1. Der Verzicht auf die Rechte aus einem Grundstücksmietvertrag fällt unter den Begriff ,,Vermietung von Grundstücken'' - 2. Eine für diesen Verzicht gezahlte Abfindung kann nicht besteuert werden, wenn die Vermietung des Grundstücks selbst von der Umsatzsteuer befreit war
Leitsatz
1. Der Fall, daß ein Mieter, der auf seine Rechte aus dem Mietvertrag verzichtet, das Grundstück an die Person zurückgibt, von der er seine Rechte ableitet, fällt unter den Begriff der ,,Vermietung von Grundstücken'', der in Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage zur Beschreibung eines steuerfreien Umsatzes verwendet wird.
2. Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Richtlinie 77/388, wonach die Mitgliedstaaten weitere Ausnahmen vom Geltungsbereich der Steuerbefreiung für die Vermietung von Grundstücken vorsehen können, ermächtigt diese nicht, die Abfindung zu besteuern, die eine der Vertragsparteien der anderen wegen des vertraglichen Verzichts auf die Rechte aus einem Mietvertrag gezahlt hat, wenn die in Erfüllung des Mietvertrags geleisteten Mietzinszahlungen von der Mehrwertsteuer befreit waren.
Tatbestand
Das Value Added Tax Tribunal hat mit Beschlüssen vom und vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung von Artikel 13 Teil B Buchstaben b und g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABI. L 145, S. 1, im folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft (im folgenden: Klägerin) und den Commissioners (im folgenden: Beklagte) über die Mehrwertsteuerpflichtigkeit einer Abfindung, die die Klägerin aufgrund der vorzeitigen Auflösung eines Mietvertrags erhielt. Die Klägerin hatte im Jahr 1971 ein der E Ltd gehörendes Gebäude für 25 Jahre und drei Monate gemietet. Das Eigentum an diesem Gebäude ging später auf die G Ltd über. Im Jahr 1990 schlossen die G Ltd und die Klägerin eine Vereinbarung, nach der die Klägerin mit Wirkung vom für den verbleibenden Mietzeitraum auf die Rechte aus dem Mietvertrag verzichtete und das Mietobjekt an die G Ltd zurückgab. Als Gegenleistung zahlte ihr letztere eine Abfindung von 850 000 UKL.
Die Beklagten vertraten die Ansicht, daß diese Abfindung nach den britischen Rechtsvorschriften - dem Value Added Tax Act (Mehrwertsteuergesetz) 1983 in der Fassung des Finance Act (Finanzgesetz) 1989 - der Mehrwertsteuer unterliege, und verlangten deshalb von der Klägerin den Betrag von 110 869,56 UKL. Nach Anhang 6 Gruppe 1 Nr. 1 des Value Added Tax Act 1983 in seiner geänderten Fassung ist die ,,Übertragung eines Anteils oder Rechts an Grundeigentum oder eines Rechts zum Besitz von Grundeigentum . . .'' von der Mehrwertsteuer befreit. Wie sich aus dieser Bestimmung in Verbindung mit einer Fußnote ergibt, sind im Vereinigten Königreich die Vermietung und die Untervermietung von Grundstücken sowie die Übertragung der Rechte aus einem Mietvertrag über Grundstücke grundsätzlich steuerfreie Umsätze. Der Verzicht auf die Rechte aus einem Mietvertrag zugunsten der Person, von der der Mieter seine Rechte ableitet, ist jedoch von dieser Befreiung ausgenommen.
Zur Stützung ihrer Klage vor dem Value Added Tax Tribunal machte die Klägerin geltend, die Bestimmung, nach der der Verzicht von der Steuerbefreiung ausgenommen sei, verstoße gegen Artikel 13 Teil B der Sechsten Richtlinie.
In dieser Vorschrift heißt es:
,,Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer.
a) . . .
b) die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken mit Ausnahme
1. der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe entsprechend den gesetzlichen Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung, einschließlich der Vermietung in Ferienlagern oder auf als Campingplätze erschlossenen Grundstücken,
2. der Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen,
3. der Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen,
4. der Vermietung von Schließfächern.
Die Mitgliedstaaten können weitere Ausnahmen vom Geltungsbereich dieser Befreiung vorsehen;
. . .
g) die Lieferungen von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a) bezeichneten Gegenstände;
. . .''
Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie sieht folgendes vor:
,,Die Mitgliedstaaten können . . . solche Personen als steuerpflichtige betrachten, die gelegentlich . . . insbesondere eine der folgenden Leistungen erbringen:
a) die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt. Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten der Anwendung dieses Kriteriums auf Umbauten von Gebäuden und den Begriff ,dazugehöriger Grund und Boden' festlegen.
. . .
Als Gebäude gilt jedes mit dem Boden fest verbundene Bauwerk;
. . .''
Da die Besteuerung der der Klägerin gezahlten Abfindung nach Ansicht des Value Added Tax Tribunal von der Auslegung von Artikel 13 Teil B der Sechsten Richtlinie abhängt, hat es beschlossen, dem Gerichtshof die drei folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1) Ist der Verzicht auf die Rechte aus einem Mietvertrag über ein Grundstück gegen eine dem Mieter vom Vermieter gezahlte Abfindung eine Lieferung in Form einer ,,Vermietung und Verpachtung von Grundstücken'' im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie?
2) Falls Frage 1 zu bejahen ist: Kann ein Mitgliedstaat einen solchen Verzicht aufgrund des letzten Satzes von Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie (,, Die Mitgliedstaaten können weitere Ausnahmen vom Geltungsbereich dieser Befreiung vorsehen'') von der Steuerbefreiung ausnehmen und ihn folglich besteuern?
3) Falls Frage 1 zu verneinen ist: Ist der Verzicht auf die Rechte aus einem Mietvertrag über Gebäude oder Gebäudeteile gegen eine dem Mieter vom Vermieter gezahlte Abfindung eine Lieferung in Form einer ,,Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a) bezeichneten Gegenstände'', im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe g der Sechsten Richtlinie?
Gründe
Zum Begriff der ,,Vermietung von Grundstücken''
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob der Fall, daß ein Mieter, der auf seine Rechte aus dem Mietvertrag verzichtet, das Grundstück gegen eine Abfindung an die Person zurückgibt, von der er seine Rechte ableitet, unter den Begriff der ,,Vermietung von Grundstücken'' fällt, der in Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie zur Beschreibung eines steuerfreien Umsatzes verwendet wird.
Fällt ein bestimmter Umsatz - wie die Vermietung eines Grundstücks, die auf der Grundlage des gezahlten Mietzinses besteuert würde - unter eine in der Sechsten Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung, so ist eine Änderung dieses Mietvertrags - wie dessen vertragliche Auflösung gegen Abfindung - ebenfalls als unter diese Befreiung fallend anzusehen.
Dem vorlegenden Gericht ist deshalb zu antworten, daß der Fall, daß ein Mieter, der auf seine Rechte aus dem Mietvertrag verzichtet, das Grundstück an die Person zurückgibt, von der er seine Rechte ableitet, unter den Begriff der ,,Vermietung von Grundstücken'' fällt, der in Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie zur Beschreibung eines steuerfreien Umsatzes verwendet wird.
Zur Möglichkeit, bestimmte grundsätzlich steuerfreie Umsätze zu besteuern
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 13 Teil B Buchstabe b, wonach die Mitgliedstaaten weitere Ausnahmen vom Geltungsbereich der Steuerbefreiung für die Vermietung von Grundstücken vorsehen können, diese ermächtigt, die Abfindung zu besteuern, die eine der Vertragsparteien der anderen wegen des vertraglichen Verzichts auf die Rechte aus einem Mietvertrag gezahlt hat, wenn die in Erfüllung dieses Mietvertrags geleisteten Mietzinszahlungen von der Mehrwertsteuer befreit waren.
Nach Artikel 13 Teil B können die Mitgliedstaaten bestimmte Mietverhältnisse vom Geltungsbereich der Steuerbefreiung ausnehmen und sie somit der Steuer unterwerfen. Dagegen läßt sich ihm nicht die Ermächtigung nehmen, die Beendigung eines Vertrages der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn der Abschluß dieses Vertrages zwingend steuerfrei ist. Eine solche Aufspaltung ein und desselben Mietvertrags ist nämlich nicht möglich.
Auf die zweite Frage ist somit zu antworten, daß Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten weitere Ausnahmen vom Geltungsbereich der Steuerbefreiung für die Vermietung von Grundstücken vorsehen können, diese nicht ermächtigt, die Abfindung zu besteuern, die eine der Vertragsparteien der anderen wegen des vertraglichen Verzichts auf die Rechte aus einem Mietvertrag gezahlt hat, wenn die in Erfüllung des Mietvertrags geleisteten Mietzinszahlungen von der Mehrwertsteuer befreit waren.
Zum Begriff der ,,Lieferungen von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden''
Da das vorlegende Gericht seine dritte Frage nur für den Fall gestellt hat, daß die Abfindung, die eine der Vertragspartien der anderen nach dem vorzeitigen vertraglichen Verzicht auf die Rechte aus einem Mietvertrag gezahlt hat, nicht unter die für die ,,Vermietung von Grundstücken'' vorgesehene Steuerbefreiung fällt, braucht diese Frage nicht beantwortet zu werden.
Kosten
Die Auslagen der deutschen und der griechischen Regierung, des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BStBl 1995 II Seite 480
PAAAA-95256