BGH Beschluss v. - XII ZB 389/22

Versorgungsausgleich: Behandlung geringfügiger Anrechte aus sog. Grundrenten-Entgeltpunkten in der gesetzlichen Rentenversicherung

Leitsatz

Zur Behandlung geringfügiger Anrechte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrenten-Entgeltpunkte) im Versorgungsausgleich.

Gesetze: § 2 Abs 2 VersAusglG, § 18 VersAusglG, § 76g Abs 1 SGB 6

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 6 UF 135/22vorgehend AG Lampertheim Az: 3 F 512/20 S

Gründe

I.

1Das Amtsgericht hat die am geschlossene Ehe des 1965 geborenen Antragstellers mit der 1976 geborenen Antragsgegnerin auf den am zugestellten Scheidungsantrag geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt.

2Während der Ehezeit ( bis ) haben beide Ehegatten ausschließlich Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erlangt. Der Antragsteller hat 6,3077 Entgeltpunkte mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 3,1539 Entgeltpunkten bei einem korrespondierenden Kapitalwert von 23.788,25 € sowie zusätzlich einen Zuschlag von 0,4530 Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sogenannte Grundrenten-Entgeltpunkte) mit einem vorgeschlagenen Ausgleichswert von 0,2265 Entgeltpunkten bei einem korrespondierenden Kapitalwert von 1.708,37 € erworben. Die Antragsgegnerin hat 2,3447 Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 1,1724 Entgeltpunkten bei einem korrespondierenden Kapitalwert von 8.842,81 € erlangt.

3Das Amtsgericht hat die interne Teilung der gesetzlichen Rentenanrechte der Ehegatten angeordnet, allerdings mit Ausnahme des von dem Antragsteller erworbenen Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung, zu dessen Ausgleich sich die amtsgerichtliche Entscheidung nicht geäußert hat. Die dagegen gerichtete Beschwerde der DRV Hessen (weitere Beteiligte) hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.

4Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die DRV Hessen eine Einbeziehung der Grundrenten-Entgeltpunkte in den Wertausgleich bei der Scheidung.

II.

5Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

61. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass ein Anrecht aus einem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung in einer gebotenen Gesamtbetrachtung nicht die Merkmale eines dem Versorgungsausgleich gemäß § 2 Abs. 1 VersAusglG unterliegenden Anrechts erfülle. Der Zuschlag nach § 76 g Abs. 1 SGB VI ziele darauf ab, aus sozialen Gründen durch eine steuerfinanzierte Leistung die Einkommenssituation von Personen zu verbessern, die in der Vergangenheit nur eine unzureichende Altersabsicherung erlangt hätten. Über die Einkommensanrechnung nach § 97 a SGB VI finde - anders als sonst in der gesetzlichen Rentenversicherung - eine einzelfallbezogene Bedürftigkeitsprüfung statt, wodurch auch die Fortzahlung einer gleichbleibenden Rente nicht gewährleistet sei. Bei der Gesamtabwägung sei zudem in den Blick zu nehmen, dass bei der Ermittlung der Grundbewertungszeiten nach § 76 g Abs. 3 SGB VI die in einem Versorgungsausgleich erworbenen Zuschläge an Entgeltpunkten nicht berücksichtigt würden. Dies verdeutliche die Motive des Gesetzgebers, gesellschaftlich relevante Leistungen bei der Kindererziehung und der Pflege von Angehörigen unabhängig von Ausgleichsansprüchen aus einer Ehe anzuerkennen. Unter diesem Gesichtspunkt habe der Zuschlag an Grundrenten-Entgeltpunkten einen individualisierenden und dem Versorgungsausgleich unzugänglichen Charakter. Schließlich spreche gegen die Einbeziehung des Anrechts in den Versorgungsausgleich auch, dass das Anrecht wegen fehlender Verfestigung oder wegen Unwirtschaftlichkeit des Ausgleichs unter Umständen nicht ausgleichsreif sein könnte und eine vom Einkommen der ausgleichsberechtigten Person unabhängige Verweisung auf den schuldrechtlichen Ausgleich zu den Wertungen des § 97 a SGB VI in Widerspruch stehe.

72. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

8a) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts handelt es sich - wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat (Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 8 ff.) - bei dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (§ 76 g SGB VI) um ein im Versorgungsausgleich auszugleichendes Anrecht.

9Gemäß § 2 Abs. 2 VersAusglG ist ein Anrecht auszugleichen, sofern es durch Arbeit oder Vermögen geschaffen oder aufrechterhalten worden ist, der Absicherung im Alter oder bei Invalidität, insbesondere wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Berufsunfähigkeit oder Dienstunfähigkeit, dient und auf eine Rente gerichtet ist.

10aa) Der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung wird nach näheren Berechnungsmaßgaben gewährt, wenn mindestens 33 Jahre mit Grundrentenzeiten vorhanden sind (§ 76 g Abs. 1 SGB VI). Die Grundrentenzeiten beruhen grundsätzlich auf Pflichtbeiträgen oder auf freiwilligen Beiträgen, die der Versicherte bis zum Erreichen der Altersgrenze in Abhängigkeit von seinem Einkommen zu erbringen hat. Somit handelt es sich um ein Anrecht, das durch Arbeit geschaffen und aufrechterhalten wird. Darauf, ob die Höhe des Rentenanspruchs mit der Höhe der erbrachten Beitragszahlungen korrespondiert, kommt es nicht an. Denn § 2 Abs. 2 VersAusglG verlangt - wie auch das Beschwerdegericht zutreffend erkannt hat - nicht ein beitragsfinanziertes Versorgungssystem, sondern nur einen Kausalitäts- und Zurechnungszusammenhang zwischen der Arbeitsleistung des Ehegatten und seinem Rentenanspruch. Ausgleichspflichtig wäre daher auch ein Rentenanspruch, der sich allein aus Arbeitgeberbeiträgen oder aus Steuermitteln finanziert, sofern nur das Teilhaberecht des Ehegatten auf seine Arbeit als Teil der gemeinsamen Lebensleistung zurückzuführen ist. Diese Voraussetzung ist bei dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung erfüllt (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 11 mwN).

11bb) Dieser Beurteilung steht die zusätzliche Voraussetzung nach § 76 g Abs. 1 SGB VI nicht entgegen, wonach während des Erwerbslebens eine bestimmte Höchstgrenze an Durchschnittseinkommen nach Maßgabe von § 76 Abs. 4 SGB VI nicht überschritten werden darf. Denn Anknüpfung bleibt - wie bei der Mindestbewertung von Pflichtbeiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 262 SGB VI) - die regelmäßig auf Arbeit beruhende langjährige Versicherteneigenschaft. Welche gesetzgeberischen Motive einer Anerkennung gesellschaftlich relevanter Leistungen der Einführung des Zuschlags zugrunde gelegen haben mögen, ist nach den Kriterien des § 2 VersAusglG ohne Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 12).

12cc) Auch ist das so begründete Anrecht auf eine Rente gerichtet (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG). Gemeint sind hiermit alle an einen Versorgungsfall anknüpfenden regelmäßig wiederkehrenden Geldleistungen. Durch den Begriff werden Kapitalleistungen abgegrenzt, die nur unter Erfüllung der Voraussetzungen eines Anrechts im Sinne des Betriebsrentengesetzes oder des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes ausgleichsfähig sind. Nach diesem Abgrenzungskriterium wird das Merkmal der wiederkehrenden Geldleistung unabhängig von der nach § 97 a SGB VI vorgesehenen Einkommensanrechnung erfüllt. Denn entscheidend für die Qualifikation ist, dass das Stammrecht auf eine regelmäßig wiederkehrende Geldleistung zielt. Eine gleichbleibende Höhe der aus dem Stammrecht fließenden Zahlbeträge ist demgegenüber kein zwingendes Merkmal einer Rente (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 13 mwN).

13dd) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts lässt sich auch daraus, dass sich das Anrecht unter Umständen als nicht hinreichend ausgleichsreif erweisen und sein schuldrechtlicher Ausgleich möglicherweise im Wertungswiderspruch zu § 97 a SGB VI stehen könnte, nichts gegen dessen Einbeziehung in den Wertausgleich bei der Scheidung herleiten. Denn der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung erfüllt regelmäßig die Anforderungen an die Ausgleichsreife im Sinne von § 19 Abs. 1 und 2 VersAusglG.

14(1) Nicht ausgleichsreif ist ein Anrecht insbesondere, wenn es dem Grund oder der Höhe nach nicht hinreichend verfestigt ist (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG). Hinreichend verfestigt ist ein Anrecht insoweit, als der Versorgungswert dem Grund und der Höhe nach durch die künftige, namentlich betriebliche oder berufliche Entwicklung des Berechtigten nicht mehr beeinträchtigt werden kann und somit bereits endgültig gesichert ist. Im Falle von Anrechten in der gesetzlichen Rentenversicherung ist damit allerdings nicht gemeint, dass zum Ehezeitende bereits sämtliche Voraussetzungen erfüllt sein müssten, damit eine gesetzliche Rente nach dem Erreichen der Altersgrenze zur Auszahlung gelangt. Maßgebend ist vielmehr, ob der Versorgungswert in seiner Bezugsgröße dem Grund und der Höhe nach nicht mehr beeinträchtigt werden kann. Die Frage beurteilt sich nach den gesetzlichen Bewertungsvorschriften und ist beim Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung zu bejahen. Denn nach dem hier anzuwendenden Bewertungsmaßstab der auf das Ehezeitende zu beziehenden Berechnung einer fiktiven Vollrente wegen Erreichens der Regelaltersgrenze (§ 109 Abs. 6 SGB VI) steht die Höhe des Zuschlags in der Bezugsgröße dieser Entgeltpunkteart fest. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung ist insoweit das Ende der Ehezeit (§ 5 Abs. 2 Satz 1 VersAusglG). Zwar kann der Zuschlag - worauf das Beschwerdegericht an sich zutreffend hinweist - später noch entfallen, wenn das Einkommen nach Ehezeitende steigt und aufgrund dessen die Höchstgrenze der durchschnittlichen Entgeltpunkte überschritten wird. Darin läge jedoch eine Veränderung nach dem Ende der Ehezeit, die im Versorgungsausgleichsverfahren (nur) nach Maßgabe des § 5 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG zu berücksichtigen ist (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 18 mwN).

15Eine spätere Einkommensanrechnung nach § 97 a SGB VI hingegen wirkt von vornherein nicht auf die Bezugsgröße des Anrechts - nämlich Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung - und stellt daher die hinreichende Verfestigung des Stammrechts als solches nicht infrage (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 19 mwN).

16(2) Es kann entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts auch nicht bereits in der Anwartschaftsphase festgestellt werden, dass die nach § 97 a SGB VI vorgesehene Einkommensanrechnung ganz oder teilweise zu einer Unwirtschaftlichkeit des Ausgleichs im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 3 VersAusglG führen wird. Ob es zu einer Einkommensanrechnung kommt, ergibt sich erst im laufenden Leistungsbezug und kann sich zudem jährlich ändern (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 22).

17Anzurechnendes Einkommen im Leistungsbezug ist gemäß § 97 a Abs. 2 Nr. 1 SGB VI namentlich das zu versteuernde Einkommen nach § 2 Abs. 5 EStG. Darunter versteht sich das Einkommen, vermindert um die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und um die sonstigen vom Einkommen abzuziehenden Beträge. Einkommen ist der Gesamtbetrag der der Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte, vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen (§ 2 Abs. 4 EStG). Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens werden somit vom Gesamtbetrag der Einkünfte Sonderausgaben wie etwa Vorsorgeaufwendungen, individuelle Freibeträge und außergewöhnliche Belastungen abgezogen. Da sich Art und Höhe der im künftigen Leistungsbezug zu berücksichtigenden Abzüge wie beispielsweise Pflegekosten als außergewöhnliche Belastung (§ 33 EStG) oder Pauschbeträge für Menschen mit Behinderungen (§ 33 b EStG) nicht im Vorhinein bestimmen lassen, bestehen regelmäßig keine ausreichenden Grundlagen für die Ermittlung eines im Leistungsbezug anzurechnenden Einkommens und somit für die Annahme, der Ausgleich werde sich dauerhaft nicht zugunsten der ausgleichsberechtigten Person auswirken (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 23).

18ee) Schließlich gehen auch der Wortlaut des § 120 f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI und die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/18473 S. 39, 44) davon aus, dass der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung in den Versorgungsausgleich einzubeziehen ist.

19b) Von dem Ausgleich des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung im Wertausgleich bei der Scheidung kann auch nicht wegen Geringfügigkeit abgesehen werden.

20aa) Die Beurteilung dieser Frage richtet sich im vorliegenden Fall nach § 18 Abs. 2 VersAusglG, weil die Antragsgegnerin während der Ehezeit kein gleichartiges Anrecht, nämlich keine Entgeltpunkte aus einem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung, erworben hat. Die von der Antragsgegnerin erworbenen übrigen Entgeltpunkte sind nicht von gleicher Art wie der von dem Antragsteller erworbene Zuschlag an Grundrenten-Entgeltpunkten (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 25 mwN), weshalb in Bezug auf solche eine Differenzbetrachtung nach § 18 Abs. 1 VersAusglG nicht in Betracht kommt.

21bb) Ein Ausgleichswert nach § 18 Abs. 2 VersAusglG ist gering, wenn er am Ende der Ehezeit die in § 18 Abs. 3 VersAusglG genannte jeweilige Bagatellgrenze nicht überschreitet. Ist die maßgebliche Bezugsgröße ein Rentenwert, beträgt die Bagatellgrenze 1 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV. In allen anderen Fällen kommt es darauf an, ob der Kapitalwert 120 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV übersteigt. Maßgebliche Bezugsgröße sind hier Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung, also kein Rentenbetrag, so dass der Kapitalwert heranzuziehen ist (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 236, 205 = FamRZ 2023, 761 Rn. 26 mwN). Das Beschwerdegericht hat auf der Grundlage der aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Versorgungsauskunft der DRV Hessen für den von dem Antragsteller ehezeitlich erworbenen Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung einen Ausgleichswert von 0,2265 Entgeltpunkten und einen sich daraus ergebenden korrespondierenden Kapitalwert von 1.708,37 € festgestellt. Dieser Wert liegt unter der bei Ehezeitende im Jahre 2020 geltenden Bagatellgrenze von 3.822 €.

22cc) Nach § 18 Abs. 2 VersAusglG soll das Familiengericht einzelne Anrechte mit einem geringen Ausgleichswert nicht ausgleichen, wobei die Vorschrift dem Gericht einen Ermessensspielraum eröffnet. Die Ausübung dieses Ermessens ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Das Beschwerdegericht hat indessen - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Erwägungen zur Anwendung des § 18 Abs. 2 VersAusglG angestellt und damit von seinem Ermessen keinen Gebrauch gemacht. In diesen Fällen kann das Rechtsbeschwerdegericht ein dem Tatrichter eingeräumtes Ermessen selbst ausüben, sofern die Sache entscheidungsreif ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 372/16 - FamRZ 2017, 97 Rn. 12; vgl. auch - ZIP 2020, 1194 Rn. 13 und Urteil vom - V ZR 32/13 - FamRZ 2015, 653 Rn. 34 mwN). So liegt der Fall auch hier.

23(1) Welche Kriterien bei der Ermessensausübung im Einzelnen zu berücksichtigen sind, lässt das Gesetz offen. Gesetzesziel ist vornehmlich die Vermeidung eines unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands für den Versorgungsträger, der mit der Teilung eines Anrechts und der Aufnahme eines Anwärters in das Versorgungssystem verbunden sein kann. Aus diesem Grunde sind in erster Linie die Belange der Verwaltungseffizienz auf Seiten der Versorgungsträger gegen das Interesse des ausgleichsberechtigten Ehegatten an der Erlangung auch geringfügiger Anrechte abzuwägen, wobei § 18 Abs. 2 VersAusglG auch die Entstehung sogenannter Splitterversorgungen vermeiden will, in denen der geringe Vorteil für den ausgleichsberechtigten Ehegatten in keinem Verhältnis zu dem ausgleichsbedingten Verwaltungsaufwand steht. Dabei bleibt aber der Halbteilungsgrundsatz der Maßstab des Versorgungsausgleichsrechts. Der Ausschluss eines Ausgleichs von Bagatellanrechten zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung findet seine Grenze daher in einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Halbteilungsgrundsatzes. Eine solche Beeinträchtigung liegt dann vor, wenn ein Anrecht mit geringem Ausgleichswert unter Anwendung des § 18 Abs. 2 VersAusglG nicht ausgeglichen wird, obwohl sich der Verwaltungsaufwand nicht als unverhältnismäßig darstellt oder sonstige mit dieser Vorschrift verfolgte Zwecke nicht oder nur in Ansätzen erreicht werden. Neben dem Halbteilungsgrundsatz sind bei der Ermessensentscheidung nach den Vorgaben des Gesetzgebers aber auch die konkreten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute einschließlich ihrer Versorgungssituation zu berücksichtigen, so dass es im Rahmen der Abwägung unter anderem für einen Ausgleich sprechen kann, dass der Ausgleichsberechtigte dringend auch auf Bagatellbeträge angewiesen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 490/15 - FamRZ 2016, 1658 Rn. 7 f. und vom - XII ZB 33/13 - FamRZ 2015, 2125 Rn. 23 ff.).

24Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung sind auch das Votum der beteiligten Eheleute und des Versorgungsträgers von Bedeutung (vgl. Erman/Norpoth/Sasse BGB 17. Aufl. § 18 VersAusglG Rn. 8). Daher kann ein Absehen vom Ausgleich gerechtfertigt sein, wenn die Ehegatten übereinstimmend und eindeutig zum Ausdruck bringen, kein Interesse am Ausgleich von Bagatellversorgungen zu haben (vgl. auch Senatsbeschluss vom - XII ZB 323/15 - FamRZ 2017, 195 Rn. 12), während es umgekehrt für die Durchführung des Ausgleichs sprechen kann, wenn der beteiligte Versorgungsträger ausdrücklich seine Bereitschaft zur internen Teilung eines bei ihm bestehenden Bagatellanrechts erklärt.

25(2) Gemessen daran ist der Ausgleich des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung im vorliegenden Fall durchzuführen.

26(a) Soweit es die Belange der Verwaltungseffizienz betrifft, ist im Grundsatz davon auszugehen, dass die Durchführung der Teilung gesetzlicher Rentenanrechte durch Verrechnung der Anrechte und Umbuchung der Ausgleichswertdifferenz auf bestehenden gesetzlichen Versicherungskonten beider Ehegatten bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung regelmäßig keinen besonders hohen Verwaltungsaufwand verursacht und aus diesem Grund - von den extremen Ausnahmefällen wirtschaftlich völlig bedeutungsloser Anrechte abgesehen - dem Halbteilungsgebot im Regelfall der Vorrang gebührt (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 323/15 - FamRZ 2017, 195 Rn. 14 und vom - XII ZB 325/16 - FamRZ 2016, 2081 Rn. 13).

27Es ist allerdings in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten, ob dieser Grundsatz auch im Zusammenhang mit der Teilung von Grundrenten-Entgeltpunkten Geltung beanspruchen kann, wenn - wie hier - nur einer der beiden Ehegatten diese Art von Anrechten erworben hat. Teilweise wird dazu die Auffassung vertreten, dass für den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Teilung von Grundrenten-Entgeltpunkten im Hinblick auf das Erfordernis der jährlichen Einkommensfeststellung nach § 97 a SGB VI bei dem ausgleichsberechtigten Ehegatten ein nennenswerter zusätzlicher Verwaltungsaufwand entstehe, der ein Absehen vom Bagatellausgleich nach § 18 Abs. 2 VersAusglG rechtfertigen könne (vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2022, 1353, 1354; OLG Oldenburg Beschluss vom - 11 UF 204/22 - juris Rn. 31; OLG Braunschweig Beschluss vom - 1 UF 38/23 - juris Rn. 16 f.; BeckOGK/Schüßler [Stand: ] VersAusglG § 18 Rn. 93). Demgegenüber wird von einer anderen Ansicht ein für die Abwägung im Rahmen der Ermessensausübung relevanter Verwaltungsmehraufwand der Rentenversicherungsträger unter Hinweis auf die weitgehende Automatisierung der Einkommensfeststellung nach § 97 a SGB VI mittels eines Datenaustausches mit der Finanzbehörde (§ 151 b SGB VI) verneint (vgl. OLG Bamberg FamRZ 2022, 1769, 1771; Siede FamRB 2022, 431, 433).

28(b) Die genannte Streitfrage bedarf unter den hier obwaltenden Umständen aber keiner grundlegenden Erörterung. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass für die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung mit der Teilung von Grundrenten-Entgeltpunkten ein nicht nur unerheblicher Verwaltungsmehraufwand verbunden ist, gebühren im vorliegenden Fall den für den Ausgleich des geringfügigen Anrechts zugunsten der Antragsgegnerin sprechenden Gesichtspunkten der Vorzug. Der von der DRV Hessen für die Teilung der von dem Antragsteller ehezeitlich erworbenen Grundrenten-Entgeltpunkte vorgeschlagene Ausgleichswert von 0,2265 Entgeltpunkten entspricht nach dem derzeitigen Rentenwert einem zusätzlichen monatlichen Rentenbetrag von 8,52 €. Nach den vorliegenden Versorgungsauskünften hat die 47-jährige Antragsgegnerin im Laufe ihres Erwerbslebens bis zum Ende der Ehezeit im November 2020 Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung (lediglich) in Höhe von 10,4819 Entgeltpunkten erlangt. Auch unter Berücksichtigung der sonstigen durch den Versorgungsausgleich in diesem Verfahren erworbenen 1,9815 Entgeltpunkte (3,1539 Entgeltpunkte ./. 1,1724 Entgeltpunkte) erscheint es angesichts dieser Versorgungssituation evident, dass die Antragsgegnerin auf den Erwerb des zwar geringfügigen, aber wirtschaftlich gleichwohl nicht völlig bedeutungslosen (vgl. auch Senatsbeschluss vom - XII ZB 323/15 - FamRZ 2017, 195 Rn. 14; dort: 8,57 €) Anrechts dringend angewiesen ist. Darüber hinaus musste der Senat bei seiner Ermessensentscheidung vor allem berücksichtigen, dass die DRV Hessen in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung selbst ein eindeutiges Petitum dahingehend abgegeben hat, das auf dem Zuschlag für langjährige Versicherung beruhende Anrecht trotz seiner Geringfügigkeit zugunsten der Antragsgegnerin auszugleichen, so dass danach schwerlich noch Gründe der Verwaltungseffizienz dafür angeführt werden können, vom Ausgleich des Anrechts abzusehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:100124BXIIZB389.22.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-61554