BGH Beschluss v. - 4 StR 397/23

Instanzenzug: LG Essen Az: 65 KLs 5/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen, wegen Bedrohung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, sowie wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

32. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, denn den Urteilsgründen ist ein Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, ebenso wenig zu entnehmen wie ein hinreichender symptomatischer Zusammenhang mit den begangenen Straftaten. Zudem ist die Erfolgsaussicht der Maßregel nicht rechtsfehlerfrei begründet.

4a) Der Senat hat der revisionsrechtlichen Überprüfung § 64 StGB in der Fassung vom (BGBl. I Nr. 203, S. 2) zugrunde zu legen, die am in Kraft getreten ist. Da keine entsprechende Übergangsvorschrift ergangen ist, ergibt sich dies aus § 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO (vgl. Rn. 6; Urteil vom – 4 StR 136/23 Rn. 14). Nach § 64 Satz 1 StGB nF erfordert die Annahme eines Hangs das Vorliegen einer Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Die Anlasstaten müssen ferner „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen. Zudem ergeht die Anordnung nur, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ein Therapieerfolg zu erwarten ist (§ 64 Satz 2 StGB nF).

5b) aa) Zum Vorliegen eines Hangs, dessen tatsächliche Grundlagen sicher feststehen müssen (vgl. Rn. 5 mwN), hat das Landgericht keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Zwar ist diesen zu entnehmen, dass der Angeklagte häufig Alkohol im Übermaß trank und sich bei ihm eine Alkoholabhängigkeit entwickelt hat. Hieraus ergibt sich aber noch nicht die Annahme, dass dadurch seine Lebensgestaltung, Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit dauernd und schwerwiegend beeinträchtigt wurde (vgl. Rn. 7). Nach den Urteilsgründen führte der Angeklagte mehrere Beziehungen, aus denen fünf Kinder hervorgingen, und arbeitete darüber hinaus bis zum Jahr 2022 als Altenpflegeassistent. Seine gegenwärtige Arbeitsunfähigkeit hat die Strafkammer auf seine AIDS-Erkrankung mit einer hohen Virenlast und medikationsbedingten Nebenwirkungen zurückgeführt. Soweit das Landgericht darüber hinaus auf eine besondere Schädlichkeit des Alkoholkonsums im Hinblick auf diese Erkrankung des Angeklagten abgehoben hat, lassen die Urteilsgründe konkrete Feststellungen zu einem solchen Zusammenhang und seinen Auswirkungen ebenso vermissen wie einen nachvollziehbaren Beleg hierfür.

6bb) Auch ein symptomatischer Zusammenhang ist nicht festgestellt. Nach § 64 Satz 1 Hs. 1 StGB nF reicht eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen eines solchen Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht – ggf. unter sachverständiger Beratung – positiv festzustellen (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 69 f.; Rn. 3). Bei seiner Entscheidung hat das Landgericht diesen strengeren Anordnungsmaßstab noch nicht vor Augen haben können. Es hat sich der Einschätzung der Sachverständigen angeschlossen, dass der Alkoholkonsum des Angeklagten die Anlasstaten „als enthemmender Faktor begünstigt“ habe. Damit ist zwar eine nach § 64 StGB aF für die Unterbringung ausreichende Mitursächlichkeit seines erheblichen Alkoholkonsums für die Straftaten des Angeklagten dargetan, jedoch fehlt eine Aussage zu der nunmehr entscheidenden Frage, inwieweit dieser Konsum – und nicht etwa ein hiervon losgelöster Beziehungskonflikt mit der Geschädigten – die überwiegende Ursache für die Anlasstaten war.

7cc) Ferner ist die Erfolgsaussicht der Maßregel nicht tragfähig belegt. Durch § 64 Satz 2 StGB nF sind die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ vorausgesetzt ist; im Übrigen bleibt es dabei, dass die Beurteilung der Erfolgsaussicht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände vorzunehmen ist (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 70; Rn. 6). Die Strafkammer hat ihre Erwägungen allein an dem weniger strengen Maßstab der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht nach § 64 Satz 2 StGB aF ausgerichtet. Dem o. a. gegenwärtigen Maßstab für eine günstige Behandlungsprognose werden die Urteilsgründe schon deshalb nicht gerecht (vgl. Rn. 18). Im Übrigen hat die Strafkammer auch nicht in nachvollziehbarer Weise erläutert, inwieweit von ihr herangezogene „reflektierende Angaben“ des Angeklagten zu seiner Alkoholproblematik eine Erfolgsprognose stützen können. Zudem hat das Landgericht die langjährige Alkoholsucht und die wiederholte Rückfälligkeit des Angeklagten im Anschluss an Therapien nicht als prognoseungünstige Umstände bedacht.

8c) Die Sache bedarf daher im Maßregelausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen. Sollte das neue Tatgericht abermals die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anordnen, wird es zudem über einen Vorwegvollzug nach Maßgabe von § 67 Abs. 2 und 5 StGB nF zu entscheiden haben (vgl. Rn. 14 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:300124B4STR397.23.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-60053