BGH Beschluss v. - 3 StR 411/23

Instanzenzug: Az: 12 KLs 2090 Js 54106/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten der Beihilfe zum „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie des „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich der Beschwerdeführer mit der auf die nicht ausgeführte allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB hält der materiellrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

3a) Nach den vom Landgericht zu diesem Fall getroffenen Feststellungen erfuhr der betäubungsmittelabhängige Angeklagte, dass sein Lieferant, der Zeuge N.  , „Läufer“ für seine in größerem Umfang betriebenen Drogengeschäfte suchte. Er teilte diesem daraufhin in der Hoffnung, als Belohnung zukünftig vergünstigt Betäubungsmittel zum Eigenkonsum von ihm erwerben zu können, Telefonnummern und die Wohnanschrift des ehemaligen Lebensgefährten seiner Schwester - des Zeugen S.    - mit, der selbst mit Betäubungsmitteln Handel trieb. Der Zeuge N.   begab sich daraufhin zur Wohnanschrift des Zeugen S.    , um mit diesem eine Mitwirkung an seinen Betäubungsmittelgeschäften zu erörtern. Feststellungen dazu, in welcher Form der Zeuge S.    tätig werden sollte, ob beide eine Vereinbarung trafen oder es sogar zu einem - wie auch immer gearteten - Tätigwerden des Zeugen S.    im Rahmen der Betäubungsmittelgeschäfte des Zeugen N.   kam, hat die Strafkammer nicht zu treffen vermocht. Auch hat sie nicht klären können, um welche Art und Menge von Betäubungsmitteln es ging oder nach Vorstellung des Zeugen N.   gehen sollte. Ausweislich der Urteilsgründe hat sie insofern lediglich festgestellt, dass der Angeklagte eine Einbindung des Zeugen S.    aufgrund seiner Vermittlungstätigkeit in ein Handeltreiben mit „weichen“ Drogen wie Marihuana mit durchschnittlicher Qualität und in Mengen von mehr als 100 Gramm für möglich hielt und billigend in Kauf nahm.

4b) Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten nicht. Denn sie zeigen keine Haupttat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln auf, die durch die Vermittlungstätigkeit des Angeklagten gefördert wurde.

5aa) Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist jede eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit. Ein (vollendetes) Handeltreiben liegt nicht erst vor, wenn es tatsächlich zu einem Betäubungsmittelumsatz kommt, sondern schon dann, wenn der Täter hierauf gerichtete konkrete Bemühungen entfaltet, etwa ernsthafte Ver- oder Ankaufsverhandlungen bezogen auf ein bestimmtes Umsatzgeschäft führt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 85/23, NStZ-RR 2023, 250; vom - 1 StR 371/22, juris Rn. 3; vom - 1 StR 110/20, NStZ 2021, 53 Rn. 8 f.; vom - 3 StR 302/15, NStZ 2016, 419, 420; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl. 2021, § 29 Rn. 376). Allgemein sondierende Gespräche über die Möglichkeit und eventuelle Modalitäten künftiger Betäubungsmittelgeschäfte begründen dagegen noch kein vollendetes Handeltreiben; bei ihnen handelt es sich lediglich um straflose Vorbereitungshandlungen (vgl. , NStZ 2016, 419, 420; 5 St RR (1) 34/10, NStZ 2011, 464, 465; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 29 BtMG Rn. 421; Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29 Rn. 375; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 378).

6bb) Gemessen hieran lassen die Urteilsgründe weder ein vollendetes noch ein versuchtes strafbares Handeltreiben mit Betäubungsmitteln des Zeugen N.  oder des Zeugen S.     erkennen. Es bleibt bereits offen, in welcher Funktion der Zeuge N.  den Zeugen S.     in seine Betäubungsmittelgeschäfte einbinden wollte - etwa als selbständig handelnden Weiterverkäufer oder als sein Gehilfe beim eigenen Drogenverkauf an Dritte. Insofern ist ungeklärt, ob der Zeuge N.  mit dem Zeugen S.    konkrete Verkaufsverhandlungen bezogen auf einen bestimmten Betäubungsmittelumsatz führte oder lediglich mögliche Unterstützungstätigkeiten bei noch nicht konkretisierten zukünftigen Drogengeschäften mit ihm erörterte. Letzteres wäre eine straflose Vorbereitungshandlung eines noch nicht hinreichend bestimmten Handeltreibens in der Zukunft. Zudem lassen die Feststellungen Raum für die Möglichkeit, dass der Zeuge N.   zwar durch Vermittlung des Angeklagten Kontakt zu dem Zeugen S.    aufnahm, beide indes weder ein auf ein konkretes Betäubungsmittelgeschäft bezogenes Ver- und Ankaufsgespräch führten noch eine sonstige Mitwirkung des Zeugen S.    an einem bestimmten und hinreichend konkretisierten Betäubungsmittelgeschäft des Zeugen N.  erörterten.

7c) Dies gebietet die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe. Da nähere Feststellungen zu einem Tätigwerden des Zeugen N.  in Reaktion auf die Vermittlungsaktivitäten des Angeklagten möglich erscheinen - etwa durch eine bislang unterbliebene Vernehmung der Zeugen N.  und S.    in der Hauptverhandlung -, die eine strafbare Haupttat des (zumindest versuchten) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln begründen, bedarf die Sache insofern der neuen Verhandlung und Entscheidung.

82. Die Aufhebung des Urteils im Fall II. 1. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.

93. Dagegen lassen die Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 2. der Urteilsgründe wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG und die Bemessung der hierfür verhängten Einzelstrafe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Jedoch ändert der Senat den diesbezüglichen Schuldspruch dahin, dass die Kennzeichnung des strafbaren Besitzes von Betäubungsmitteln als „unerlaubt“ entfällt. Dieser Tatbezeichnung bedarf es nicht, weil Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz stets den unerlaubten Umgang mit solchen betreffen (st. Rspr.; s. nur BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 412/22, juris Rn. 21 mwN; vom - 3 StR 378/22, NStZ-RR 2023, 78, 79; vom - 3 StR 95/22, NStZ 2023, 507 Rn. 8). § 265 StPO steht dieser Verschlankung des Schuldspruchs nicht entgegen.

104. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat keinen Bestand. Sie ist gemessen an den erhöhten Voraussetzungen für die Anordnung, die sich aus der gemäß § 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO maßgeblichen zum in Kraft getretenen Neufassung des § 64 StGB (vgl. insofern BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 407/23, juris Rn. 2; vom - 6 StR 452/23, juris Rn. 2; Urteil vom - 6 StR 327/23, juris Rn. 8; Beschluss vom - 6 StR 346/23, juris Rn. 9) ergeben, nicht rechtsfehlerfrei angeordnet worden.

11a) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Strafkammer einen Hang des Angeklagten zum Rauschmittelkonsum im Übermaß tragfähig bejaht hat. Nach § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB erfordert der Hang eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauerhafte und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit des Angeklagten eingetreten ist und fortdauert (vgl. , juris Rn. 10 ff.; Beschlüsse vom - 6 StR 346/23, juris Rn. 11; vom - 4 StR 136/23, NStZ-RR 2024, 13, 14; BT-Drucks. 20/5913, S. 44, 69). Die gesetzlich konkretisierten Folgen einer Substanzkonsumstörung sollen den bisherigen Hangbegriff einschränken (vgl. , juris Rn. 12; BT-Drucks. 20/5913, S. 45, 69). Erforderlich sind äußere, überprüfbare Veränderungen in mindestens einem der genannten Bereiche der Lebensführung. Hier muss sich die Störung schwerwiegend auswirken, also das Funktionsniveau in gravierender Weise beeinträchtigen, und im Tatzeitpunkt für längere Zeit vorhanden gewesen sein. Beide Merkmale - dauernd und schwerwiegend - müssen im betroffenen Lebensbereich kumulativ erfüllt sein (vgl. , juris Rn. 12; BT-Drucks. 20/5913, S. 45, 69). Diese störungsbedingte Beeinträchtigung ist eine eigenständige Anordnungsvoraussetzung, die selbständiger Feststellung im Urteil bedarf (BT-Drucks. 20/5913, S. 45, 69).

12Zwar ist der Angeklagte ausweislich der Urteilsgründe amphetaminabhängig (ICD 10: F.15.2), so dass eine Substanzkonsumstörung vorliegt (vgl. , juris Rn. 11; BT-Drucks. 20/5913, S. 44). Indes lebt er in geordneten familiären Verhältnissen und geht er seit vielen Jahren erfolgreich einer selbständigen Tätigkeit im Bereich der Kraftfahrzeugaufbereitung nach, mit der er ein auskömmliches Einkommen erzielt. Sein Konsum von Cannabis und Amphetamin dient dem seit seiner Kindheit an ADHS erkrankten Angeklagten im Rahmen einer Selbstmedikation neben der Einnahme eines ärztlicherseits verordneten Medikaments seit mehr als 15 Jahren dazu, seine soziale und berufliche Leistungsfähigkeit zu erhalten. Insofern erscheint zumindest fraglich, ob beim Angeklagten eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit beziehungsweise der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit durch seinen Drogenkonsum zu verzeichnen ist.

13b) Jedenfalls aber ist die Erfolgsaussicht einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht belegt. Gemäß § 64 Satz 2 StGB darf die Unterbringung nur angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, dass die betreffende Person durch die Behandlung geheilt oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten, die auf ihren Hang zurückgehen, abgehalten wird. Durch die Neufassung der Vorschrift sind die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ für einen Behandlungserfolg verlangt wird (vgl. , juris Rn. 5; BT-Drucks. 20/5913, S. 70). Wie schon nach früherer Rechtslage genügt die bloße Möglichkeit eines Behandlungserfolges oder Hoffnung auf einen solchen nicht (vgl. , juris Rn. 5).

14Hieran gemessen belegen die Urteilsgründe die Erfolgsaussicht nicht. Vielmehr ist diesen zu entnehmen, dass der im Verfahren gehörte psychiatrische Sachverständige insoweit Bedenken geäußert hat, weil der Angeklagte seit seinem 15. Lebensjahr durchgängig Betäubungsmittel konsumiere, er seinen Konsum auch nach seiner zeitweiligen Inhaftierung im vorliegenden Verfahren fortgeführt habe und es vorrangig einer Behandlung seiner ADHS-Erkrankung bedürfe. Demgegenüber hat die Strafkammer auf die in der Hauptverhandlung geäußerte Therapiewilligkeit des Angeklagten abgestellt und zudem betont, die Behandlung im Maßregelvollzug beginne mit einer „Motivationsphase“. Allein damit zeigen die Urteilsgründe keine tatsächlichen Anhaltspunkte für einen zu erwartenden Therapieerfolg auf; letztlich ist dem Urteil nur die - ungenügende - Hoffnung der Strafkammer auf einen solchen zu entnehmen. Überdies hat die Strafkammer unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte - wenngleich schon vor längerer Zeit - über mehrere Monate an einer Langzeittherapie teilnahm, indes im Anschluss an diese seinen Drogenkonsum sogleich fortsetzte. Damit hat sie einen gewichtigen prognoseungünstigen Faktor nicht in die notwendige Gesamtwürdigung aller Umstände (vgl. , juris Rn. 6) einbezogen.

155. Im Übrigen bemerkt der Senat: Mangels einer entsprechenden Verfahrensrüge bleibt ohne Auswirkung, dass die Vorsitzende Richterin das Urteil „i.V.“ der an der Unterschriftsleistung gehinderten beisitzenden Richterin ein zweites Mal unterschrieben hat, womit kein den rechtlichen Anforderungen genügender Verhinderungsvermerk im Sinne des § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO angebracht worden ist. Im Verhinderungsfall ist das Urteil nicht vom Vorsitzenden „in Vertretung“ des Verhinderten (erneut) zu unterzeichnen, sondern der Verhinderungsgrund anzugeben und dieser Vermerk gesondert zu unterschreiben (vgl. , NStZ 2022, 510; Urteil vom - 1 StR 757/82, BGHSt 31, 212, 214; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 275 Rn. 20; MüKoStPO/Valerius, 2. Aufl., § 275 Rn. 34).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:191223B3STR411.23.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-59875