BSG Urteil v. - B 1 KR 32/22 R

(Krankenversicherung - Krankenhausvergütungsstreit - zweijährige Verjährungsfrist nach § 109 Abs 5 SGB 5 - analoge Anwendung auf Aufwandspauschalen ab )

Gesetze: § 109 Abs 5 SGB 5 vom , § 275 Abs 1 SGB 5, § 275 Abs 1c SGB 5, § 325 SGB 5 vom , § 409 SGB 5 vom , § 215 BGB, § 242 BGB, § 387 BGB

Instanzenzug: Az: S 44 KR 658/19 Urteilvorgehend Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Az: L 5 KR 166/20 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

2Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Krankenhaus (im Folgenden Krankenhaus) und behandelte dort eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (KK) in der Zeit vom 8. bis stationär. Eine von der KK eingeleitete sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) führte nicht zu einer Minderung des Rechnungsbetrages. Das Krankenhaus stellte der KK daraufhin am eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro in Rechnung, die die KK am zahlte. Am setzte die KK diesen Betrag durch Verrechnung mit einer unstreitigen Vergütungsforderung des Krankenhauses in einem anderen Behandlungsfall wieder ab.

3Das Krankenhaus hat am Klage auf Zahlung von 300 Euro nebst Zinsen erhoben und ua vorgetragen, mit Ablauf des Kalenderjahres 2018 sei ein etwaiger Anspruch auf Erstattung der Aufwandspauschale verjährt. Es gelte nicht die vierjährige sozialrechtliche, sondern die dreijährige zivilrechtliche Verjährungsfrist. Das SG hat der Klage stattgegeben. Der von der KK geltend gemachte Erstattungsanspruch sei verwirkt (Urteil vom ).

4Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die KK habe zu Recht mit ihrem Erstattungsanspruch gegen den Vergütungsanspruch des Krankenhauses aufgerechnet. Zahlungen von Aufwandspauschalen für vor dem eingeleitete sachlich-rechnerische Prüfungen seien ohne Rechtsgrund erfolgt. Das Verbot unzulässiger Rechtsausübung stehe nicht entgegen. Insbesondere fehle es an Umständen, die eine Verwirkung auslösen. Die Erstattungsforderung sei auch nicht verjährt. Es finde die allgemeine vierjährige Verjährungsfrist Anwendung. Durch das Inkrafttreten des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes (PpSG) zum habe sich für den vorliegenden Fall nichts geändert. Sowohl § 109 Abs 5 SGB V als auch § 325 SGB V (idF des PpSG, im Folgenden: aF) erfassten auf der Tatbestandsseite nur Ansprüche auf Rückzahlung geleisteter Vergütungen. Dies seien nur solche Zahlungen, bei denen der Leistungszweck in der Vergütung von allgemeinen Krankenhausleistungen bestehe. Eine analoge Anwendung auf Aufwandspauschalen sei nicht gerechtfertigt (Urteil vom ).

5Mit seiner Revision rügt das Krankenhaus die Verletzung materiellen Rechts. Der Anspruch sei verwirkt. Die KK habe die Aufwandspauschale im Jahr 2015 nicht nur vorbehaltlos gezahlt, sondern auch danach fast vier Jahre keine Erstattung gefordert. Das Krankenhaus habe spätestens seit 2017 davon ausgehen können, dass dies nicht mehr erfolgen werde. Jedenfalls sei ein etwaiger Erstattungsanspruch der KK verjährt bzw gemäß § 325 SGB V aF ausgeschlossen.

8Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Gründe

9Die Revision des klagenden Krankenhauses ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat das SG-Urteil auf die Berufung der beklagten KK zu Recht aufgehoben und die Klage abgewiesen.

10Die vom klagenden Krankenhaus erhobene (echte) Leistungsklage ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig (stRspr; vgl KR R - BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; - BSGE 133, 24 = SozR 4-2500 § 2 Nr 17, RdNr 7), aber nicht begründet. Dem Krankenhaus steht zwar ein Vergütungsanspruch für die Behandlung Versicherter der KK unstreitig zu (dazu A.). Dieser Vergütungsanspruch ist aber durch Aufrechnung mit einer Gegenforderung der KK auf Erstattung der am gezahlten Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro erloschen (dazu B.).

11A. Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass das Krankenhaus aufgrund stationärer Behandlung anderer Versicherter der KK einen fälligen und erfüllbaren Anspruch auf die Vergütung in der streitgegenständlichen Höhe hat. Eine nähere Prüfung zur Höhe der streitigen Beträge erübrigt sich (vgl zur Zugrundelegung bei unstrittiger Berechnungsweise - juris RdNr 11 mwN).

12B. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses ist jedoch durch die Aufrechnung mit der Gegenforderung der KK in Höhe von 300 Euro teilweise erloschen (vgl zur Erfüllung entspr § 387 BGB - SozR 4-7610 § 366 Nr 1 RdNr 11). Der KK stand ein Anspruch auf Erstattung der am gezahlten Aufwandspauschale zu (dazu 1.). Die Voraussetzungen der Aufrechnung entsprechend § 387 BGB (iVm § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V) waren erfüllt (dazu 2.).

131. Die KK hat gegenüber dem Krankenhaus einen Anspruch auf Erstattung der Aufwandspauschale.

14KKn waren nach der Rspr des Senats nicht verpflichtet, für vor dem eingeleitete sachlich-rechnerische Prüfungen Aufwandspauschalen zu zahlen, sodass sie im Grundsatz deren Erstattung verlangen können. Die Vorschrift des § 275 Abs 1 und Abs 1c SGB V begründete in ihren bis geltenden Fassungen keinen Anspruch auf die Zahlung von Aufwandspauschalen für sachlich-rechnerische Prüfungen. Zahlungen ohne Rechtsgrund begründen einen Erstattungsanspruch des Zahlenden gegenüber dem Zahlungsempfänger, sei es nach allgemeinen Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, sei es nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm §§ 812 ff BGB. Diese Voraussetzungen sind bei Zahlungen von Aufwandspauschalen für vor dem eingeleitete sachlich-rechnerische Prüfungen erfüllt (vgl - BSGE 130, 299 = SozR 4-2500 § 275 Nr 32, RdNr 9 ff mwN). Hier wurde die sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung von der KK im Jahr 2015 eingeleitet.

152. Die KK war auch nicht gehindert, ihren Erstattungsanspruch gegen unstreitige Vergütungsforderungen des Krankenhauses aufzurechnen.

16a) Der (unstreitige) Vergütungsanspruch des Krankenhauses und der Erstattungsanspruch der KK waren gegenseitig und - als Geldleistungsansprüche - gleichartig; der Erstattungsanspruch der KK war fällig und durchsetzbar, der Vergütungsanspruch des Krankenhauses erfüllbar (vgl zu den Voraussetzungen der Aufrechnung - SozR 4-2500 § 264 Nr 3 RdNr 16; - SozR 4-5562 § 11 Nr 2 RdNr 10 ff; - SozR 4-7610 § 366 Nr 1 RdNr 11 ff).

17b) Der Aufrechnung durch die KK steht nicht der Einwand des Verbots unzulässiger Rechtsausübung entgegen.

18Der Senat hat bereits entschieden, dass KKn nicht rechtsmissbräuchlich handeln, wenn sie die Erstattung von Aufwandspauschalen verlangen, die sie nach dem für sachlich-rechnerische Prüfungen gezahlt haben. Weder können sich die Krankenhäuser auf § 242 BGB iVm § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V unter den Voraussetzungen des spezifischen Vertrauensschutzes oder der Verwirkung berufen noch schließt eine entsprechende Anwendung des § 814 BGB den Erstattungsanspruch aus ( - BSGE 130, 299 = SozR 4-2500 § 275 Nr 32, RdNr 28 ff mwN). Daran hält der Senat fest.

19aa) Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und - kumulativ - weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes die verspätete Geltendmachung des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (stRspr; vgl - SozR 4-2500 § 109 Nr 80 RdNr 12 mwN).

20Solche besonderen Umstände lagen hier aber nicht vor. Aufgrund der nicht abschließend geklärten Rechtslage konnten die Krankenhäuser nicht darauf vertrauen, die KKn würden keine Erstattungsansprüche geltend machen. Vielmehr war es den Krankenhäusern ab zumutbar, Rückstellungen zu bilden (so ausdrücklich - BSGE 130, 299 = SozR 4-2500 § 275 Nr 32, RdNr 30).

21bb) Hieran ändert sich auch nichts durch die Tatsache, dass die KK vorliegend erst am die Aufrechnung erklärt hat.

22Innerhalb der kurzen, hier noch vierjährigen Verjährungsfrist (dazu unten c) ist für das Rechtsinstitut der Verwirkung als ergänzende Regelung grundsätzlich kein Raum. Es findet nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen Anwendung (stRspr; vgl - SozR 4-2500 § 109 Nr 84 RdNr 33 mwN). Die vorbehaltslose Zahlung nach Rechnungstellung stellt eine solche Ausnahmekonstellation ebenso wenig dar wie der bloße Zeitablauf. Der Umstand, dass die KK bis kurz vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist mit der Geltendmachung ihrer Forderung gewartet hat, genügt deshalb nicht. Nichtstun, also Unterlassen, kann ein schutzwürdiges Vertrauen in Ausnahmefällen allenfalls dann begründen und zur Verwirkung des Rechts führen, wenn der Schuldner dieses als bewusst und planmäßig erachten darf (stRspr; vgl nur - SozR 4-7610 § 242 Nr 8 RdNr 19; - BSGE 119, 150 = SozR 4-5560 § 17c Nr 3, RdNr 48; - SozR 4-2500 § 109 Nr 84 RdNr 34). Dafür gibt der vorliegende Sachverhalt jedoch keine Anhaltspunkte.

23c) Die Aufrechnung der KK mit ihrem Erstattungsanspruch ist auch nicht nach § 325 SGB V ausgeschlossen (idF des PpSG; ab in § 412 SGB V idF des Patientendaten-Schutz-Gesetzes <PDSG> vom , BGBI I 2115; seit in § 409 SGB V idF des Digitale-Versorgung- und-Pflege-Modernisierungs-Gesetzes <DVPMG> vom , BGBl I 1309).

25Der Senat lässt dahinstehen, ob § 325 SGB V aF nach dem Stichtag nicht nur die klageweise Geltendmachung von Erstattungsansprüchen der KKn ausschließt, die vor dem entstanden sind, sondern auch die Aufrechnung mit solchen Ansprüchen. Auch wenn der Wortlaut der Ausschlussregelung dies zulässt, ergeben sich Zweifel bereits daraus, dass die Rückausnahme zum Ausschluss eine weitere, engere Voraussetzung vorsieht, nämlich die gerichtliche Geltendmachung des Erstattungsanspruchs bis zum .

26Ebenfalls offenbleiben kann, ob § 325 SGB V aF als bloße "Übergangsvorschrift" eine eigenständige Bedeutung für die Geltendmachung von Ansprüchen auch nach dem zukommt.

27§ 325 SGB V aF ist jedenfalls nicht auf Aufwandspauschalen anwendbar (dazu aa). Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung liegen nicht vor (dazu bb).

28aa) § 325 SGB V aF regelt den Ausschluss von Ansprüchen der KKn auf Rückzahlung geleisteter "Vergütungen". Dies sind nur solche Zahlungen, bei denen der Leistungszweck in der Vergütung von allgemeinen Krankenhausleistungen besteht. Die Aufwandspauschale ist aber keine Gegenleistung für die im Einzelnen erbrachten Leistungen des Krankenhauses (vgl - SozR 4-2500 § 275 Nr 16 RdNr 27; - juris RdNr 14; - BSGE 130, 299 = SozR 4-2500 § 275 Nr 32, RdNr 1). Die Aufwandspauschale soll einen Anreiz dafür bieten, dass die nach Einschätzung des Gesetzgebers übermäßige Einschaltung des MDK im Rahmen von Einzelfallprüfungen nach § 275 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V zurückgedrängt wird, und sie soll den zusätzlichen Aufwand, den das Krankenhaus im Zusammenhang mit einer MDK-Prüfung hat, in den gesetzlich geregelten Fällen pauschaliert abgelten (vgl hierzu die Begründung des Entwurfs des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes - GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100, 171; dazu auch - SozR 4-2500 § 275 Nr 16 RdNr 16).

29bb) Für eine analoge Anwendung von § 325 SGB V aF auf die Geltendmachung geleisteter Aufwandspauschalen ist kein Raum (so auch Knittel in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, 119. EL Juni 2023, § 409 SGB V RdNr 4; in diese Richtung auch Eichberger SGb 2019, 669, 672 f; aA Makoski, KrV 2018, 221, 225; tendenziell auch Bockholdt in Hauck/Noftz, SGB V, § 409 RdNr 11, Stand Dezember 2021). Die Voraussetzungen einer Analogie bestehen nicht. Weder eine planwidrige Regelungslücke noch eine vergleichbare Interessenlage sind ersichtlich.

30Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien bei der Ausgestaltung der Regelungen in § 109 Abs 5 Sätze 2 und 3 und § 325 SGB V aF im Ausgangspunkt in erster Linie Rückforderungsansprüche der KKn auf der Grundlage zwischenzeitlich ergangener Rechtsprechung des BSG zur Abrechenbarkeit der neurologischen Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls im Blick hatte. Die betroffenen Krankenhäuser sollten vor existenzbedrohenden Erstattungsforderungen aus der Umsetzung dieser Urteile geschützt werden (BT-Drucks 19/4453 S 135 f, unter Verweis auf und B 1 KR 39/17 R -, und BT-Drucks 19/5593 S 115 f). Die geschaffenen Regelungen schießen allerdings schon über diesen ursprünglichen Anlass der Neuregelung deutlich hinaus, indem sie nicht nur Erstattungsansprüche aus zu Unrecht abgerechneten neurologischen Komplexbehandlungen ausschließen, sondern sämtliche Erstattungsansprüche. Gleichwohl ist nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass auch Ansprüche auf Erstattung von Aufwandspauschalen erfasst sein sollten. Hierfür bedürfte es klarerer Hinweise.

31§ 325 SGB V aF ist auch im Übrigen eng auszulegen. Dabei bedarf es letztlich keiner Entscheidung des Senats, ob § 325 SGB V aF echte oder unechte Rückwirkung entfaltet und ob sich die beklagte KK auf einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot berufen könnte. In jedem Fall bewegt sich der Gesetzgeber mit der rückwirkenden Inkraftsetzung der Vorschrift auf verfassungsrechtlich sensiblem Terrain.

32Der 6. Senat des BSG geht davon aus, dass sich nur Grundrechtsträger auf das Rückwirkungsverbot berufen könnten. Hierzu gehörten die KKn nicht, auch nicht als Sachwalter ihrer Mitglieder bzw Versicherten ( - juris RdNr 23). Der 3. Senat des BVerwG hat hingegen angedeutet, dass viel dafür spreche, dass sich auch KKn auf das Rückwirkungsverbot berufen könnten ( - juris RdNr 22) und dabei auf Rechtsprechung des 9. Senats des BVerwG Bezug genommen, der für abgabenrechtliche Rechtspositionen entschieden hat, dass hier das Rückwirkungsverbot grundsätzlich unabhängig davon gelte, ob die Abgabenpflichtigen sich auf Grundrechte berufen können ( - juris RdNr 34).

33In der Rechtsprechung des BVerfG ist die Reichweite des Rückwirkungsverbots und seine Anwendbarkeit auf die KKn als Nicht-Grundrechtsträger jedenfalls nicht abschließend geklärt. Das BVerfG hat bisher nicht ausdrücklich entschieden, dass ein Verfassungsverstoß allein auf der Grundlage einer objektivrechtlichen Verankerung des Rückwirkungsverbots in Art 20 Abs 3 GG stets ausgeschlossen ist (nicht im Obersatz, aber in der Sache str in - BVerfGE 135, 1, juris RdNr 62 ff mit Sondervotum Masing - juris RdNr 87 ff).

34Der erkennende 1. Senat des BSG hat diese Frage bislang offengelassen. Er hat allerdings entschieden, dass den KKn als Sozialversicherungsträgern mit der gesetzlichen Zuerkennung des Körperschaftsstatus und der Zuweisung von Selbstverwaltung einfachrechtlich eine rechtlich geschützte Kompetenzsphäre zugewiesen ist, die verfassungsrechtlich durch Art 87 Abs 2 GG gebilligt und anerkannt wird ( - BSGE 132, 114 = SozR 4-2500 § 20a Nr 1, RdNr 77). Was sich hieraus im Einzelnen für die Möglichkeit der KKn ergibt, sich auf das Rückwirkungsverbot zu berufen, kann vorliegend aber dahinstehen.

35d) Die Durchsetzbarkeit der Gegenforderung scheitert jedenfalls nicht an der Einrede der Verjährung. Der Senat kann mangels ausreichender Feststellungen des LSG bereits nicht abschließend prüfen, ob - die Geltung der zweijährigen Verjährungsfrist nach § 109 Abs 5 Satz 1 und 2 SGB V unterstellt - die Einrede der Verjährung der Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf Erstattung der gezahlten Aufwandspauschale entgegenstünde (hierzu aa). Eine Zurückverweisung kann trotzdem unterbleiben. Denn die kurze zweijährige Verjährungsfrist in krankenhausvergütungsrechtlichen Streitigkeiten ist erst ab ihrem Inkrafttreten am auf Aufwandspauschalen analog anwendbar. Auf den hier streitigen - im Jahr 2015 entstandenen - Erstattungsanspruch findet weiterhin die vierjährige sozialrechtliche Regelverjährung Anwendung (hierzu bb).

36aa) Der Senat kann weder anhand der Feststellungen des LSG noch anhand der in Bezug genommenen Gerichtsakten abschließend beurteilen, ob die Einrede der Verjährung der Aufrechnung entgegensteht. § 109 Abs 5 Satz 2 SGB V schließt für sich genommen eine wirksame Aufrechnung bereits verjährter Erstattungsansprüche nicht aus, soweit im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung die Voraussetzungen des § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 215 BGB erfüllt waren. Zwar verbietet § 390 BGB die Aufrechnung mit einer einredebehafteten Forderung. Nach § 215 BGB schließt die Verjährung die Aufrechnung und die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts aber nicht aus, wenn der Anspruch in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem erstmals aufgerechnet werden konnte. War der zur Aufrechnung gestellte Gegenanspruch - hier der Erstattungsanspruch der KK - also noch nicht verjährt, als erstmals die Aufrechnungslage eintrat, hätte auch nach Eintritt seiner Verjährung die Aufrechnung wirksam erklärt werden können (vgl nur Schmidt-Räntsch in Erman BGB, 17. Aufl 2023, § 215 BGB, RdNr 1). Das LSG hat nicht festgestellt, wann die Hauptforderung, gegen die die KK aufgerechnet hat - der Vergütungsanspruch des Krankenhauses - entstanden ist. Ohne diese Feststellung kann der Senat nicht prüfen, ob die Aufrechnungslage selbst bei Anwendung von § 109 Abs 5 Satz 1 SGB V in unverjährter Zeit vorlag.

37bb) Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits hat dennoch nicht zu erfolgen. Denn selbst wenn es vorliegend darauf ankäme, ob die kurze zweijährige Verjährungsfrist nach § 109 Abs 5 Satz 1 SGB V auf Erstattungsansprüche hinsichtlich Aufwandspauschalen Anwendung findet, hätte die Revision des klagenden Krankenhauses keinen Erfolg. Die Neuregelung zur zweijährigen Verjährungsfrist findet zwar auf Ansprüche der KKn auf Rückzahlung von Aufwandspauschalen analoge Anwendung, jedoch erst ab ihrem Inkrafttreten am .

38 (1) Mit der zum in Kraft getretenen Regelung in § 109 Abs 5 Satz 1 SGB V (eingeführt durch Art 7 Nr 8a PpSG vom , BGBl I 2394) wurde die Verjährungsfrist für Vergütungsansprüche der Krankenhäuser und Erstattungsansprüche der KKn auf zwei Jahre verkürzt. Dies gilt auch für Ansprüche der KKn auf Rückzahlung von geleisteten Vergütungen, die vor dem entstanden sind, nicht aber für Ansprüche der Krankenhäuser, die vor dem entstanden sind (§ 109 Abs 5 Sätze 2 und 3 SGB V). Für den hier streitigen Erstattungsanspruch würde sich diese Änderung dahingehend auswirken, dass er ausgehend von seiner Entstehung mit der rechtsgrundlosen Zahlung der Aufwandspauschale am bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am und auch vor der Verkündung des PpSG am , nämlich mit Ablauf des , verjährt wäre.

39 (2) § 109 Abs 5 Satz 1 SGB V ist - wie auch § 325 SGB V aF (siehe oben unter RdNr 27) - auf Aufwandspauschalen nach seinem Wortlaut nicht anwendbar. § 109 Abs 5 Satz 1 SGB V erfasst zwar auch Nebenforderungen, insbesondere Zinsen, nicht aber die Aufwandspauschale, bei der es sich nicht um eine Vergütung handelt (siehe bereits oben zu § 325 SGB V RdNr 28; so hinsichtlich § 109 Abs 5 SGB V auch Wahl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, § 109 SGB V, RdNr 214; Ricken, NZS 2019, 241, 243, Becker in Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl 2022, § 109 RdNr 7; Knittel in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, 119. EL Juni 2023, § 109 SGB V, RdNr 52).

40Allerdings ist die kurze zweijährige Verjährungsfrist auf nach dem Inkrafttreten von § 109 Abs 5 Satz 1 SGB V am entstandene Ansprüche auf Rückzahlung von Aufwandspauschalen analog anzuwenden. Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung liegen insoweit vor. Dies gilt allerdings nicht hinsichtlich der rückwirkenden Anwendbarkeit nach § 109 Abs 5 Satz 2 SGB V auf Erstattungsansprüche der KKn, die bereits vor dem entstanden sind.

41Die vor Inkrafttreten von § 109 Abs 5 Satz 1 SGB V geltende vierjährige Verjährung war Ausdruck eines allgemeinen Rechtsprinzips des Sozialrechts (so - RdNr 14 mwN) und war dementsprechend bei allen Ansprüchen zwischen Krankenhäusern und KKn nach dem Vierten Kapitel des SGB V zu beachten (vgl - juris RdNr 13 zum Vergütungsanspruch des Krankenhauses; - BSGE 119, 150 = SozR 4-5560 § 17c Nr 3, RdNr 44 mwN zum Anspruch der KK auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Vergütung). Dies gilt auch für einen Anspruch der KK auf Erstattung einer zu Unrecht gezahlten Aufwandspauschale (vgl - SozR 4-2500 § 275 Nr 17 RdNr 12). Es bestand schon bisher eine Regelungslücke, die im Wege höchstrichterlicher Rechtsfortbildung gefüllt wurde.

42Soweit das Krankenhaus sich darauf beruft, mit der Aufwandspauschale gehe es nicht um Sozialleistungen, sodass ohnehin die kürzere zivilrechtliche Verjährungsfrist von drei Jahren zum Jahresende gelte, folgt der Senat dem nicht. Gemäß § 69 Abs 1 Satz 3 Halbsatz 2 SGB V gelten die Vorschriften des BGB nur entsprechend, "soweit sie mit den Vorgaben des § 70 <SGB V> und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach <dem> Vierten Kapitel <SGB V> vereinbar sind" (vgl - SozR 4-2500 § 69 Nr 1 RdNr 17). Nachdem jedenfalls bis zum Inkrafttreten von § 109 Abs 5 SGB V anerkannt war, dass auch in Krankenhausabrechnungsstreitigkeiten grundsätzlich die vierjährige Verjährungsfrist gilt, läge eine solche Unvereinbarkeit vor, wenn nur für den Anspruch auf Erstattung einer Aufwandspauschale etwas anderes gälte. Auch der Gesetzgeber ist von einer Anwendbarkeit der vierjährigen Verjährung in Krankenhausabrechnungsstreitigkeiten ausgegangen. Noch in der Gesetzesbegründung zu § 109 Abs 5 SGB V ist ausgeführt: "§ 45 SGB I legt die Verjährungsfrist im Sozialrecht mit vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Forderung entstanden ist, fest. Diese Verjährungsfrist gilt gleichermaßen für Ansprüche der Krankenhäuser auf Zahlung der Vergütung erbrachter Leistungen und für Ansprüche der Krankenkassen auf Erstattung überzahlter Vergütungen" (BT-Drucks 19/5593, 105).

43Mit Inkrafttreten des § 109 Abs 5 Satz 1 SGB V hat der Gesetzgeber indessen eine eigenständige Verjährungsregelung für die Verjährung von Ansprüchen im Leistungsverhältnis zwischen KKn und Krankenhäusern geregelt. Die entsprechende Anwendung von § 109 Abs 5 Satz 1 SGB V anstelle des in § 45 SGB I zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsprinzips der vierjährigen Verjährung im Sozialrecht drängt sich damit auf. Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung in § 109 Abs 5 SGB V das bisherige Rechtsprinzip aufgegeben, weil Krankenhäuser und KKn - so die Gesetzesmaterialien wörtlich - "als versierte Teilnehmer am Wirtschaftsleben über eine ständige professionelle Zusammenarbeit aufgrund eines dauerhaften Vertragsrahmens verbunden sind und daher für die Geltendmachung ihrer wechselseitigen Ansprüche nicht auf eine vierjährige Verjährungsfrist angewiesen sind" (vgl BT-Drucks 19/5593, 116; für eine entsprechende Anwendung auf Aufwandspauschalen auch Bockholdt in Hauck/Noftz, SGB V, § 109 RdNr 212d, Stand Oktober 2023; Makoski, KrV 2018, 221, 225). Insoweit besteht auch eine vergleichbare Interessenlage, denn diese Situation besteht auch bei Aufwandspauschalen.

44Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Anwendung auch der kurzen zweijährigen Verjährungsfrist analog § 109 Abs 5 Satz 2 SGB V liegen dagegen nicht vor. Insoweit ist - wie bei § 325 SGB V aF - für den Senat keine Regelungslücke ersichtlich, in jedem Fall aber fehlt es an einer vergleichbaren Interessenlage. Denn die analoge Anwendung des § 109 Abs 5 Satz 1 SGB V auf ab dem entstandene Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Aufwandspauschalen vermeidet im Wesentlichen eine Zersplitterung der Verjährungsregeln im Krankenhausvergütungsrecht. Demgegenüber besteht für die Vergangenheit vor dem kein entsprechendes Bedürfnis. Vielmehr greifen auch hier die Erwägungen, die für eine verfassungsschonende enge Auslegung sprechen.

4546

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:121223UB1KR3222R0

Fundstelle(n):
SAAAJ-60339