicht zu beanstandender Weise erfolgt.

232. Allerdings widerspricht die nähere Ausgestaltung der durch Satzungsrecht normierten Möglichkeit zur Reduzierung der Dienstverpflichtung eines privat niedergelassenen Arztes dem allgemeinen Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1 GG.

24a) Dieser Grundsatz gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und Wesentlich Ungleiches seinem Wesen entsprechend ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (vgl - BVerfGE 160, 41, 63 RdNr 51; , 2 BvL 10/14, 2 BvL 13/14 und 2 BvL 14/14 - BVerfGE 162, 277, 305 RdNr 68; - juris RdNr 59 mwN). Zwar ist es grundsätzlich Sache des Normgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen (vgl - BVerfGE 160, 41, 63 RdNr 51; ua - BVerfGE 162, 277, 305 RdNr 69; - juris RdNr 59 mwN). Jedenfalls ist Art 3 Abs 1 GG dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger aus der Natur der Sache folgender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für eine Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl - BVerfGE 160, 41, 64 RdNr 53; ua - BVerfGE 162, 277, 306 RdNr 71; - juris RdNr 61 mwN). Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist (vgl ua - BVerfGE 162, 277, 306 RdNr 71; - juris RdNr 61 mwN).

25b) Aus Art 3 Abs 1 GG folgt die Verpflichtung der Beklagten, alle Ärzte gleichmäßig zum Bereitschaftsdienst heranzuziehen (stRspr des Senats; vgl zuletzt - BSGE 127, 109 = SozR 4-2500 § 95 Nr 35, RdNr 49 mwN). Dieser Verpflichtung widerspräche es, wenn Praxen mit halbem Versorgungsauftrag und Praxen mit vollem Versorgungsauftrag in gleicher Weise zum ÄBD herangezogen würden. Ebenso darf durch die Heranziehung zum ÄBD keine überproportionale Beanspruchung des Arztes erfolgen (vgl - BSGE 127, 109 = SozR 4-2500 § 95 Nr 35, RdNr 49 mwN). Dementsprechend durfte beispielsweise die gleichzeitige Teilnahme eines Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen am vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Bereitschaftsdienst diesen nicht so belasten, als wäre er in vollem Umfang ärztlich und zahnärztlich tätig (vgl - SozR 4-2500 § 75 Nr 16 RdNr 22). Übertragen auf die Teilnahmeverpflichtung von niedergelassenen Privatärzten bedeutet dies, dass der tatsächliche Umfang einer ärztlichen Tätigkeit bei der verpflichtenden Heranziehung zum ÄBD angemessen zu berücksichtigen ist. Dem trägt die Regelung des § 3 Abs 3 Satz 3 BDO nur insoweit Rechnung, als der reduzierte Umfang einer privatärztlichen Tätigkeit aufgrund einer gleichzeitig ausgeübten abhängigen Beschäftigung in Betracht gezogen wird. Soweit im Fall des Klägers der geringere Umfang der ärztlichen Tätigkeit wegen einer parallel ausgeübten selbstständigen Tätigkeit nicht erfasst wurde, ist die Satzungsregelung revisionsrechtlich zu beanstanden, da wesentlich Gleiches ohne tragfähigen Grund ungleich behandelt wurde. Denn bei Heranziehung von Ärzten zum ÄBD ist eine überproportionale Beanspruchung zu vermeiden. Bei niedergelassenen Privatärzten berücksichtigt das Satzungsrecht diesen Umstand zwar dann, wenn gleichzeitig eine abhängige Beschäftigung ausgeübt wird. Eine selbstständige Tätigkeit wird hingegen nicht erfasst. Ein sachlicher Differenzierungsgrund iS von Art 3 Abs 1 GG hierfür fehlt. Weder die von der Beklagten angeführten geringeren Einschränkungen und finanziellen Belastungen von Privatärzten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit in eigener Praxis noch die aus ihrer Sicht in praktischer Hinsicht schwierigere Nachweisführung des zeitlichen Umfangs einer zusätzlichen selbstständigen Tätigkeit, rechtfertigen diese Ungleichbehandlung. Es kann auch nicht unterstellt werden, dass selbstständige Tätigkeiten generell mit einem zu vernachlässigenden Zeiteinsatz verbunden sind. Das Vermeiden überproportionaler Beanspruchung durch die Heranziehung zum ÄBD gilt für Privatärzte mit zusätzlicher abhängiger bzw selbstständiger Tätigkeit bei gleichem Zeiteinsatz vielmehr gleichermaßen.

26c) Satzungsnormen, die mit höherrangigem Recht in Widerspruch stehen, sind unwirksam und können keine Geltung beanspruchen (vgl stRspr des BSG; zB - BSGE 75, 37 = SozR 3-2500 § 85 Nr 7, SozR 3-1100 Art 12 Nr 25; - BSGE 78, 91, 92 f = SozR 3-5540 § 25 Nr 2 S 4: "mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam"; zur Korrektur von Satzungsmängeln der BDO durch Erlass rechtswirksamer Normen vgl - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen, RdNr 36 mwN).

27Die Beklagte wird daher nach Änderung ihres Satzungsrechts unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes über den Antrag des Klägers über die Reduzierung seines Teilnahmeumfangs im ÄBD neu entscheiden müssen. Im Rahmen des Gestaltungsspielraums des Satzungsgebers bestehen verschiedene Möglichkeiten, die beanstandete Ungleichbehandlung zu beheben (vgl - SozR 4-2500 § 75 Nr 21 RdNr 24).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:251023UB6KA2022R0

Fundstelle(n):
KAAAJ-63327