BGH Beschluss v. - VIa ZR 18/23

Instanzenzug: Az: 6 U 389/22vorgehend Az: 3 O 73/22

Gründe

I.

1Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung.

2Er erwarb im Dezember 2017 ein Wohnmobil mit Dieselmotor. Die Beklagte ist Herstellerin des Basisfahrzeugs. Unter Behauptung unzulässiger Abschalteinrichtungen hat der Kläger im Wesentlichen von der Beklagten verlangt, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil sich die Berufungsbegründung nicht mit den tragenden Gründen des erstinstanzlichen Urteils auseinandersetze. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

31. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip).

42. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Berufung sei nicht ordnungsgemäß begründet, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

5a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Darlegung, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger als unzutreffend bekämpft und welche rechtlichen oder tatsächlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen, ein anderes Verfahren betreffenden Textbausteinen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr.; vgl. nur , NJW-RR 2020, 1187 Rn. 10 f.; Beschluss vom - VIa ZB 19/22, juris Rn. 8; Beschluss vom - VIa ZR 56/23, juris Rn. 5, jeweils mwN).

6b) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung des Klägers.

7aa) Das Landgericht hat die Klageabweisung auf die Erwägung gestützt, für ein objektiv sittenwidriges Handeln wie auch für einen Schädigungsvorsatz der Beklagten fehlten hinreichende Anhaltspunkte. Darüber hinaus sei ein Schaden nicht schlüssig dargelegt. Es sei nicht zu befürchten, dass ein Rückruf oder eine sonstige Maßnahme zur Nutzungsuntersagung oder -beschränkung ausgesprochen werde.

8bb) Mit dieser Argumentation des Landgerichts setzt sich die Berufungsbegründung des Klägers entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts noch hinreichend auseinander. Zwar hebt das Berufungsgericht zutreffend darauf ab, dass die Berufungsbegründung in weiten Teilen nicht auf das Urteil des Landgerichts eingeht und pauschale Verweise auf erstinstanzlichen Vortrag sowie formelhafte Wendungen enthält. Trotz dieser Mängel lässt sich der Berufungsbegründung aber entnehmen, in welchen Punkten und aus welchen Gründen der Kläger in dem konkreten Einzelfall die vom Landgericht für tragend gehaltenen Erwägungen für unrichtig erachtet. So verhält sich die Berufungsbegründung näher zu der Behauptung einer Abschaltung der Abgasreinigung nach Ablauf von 22 Minuten, bei der es sich aufgrund ihrer spezifischen Ausgestaltung "um eine besonders dreiste Form der Täuschung" handle, mit welcher die Beklagte "bewusst und in Täuschungsabsicht" die Differenzierung zwischen Prüfstand und normalem Straßenbetrieb umgehe. Damit wendet sich die Berufungsbegründung ersichtlich (auch) gegen die Auffassung des Landgerichts, für ein objektiv sittenwidriges Handeln und einen Schädigungsvorsatz der Beklagten fehlten hinreichende Anhaltspunkte.

9Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht einen Schaden des Klägers verneint hat. Die Berufungsbegründung führt näher aus, der Kläger habe "jederzeit" mit einer Stilllegung des Fahrzeugs zu rechnen, unter anderem wegen einer gegen das Kraftfahrt-Bundesamt erhobenen und auf dessen Untätigkeit bei der Marktüberwachung des Abgasverhaltens von Wohnmobilen gestützten Klage, auf die das Landgericht nicht eingeht. Darin liegt ein hinreichender Angriff gegen den vom Landgericht für die Verneinung eines Schadens des Klägers für entscheidend erachteten Gesichtspunkt.

103. Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 577 Abs. 3 ZPO. Ob und inwieweit die Berufung des Klägers mit der gegebenen Begründung in der Sache Erfolg haben kann, ist keine Frage der Zulässigkeit der Berufung, sondern ihrer Begründetheit. Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht insbesondere die Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 1425/22, juris) beachten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:130224BVIAZB18.23.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-60578