BGH Urteil v. - VIa ZR 727/22

Instanzenzug: Az: 15 U 227/19vorgehend Az: 15 O 55/19

Tatbestand

1Die Klägerin, die zunächst neben der Beklagten zu 2 (künftig: Beklagte) ein Autohaus verklagt hatte, nimmt nur noch die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Sie erwarb im Jahr 2014 einen von der Beklagten hergestellten A5 Cabriolet 3.0 TDI quattro als Neuwagen, der mit einem von der Beklagten hergestellten V6-Turbodieselmotor (EU 5) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug verfügt über ein "Thermofenster". Für die Steuerung der Schaltpunkte, bei denen das Automatikgetriebe zwischen den verschiedenen Fahrstufen wechselt, verfügt das Fahrzeug über zwei verschiedene Programme, nämlich zum einen über ein "Dynamisches Schaltprogramm", das nur im realen Fahrbetrieb aktiv ist, und zum anderen über ein "Warmlauf-Schaltprogramm", das die Schaltpunkte auf dem Rollenprüfstand steuert.

3Die Klägerin verlangt von der Beklagten mit ihrer Klage zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzungen zuzüglich Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden aus einer Beeinflussung des Abgasausstoßes im Prüfstandsbetrieb, hilfsweise Feststellung der Ersatzpflicht für Schäden wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen (Berufungsantrag zu 2), Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 3) und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4). Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht unbeschränkt zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Anträge weiter.

Gründe

4Die Revision hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Der Klägerin stehe kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Es fehle an einem sittenwidrigen Handeln. Selbst unterstellt, das "Thermofenster" stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem unterstellten Verstoß gegen die europäischen Regelungen weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Das "Thermofenster" sei nicht prüfstandsbezogen; andere Umstände, die die Sittenwidrigkeit indizieren könnten, habe die Klägerin nicht beachtlich dargetan. Dies gelte ebenso für die von der Klägerin monierte Schaltpunktsteuerung des Automatikgetriebes. Es fehle insoweit an greifbaren, über die schlichte Behauptung der Klägerin hinausgehenden Anhaltspunkten dafür, dass der Wechsel zwischen beiden Programmen für die Einhaltung gesetzlicher Abgasgrenzwerte relevant sei.

7Es bestehe auch kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, denn das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht in deren Aufgabenbereich.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. In Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat das Berufungsgericht hinsichtlich des "Thermofensters" einen Anspruch der Klägerin mangels Prüfstandsbezogenheit der als unzulässig unterstellten Abschalteinrichtung ausgeschlossen (vgl. , NJW 2021, 921 Rn. 16 ff.; Urteil vom - VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 12 ff.; Urteil vom - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 48; Urteil vom - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 12). Hinsichtlich der zwei unterschiedlichen Programme der Getriebesteuerung hat das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB an der fehlenden Grenzwertkausalität scheitern lassen (vgl. VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11). Soweit die Revision gegen die entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts Verfahrensrügen erhebt, hat der Senat diese geprüft und erachtet sie nicht für durchgreifend. Von einer Begründung wird insoweit nach § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

102. Doch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung im Hinblick auf die beiden unstreitig vorhandenen Vorrichtungen, bei welchen das Berufungsgericht einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 unterstellt hat ("Thermofenster", Getriebesteuerung), ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters getroffen.

III.

12Das angefochtene Urteil ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im tenorierten Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen möglichen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen zu haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:300124UVIAZR727.22.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-60736