Sexueller Missbrauch von Kindern: Anforderungen an Urteilsgründe in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen
Gesetze: § 261 StPO, § 267 StPO, § 176a Abs 2 Nr 1 StGB
Instanzenzug: LG Frankfurt (Oder) Az: 23 KLs 3/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen, davon in zwei Fällen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), so dass es auf die erhobenen Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.
21. Nach den Feststellungen manipulierte der damals neun Jahre alte Nebenkläger in vier Fällen am nackten Penis des Angeklagten und führte an ihm Oralverkehr durch. Zu einem späteren Zeitpunkt vollzog der Angeklagte am seinerzeit 13 Jahre alten Nebenkläger ungeschützten Analverkehr. Das Landgericht hat sich, gestützt durch ein aussagepsychologisches Sachverständigengutachten, aufgrund der Aussage des Nebenklägers von der Täterschaft des die Tatvorwürfe bestreitenden Angeklagten überzeugt.
32. Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung hält – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (st. Rspr.; vgl. etwa , BGHSt 29, 18, 20 f. mwN) – sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4a) In Fällen, in denen – wie hier – „Aussage gegen Aussage“ steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten beeinflussen können, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und in einer Gesamtschau gewürdigt hat. Deshalb ist es in solchen Fällen in der Regel erforderlich, die Entstehung und Entwicklung der betreffenden Aussage im Urteil zu erörtern (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 476/22 und vom – 6 StR 448/22, jeweils mwN).
5b) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Der im Übrigen sorgfältigen Beweiswürdigung ist nur zu entnehmen, dass der Nebenkläger aussagepsychologisch exploriert worden ist und „konstant“ beziehungsweise „hochkonstant“ ausgesagt habe. Ob und gegebenenfalls wie oft er im Ermittlungsverfahren vernommen wurde, welche Angaben er bei früheren Vernehmungen machte und mit welchem Inhalt er sich gegenüber weiteren Dritten zum Tatgeschehen äußerte, lässt sich den Urteilsgründen selbst zum Tatkerngeschehen nicht entnehmen. Auf dieser Grundlage ist für den Senat nicht hinreichend nachprüfbar, ob die tatgerichtliche Annahme von Aussagekonstanz, der in diesen Konstellationen erhebliche Bedeutung für die Beweiswürdigung zukommt (vgl. ), auf einer rechtsfehlerfreien Würdigung beruht.
63. Für den Fall einer erneuten Verurteilung wird das neue Tatgericht zu beachten haben, dass der Täter nur nach der Qualifikation des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB (idF bis zum ) schuldig zu sprechen ist, weil das Grunddelikt des § 176 Abs. 1 StGB in der Regel verdrängt wird (vgl. ).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:240124B6STR456.23.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-59878