BGH Beschluss v. - IV ZR 436/22

Instanzenzug: Az: 2 U 117/20 Urteilvorgehend Az: 2 U 117/20 Beschlussvorgehend Az: 11 O 214/18

Gründe

1I. Der Kläger ist ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 Abs. 1 UKlaG eingetragener gemeinnütziger Verbraucherschutzverein. Er ist der Ansicht, die Beklagte, eine deutsche Versicherungsgesellschaft, die den Abschluss von Lebens- und Rentenversicherungen anbietet, verstoße durch die von ihr praktizierte Überschussbeteiligung gegen die Vorgaben von § 6 Abs. 1 Satz 1 Mindestzuführungsverordnung (MindZV), indem sie Versicherungsnehmern in dem von ihr angebotenen Tarif "P         P        " eine höhere Überschussbeteiligung zuteile als jenen, die zwischen Juli 1994 und Dezember 2016 in anderen Tarifen Versicherungsverträge mit einem höheren Rechnungszins abgeschlossen hätten. Des Weiteren wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit von insgesamt neunzehn Teilklauseln in den "Versicherungsbedingungen: Teil A - Baustein Altersvorsorge - Zukunftsrente P        E   " der Beklagten sowie insgesamt sieben Angaben in den zugehörigen Produktinformationsblättern und Versicherungsinformationen. Die geltend gemachten Ansprüche hat der Kläger hierbei auf die §§ 1 und 2 UKlaG und auf § 8 UWG gestützt.

2Der Kläger hatte den Streitwert in der Klage mit 300.000 € angegeben. Das Landgericht hat den Streitwert für den Rechtsstreit insgesamt auf 110.000 € festgesetzt, wobei es bei dieser Bemessung von 35 vom Kläger angegriffenen (Teil-)Regelungen in den Versicherungsbedingungen, den zugehörigen Produktinformationsblättern und Versicherungsinformationen ausgegangen ist und die Anträge, mit denen der Kläger die von der Beklagten praktizierte Verteilung des Überschusses auf die einzelnen Verträge als rechtswidrig beanstandet, insgesamt mit 22.500 € bewertet hat. Das Berufungsgericht hat den Streitwert für beide Instanzen auf 690.000 € festgesetzt. Hierbei hat es den Streitwert für die auf Unterlassung der Praxis der Überschussbeteiligung gerichteten Anträge mit insgesamt 140.000 € und die insgesamt 26 beanstandeten (Teil-)Regelungen in den Versicherungsbedingungen, den zugehörigen Produktinformationsblättern und Versicherungsinformationen mit Einzelwerten zwischen 10.000 € und 50.000 € bewertet.

3II. 1. In Verfahren nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) richtet sich der Streitwert regelmäßig allein nach dem Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung der angegriffenen Bestimmungen, nicht hingegen nach der wirtschaftlichen Bedeutung eines Klauselverbots (Senatsbeschlüsse vom - IV ZR 216/21, juris Rn. 1; vom - IV ZR 45/15, VersR 2016, 140 Rn. 3; vom - IV ZR 211/11, juris Rn. 3; , juris Rn. 8; st. Rspr.). Danach ist ein Wert von 2.500 € je angegriffener Teilklausel als angemessen anzusehen (Senatsbeschluss vom aaO; BGH, Beschlüsse vom - III ZR 390/16, NJOZ 2018, 553 Rn. 6; vom - III ZR 296/16, NJOZ 2018, 583 Rn. 5; jeweils m.w.N.). Diese Erwägungen gelten für eine Klage auf Unterlassung unwirksamer Allgemeiner Versicherungsbedingungen gemäß § 1 UKlaG ebenso wie für eine Klage gegen eine verbraucherschutzgesetzwidrige Praxis im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG. Sie betreffen sowohl die Beschwer des klagenden Verbraucherschutzverbands als auch diejenige des im Unterlassungsprozess unterlegenen Gegners (Senatsbeschluss vom aaO; BGH, Beschlüsse vom aaO; vom - X ZR 3/19, GRUR 2021, 521 Rn. 8; vom - VIII ZR 277/17, NJW 2019, 1531 Rn. 10; st. Rspr.).

42. An diesen Grundsätzen ändert es - anders als das Berufungsgericht gemeint hat - nichts, dass der Kläger seine Ansprüche nicht allein auf die §§ 1 und 2 UKlaG, sondern auch auf § 8 UWG gestützt hat. Allerdings trifft es zu, dass es bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen von Verbraucherverbänden im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG für den Streitwert auf das satzungsmäßig wahrgenommene Interesse der Verbraucher ankommt; maßgebend sind die gerade diesen drohenden Nachteile (, GRUR 2023, 597 Rn. 7 m.w.N.). Die in Folge des beanstandeten Wettbewerbsverhaltens berührten Interessen der Verbraucher unterscheiden sich aber nicht von den vom Verbraucherverband satzungsgemäß wahrgenommenen Interessen der Allgemeinheit an der Beseitigung der angegriffenen Klausel (vgl. , GRUR 2011, 560 Rn. 6 - Streitwertherabsetzung II). Auf diese Weise sollen Verbraucherschutzverbände vor Kostenrisiken bei der Wahrnehmung der ihnen im Allgemeininteresse eingeräumten Befugnisse zur Befreiung des Rechtsverkehrs von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschützt werden (vgl. Senatsbeschluss vom - IV ZR 45/15, VersR 2016, 140 Rn. 3; aaO). Die Möglichkeit, gemäß § 5 UKlaG und § 12 Abs. 3 Satz 1 UWG anzuordnen, dass sich die Verpflichtung einer Partei zur Zahlung von Gerichtskosten nach einem ihrer Wirtschaftslage angepassten Teil des Streitwerts bestimmt, gebietet keine Festsetzung eines abweichenden Streitwerts. Diese Anpassungsmöglichkeit stellt keinen ausreichenden Schutz eines klagenden Verbraucherschutzverbands vor unangemessenen Kostenrisiken dar. Sie ist zudem ohne Einfluss auf das für die Streitwertbestimmung maßgebende Unterlassungsinteresse der Allgemeinheit (Senatsbeschluss vom - IV ZR 216/21, juris Rn. 3 m.w.N.).

5Jedenfalls in Fallgestaltungen, in denen - wie vorliegend - einheitliche Unterlassungsanträge, soweit sich diese gegen beanstandete Regelungen in Versicherungsbedingungen und den zugehörigen Produktinformationsblättern und Versicherungsinformationen richten, mit identischer Zielrichtung nur nebeneinander auf die §§ 1 und 2 UKlaG sowie Bestimmungen des Lauterkeitsrechts (zum Verhältnis der Ansprüche vgl. , VersR 2018, 422 Rn. 46 ff. - Klauselersetzung; vgl. auch Senatsurteil vom - IV ZR 221/19, BGHZ 229, 266 Rn. 48 ff.) gestützt werden, ohne dass damit der Angriffsfaktor verändert wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom - I ZR 122/17, ZUM 2019, 183 Rn. 13; vom - I ZR 58/11, WRP 2014, 192 Rn. 9 - Streitwertaddition), bestehen keine Gründe dafür, den Streitwert über dem Betrag anzusetzen, der sich bei alleiniger Geltendmachung der Ansprüche im Rahmen einer Verbandsklage ergibt.

6Danach beträgt der Streitwert vorliegend 205.000 €. Auf die Revision, die Anschlussrevision und die hilfsweise erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers entfallen hierbei 187.500 €, auf die Rechtsmittel der Beklagten 17.500 €. Der Kläger hat in der Revisionsinstanz seine Anträge auf Unterlassung der beanstandeten Praxis der Überschussbeteiligung, die für ihn nach seinen eigenen Angaben den Schwerpunkt des Rechtsstreits und den Kern des Verfahrens bilden, und die das Berufungsgericht mit insgesamt 140.000 € bewertet hat, sowie auf Unterlassung der Verwendung von neunzehn (Teil-)Regelungen in den Versicherungsbedingungen, den zugehörigen Produktinformationsblättern und Versicherungsinformationen insgesamt weiterverfolgt. Die Beklagte hat sich gegen die Untersagung der Verwendung von fünf (Teil-)Regelungen in den Versicherungsbedingungen und von zwei Angaben in den zugehörigen Versicherungsinformationen gewandt.

7Ein abweichender - höherer - Streitwert ist nicht mit Blick auf die herausragende wirtschaftliche Bedeutung der angegriffenen Bestimmungen festzusetzen. Zwar ist nicht ausgeschlossen, einer solchen Bedeutung ausnahmsweise Rechnung zu tragen, wenn die Entscheidung nicht nur für die beklagte Partei und ihre Vertragspartner, sondern für die gesamte Branche von wesentlicher Bedeutung ist, etwa weil es um äußerst umstrittene verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen von großer wirtschaftlicher Tragweite geht, über deren Beantwortung bereits vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen gestritten wird (Senatsbeschluss vom - IV ZR 216/21, juris Rn. 4 m.w.N.). Das ist aber hinsichtlich der vom Kläger beanstandeten einzelnen Klauseln und Teilklauseln in den Versicherungsbedingungen der Beklagten und den zugehörigen Produktinformationsblättern und Versicherungsinformationen weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Umstand, dass es sich bei der Beklagten um einen Marktführer im Bereich von Rentenversicherungen handelt und sich die Entscheidung damit auf eine erhebliche Zahl abgeschlossener oder zukünftig zu erwartender Verträge auswirkt, begründet - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - für sich genommen keine herausragende wirtschaftliche Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss vom aaO). Dass der Kläger mit seiner Klage zudem eine Minderung des Anteils der Beklagten an der Überschussquelle Kapitalanlagen um 10 % des Aufwandes für rechnungsmäßige Zinsen erreichen möchte und sich dies zugunsten aller Verbraucher auswirken würde, ist bereits bei der Bemessung des Streitwerts für seine Anträge auf Unterlassung der beanstandeten Praxis der Überschussbeteiligung angemessen berücksichtigt.

8III. Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen, auch im Hinblick auf die bisher gestellten Anträge.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:060224BIVZR436.22.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-61658